© Anne Dill

Predigten zum Nachlesen

Du bist zu Gutem berufen. Ansprache zu Matthäus 5,38-48 aus dem Gottesdienst am 20.10.2024 in Üssinghausen (Anne Dill)

Gott schenke uns ein Herz für sein Wort und ein Wort für unser Herz. Amen.
 
Eben haben wir in der Lesung einen Text aus der Bergpredigt gehört. Also der berühmtesten aller Predigten von Jesus. Vieles davon ist uns recht vertraut:
Selig sind die Sanftmütigen…und die Barmherzigen. 
Das Vaterunser. Ihr seid das Licht der Welt. Ihr seid das Salz der Erde.“
 
Nun aber auch diese Worte:
(39) Wehrt euch nicht gegen Menschen, die euch etwas Böses antun! Sondern: Wenn dich jemand auf die rechte Wange schlägt, dann halte ihm auch deine andere Wange hin!
(40) Wenn dich jemand verklagen will, um dein Hemd zu bekommen, dann gib ihm noch deinen Mantel dazu!
Wie geht es Ihnen damit? Wie euch?
Ich bin mir ziemlich sicher, dass so manch einer denkt:
„Das ist doch völlig unrealistisch!“ 
Oder: „Ja, wenn alle so leben würden, dann ginge das vielleicht. Aber in unserer heutigen Welt ist das doch einfach nur eine schöne Illusion.“
Oder möglicherweise denkt jemand auch: „Diese Worte sind vielleicht etwas für besonders fromme Menschen. Aber nicht für mich. Dieser Anspruch ist mir zu hoch!“
 
Und ja, ich denke ähnlich:
Wer bitte bleibt denn schon völlig wehrlos, wenn er geschlagen wird? 
Wehr dich! – Das sagen wir schon unseren Kindern. Wenn nicht mit Schlägen, dann doch mit Worten. 
 
Und wenn mich jemand verklagt und mich um etwas bringen will, das mir gehört – würde ich mir dann nicht einen guten Anwalt suchen? Der soll mich vor Gericht vertreten und für meinen Besitz streiten. Was mein ist, ist mein.
 
Und dann sagt Jesus auch noch diesen Satz mit der Meile:
(41) Wenn dich jemand dazu zwingt, seine Sachen eine Meile zu tragen, dann geh zwei Meilen mit ihm!
 
In seiner Zeit war das tatsächlich geltendes Recht. Die Römer hatten das Land besetzt. Und wenn ein römischer Soldat einen Einheimischen antraf, dann konnte der ihn tatsächlich verpflichten, eine Meile lang seinen Packesel zu spielen. Immerhin 1,6 Kilometer. Plus der Rückweg. Neben der Demütigung ist es auch eine Menge Zeit, die dabei drauf geht. 
Aber Jesus sagt: Geh die doppelte Strecke mit. Freiwillig.
 
Und dann: 
43) Ihr wisst, dass gesagt worden ist: „Liebe deinen Nächsten“ und „hasse deinen Feind!“
(44) Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde! Betet für die, die euch verfolgen!
 
Die Anforderungen, die Jesus hier stellt, sind sehr hoch. Vermutlich zu hoch für die meisten. Diese Erwartungen sind nicht erfüllbar.
 
Und wenn wir ehrlich sind, dann wollen wir sie vielleicht auch nicht alle erfüllen.
Denn sie passen nicht in unseren Plan.
Was soll das bringen?
Ich verliere mein Eigentum.
Ich werde verletzt.
Und ich kann nicht einmal zornig sein auf die, die mir Böses antun. Im Gegenteil: Ich soll für sie beten.
 
Was also sollen wir nun damit anfangen?
 
Was sollen wir damit anfangen? - Das haben sich wohl auf die Menschen damals gefragt, die Jesus auf dem Berg zugehört haben. Ganz normale Leute. Handwerker und Fischer. Männer und Frauen. Alte und Junge. Einige sorgenbeladen. Andere ganz zufrieden im Leben eingerichtet. Menschen wie du und ich.
 
Und doch ist etwas Besonderes an diesen Menschen:
Sie sind zu Jesus gekommen! Sie glauben oder spüren, dass Jesus anders ist. Dass bei ihm die normale Weltordnung nicht gilt. Dass er ein Herz hat für jeden. Dass er gesund machen kann. Oder dass da etwas von Gottes Liebe in ihm ist.
 
Und so sind diese Menschen Menschen, die mehr wollen, als diese Welt zu bieten hat. Die Sehnsucht haben nach Frieden und Gerechtigkeit. Sehnsucht nach einem Glauben, der Halt gibt. Sehnsucht, nach einem Sinn im Leben. Vielleicht auch Sehnsucht nach Gott selbst. Sie wollen glauben, dass da jemand ist, der es unendlich gut mit ihnen meint. Der mit ihnen geht in Höhen und Tiefen des Lebens.
Menschen wie du und ich.
 
Zu diesen Menschen sagt Jesus: Ihr seid anders als die Welt. Und deswegen sollt ihr etwas Besonderes tun!
 
Erinnert ihr euch, erinnern Sie sich noch an den Wochenspruch, den ich in der Begrüßung gesagt habe?:
„Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“
 
Passt eigentlich ziemlich gut zu dem, was Jesus sagt. Dem Hass, der Boshaftigkeit, der Unverschämtheit mit Liebe begegnen. Nicht aus Zorn ebenfalls zu hassen. Oder aus Wut und Verletztheit. Bösem nicht mit Bösem zu vergelten. 
 
Warum aber ist das so wichtig?
Wenn mir jemand etwas Böses tut und ich darauf in gleicher Weise reagiere, dann gibt es für einen kurzen Moment so ein Sieges-Gefühl:
„Jetzt habe ich es ihm heimgezahlt.
Endlich hab ich mich gerächt.
Jetzt sieht sie mal, wie das ist…“
 
Das tut gut. Jedenfalls erstmal. Aber es gibt ein Problem: Das gute Gefühl hält nicht an. Der andere schlägt wieder zurück und alles geht von vorne los. Das Böse ist nicht weg. Im Gegenteil: 
Noch mehr Dunkelheit ist in der Welt – und vielleicht auch in meinem Herzen.
 
Und jetzt. Wenn wir uns einmal einen Moment vorstellen: Ich räche mich nicht. Ich schlage nicht zurück. – Was wäre dann?
Der andere wäre verwundert. Irritiert. Sprachlos. Seine bösen Taten fänden keinen Widerhall. 
Schon Kinder merken: Es macht keinen Spaß zu streiten, wenn der andere nicht mitmacht.
Auch bei uns Erwachsenen kann der Kreislauf von Streit und Hass unterbrochen werden. Das Böse findet kein Echo mehr.
 
Natürlich aber wird es immer auch Menschen geben, die ausnutzen, dass du dich still verhältst. Nicht reagierst. Nichts heimzahlst.
In ihren Augen bist du schwach. 
Diktatoren zum Beispiel bauen ihre Macht auf dem Rücken der Wehrlosen und vermeintlich Schwachen. 
 
Ja, vor den Augen der Welt sind solche Menschen schwach.
Doch es gibt noch eine andere Wirklichkeit.
Denken wir einmal an die Montagsgebete in der ehemaligen DDR. Erst wenige Menschen, dann immer mehr, die sich Woche für Woche in einer Kirche (!) getroffen haben. Zum Kerzenanzünden und Singen und Beten. Und die dann friedlich durch die Straßen gelaufen sind. Lächerlich vor den Augen der Welt.
Und doch hat sich die Welt gedreht. Heute gibt es keine Mauer mehr.
 
Oder ein Beispiel aus meinem Leben: Als Fahranfängerin hatte ich mit dem Auto meiner Oma einen Unfall. Totalschaden. Wie sollte ich ihr nur wieder in die Augen schauen? Mein schlechtes Gewissen war riesengroß.
Aber – es kam kein einziges Wort des Vorwurfs. Sondern sie hat einfach nur gesagt: „Hauptsache, dir ist nichts Schlimmes passiert.“ Dann hat sie mich in den Arm genommen.
Das hat viel mehr Eindruck auf mich gemacht als 1000 Worte.
 
Ich glaube, dass wir durch unsere Taten, unser Verhalten, unser Leben ebenfalls Eindruck machen können – nämlich Eindruck für Jesus Christus.
Ich glaube, dass andere etwas von Gott und seiner Liebe zu uns mitbekommen können, wenn wir anderen mit Liebe begegnen.
 
Es wird nicht immer klappen. Manchmal bleibt es dabei, dass ich nicht für meine Feinde bete – und es auch gar nicht versuchen will. 
Manchmal ist ein Rachewunsch doch zu groß.
 
Aber wenn ich wirklich glaube, dass Gott meinen Tränen und meine Wut und meinen Schmerz sieht, dann kann ich ihm meine ganzen Verletzungen in die Hände legen. Ich muss mich nicht mehr selbst darum kümmern. Ich muss nicht mehr zurückschlagen. Mein Herz wird frei. Gott sorgt für mich – viel besser als ich es selbst könnte.
 
Gott sagt zu jedem von uns: Du bist etwas Besonderes. Ich möchte, dass es dir richtig gut geht.
Aber ich möchte auch, dass es allen Menschen richtig gut geht. Und dafür brauche ich DICH!“
Amen.

Predigt zu Lukas 13,10-17 aus den Gottesdiensten am 18.08. in Üssinghausen und Hardegesen von P. i. R. Hartmut Gericke-Steinkühler

Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.           Jes. 42, 3a

Rückenschmerzen, Ihr Lieben, wer von uns Älteren kennt sie nicht! Ich habe in meinem Büro eine Karikatur hängen, die vielleicht unsere Situation ein wenig wieder-spiegelt. Da sehen wir unsere Vorfahren, von denen wir wohl einmal abstammten – wie sie sich langsam aufgerichtet haben – und nun langsam wieder immer mehr gebeugt sind unter den Lasten unserer Zeit bis hin zu mir an meinem Computer, wie ich gerade meine Predigt schreibe – und dabei Rückenschmerzen bekomme. Wir sitzen zu viel, sagen die Ärzte, treiben zu wenig Sport; werden dabei zu dick und unbeweglich. Ein allgemeines Phänomen!

Wir sind gebeugt unter den Lasten des Lebens, sagen uns die Psychologen. Von all dem Leid in unserer Welt, den Kriegen, dem Hunger, der Klimaveränderung, der Heimatlosigkeit und Hoffnungslosigkeit. Gebeugt von dem Stress des Alltags. Wenn ich zu Aldi gehe, schaue ich nur noch gebannt auf meinen Einkaufszettel – ja nichts vergessen! „Guten Morgen, Pastor – du siehst wohl auch keinen mehr!“ reißen mich plötzlich freundliche Worte aus meinem Gebeugtsein heraus. „Mensch, sorry, ich hab dich gar nicht gesehen!“ Unser ganzes Leben führt zu Rückenschmerzen, sagen die Psychologen.

