Wochenspruch: Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.
(Römerbrief 12, 21)
Der Friede Gottes sei mit uns. Amen.
In Nörten-Hardenberg, wo ich wohne, gibt es zurzeit in der Christus-Kirche eine Ausstellung: Tatort Bibel. Krimigeschichten zu Bibelfliesen. Sieben „Fälle“ werden dargestellt. Es geht darum, wie Menschen mit Verbrechen umgehen und wie Gott darauf reagiert. Heftige Fälle sind das teilweise: Betrug, Verrat, Mord, der Missbrauch von Frauen. Von Bestrafung wird berichtet, aber auch von Vergebung nach Reue und Entschuldigung; Neuanfang ist möglich. Manche der Geschichten wirken sehr aktuell, kennen wir diese Themen doch nur zu gut aus der riesigen Nachrichtenwelle, die Tag für Tag in Wort und Bild auf uns zurollt, uns oft genug überrollt …
Zwischenmenschliche Beziehungen sind nicht immer einfach, manchmal driften sie ab in Verbrechen. Das war zur Zeit der Bibel vor 2000 bis 3000 Jahren nicht anders als heute. Eigentlich gab und gibt es Orientierungen, die das Zusammenlegen regeln; jedes Volk, jeder Staat hat sie. Die Orientierung in der Bibel sind die Zehn Gebote, von Gott gegeben, damit das Zusammenleben funktionieren kann. Einige davon:
Du sollst nicht töten
Du sollst nicht ehebrechen
Du sollst nicht stehlen
Du sollst nichts Falsches über deinen Nächsten sagen
Du sollst nicht begehren, was deinem Nächsten gehört: weder sein Haus, noch seine Frau, seinen Sklaven oder seine Sklavin, sein Rind, seinen Esel oder irgendetwas anderes. (Exodus 13-17, (Basisbibel)
Gott sagt von sich:
Ich bin der HERR! „Ich bin da“ ist mein Name!
Ich bin ein Gott voller Liebe und Erbarmen.
Ich habe Geduld, meine Güte und Treue sind grenzenlos.
Ich vergebe Schuld, Verfehlung und Auflehnung; aber ich lasse auch nicht alles ungestraft hingehen. (nach Exodus 34, 5-7, Gute Nachricht Bibel)
Aus den Geboten ergeben sich viele Gesetze und Regelungen. Sie alle stehen hinter den Geschichten in der Bibel. An ihnen orientierten sich die Menschen damals in Israel, Christinnen und Christen bis heute und viele andere.
Die Bibelfliesen aus Ostfriesland und den Niederlanden im Delfter Blau oder im Magenta-Ton zeichnen die biblischen Szenen schlicht, anschaulich und lebensnah nach – im Stil ihrer Zeit. Sie waren (und sind) auf Wänden aufgebracht neben dem warmen Herd in der Wohnküche oder als Fries auf dem Kachelofen im Wohnzimmer. Zwischen Fliesen mit Ornamenten, Blumen und Alltagsszenen gibt es auch solche mit biblischen Motiven.
Wir können uns vorstellen, dass die Menschen an langen, dunklen Winterabenden zusammen saßen, sich etwas erzählten und zuhörten. Beim Schein einer Talgfunzel oder bei Kerzenschein, wenn Geld genug dafür die teuren Wachskerzen da war, wurde Garn gesponnen, gestrickt, gewebt, wurden Werkzeuge ausgebessert. Vielleicht las dann jemand aus der Bibel vor oder erzählte eine biblische Geschichte zu den Bildern, die auf den Fliesen zu sehen waren. Den Menschen waren die Geschichten vertraut. Sie lebten mit und in ihrem Glauben, gingen regelmäßig in die Kirche, konnten viele Lieder und Gebete auswendig. Es gab keinen Fernseher, kein Radio, kein Internet – die Menschen konnten in Ruhe zuhören, darüber nachdenken, sich austauschen. Kein Klingelton ging dazwischen, kein Spruch: „Das muss ich annehmen“.
Die Bibelfliesen sind im Original nur 13x13 cm groß, doch sie halten das Wesentliche fest. Auch das Bild auf dem Liedblatt lässt alles Wichtige erkennen. Die Vergrößerung – 50x50 – bringt noch mehr zum Vorschein: Die Ornamente in den Ecken, Gebrauchsspuren wie die abgeschlagene Glasur an den Kanten.