Es ist die Last der Sünde, die uns niederdrückt, sagen die Frommen. Schon der König David hat das in seinen Psalmen (Ps. 38, 5+7) sehr anschaulich beschrieben. Da klagt er vor Gott: „Meine Sünden gehen über mein Haupt; wie eine schwere Last sind sie mir zu schwer geworden. Ich gehe krumm und sehr gebückt; den ganzen Tag gehe ich traurig einher!“  Meine Frau mag dieses alte Wort „Sünde“ nicht mehr hören, weil wir früher ganzen Generationen mit diesem Wort Angst und Höllenqualen eingejagt haben. Und doch ist es Fakt, wie oft persönliche Schuld Menschen erkranken lässt; Leben und Miteinander zerstört. Wie Familien zerbrechen, Geschwister zu Feinden werden; ich selbst nicht mehr mit meinem Leben zurechtfinde.

Der Evangelist Lukas, der ja selbst ein Arzt war, beschreibt uns eine Begegnung Jesu mit einer Gebeugten in der Synagoge am Sabbat. Für ihn war diese Frau von einem bösen Geist besessen – eine medizinische Diagnose, die wir heute nicht so ganz nachvollziehen können oder wollen. Ich muss Ihnen gestehen, dass wenn ich die Nachrichten aus den USA heute verfolge: wie dort ein Mann, der lügt und betrügt, der über Andere herzieht und sie lächerlich macht, der meint, über dem Gesetz zu stehen und machen kann, was ER will – wenn dem dann Tausende zujubeln, viele sogar mit der Bibel in der Hand – dann frage ich mich, von welchem Geist da Menschen getrieben sind. Die bösen Geister sind uns sehr nahe – sie haben schon immer ein sehr menschliches Antlitz gehabt! Mir machen sie Angst; ich habe Kopf- und Rücken-Schmerzen! Da hilft nicht, wenn wir einfach wegschauen; so tun – als ginge uns das alles nichts an. Unsere Welt ist krank, sehr krank!

Jesus schaute nicht weg, als er in einer Synagoge am Sabbat lehrte und diese kranke, verkrümmte Frau sah. Er rief diese Frau zu sich, berichtet uns der Evangelist Lukas, „und sprach zu ihr (V12f): Frau, du bist erlöst von deiner Krankheit! Und legte die Hände auf sie. – Und sogleich richtete sie sich auf und pries Gott.“ (soweit Lukas)  Jesus heilt diese Frau und schenkt ihr eine neue Zukunft – richtet sie wieder auf. Sie kann wieder die Sonne, das Leben in all seiner Schönheit sehen und erleben.

Ich denke bei diesen Worten an meinen alten Pastor in Büchen, der mich konfirmiert hat. Jedem Abendmahlsgottesdienst ging damals eine Beichte voran, wo wir gemeinsam Luthers Beichtgebet sprachen. Es steht heute noch in unserem Gesangbuch (EG 799). Dort lesen und beten wir:

„Allmächtiger Gott, barmherziger Vater! Ich armer, elender, sündiger Mensch bekenne dir alle meine Sünde und Missetat, die ich begangen mit Gedanken, Worten und Werken, womit ich dich erzürnt und deine Strafe zeitlich und ewiglich verdient habe. Sie sind mir aber herzlich leid und reuen mich sehr – und ich bitte dich um deiner großen Barmherzigkeit willen, da wollest mir gnädig sein und mir vergeben!“    Ich weiß, dass das mittelalterliche Worte und Gedanken sind – aber wenn dann der Pastor auf dieses Beichtgebet hin uns die Hände auflegte, und uns im Auftrag Gottes frei, los und ledig sprach all unserer Sünden – dann fiel eine Last von mir ab; dann fühlte ich mich wieder frei. Dann konnte ich wieder aufrecht gehen, Neues anpacken. Die katholische Kirche hält ja bis heute an einer ähnlichen Beichte fest.

20 Jahre lang habe ich in der Südsee, auf der Insel Neuguinea gelebt. Schon oft habe ich Ihnen davon erzählt. Es ist ein tropisches Land, in dem es immer grün ist, immer wächst, blüht und gedeiht – und jeden Tag auch Erntezeit ist. Deswegen müssen die Frauen in den Dörfern dort jeden Tag in ihre Gärten gehen, jäten und ernten – und kommen abends schwerbeladen mit einem Billum, solch einem Netzsack voll Süßkartoffeln zurück in ihr Dorf. Gebückt unter der Last gehen sie – und oft sitzt oben drauf noch ein kleines Kind. - Das benutzen die Prediger dort immer als ein Bild für uns, wie wir gebeugt unter der Last des Lebens daherziehen. Und dann kommt Jesus, sagen sie, und nimmt uns diese Last ab, so dass wir wieder aufrecht, frei und fröhlich unseres Weges gehen können. – Frei, los und ledig von allem, was uns bedrückt!       Ist das nicht ein wunderbares Bild!

Wichtig ist mir die Reaktion der Frau, von der Lukas erzählt: „Sogleich richtete sie sich auf und pries Gott!“ Wie oft habe ich in meinem Leben vergessen, Gott dafür zu danken, dass es mir so gut geht. Wenn ich wieder Tritt gefasst habe nach einer schwierigen Situation. Wenn ich von einer Krankheit geheilt war – und mag es nur Corona gewesen sein.  Dieses „Danke sagen“ gehört auch zu unserem Leben dazu: Danke Gott!

Am Rande gab es dann allerdings noch eine ganz andere Diskussion, wie uns Lukas berichtet. Der Vorsteher der Synagoge ist ungehalten darüber, dass Jesus die Frau an einem Sabbat geheilt hat.  Dies ist nach jüdischer Sicht ein absoluter Ruhetag – bis heute so von frommen Juden im Staat Israel auch proklamiert und eingehalten. Sie berufen sich auf die Gebote im Alten Testament – und dass Gott selbst nach 6 Schöpfungstagen am 7.Tag, dem Sabbat, geruht hat. 6 Tage sollst du arbeiten – am 7. Tag aber ruhen – und Gott für all seine Wohltaten danken. 

Mit ein paar Worten führt Jesus dieses Argument ad absurdum und überführt den Protest als Heuchelei. Man kann die Räder dieser Welt an einem Tag in der Woche nicht zum Stillstand bringen – das ist unmöglich. Und doch hat dieser 7. Tag eine tiefe Bedeutung in unserem Leben. – Mao Tse Tung versuchte in der Anfangszeit des Kommunismus in China eine 10-Tage Woche einzuführen. Er meinte, dass die Menschen dort noch mehr arbeiten müssten, um das Land aufzubauen. Aber das Gegenteil war der Fall – unzählige Chinesen erkrankten, mussten die Arbeit ganz niederlegen, konnten einfach nicht mehr. Und nach kürzester Zeit proklamierte auch Mao wieder die 7-Tage Woche, mit dem Sonntag als Ruhetag – also dem 1. Tag der Woche, wie wir Christen.

Für uns Christen ist jeder Sonntag ein kleines Osterfest – Gedenktag an die Auferstehung Jesu. Ein Freudentag!  Denn wir dürfen durch das Ostergeschehen die Gewissheit haben, dass auch unser Tod nicht das Ende ist, sondern uns das Leben in Gottes Herrlichkeit verheißen ist. Es ist gut, einen Ruhetag zu haben, den Sonntag – wie immer wir den gestalten. -  Mittlerweile aber denke ich, dass wir bisweilen zu viele Ruhetage haben; die 5-Tage Woche als Selbstverständlichkeit hinnehmen und nun schon um eine 4-Tage-Woche kämpfen. Dabei wissen viele Menschen gar nicht, was sie mit all der Freizeit anfangen sollen und werden deswegen krank. Andere haben so viele Nebenbeschäftigungen, dass sie daran erkranken. Verrückte Welt. 

Ich erinnere meine Vikariatszeit in Geesthacht, als ich am Sonntag Morgen mit meinem Pastor ein paar Erdbeeren für das Mittagessen im Pfarrgarten ernten sollte. Zwei Damen kamen vorbei und ermahnten uns: „Aber, Herr Pastor, am Sonntag arbeiten?!“ – und sehr verdaddert gab er eine Rechtfertigung für unser Tun, dass wir sehr wohl gleich noch Gott loben und danken werden in unserem Gottesdienst für eben diese köstlichen Erdbeeren. Beides gehört zusammen an jedem Sonntag – das Ruhen und dass wir Gott loben und ihm danken. Das zu tun, kann uns gesund machen, aufrichten, und wieder das Leben genießen lassen. Dazu helfe uns Gott! 

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unser Verstehen, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen! 

Reise nach Jerusalem. Predigt aus dem Sommergottesdienst in Lutterhausen am 04. August 2024 (Dn. Heike Nieschalk)

Liebe Gemeinde!
Erinnern Sie sich noch an einen ihrer Kindergeburtstage? Früher oder vielleicht auch als Eltern oder Großeltern. 
Ja, ich weiß, da hat sich vieles verändert. Heute ist das ein Event, die Gäste bekommen zum Schluss Geschenke und man muss vorher eine Liste über Allergien rumgehen lassen…
Egal. Früher war das anders. Da begann alles damit, dass man eine Einladung bekam. Meistens in schriftlicher Form, handgeschrieben. Das machte es wichtiger. Dann war viel zu tun: Mama informieren, in den Kalender sehen, Geschenk überlegen und besorgen, Aufregung. Wer kommt noch? 
Dann der Tag, Kaffeetrinken, Spiele spielen, vielleicht noch Grillen. Mein Höhepunkt war immer das Nachhausebringen – alle Kinder im Kofferraum. Ein Supertag. Hm. Vielleicht aber manchmal auch nur in der Erinnerung. Spiele wie „die Reise nach Jerusalem“, waren nämlich eigentlich nicht so mein Ding. Und mancher Geburtstag war dann eben nicht so toll.
Kein schönes Spiel, nur, wenn man schnell genug ist. Für die, die sich nicht mehr erinnern: es gibt eine Art Stuhlkreis, aber einen Stuhl weniger als Leute. Man geht oder läuft um die Stühle, solange die Musik spielt. Wenn sie aufhört, muss man sich einen Platz suchen. Einer hat Pech. Bei jeder Runde wird ein Stuhl weggenommen und weitergespielt, bis nur noch eine Person übrig ist. Tja. 
Reise nach Jerusalem. Woher kommt der Name eigentlich? Es gibt verschiedene Vermutungen z.B. schon aus der Zeit der Kreuzzüge, bei denen eben nicht alle, die nach Jerusalem zogen, zurückkamen., manchmal auch nur einer übrig blieb.  Oder aus der Zeit, in der Juden nach Palästina zogen und es eben nicht genug Platz gab. Eine Theorie war auch, dass das Spiel etwas zum Thema Zinsen erklären sollte, das hat sich mir aber nicht erschlossen…
 
Und, wenn wir ehrlich sind, von dieser Art Spiele gab es einige auf den Feiern. Manchmal gab es wenigsten Süßigkeiten als Entschädigung. Obwohl ich eben nicht so gerne solche Wettspiele mache, hab ich es doch dabei gelassen. Es passt letztlich zu dem Thema der abenteuerlichen Reisen. 
 
Vielleicht sitzen ja heute Menschen hier, die immer den letzten Platz ergattern konnten und das Spiel gewannen. Ich glaub es aber weniger.
Kein gutes Gefühl, wenn man trotz aller Anstrengung schon in der ersten Runde rausfliegt. Sieht man gerade auch oft genug bei den Olympischen Spielen. Es ist ein ähnliches Gefühl wie früher das Mannschaften-Wählen beim Schulsport, wo man übrigblieb und sich dann eine Seite erbarmt hat. Oder man einen wichtigen Zug verpasst oder eben auch nach 20 Jahren Lotto spielen noch nie gewonnen hat. Oder bei einer Feier merkt, dass der eigene Platz total ungünstig ist und die interessanten Gespräche am anderen Ende des Tisches stattfinden.
Zu spät, kein oder schlechter Platz, es reicht nicht. Für manche ist das ein Lebensgefühl. Die Lebensreise läuft genauso: verpasst, keine zweite Chance, zu spät, Träume nicht erreicht, allein geblieben. Andere waren schneller oder besser usw.
Vielleicht ist das nicht immer präsent, aber unterschwellig da. Wer daran Schuld ist, kann man gar nicht immer sagen, die anderen, die Umstände, ich oder Gott selbst? Spielt auch keine Rolle. Das Gefühl bleibt das Gleiche. Es reicht nicht.
 
Gott hat da eine andere Idee für mein Leben. Der Text, den wir vorhin in der Lesung gehört haben (das große Abendmahl Lukas 14), ist sozusagen ein Gegenentwurf zu diesem Lebensgefühl. Alle sind eingeladen. Ich bin eingeladen, schriftlich mit Platzreservierung. Erste Reihe. Tolles Essen, gute Gesellschaft, klasse Stimmung. Gott sagt: für dich hab ich immer einen Stuhl frei, mein Haus soll sich füllen, es gibt mehr als genug Platz. 
Ja, ich muss die Einladung auch annehmen, aber das ist auch die einzige Hürde.
 
Nun wissen wir alle, dass das Leben nicht nur Party und Spaß ist, eben kein Ponyhof und erst recht kein Kindergeburtstag. Und trotzdem ist es ein anderes Lebensgefühl, wenn ich weiß (auch in schweren Zeiten): Gott möchte mich dabeihaben, mir Gutes tun, mit mir an einem Tisch sitzen. Das macht die Reise durchs Leben im besten Sinne zum Abenteuer. Es wertet mich auf. Gott sieht mich. Ich bin auf seiner Gästeliste!
Gestern habe ich in den Losungen einen Text gefunden von Christoph Blumhardt: da steht „Es besteht ein Unterschied zwischen dem Glauben, der einfach nur so Gott annimmt, und dem Glauben, der wirklich etwas erwartet. Und ich möchte euch ermuntern: Erwartet doch etwas!“ Erwartungsvoll leben. Ja, das ist ein Abenteuer: mit Gott rechnen. 
 
Ich weiß, dass dieses Gleichnis auch Stolpersteine hat. Bin ich bei den „zuerst eingeladenen“ oder nur dritte Wahl? Gibt es wirklich keine zweite Chance? Ist nicht mancher Absagegrund auch verständlich? Uvm. Aber der Hauptaugenmerk liegt auf: Gott hat Platz, ich komme nicht zu spät.
 
Wir haben ja einen Hauskreis bei uns, alle zwei Wochen treffen wir uns und lesen einen Bibeltext und reden darüber. Manchmal nutze ich das als Predigtvorbereitung. So auch diesmal. Und wir haben eine ehemalige Erzieherin dabei, die erzählte: sie kennt das Spiel aus der Kita auch in einer anderen Version. Es wird auch jedes Mal ein Stuhl weggenommen, aber es fliegt keiner raus. Die ganze Gruppe versucht auf den übrigen Stühlen Platz zu finden und es geht erst weiter, wenn das gelungen ist. Gewonnen haben also zum Schluss alle, wenn sie auf einem Stuhl Platz finden. Und Spaß haben sie bestimmt auch bei dieser Stapelei.
 
Wir sind eingeladen, bei Gott ist es nie zu spät. Es ist Platz. Dieses Lebensgefühl passt in den Sommer und ich wünsche uns allen, dass wir das mitnehmen in die nächste Zeit: Gott möchte mich an seinem Tisch haben. Amen

Garten-Geschichten. Predigt aus dem Sommergottesdienst in Schnedinghausen am 28. Juli 2024 (P. Jan Höffker)

Morgens rinnt der Tau an meinen Gartenstiefeln runter, während die Sonne schon sommerwarm vom Himmel scheint - die Luft: Hab ich jemals eine frischere eingeatmet an diesen Morgen? Mittags locken schattige Winkel, um jener Som-mersonne zu entgehen. Insekten flirren im Jubel über den Sommer über dem blauen Borrscht und lila Phacaelia. Abends, ganz spät abends, wenn schon mehr Nacht als Tag ist, steht alles still da - vielleicht mal ein Igel, der unter dem Schmetterlingsflieder knisternd und knackend nach Nahrung Ausschau hält. Und die Fledermäuse holen sich auch ihren Teil. Ehe alles schweigt.

Ich liebe Gärten. Genauer noch: Ich liebe meinen Garten. Ich kann leider nicht behaupten, dass er sonderlich ertragreich ist. Die Ostlage am Haus, offenkundig sähe ich auch immer viel eng. Ich bin
ganz froh, dass die Not mich nicht zwingt von diesem Garten leben zu müssen. Es ist reinste Freude, reinstes Vergnügen der unnötigen Art.
Auch wenn meine Oma mit ihrem Selbstversorgergarten mir widersprechen würde - ich glaube, das ist schon ein Wesenszug eines Gartens: nutzlose Freude. Vielleicht haben Fürsten noch ihren Reichtum damit bekundet - nun auch das fällt bei mir weg.

Versuchte ich zu ergründen, was diese Freude macht, fiele mir gleich die Unzulänglichkeit meiner Worte entgegen: Weil es doch so schwer zu beschreiben ist, dieses Eintreten in meinen Garten, wenn nun abends diese Stille wird und sich über alle Dinge legt. Ein letzter Gang noch einmal durch die Reihen, vorbei an Fenchel, Bohnen, die immer mehr an ihren Stangen hochranken, dazwischen Rin-gelblume und Amaranth. Kurz hinsetzen, die Stille inhalieren.
Die ja gar nicht so still ist. Es brummt, es raschelt: Das aber alles mit einer merkwürdigen Konzent-ration. Alles scheint hier seinen Ort zu haben, nichts ist überflüssig oder stört den Eindruck. Alles scheint harmonisch - wenngleich der Igel raschelt, weil er Würmern, Schnecken oder andere Getier fressen will, die Fledermäuse pflücken sich surrende Käfer aus der Luft. Der eine lebt vom anderen. Aber hier scheint es in Ordnung, Teil einer guten Ordnung.

Eine Harmonie wie in Eden, wo alles sich noch in Gott verbunden weiß. Vielleicht ist das kein Zufall, dass eine Gartengeschichte den Prolog gibt zu einer Möglichkeit unserer Welt - ein Leben in Har-monie -, ehe die Geschichte vom Sündenfall das Dasein in einer freien Welt mit all seinen Folgen erklären will.
Unsere Gärten - es sind kleine Paradiese. Oder wie es die Soziologie sagen würde: Ein Garten ist ein Utopos. Eine Utopie, ein Ort, der eigentlich nicht in unser Welt möglich ist, aber durch unser Sehnen nach Harmonie und unsere Kraft, uns die Dinge in unserer Einbildung zu formen, immer wieder entsteht. Vor allem jetzt, wenn die Tage lang sind und - ehe der Tag verebbt - alles bebt und flirrt und hinzustreben scheint auf das Eine. (So erlebe jedenfalls ich meinen Garten.)

In diese Gegenwelt dürfen wir uns allezeit flüchten, wenn unsere Welt wieder und immer wieder zur Fremde wird. Und wir uns in ihr fremd fühlen. (Was ja leicht geschieht angesichts keifender Popu-listen mit ihren billigen Unwahrheiten und rückwärtsgerichteten Lebensvorstellungen). Der Welt fremd geworden - so wie das Volk Israel an den Flüssen Babylons: „So spricht der Herr Zebaoth, der Gott Israels, zu allen Weggeführten, die ich von Jerusalem nach Babel habe wegführen lassen: Baut Häuser und wohnt darin; pflanzt Gärten und esst ihre Früchte; (…) Suchet der Stadt Bestes, dahin ich euch habe wegführen lassen, und betet für sie zum Herrn; denn wenn's ihr wohlgeht, so geht's euch auch wohl.“

Der Fremde kann man nicht entfliehen. Die Welt bleibt immer eine andere, etwas das sich der eige-nen Verfügbarkeit entzieht. Sie bleibt in vielem fremd, verhält sich uns widerständig. Und Gott sagt doch: Meidet die Fremde nicht. Sondern beheimatet euch (trotzdem) in ihr - so gut es geht. Baut Häuser, pflanzt Gärten. Verwandelt Euch die Fremde in ein Zuhause.

Und ich bin mir sicher, dass Jesaja, von dem diese Worte sind, üppige Gärten vor Augen hatte, wie sie im Zweistromland eben wuchsen. Dort wo die sagenumwobenem Hängenden Gärten, ein Welt-wunder der Welt der Antike, vermutet wurden. Vielleicht stellte sich Jesaja den Garten so vor, wie er ihn Jerusalem kannte: Einen Garten mit rankendem Wein, der eine Pergola überspannt und unter dem es sich auch damals so gut sitzen ließ: Eine leichte Feuchte in der Luft, ein sanfter Windzug. Eine Zikade ratscht ihr Lied irgendwo in einem verborgnen Winkel.

Auch Jesaja erlebte die Welt oft als Fremde - und sprach seine Prophezeiungen darüber. Im Garten aber - ob in Babel oder an der Mauer Jerusalems - da war Aufatmen: Im tiefer gehenden Atemzug, im Anschauen und Horchen scheinen die Möglichkeiten auf, die auch in dieser oft so fremden Welt liegen; lassen sich erleben, erfühlen, riechen. Die Möglichkeit, ein Kosmos zu sein, ein Eden, wo alle mit sich geeint ihr Leben leben, jeder seinen Ort hat, in dem genug für alle da ist und alles, was atmet, sein Leben leben kann; und an den Abenden ist da der Gärtner, der durch seine Schöpfung wandelt und spricht: Wahrlich: Es ist sehr gut. Amen.