Der Bibeltext heute steht in der Apostelgeschichte. Sie handelt vor allem davon, wie Paulus und seine Mitarbeiter durchs Land ziehen, um Menschen für den neuen Glauben an Jesus Christus gewinnen. Das kommt nicht immer gut an, wie wir hörten. In einer Stadt war die Empörung über die Fremden so groß, dass die beiden vor das Stadtgericht geführt und beschuldigt wurden: Diese Menschen stiften Unruhe in unserer Stadt. Sie sind Juden und wollen Bräuche einführen, die wir als Römer weder annehmen noch ausführen dürfen (Apostelgeschichte 16, 20-21, Basisbibel). Die römischen Beamten wollten keine Unruhen. Es war einfacher, die Übeltäter einzusperren als mit ihnen zu diskutieren. Um klarzumachen, wer hier das Sagen hatte, wurden sie verprügelt und ins Gefängnis verbracht: Der Gefängniswärter brachte sie in die hinterste Zelle. Dort schloss er ihre Füße in den Holzblock (Apostelgeschichte 16, 24). Schauen wir auf die eine Szene der beiden Fliesenposter die auch auf dem Liedblatt abgebildet ist. Rund, wie ein Guckloch ist der Ausschnitt, der die Szene festhält: Paulus und Silas sitzen im Holzblock, ein dickes Schloss hält die Balken zusammen. Der Gefängniswärter schaut noch einmal um die Ecke, vielleicht hat Silas ihm etwas zugerufen? Auf dem zweiten Poster hat der Maler festgehalten, was nach dem Erdbeben passierte: Der Gefängniswärter geriet in Panik, weil er davon ausging, dass alle Gefangenen geflohen waren. Er würde dafür zur Verantwortung gezogen werden. Bevor er deshalb getötet würde, wollte er das lieber selbst tun. Paulus und Silas sind auf dem Bild an einem Steinblock festgekettet. Der Wärter steht in der Tür, richtet das Schwert gegen sich. Paulus ruft, die Hände erhoben: Tu dir nichts an! Wir sind alle noch hier. (Apostelgeschichte 16, 28)
Im Begleitheft zu der Ausstellung habe ich Geschichten zu den „Fällen“ aus meiner Sicht geschrieben. Für diese Geschichte habe ich Silas erzählen lassen, was passierte:
Dann geschah das Wunder! Wir waren im Gebet, hörten Stimmen aus den Nachbarzellen eher dumpf – fast wie ein Echo unserer eigenen Stimmen. Die anderen Gefangenen hatten Angst. Sie riefen und schrien, als die Erde wackelte, es dröhnte und polterte. Dann sprangen die Türen auf! Die Ketten lösten sich von Händen und Füßen, fielen klirrend zu Boden - nicht nur unsere, auch die der anderen! Wir hörten ihre erstaunten Rufe. „Was ist denn das? Wir sind frei! Frei!“ Schon standen einige in unserer Zellentür, eher erschrocken. „Hast du das gemacht?“ fragten sie Paulus. „Bist du ein Zauberer? Wir haben dich reden gehört.“ – „Das war ich nicht“, sagte Paulus. „Das war der HERR, der uns ausgesandt hat. ER lenkt das Weltgeschehen.“
Das wirkliche Wunder war: keiner dachte dran, wegzulaufen. Viele drängten sich in unsere Zelle und auf dem Gang davor. Sie wollten von Paulus hören, was er damit meinte, fragten nach Gott. So hatte er mal wieder sein Thema. Er sprach von Abraham und Mose, von König David, den Propheten und von Jesus, dem Christus. Die Mitgefangenen hörten ihm wie gebannt zu. Plötzlich brach Paulus ab, stand auf und rief laut: „Nein, verzweifle nicht! Wir sind noch alle da!“ - „Wen meint er denn?“, murmelten einige. - „Der Kerkermeister ist verzweifelt“, sagte Paulus. „Wenn die Gefangenen ausbrechen, wird er zur Verantwortung gezogen, dann rollt sein Kopf. Er wollte sich gerade selber töten.“
Da drängte sich schon Kerkermeister zwischen den Gefangenen hindurch in die Zelle. „Ihr seid noch alle da??“ Er schlug die Hände vor dem Kopf zusammen. „Das gibt’s doch nicht! Die Türen sind offen, alles zerstört!“ – „Der Fremde da hat zu uns gesprochen, so interessant und beeindruckend von Gott. Da war unsere Angst verschwunden. Wir sind geblieben. Wir wollen noch mehr hören.“ Zitternd schaute sich der Kerkermeister um. „Wer hat hier eingegriffen? Ich kann’s einfach nicht verstehen!“ Und mit einem Blick zu Paulus: „Was kann ich tun, um gerettet zu werden?“ Paulus sah ihn an, erfasste die Verunsicherung des Mannes, sah in seinen Augen Hoffnung aufschimmern. „Da hilft nur glauben und beten. Gott hört dich, und er hilft dir.“
(aus: Gertrud Brandtner, Tatort Bibel. Krimigeschichten zu Bibelfliesen. Beiheft zur gleichnamigen Ausstellung, 2024. Einige Hefte liegen im Pfarrbüro. Sie kosten 5 Euro.)
Manchmal ist es gut, auszuhalten, abzuwarten und sich zu sagen: Bloß nichts überstürzen! Ein Gebet kann helfen. Es kommt aus meinem Inneren. Ich bin für einen Moment aus meinen Ängsten und Sorgen entlassen; das Gebet nimmt sie mit, zu Gott hoffentlich. Gelassenheit nennt man diese Haltung. Etwas lassen, loslassen und mich darauf verlassen, dass sich etwas tut, das Weitere Gott überlassen. Der Kerkermeister hatte es gewagt. Zu verlieren hatte er nichts mehr, er konnte nur noch gewinnen. Er hatte sich auf das eingelassen, von dem ihm Pauls erzählte, den Glauben an Jesus Christus. Sein Selbstvertrauen wurde gestärkt, sein Leben und das seiner Hausgemeinschaft richtete sich neu aus.
In dieser Nacht, noch in derselben Stunde, nahm der Wärter Paulus und Silas zu sich. Er wusch ihnen die Wunden aus. Dann ließ er sich umgehend taufen – mit allen, die bei ihm lebten. Anschließend führte er die beiden in sein Haus hinauf und lud sie zum Essen ein. Die ganze Hausgemeinschaft freute sich, dass sie zum Glauben an Gott gefunden hatte (Apostelgeschichte 16, 34).
Silas bringt es auf den Punkt, wenn er zum Schluss meiner Geschichte sagt: „Ich glaub’, dass wir nach dem Erdbeben im Gefängnis geblieben sind, hat mehr bewirkt, als wenn wir geflohen wären.“