Vertrauen wagen. Ansprache zu Exodus 17,1-7 aus der Sommerkirche in Üssinghausen am 21. Juli 2024 (Susanne Westphal/Anne Dill)

SW: Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und unserem Bruder Jesus Christus.
 
Liebe Gemeinde,
Vertrauen wagen, das bedeutet manchmal auch Risiken eingehen. Es ist der 09.09.2022. Mein Mann und ich sind auf dem Weg nach Mandello del Lario am Comer See. 800 km eine Tour. Wahnwitzige Idee und das für ein Wochenende vom 09.09.2022 bis 11.09.2022.
 
Ein PKW-Gespann mit 2 Motorrädern hinten drauf. Moto Guzzi feiert sein 120 jähriges Bestehen nach. Mein Mann ist mit seiner 32 Jahre alten 1000er S einer von 500 Teilnehmern des Jubiläums Corso, der von Lecco nach Mandelo del Lario am Comer See führt. Während wir durch die Schweiz fahren schlägt mein Mann vor, eine Abkürzung über den Splügenpass zu nehmen. 85 Kilometer kürzer und zwei Stunden Zeitersparnis. Das klingt sehr verlockend. Der Splügenpass liegt auf einer Höhe von 2114 m ü. M. und verbindet Splügen im schweizerischen Rheinwald im Kanton Graubünden mit Chiavenna in der italienischen Provinz Sondrio sowie dem Comer See. Die Straße über den Pass besteht aus 75 Spitzkehren; davon liegen 23 auf Schweizer Seite und 52 auf der italienischen.
 
Ja, mein Mann war diesen Pass bereits einmal gefahren. Was er aber vergessen hat mir zu sagen: mit dem Motorrad. Unten am Pass steht eine große Tafel, auf der die Fahrzeuge dargestellt sind, die ihn überqueren können. Selbst Wohnmobile und Gespanne mit Wohnwagen. Warum also nicht auch wir? Die Strasse nach oben ist – trotz Baustellen - einigermaßen leidlich zu befahren. Oben angekommen, sehe ich, dass zwei Wohnwagengespanne drehen und die Schweizerseite wieder runterfahren. „Wir schaffen das!“ Irgendwo habe ich diesen Satz schon einmal gehört. 
Danach beginnt die Abfahrt. Ich weiß nicht wie viele Stoßgebete ich zum Himmel gesendet habe, wieviele Male ich meinen Mann verflucht, ihn am liebsten erschlagen oder mich von ihm scheiden lassen wollte, wenn wir diese Fahrt endlich hinter uns hatten. Es ist alles gut gegangen. Ich glaube ganz fest, dass auch meine Gebete und - trotz meines Zorn - das Vertrauen in das fahrerische Können meines Mannes uns heil in Como ankommen ließen. Mein Mann und ich sind jedenfalls immer noch verheiratet.
 
AD:
Was für eine Abenteuer-Reise! Jedenfalls aus dem Rückblick betrachtet. Damals war es wohl eher ein Alptraum.
 
Wie im Alptraum kommen sich auch die Israeliten in der Wüste vor. Wir haben in der Lesung von ihnen gehört.
Sie sind entkommen – nicht den Spitzkehren eines Gebirgspasses, sondern der Sklaverei in Ägypten.
Aber nun hängen sie fest. Mitten in der Wüste. Ohne Wasser.
Das muss man sich mal vorstellen:
Die Sonne brennt vom Himmel, soweit das Auge reicht, nur Sand um dich her und der letzte Tropfen Wasser ist schon lange verdunstet. Da fängt wohl fast jeder an zu murren. Selbst der ruhigste Zeitgenosse wird da zum Wasserfall, wenn auch nur verbal.
„Was soll das, Mose? Willst du, dass wir hier verdursten?“ Und Mose, der arme Kerl, steht da und denkt sich: „Warum um alles in der Welt habe ich nicht meinen Job als Schäfer behalten?“
 
„Warum um alles in der Welt habe ich mich darauf nur eingelassen?“ - Vielleicht gingen Ehepaar Westphal ähnliche Gedanken durch den Kopf.
Auf jeden Fall kann Reisen manchmal ein echtes Abenteuer sein. Man verlässt die gemütliche Couch und das vertraute Zuhause und stürzt sich ins Unbekannte. Aufregend! Ich zum Beispiel stehe sehr gern am Flughafen und lasse das Getummel auch mich wirken. Das ist aufregend und markiert für mich irgendwie den Auftakt zum Urlaub, zur Reise ins Unbekannte.
 
Aber: Wenn es denn mal so einfach bliebe. Die Herausforderungen lassen eben auch nicht auf sich warten. Wie die nicht einsehbaren Kurven. Oder wie bei den Israeliten. Die sind zwar auf dem Weg ins verheißene Land, stolpern aber ständig über irgendwelche Steine. Mal im wörtlichen und mal im übertragenen Sinn.
 
Vielleicht habt ihr, haben Sie auch schon mal erlebt, dass eine Reise ganz plötzlich zum Abenteuer oder sogar zum Alptraum wird. Der Koffer geht verloren. Der Flug fällt aus. Das Hotel hat die Buchung nicht bekommen. Oder Vollsperrung auf der Autobahn. 
Was macht man da?
Man kann sich natürlich ärgern. Klar! So soll der Urlaub ja nicht starten! Man will doch vorankommen und überhaupt macht das so keinen Spaß. 
Bei Familie Westphal und den Israeliten ist es sogar wirklich gefährlich geworden. 
Ein bisschen Schimpfen, ein bisschen Murren darf da ja wohl sein!
 
Ja, das Volk murrt. Aber – und das ist das Entscheidende - einer hört es sich an. Erst Mose, dann Gott. Und plötzlich wird aus der ausweglosen Situation doch ein Weg sichtbar. Ein kleiner nur. Unscheinbar. Aber da ist das Versprechen von Gott:
Ich will euch Wasser geben. Nicht sofort, aber dann, wenn ihr da seid am Berg.
Es wird weitergehen!
 
Hoffnung haben, das heißt: Vertrauen, dass es schon weitergehen wird. Dass das Leben, Gott selbst schon für mich sorgen wird. Auch, wenn es gerade nicht so ausschaut.
 
Wenn wir reisen, entdecken wir nicht nur neue Orte, sondern auch neue Seiten an uns selbst. Jeder Ausflug, jeder Urlaub ist eine Gelegenheit, mich selbst besser kennenzulernen und zu wachsen. Es ist zuweilen auch die Gelegenheit, den oder die Menschen an meiner Seite noch einmal ganz neu zu wahrzunehmen.
Meist geschieht das nicht, wenn alles glattläuft. Sondern die Geschichten, die sich einbrennen, die man sich auch Jahre später noch erzählt, sind meist die, in denen etwas Unvorhergesehenes passiert ist.
 
„Vertrauen wagen“ – das heißt nicht: Ich hab jetzt keine Angst mehr. Sondern es bedeutet: Trotz Angst weiterzugehen. In der Ferne im Urlaub oder auch im Alltag auf unserer Lebensreise. Auch die mutigsten Menschen haben mal kalte Füße. Aber sie machen trotzdem weiter. Denn sie wissen: Hinter jeder Herausforderung, jedem Stein, jeder Spitzkehre ist auch eine Chance. Wie ein Sprung ins kalte Wasser: Im ersten Moment zieht sich alles zusammen, man möchte eigentlich nur schnell wieder raus – aber dann, im nächsten Moment, fühlt es sich plötzlich großartig an.
 
Die Geschichte von Mose sagt uns aber noch etwas: Nämlich: Gemeinschaft und Unterstützung tun gut! Mose nimmt die Ältesten mit. Familie Westphal ist zu zweit verreist. Und auch auf unserer Lebensreise ist es wohltuend, wenn Menschen um uns sind.
Gerade in den Abenteuern und Herausforderungen ist es gut, sich gegenseitig zu ermutigen und zu helfen. 
Manchmal reicht schon ein: „Wir schaffen das!“ Oder eine ruhige Hand am Steuer des Wagens. Ein Glas Wasser. Ein ermutigendes Wort. Ein Arm zum Hineinfallen-Lassen.
 
Ich jedenfalls möchte mich immer wieder auf das Abenteuer Leben einlassen. Den neuen Wegen vertrauen. Überhaupt darauf vertrauen, dass Gott uns führt. Auch und gerade dann, wenn der Weg schwierig ist. 
Ich will darauf vertrauen, dass Gott uns entgegenkommt und dass die Tore offenstehen. 
Gottes Land ist hell und weit.
Amen.

Erlebnis Himmel - Predigt aus dem Sommergottesdienst in Hevensen am 14.07.2024 (Prädn. Elke Janssen)

Lied: „Der Himmel geht über allen auf“
Eine Gruppe junger Männer trifft sich am Ortsaus-gang. Ausgestattet mit Bollerwagen, Einweggrill u. vielen alkoholischen Getränken. Klar, ich rede vom Vatertag. Ist schon eine Weile her. Nicht alle aus die-ser Gruppe sind Väter, aber egal, Hauptsache zusam-men sein, Spaß haben mit viel oder weniger Alkohol. Der Himmel ist blau, kaum ein Wölkchen zu sehen, die Sonne scheint warm auf die Gruppe herunter. Was für ein herrlicher Tag.
Lied: Der Himmel geht..
Jesus sprach zu seinen Jüngern: Ihr werdet die Kraft des heiligen Geistes empfangen, der auf euch kommen wird und ihr werdet meine Zeugen sein bis an die Enden der Erde. Und als er das gesagt hatte, wurde er zusehens aufgehoben, und eine Wolke nahm ihn auf vor ihren Au-gen. Die Himmelfahrt Jesu. Liebe Gemeinde Was für eine Geschichte, die Lukas da am Anfang seiner Apostelgeschichte aufschreibt. Jesus redet mit seinen Jüngern und kaum hat er das letzte Wort gesprochen, geht es los. Jesus wird aufgenommen und schwebt auf einer Wolke in die Höhe. Der Himmel öffnet sich und plötzlich ist ER weg. Da muss erst einmal jemand drauf-kommen. Die Jünger bleiben zurück und schauen in den Himmel: staunend, gebannt, gelähmt, den Mund weit geöffnet vor Staunen.
Lied: Der Himmel geht…..

Sie sind schon eine gute Stunde unterwegs, die Gruppe junger Männer. Willst du nicht auch mal Vater werden frotzelt Klaus seinen besten Freund an, wird Zeit. Mal schauen, wenn sichs ergibt. Außerdem habe ich schon so viele Jobs: Bruder, Sohn, Onkel - im Moment reicht mir das. Auf einer Lichtung wird der Grill angemacht; Brot und Salat zu den Würstchen gereicht. Was geht es uns doch gut, was haben wir doch wieder Glück mit dem Wetter, meint Klaus, nichts als blauer Himmel, wie im Urlaub. Besser kann es nicht sein; lehnt sich zurück, schließt die Augen und genießt die warme Sonne. Der perfekte Vatertag….. Bei dieser Szene fällt mir ein/das Lied von Rheinhard May ein. „Über den Wolken“. Er besingt darin die Sehnsucht nach Freiheit. Über, unter und durch die Wolken schweben, eine unendliche Weite vor sich…. Lassen sie uns dieses Lied nun gemeinsam singen mit einer etwas anderen Strophe….
Fast anrührend ist die Szene der verdutzten Jünger. Jesus steigt in den Himmel auf und sie blei-ben zurück. Eine Stunde des Abschieds, der Unsicherheit, des Schmerzes, aber auch der Hoff-nung, dass er wiederkommt, bald. Als die Jünger Jesu nachsahen, standen zwei Männer in wei-ßen Gewändern bei ihnen, die sagten:“ Ihr Männer von Galiäa, was steht ihr da und seht zum Himmel? Das ist der zweite Teil der Lukaserzählung.
Lied: Der Himmel geht…..

Vatertag, Viele machen mit, manchmal auch Frauen. Es ist die Gemeinschaft, der Spaß, der sie mit Sack und Pack losziehen lässt. Den Himmel betrachtend sagt Klaus zu seinem Freund:“ Va-ter zu sein ist ganz schön anstrengend. Allein die Verantwortung für meine kleine Tochter. Ich hatte mir das alles ganz anders vorgestellt, nicht so stressig. Mein ganzes Leben hat sich verän-dert und doch bin ich froh, dass die Kleine da ist. Auch für Jesu Jünger beginnt etwas Neues. Die beiden weiß gekleideten Männer schicken sie zurück nach Jerusalem. Dort werden sie zu Aposteln und beginnen die Kirche zu bauen – bis an die Enden der Erde. Die Apostel werden die Grenzen des Denkbaren sprengen und das Evangelium hinaus in die Welt tragen- angefeu-ert vom Geist Gottes. Ihr werdet die Kraft des heiligen Geistes empfangen. Der Himmel geht über a l l e n auf, ob wir diesen Tag nun als Vatertag, Himmelfahrt oder wie heute den 7.Sonn-tag nach Trinitatis feiern. Egal welcher Tag, ob wir von unten in den Himmel schaun oder vom Himmel auf die Erde. Gottes heiliger Geist verbindet beides. Er ist bei uns, unsichtbar und doch zu spüren. Jesus Christus, Gottes Sohn hat uns gezeigt wie Himmel und Erde miteinander ver-bunden sind. Denn der Himmel ist dort, wo jene Zuflucht finden, die in ihrem Leben geschei-tert sind- gefangen, hungrig, schwach. Der Himmel ist dort, wo Gott Raum auf dieser Erde ge-winnt. Der Himmel öffnet sich für: Väter, die ihren Kindern Liebe und Geborgenheit geben. Für noch nicht Väter, die noch auf der Suche sind, nach ihrem ganz persönlichen Weg, nach ihrer Lebensrolle. Für Nicht Väter, die sich entschieden haben, auch nie diese große Verantwortung zu übernehmen. Für alle Menschen, die daran mitwirken, den Himmel auf Erden zu schaffen. Der Himmel auf Erden ist die Welt Gottes, die bewohnbar wird für alle Menschen. Damit das klappt sind wir alle aufgerufen hier unten, aktiv und fröhlich, dieses Himmelreich zu verwirkli-chen. Tränen trocknen, dem Tod entgegentreten, Leid und Geschrei und Schmerz zu stillen. Der Himmel steht offen, er ist ganz nah. Geht hinaus mit dem Geist Gottes im Rücken und schafft Orte, an denen sich Himmel und Erde berühren.
AMEN

"Let's go Sailing!" - Predigt aus dem Sommerkirchen-Gottesdienst am 07.07. in Nienhagen – P. Matthias Lüskow

Meditation 1: Fernweh und Heimweh zugleich
Im Sommer 1975 war das Lied „Sailing“ mit Rod Stewart in vielen Ländern ein Nummer-eins-Hit. Auch in Deutschland wird das Lied auf und ab gespielt und erreicht Platz 4 in den Charts. Be-rühmt ist das Musikvideo: Rod Stewart singt das Lied als Matrose auf einem Schiff, das den Hafen von New York verlässt. Wir sehen die modernen Hochhäuser in der Skyline und fühlen uns doch wie ein Matrose zu alten Zeiten, der den Hafen verlässt und in neue Abenteuer aufbricht.
„I am sailing stormy waters to be near you, to be free.“ – Wenn ein Lied von der See handelt, dann geht es ja meistens um Abenteuer („stormy waters“ oder um die Liebe („to be near you“). Der Autor des Liedes war Gavin Southerland, 4 Jahre zuvor. Und wenn wir heute gemeinsam in den Text schauen, dann entdecken wir eine Überraschung. „Sailing“ ist eben kein klassisches Seefahrerlied, sondern ein Lied über den Glauben.
Vom Musikvideo her gedacht geht es in der 1. Strophe um den Aufbruch in die Ferne. Rod Ste-wart läuft nicht in den Hafen ein, sondern bricht auf. Fernweh schwingt mit. Schauen wir aber in den Text, dann geht es schon in Strophe 1 eher um das Heimweh: „I am sailing home again / to be near you, to be free.“ Als Zuschauer denken wir beim Lied an das Lossegeln, aber betrach-ten wir den nachdenklichen Gesichtsausdruck von Rod Stewart und hören wir auf den Text, dann geht es eher ums Ankommen. Über das Meer soll es gehen („cross the sea“), um endlich „bei dir“ zu sein.
Ich stelle mir vor, wie meine Eltern im Osten dieses Lied als Jugendliche hören und im West-TV sehen, wie sie vor Sehnsucht vergehen nach der Skyline von New York. Doch unser Matrose hat anderes im Sinn. Die Fassade dieser Stadt ist nicht das Ziel seiner Reise. Er will ganz woanders hin.
Jeder hört das Lied auf seine Weise, je nachdem, wo er im Leben gerade steht. Die einen singen das Lied mit Fernweh, andere spüren das Heimweh. Gemeinsam setzen wir die Segel und singen die 2. Strophe.

Meditation 2: Über den Dingen schweben
„I am flying like a bird / cross the sea.“ – Ich fliege wie ein Vogel über das Meer. Die Möwe hat auch im Musikvideo mehrmals ihren großen Auftritt. „I am flying passing high clouds, to be near you, to be free.“ Die Möwe kann das, was wir auch gern könnten. Die Möwe kann hohe Wolken einfach durchfliegen oder umfliegen, ganz wie sie mag. Was uns Angst macht an Stürmen und schlechtem Wetter, das macht der Möwe erst mal gar nichts. Die Möwe schwebt über den Din-gen.
Im Urlaub versuchen wir das auch. Wenn wir oben auf einem Gipfel stehen, und die Welt unter uns ganz klein ist, dann hilft uns das dabei, die Probleme unseres Lebens aus einer anderen Perspektive zu sehen. Wenn wir vom Parkplatz aus, den Deich betreten und das Meer begrüßen, den weiten Horizont, dann spüren wir: In diesem Moment sind alle Probleme unseres Alltags anders eingeordnet. Verschwunden sind sie nicht, aber doch irgendwie verkleinert, relativiert, in Beziehung gesetzt zum großen Ganzen.
Vielleicht ist es kein Zufall, dass das Zeichen des Heiligen Geistes auch ein Vogel ist. Nun ja, keine Möwe, aber eine Taube immerhin. Manchmal, da entwickelt der Glaube eine Kraft, die uns über den Dingen schweben lässt, zumindest für einen Moment. Die Probleme unseres Lebens lösen sich dadurch nicht auf, aber Glauben ist manchmal wie ein ganz kurzer Urlaubsmoment. Wir sehen die Welt aus anderer Perspektive, nur für einen Moment, aber schon dieser eine Moment ändert etwas in unserem Leben.

Meditation 3/4: Kannst du mich hören?
Kannst du mich hören?“ Gleich zwei Mal wird diese Stro-phe gesungen. „Kannst du mich hören in der dunklen Nacht, weit entfernt?“
Wer soll mich hören? Die Freundin oder der Freund auf der anderen Seite des Ozeans?
„Ich sterbe, für immer schreie ich, um bei dir zu sein! Wer weiß?“ Offensichtlich nehmen die Probleme überhand. Die Sorgen brechen über mir herein. Es ist finstere Nacht. Ich sterbe! Ich schreie! Kannst du mich hören?“
Ein schulterzuckendes „Who can say?“ („Wer weiß?“) nimmt dem Schreien seine Kraft. Es könnte auch sein, dass uns keiner hört. Es könnte auch sein, dass wir ganz allein sind auf der Fahrt über das Meer. Kein Freund, keine Freundin, die auf uns wartet. Kein Gott und auch kein Glauben, der uns tröstet. „Kannst du mich hören?“ „Who can say?“ Wer weiß das schon, ob da wirklich jemand ist, der auf uns wartet!

Meditation 5: Wir alle in einem Boot
Plötzlich geht es vom „I am sailing“ zum „We are sailing“. Wir sitzen alle in einem Boot! Wir sind doch nicht allein mit unseren Fragen und Zweifeln. Wir segeln durch die stürmischen Gewässer. Wir sind gemeinsam unterwegs, um dir nah zu sein – „to be near you, to be free“.
Und für alle, die es bis hier noch nicht verstanden haben: Jetzt kommt Gott explizit ins Spiel! „Oh Lord, to be near you, to be free.“
Das Ziel unserer Reise ist Gott. In seiner Nähe sind wir frei. Stürmische Gewässer und hohe Wol-ken liegen dann hinter uns, aber er konnte uns hören, auch in der dunklen Nacht. Eines Tages sind wir bei ihm zu Hause, das Sterben und Weinen unseres Lebens hat dann ein Ende. In seiner Nähe sind wir frei.
„Sailing“ ist ein modernes Gebet, ein moderner Psalm, der ganz vorsichtig von Gott redet. Gavin Southerland tut das so vorsichtig, wie es sich für moderne Menschen gehört.
Bei Gedichtinterpretationen muss man ja immer vorsichtig sein, ob man da nicht vielleicht die eigenen Gedanken in einen fremden Text hineininterpretiert. Damit wir auf der sicheren Seite sind, lassen wir Gavin Southerland heute das letzte Wort:
„Die meisten Menschen denken, es geht um einen jungen Mann, der seinem Mädchen sagt, dass er über den Atlantik kommt, um mit ihr zusammen zu sein. Aber in echt hat das Lied nichts
mit Romantik oder Seefahrt zu tun. Es ist ein Zeugnis der geistlichen Odyssee der Menschheit durch das Leben auf der Suche nach Freiheit und Erfüllung, nach Übereinstimmung mit dem Höchsten Wesen.“
Ich fahre, ich fahre wieder heim, übers Meer.
Ich fahre über Sturmgewässer. Um dir nah zu sein, um frei zu sein.
Ich fliege wie ein Vogel über die hohen Wolken.
Will dir nah sein und frei.
Kannst Du mich hören? Durch die dunkle Nacht, weit entfernt?
Ich sterbe, für immer schrei ich: Bei dir zu sein… wer weiß?
Wir fahren alle heim übers Meer, schwere See,
um dir nah zu sein und frei.
Oh Herr, um dir nah zu sein und frei!

„Und der Friede Gottes, der höher ist als alle [unsere] Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Jesus Christus.“ (Phil 4,7) Amen.

Predigt zu Epheser 2, 17-22 aus dem Gottesdienst am 09.06.2024 in Hardegsen (P. i. R. Hartmut Gericke-Steinkühler)

Wochenspruch aus Matth. 11,28:
"Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken."


Mühsam ist das heute mit unseren Kirchen! Ihr Lieben. Viele haben die Flucht ergriffen wegen all der Skandale. Wir selbst, die sogenannte Volkskirche, sind zu einem Häuflein klein geschrumpft. Etwas neidisch blicken wir vielleicht auf die Freikirchen, bei denen noch eine Lebendigkeit blüht. Verwirrt blicken wir bisweilen auf die verschiedenen Strömungen, Meinungen in unseren Kirchen. Unsere katholischen Geschwister haben es da am schwersten, die von Rom, vom Vatikan immer wieder ausgebremst werden in ihren Bestrebungen, die Kirche den Realitäten unserer Tage anzupassen – mehr Recht für die Frauen, warum Priester nicht – wie in der alten Kirche – heiraten dürfen; und was es da alles an Fragen gibt.


Das komische ist, dass es solche Spannungen, Unterschiede und Gegensätze von Anbeginn in den Christlichen Gemeinden gegeben hat. Damals, vor 2000 Jahren waren es andere Probleme und Herausforderungen als heute. Da waren es Menschen, die aus der jüdischen Tradition kamen, die ihre Schwierigkeiten hatten mit denen, die einmal die römischen oder griechischen Götter verehrt hatten und nun Christen geworden waren. In den Gemeinden waren Sklaven und Freie beieinander, Mägde und Herren, Knechte und wohlhabende Frauen. Menschen mit ganz verschiedenen Sprachen, unterschiedlichen Traditionen. 

An sie schreibt der Apostel Paulus im Epheserbrief im 2. Kapitel – unser heutiger Predigttext:

(17) Christus ist gekommen und hat im Evangelium Frieden verkündigt euch, die ihr fern wart, und Frieden denen, die nahe waren.
(18) Denn durch ihn haben wir alle beide in einem Geist den Zugang zum Vater.
(19) So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen,
(20) erbaut auf den Grund der Apostel und Propheten, da Christus der Eckstein ist,
(21) auf welchem der ganze Bau ineinandergefügt wächst zu einem heiligen Tempel in dem Herrn.
(22) Durch ihn werdet auch ihr mit erbaut zu einer Wohnung Gottes im Geist.

Herr, segne dein Wort, denn es ist Wahrheit; und du bist die Wahrheit. Amen.


Liebe Gemeinde,


In 3 Bildern redet hier der Apostel, denke ich:

Das 1. Bild: Er vergleicht die Gemeinde, vergleich uns mit einem Haus. Das Leben in dieser Gemeinde, unser Leben, gleicht einem Hausbau, an dem viele mitarbeiten – ihre Talente einbringen. Es ist ein Haus, in dem dann auch viele unterschiedliche Menschen miteinander wohnen. Gottes Gemeinde-Haus hat viele Räume; ist immer ein Haus, das Platz lässt für Vieles und Viele! Da gibt es Räume für Kinder, für Jugendliche, für Frauen und Männer. Da ist Platz für die, die zweifeln genauso wie für die, die tief verwurzelt in ihrem Glauben sind.

Das sollte eben auch ein Bild unserer Gemeinde sein, solche Vielfalt zuzulassen, anzunehmen und zu gestalten – nur so können wir uns Gottes Wohngemeinschaft, Gottes Haus nennen, wenn wir solche Vielfalt zulassen. Wenn wir anerkennen, dass es ganz unterschiedliche Formen gibt, unseren Glauben auszudrücken und zu leben. Und nicht angstvoll Grenzen setzen, zu verurteilen , sondern Gottes Vielfalt anzuerkennen. 

Mit Schrecken erinnere ich einen Gottesdienst in der katholischen St. Michael-Kirche in Göttingen, wo der Kinderchor aus Hardegsen – in dem auch unser Sohn mitgesungen hat – am Ende der Messe beim Abendmahl uns Protestanten dieses verweigert wurde; wir sollten mit einer Handauflegung Vorlieb nehmen. – Ich war in diesem Urlaub mit meiner Frau in Portugal und besuchte am 12. Mai den großen Marien-Wallfahrts-Ort Fatima, wo jedes Jahr an diesem Tag hunderttausende von Gläubigen zusammen-strömen, um der Marien-Erscheinungen zu gedenken, die jene 3 Hirtenkinder vor gut 100 Jahren dort hatten. Ich muss gestehen, dass mir diese Marienverehrung relativ fremd ist. Trotzdem bin ich mit meiner Frau in eine der vielen Messen in der riesigen modernen Marien-Kirche gegangen, habe dort mit all den vielen gebetet – in meiner Sprache und meiner Art – und durfte am Ende mit den tausenden von Menschen am großen Abendmahl Gottes teilnehmen. Da wurde nicht gefragt: Wer bist du? Was bist du? Wir waren nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen – wie es Paulus gesagt hat.

Bei solchen Großereignissen wie diesem Gedenktag in Fatima oder bei unseren Kirchentagen hier in Deutschland wird dann auch deutlich, dass Kirche alle umfasst, die Alten und die Jungen! Was wären die Alten ohne die Kinder und umgekehrt! Was wären die Jugendlichen ohne die starken Vorbilder im Glauben der Älteren? Was wären die Erwachsenen ohne den Veränderungswillen und die Aufbruchsfreude der Jugendlichen? Was wäre Kirche ohne die Mütter und Väter im Glauben, von denen wir unsere Traditionen, unsere Gebete und Gottesdienste geerbt haben? Was wären die, die fest im Glauben und der Tradition verwurzelt sind ohne jene, die Fragen stellen und Zweifel anmelden an einer Kirche im Muff von 1000 Jahren?

Wir brauchen einander in aller Verschiedenheit als Kirche, als Haus Gottes! Es kommt immer darauf an, die anderen nicht als Fremdlinge zu sehen, sondern ihnen als Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen zu begegnen.


Ein 2. starkes Bild spricht uns aus den Worten des Paulus heute an:

Kirche ist keine „Villa Kunterbunt“, in der jede und jeder machen könnte, was sie oder er will. Kirche ist gegründet auf den Aposteln und den Propheten, sagt Paulus – hat ein von Gott vorgegebenes Fundament. Dieses Fundament, der Bauplan Gottes ist SEIN Wort, die Bibel! Das war die große Wieder-Entdeckung Martin Luthers in den Tagen der Reformation diese 3 sola: sola fide, sola scriptura, solus Christus – der Glaube allein, die Schrift allein, sprich die Bibel, und schließlich Christus allein! ER ist der Eckstein, der alles zusammenhält! Staunend habe ich wieder in meinem Urlaub in diesem Jahr in den riesigen Kathedralen Portugals gestanden – mit den himmelhohen Gewölben – und droben, ganz oben der Eckstein, der alles zusammenhält – ganz oft ist dort die Christusfigur eingemeißelt. Ohne diesen Eckstein würde alles zusammenbrechen und nicht zahllose Erdbeben in den Jahrhunderten überstanden haben. 

Aber auch all die anderen Steine haben eine Aufgabe. Reißt man ein großes Loch in die Wand, so beginnt das ganze Gebäude zu wackeln und droht einzustürzen. Jeder einzelne Kirchenaustritt heute bringt unsere Kirche zum Wackeln; wir erleben das hautnah, was das Schrumpfen unserer Gemeinden bedeutet, wenn unsere Pastorin hier in Hardegsen plötzlich für mehrere andere Kirchengemeinden noch zuständig ist. Sie kann sich nicht mehr SO um uns kümmern, wie wir es gern sähen. Unsere Gottesdienste schmelzen dahin – wenn in unserer großen Kirche bisweilen nur noch ein gutes Dutzend Leute am Sonntag sich hier zum Gotteslob versammeln. Für mich sind immer mehr die Andachten, die Gottesdienste in der Paschenburg zu einem Freudenschein in all der Trostlosigkeit unseres Gemeindelebens geworden. Da kommen noch meine „Oldies“ zusammen – wie ich sie gerne liebevoll nenne – und feiern mit Freude Gottesdienst, Abendmahl – singen und beten.

Ebenso tröstlich ist mir dann noch der Blick in die weite Welt, wo Kirche wächst – in meiner alten Heimat, in Papua-Neuguinea oder in der Volksrepublik China, wo das Bekenntnis zu Jesus Christus auch heute noch ein Wagnis ist, das Menschen freudig eingehen. Von ihnen müssen wir vielleicht wieder neu das 3. und letzte lernen, was ich aus den Worten des Apostels Paulus heraushöre:

Kirche muss immer offen und einladend sein. Hoch droben im Norden Deutschlands, wo ja eigentlich meine Heimat ist, von wo ich bis heute meine Pension als Pastor beziehe, da ziert in Dithmarschen an der Nordsee die meisten alten Bauernhäuser ein kleines Wort: WILLKOMMEN! Tritt fröhlich ein. Wie wäre das, wenn wir das wieder zu unserem Motto erklären – und unsere Nachbarn, Freunde, Bekannte einladen – komm mit, du bist willkommen, du bist wichtig, wir brauchen dich! 

Und das dann nicht nur auf unsere Nachbarn hier beschränken – diese Einladung, sondern auch die Fernen, die zu uns gekommen sind, nicht mehr als Gäste und Fremdlinge behandeln, sondern als Mitbürger der Heiligen und als Gottes Hausgenossen. Sie arbeiten heute für uns in der Paschenburg, in den Krankenhäusern landauf landab – in so vielen Einrichtungen und Gewerken. Ohne diese Zuwanderer wäre unser Land gar nicht mehr funktionsfähig. Unsere alte Bundeskanzlerin hat das schöne Wort von der „Willkommenskultur“ geprägt. Wenn wir sie als Christen so aufnehmen, wie es in der alten Christenheit die Gemeinden des Apostels Paulus taten mit den Sklaven, den Witwen und Waisen, den Armen und den Kranken – dann würde vielleicht sogar bei uns Kirche wieder attraktiv sein – und jede einzelne und jeder einzelne von uns kann und soll dazu beitragen. 

Denn Jesus hat doch gesagt:

Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.      Amen.

Sprachenvielfalt. Predigt zur Einführung des Kirchenvorstands am Pfingstsonntag zu Apostelgeschichte 2 (Anne Dill)

Gott schenke uns ein Herz für sein Wort und ein Wort für unser Herz. Amen.
 
Liebe Gemeinde, 
liebe Kirchenvorsteherinnen und Kirchenvorsteher,
 
Pfingsten ist Reisezeit. Die Schüler haben vier Tage frei. Und viele Erwachsene nutzen gern das lange Wochenende für einen Kurzurlaub.
Ich bin froh, dass wir uns aber heute morgen hier in die Kirche begeben haben. Schließlich feiern wir heute ein Fest! Und Feste leben nun mal von den Menschen, die mitfeiern.
 
Damit Sie und ihr jetzt aber nicht ganz reise-los bleibt, lade ich Sie ein auf eine Gedankenreise. Sie beginnt am Flughafen.
 
Kaum dort angekommen, begrüßt und schon in der Eingangshalle die große Anzeigentafel. Darauf die Flieger der nächsten Stunden: Kairo, London, Dubai, Stockholm, New York. Schon beim Lesen fühlen wir uns mit der großen weiten Welt verbunden. Dann kommt die Sicherheitskontrolle – und wir müssen natürlich warten. In der Schlange dringen verschiedene Sprachen an unser Ohr. Deutsch, Englisch, Französisch. Irgendetwas Asiatisches ist auch dabei, vielleicht auch Afrikanisch. Wer weiß das schon. Die verschiedenen Stimmen, Sprachen und Klänge hüllen uns ein. Manchen Satz schnappen wir auf. Manches zieht an uns vorbei. Und vieles bleibt schlicht unverständlich. Nur ein rauschender Klangteppich.
 
Dazwischen dann die Durchsagen per Lautsprecher: Auch hier Deutsch und Englisch und manchmal noch eine unbekannte Sprache – je nachdem, wohin der nächste Flieger geht. Oft so schnell gesprochen, dass man nicht alles versteht. Wenn dann eine Änderung angekündigt wird, kommt schnell Panik auf. Das hab ich so schnell nicht verstanden. Was muss ich jetzt machen?
 
Aber wir haben Glück und erreichen unseren Flieger. Er fliegt direkt nach Jerusalem. Nicht in das heutige. Sondern in das vor 2000 Jahren – zum allerersten Pfingstfest,
zu all den Leuten die dorthin gekommen sind.
 
Die Menschen dort fallen nicht in Panik, sondern in Erstaunen. Denn sie hören die Jünger sprechen. Und zwar in ihrer jeweils eigenen Sprache. 
Das kriegen sie nicht zusammen. Wissen sie doch genau, dass die Jünger eigentlich alle Aramäisch reden und nicht Griechisch, Ägyptisch, Persisch oder was auch immer.
Obwohl sie die Jünger genau verstehen können, verstehen sie sie doch nicht. Wie kann das sein?
Haben die schon am Morgen Weinflaschen in Hülle und Fülle geleert?
Nein, natürlich nicht. Ein Glas Wein mag zwar helfen, den ein oder anderen Satz auf Englisch mutiger rauszubringen, aber eine ganze Fremdsprache kann ich dadurch noch lange nicht.
Gewisse Kommunikationsschwierigkeiten bleiben.
 
Im Leben ist das zuweilen ähnlich. Wir sprechen die gleiche Sprache – Deutsch – aber doch irgendwie nicht.
 
Der eine sagt: „Komm, ich helfe dir tragen.“ Und der andere fragt: „Sehe ich so schwach aus?“
Oder: Der Mann auf dem Beifahrersitz bemerkt: „Die Ampel ist grün.“ Und die Frau hinterm Steuer hört: „Du kannst nicht Auto fahren.“
Alle meinen es gut. Aber irgendwie reden alle aneinander vorbei.
Der Amerikaner Gary Chapman hat dafür eine Erklärung gefunden. Er sagt: Es gibt 5 Sprachen – Beziehungssprachen – mit denen wir Menschen untereinander kommunizieren. Wenn wir einen Menschen mögen, ihn wertschätzen wollen, ihn lieben oder ihm oder ihr etwas Gutes tun wollen, gibt es eben 5 verschiedene Wege das zu tun:
 
Die erste dieser menschlichen Sprachen heißt „Lob und Anerkennung“: Du hast den Rasen ja total ordentlich gemäht. Du siehst heute besonders schick aus. Du hast heute im Gottesdienst so schön gelesen.
 
Dann gibt es die zweite Sprache. Die heißt „Zeit“. Du bist mir wichtig und ich nehme mir Zeit für dich. Lass uns zusammen spazieren gehen, ein Eis essen, Kaffee trinken, in den Kurzurlaub fahren. Ich besuche dich, wenn du krank bist. 
 
Die dritte Sprache wird ebenfalls nicht gesprochen, sie ist ganz handfest. Man nennt sie „Kleine Geschenke“. Ich habe dir ein Blümchen mitgebracht oder selbstgekochte Marmelade. Ich habe dir eine Broschüre in dein Fach gelegt, von der ich denke, dass sie dich interessiert. 
 
Auch die vierte Sprache besteht nicht aus Worten, sondern aus Taten. Sie heißt „Hilfsbereitschaft“. Ich trage dir den schweren Karton. Ich räume den Müll hinter der Kirche weg. Ich bereite die Eichelberghütte zum Grillen vor. 
 
Die letzte Sprache lässt sich nur verwenden, wenn eine gewisse Vertrautheit da ist. Sie heißt Zärtlichkeit. Ich nehme dich in den Arm. Ich streiche dir über den Rücken. Und bei Menschen, die wir lieben: Ich küsse dich.
 
Das Tolle an diesen Sprachen ist: Jeder kann seine oder ihre sprechen. Ganz egal, mit welcher Muttersprach ich aufgewachsen bin. Ich kann die sprechen, die zu mir selbst passt. Manche sprechen immer dieselbe dieser Sprachen. Manche sind zweisprachig unterwegs. Manche sprechen eine andere, als sie selbst hören möchten. Und manche wechseln munter durch.
Das ist Pfingsten!
 
Das Schlechte an diesen Sprachen ist: Man kann eben aneinander vorbeireden.
Da wünsche ich mir nichts mehr, als dass man endlich mal meine ganze Arbeit sieht und mich lobt, höre aber nie ein Wort. Stattdessen umarmt man mich. Oder: Ich würde mich wirklich mal über eine ruhige Minute für ein Gespräch freuen. Stattdessen ist plötzlich das Blumengitter an der Hauswand angebracht.
Es braucht offene Augen, Ohren und Herzen füreinander, um sich zu verstehen.
 
Das merken auch die Menschen damals in Jerusalem. Alleine kommen sie nicht weiter. Das wissen sie. Das weiß Gott. Und deswegen verspricht er:
„Ich werde meinen Geist über alle Menschen ausgießen. Eure Töchter und Söhne werden als Propheten reden. Eure jungen Männer werden Visionen schauen und eure Alten von Gott gesandte Träume haben. Über alle, die mir dienen, Männer und Frauen, werde ich in diesen Tagen meinen Geist ausgießen. […] Ich werde Wunder tun droben im Himmel und Zeichen erscheinen lassen unten auf der Erde.“
 
Ihr, liebe Kirchenvorsteherinnen und Kirchenvorsteher, tut Zeichen hier unter uns. Ihr bringt euch ein mit euren Gaben und Talenten. Jeder auf seine und ihre Art. Jeder spricht seine/ihre eigene Sprache. 
Manche sprechen die Sprache der Taten. Andere die der Diplomatie oder Hilfsbereitschaft. Wieder andere die Sprache der Menschen oder der Natur.
Die Kombination aus allem zusammen macht die Sprache des Kirchenvorstands und damit auch ein Stück weit unserer Gemeinde aus. 
Und da ist ganz viel drin zu finden: Liebe, Hilfsbereitschaft und Güte, Beharrlichkeit, Geduld und Barmherzigkeit, Offenheit für Menschen oder um Neues zu wagen:
 
Auf einen von euch ist immer Verlass. Einer hat einen Blick für Gebäude und Ästhetik. Eine ist musikalisch. Einer ist der größte Diplomat vom Dienst. Eine betet für die Gemeinde. Eine hat ein sehr feines Gespür für ihre Mitmenschen. Einer hat den Blick für die Natur, für Wald und Feld. Eine predigt. Eine tut all das, was andere nicht tun und eine möchte sich einsetzen für Kirche im Dorf.
 
Ihr, wir alle, können und dürfen darauf vertrauen, dass auch immer etwas vom Heiligen Geist dabei mitschwingt. Dass sein Feuer, seine Begeisterung und Freude unsere Worte und Taten begleiten. Dass er uns helfen will, dass wir uns untereinander verstehen.
 
Und dann kann auch bei uns geschehen, was damals beim ersten Pfingsten geschah.
Da heißt es nämlich:
„Mit seinen Worten traf Petrus die Zuhörer mitten ins Herz.“
 
Wer weiß, was Gott durch euch für Zeichen unter uns tun wird. Mit welchen Worten und Taten ihr Menschen ins Herz trefft. Ihnen etwas zeigt von Gottes Liebe zu seinen Menschen. 
 
Gott schenke euch dazu Kraft, Mut, Freude und Geduld. Er helfe euch. Er lasse euch spüren, was dran ist. Und was auch ruhen darf.
Gott gebe euch seinen Segen zu eurem Tun!
Denn ihr seid schon längst ein Segen: Für eure Mitmenschen und für unsere Gemeinde. 
Amen!

Eingeladen zum Fest des Glaubens. Ansprache zu Johannes 20.19-20.24-29 aus dem Einführungsgottesdienst am 07. April 2024 in Hardegsen (Anne Dill)

Gott schenke uns ein Herz für sein Wort und ein Wort für unser Herz. Amen.
 
I.
Wann haben Sie zum ersten Mal von Jesus Christus gehört?
Wie seid ihr mit dem Glauben in Kontakt gekommen?
Wer hat Ihnen und euch von Gott erzählt? 
 
Bei mir war es meine Oma. Immer wenn wir Kinder bei ihr übernachtet haben, dann hat sie sich mit einem Stuhl zwischen die Betten gesetzt. Hat vorgelesen. Bevor aber das Licht ausgemacht wurde, hat sie ein Abendgebet mit uns gesprochen. Manchmal das Vaterunser. Das gehört ganz selbstverständlich dazu. Wir Kinder waren neugierig. Eines Abends haben wir sie nach dem anderen langen Text im Gottesdienst gefragt. Sie hat uns auch das Glaubensbekenntnis vorgesprochen. Das war dann aber doch zu schwer für unsere Kinderherzen. Aber die Ernsthaftigkeit und die Wahrhaftigkeit, mit der sie diese Worte gesprochen hat, sind doch rübergekommen.
 
II.
Eben haben wir von Thomas gehört. Eigentlich ist er ein sehr ernsthafter und überzeugter Jünger. Mehrere Jahre lang ist er mit Jesus unterwegs gewesen. Er weiß: Bei Jesus ist mein Heil. Und er versucht auch andere in seine tiefe Überzeugung mit hineinzunehmen. Einmal sagt er sogar: „Lasst uns mit Jesus Christus gehen, um mit ihm zu sterben.“ Treuer geht es wohl nicht. Da ist ein tiefgläubiger Mensch.
Aber Thomas hat – wenn man es denn so nennen will – ein Problem. Er versteht nicht immer, was Jesus tut. Oder was dieses oder jenes soll. Als Jesus ankündigt, dass er fortgehen wird, da muss Thomas es ganz genau wissen: „Herr, wir wissen nicht, wohin du gehst. Wie können wir dann den Weg kennen?“
Und dann – als Jesus am Kreuz gestorben ist – da wird es plötzlich schwierig mit seinem Glauben. Zu groß der Schock. Die Trauer. Das Entsetzen. Sein ganzer Lebensplan zusammengebrochen.
 
Nun ist es umgekehrt. Die anderen erzählen ihm: Jesus war da. Hier mitten unter uns. Er ist nicht tot. Er lebt! 
 
Thomas kann das nicht glauben. Wie denn auch? Er hat einen entscheidenden Nachteil. Er war nicht dabei. Hat Jesus nicht mit eigenen Augen gesehen, seine Stimme nicht gehört. 
 
Vielleicht konnte er vor lauter Trauer die Nähe der anderen nicht ertragen. Wollte alleine sein. Brauchte Ruhe oder Abgeschiedenheit. Musste schlafen, weil er die Nächte davor schlaflos verbracht hat. Vielleicht war er Besorgungen machen. Es gibt viele Möglichkeiten, warum man zur rechten Zeit nicht am rechten Ort ist. 
Jedenfalls ist er nicht da, als Jesus kommt. Und so kommen die Zweifel.
 
III.
Ja, die Zweifel. Die kommen manchmal schnell, auch dann, wenn wir uns mit Gott ganz sicher sind. Und wenn sie erstmal da sind, dann schleichen sie sich ins Herz. Es gibt Zeiten, wo es schwierig ist mit dem Glauben. Wo ich nicht glauben kann, dass da einer ist, der es unendlich gut mit mir meint und mit der ganzen Welt. Wo ich Gottes Nähe nicht spüre. Wo ich ihn nicht verstehe. Nicht weiß, was dieses oder jenes soll. Nicht sehen kann, woran ich glauben soll.
 
Dann, wenn mir ein Herzenswunsch versagt bleibt. Wenn ein Gebet nicht erhört wird. Wenn die Weltlage Grund zum Gruseln bietet. Wenn Kummer mein Herz zerfrisst. Wenn eine Krankheit mich niederwirft. Dann scheint Gott zuweilen sehr weit weg.
 
IV.
Was man dann wirklich nicht braucht, sind Vorwürfe oder Vorhaltungen, so nach dem Motto: Reiß dich mal zusammen! Glaub mal an das Gute im Leben! Du hast sonst doch alles. Du musst mehr beten! Du musst halt glauben. 
 
Vielleicht gut gemeint.
Hilft aber ganz bestimmt nicht!
 
Jesus weiß das. Er macht Thomas keine Vorwürfe. Nicht mal Vorhaltungen. Thomas hat gar nicht direkt zu ihm gesagt, was er sich wünscht. Nämlich, ihn mit eigenen Augen zu sehen. Mit eigenen Fingern seine Narben zu spüren. 
Jesus gewährt ihm diesen Wunsch, und zwar ohne, dass Thomas seine Zweifel vor ihm aussprechen muss. Jesus kennt sein Herz. Die Anfechtung. Das nicht Glauben-Können.
 
Thomas selbst beschließt nicht einfach: Ich hör jetzt auf mit den Zweifeln. 
Sondern es ist Jesus Christus, der die Zweifel von Thomas überwindet. Er nimmt sich ihrer an. Er nimmt sich Thomas an. Er gibt ihm das, was er braucht. 
Und interessanterweise wird gar nicht mehr davon berichtet, dass Thomas Jesus wirklich anfasst. Vielleicht braucht er das auch gar nicht mehr. Weil er gesehen ist. Vom lebendigen Gott. Mit seinen Zweifeln und seiner Hoffnung. Gesehen, wie er ist. Angenommen. Geliebt.
 
V.
Zweifel gehören dazu. Zum Leben, zum Glauben. Es gibt sie im Kleinen und Großen. Manchmal dauern sie nur wenige Momente, manchmal dehnen sie sich unendlich.
 
Es gibt sie auch im Pfarramt: Zu wenig Zeit für andere, manch Notfallseelsorge-Einsatz. Ja, es gibt sie, die Zeiten, wo man auch als Pastorin erstmal schlucken muss. 
Manchmal fehlen die richtigen Worte für eine Predigt. Manchmal ist auch der Pfarrberuf Arbeit, nicht nur Berufung. 
In meinem Ringbuch vorne ist eine Hülle drin. Darin sind verschiedene Bibelverse. Ich tausche sie aus je nach Gefühlslage und Anlass. Und einer ist eben der, der auf der Einladung steht und vorne auf dem Liederzettel: 
„Was Gott aus Gnade geschenkt hat, das nimmt er nicht zurück. Und wen er einmal berufen hat, der bleibt es.“ (Römer 11,29)
 
Daran glaube ich.
Ich glaube, dass Gott an uns festhält. Mit all unseren Zweifeln und Fehlern und Anfechtungen. Mit all dem, was wir nicht Glauben-Können oder Wollen. 
Mit dem, was schief geht oder schief gegangen ist.
 
Ich glaube, dass Gott an uns festhält, wenn wir Türen knallen oder sie doppelt abschließen und die Welt aussperren.
Wenn wir in Tränen aufgelöst sind.
Wenn unsere Welt zu Ende gegangen scheint.
Ich glaube, dass wir von ihm gesehen sind. Angenommen und geliebt. 
Selbst dann, wir unser Leben ohne ihn leben.
 
Ich glaube, dass Jesus Christus uns einlädt zum Fest des Glaubens. Dass Er uns jeden Morgen neu ruft.
Egal, ob wir gespannt sind oder skeptisch. Uns zögernd rufen lassen oder gerne.
Ich glaube, dass bei ihm alle willkommen sind:
Die Kranken, die Kinder, die Alten. 
Ich glaube, dass wir willkommen sind.
Wenn wir hungern nach Liebe, nach Sinn, nach Frieden, nach Gott selbst.
 
VI.
Und wenn wir uns rufen lassen – wer weiß, was dann geschieht. 
Wenn wir uns einlassen auf das Abenteuer Glauben. Immer wieder. Auf den Herrn der Welt.
 
Vielleicht werden wir dann selbst zu Boten. 
Beten mit unseren Kindern oder Enkeln. Segnen unsere Eltern oder Großeltern.
Erzählen anderen von dem, was uns trägt. 
Von unserem Glauben.
Von unserem Herrn und Gott. 
Der uns aushält, begleitet und segnet.
Amen.

Mitten in der Nacht. Ansprache zum Karfreitag aus den Gottesdiensten am 29.03.2024 in Üssinghausen, Hardegsen und Ertinghausen (Anne Dill)

I.
Verdammter Hahn. Jede Nacht höre ich ihn krähen. Jede Nacht schmecke ich den Rauch des Feuers auf meiner Zunge.
Und höre die pickelige Magd fragen:
Warst du nicht bei ihm?
Und ich höre mich sagen: Nein.
 
Jede Nacht seh ich bei der Glut die Soldaten würfeln.
Und sehe die Hände, die mich befreiten,
gefesselt.
 
Gefesselt von den Soldaten in dunkler Nacht im Garten.
Gefesselt, während ich geschlafen habe.
Gefesselt dort auf dem Hof.
Gefesselt auch auf dem Weg nach Golgatha,
hoch auf den Hügel. Zum Kreuz.
 
Jede Nacht sehe ich mich selbst am Wegesrand stehen. 
In der zweiten Reihe.
Gut genug zum Gucken. Perfekt, um selbst nicht aufzufallen. Nichts Halbes, nichts Ganzes. Dazwischen eben. Zwischen Mut und Feigheit. Zwischen dem Richtigen und dem Falschen. Zwischen Gefunden und Verloren.
Ich sehe, den Hinrichtungszug an mir vorüber gehen.
Den anderen, der das Kreuz für Jesus trägt.
Ein Fremder, von den Soldaten willkürlich aus der Menge heraus gepickt.
Ich bin es nicht. Ich habe Jesu Kreuz nicht getragen.
 
Jede Nacht aber trage ich jetzt an meinem Kreuz.
An meiner Feigheit. Meinem Verrat. Meinem Nicht-zu-dem-Stehen, der mir so viel bedeutet hat.
Ich habe schwer zu tragen an meinem Bedauern meiner Reue.
Würde so gern ungeschehen machen, was war.
Ich kann es nicht.
 
II.
Jede Nacht sind irgendwo auf der Welt auch heute Menschen wach.
Können nicht schlafen. Werden wachgehalten von den Schmerzen.
Den körperlichen und den seelischen.
Die Altgewordenen. Die mit Krankheit Geschlagenen. Die, die schon auf dem Weg sind in die andere Welt.
Die, deren Herz zerbrochen ist. Durch ein Kind, das den Kontakt abgebrochen hat. Durch ein unerwidertes Ich-liebe-dich. Durch das Vermissen eines Menschen. Durch das Zerplatzen eines Traums. Durch ein Leben, das eingestürzt ist, wie ein Kartenhaus.
Jede Nacht werden auf unserer Welt Menschen gequält. Von Hunger und Durst. Durch Bosheit anderer. Durch Missbrauch. Durch Kälte.
Jede Nacht sind Menschen wach. Weil Bomben einschlagen. Häuser einstürzen. Oder die dünnen Zeltplanen im Wind flattern.
 
III.
Vielleicht kennen wir sie auch. Die durchwachten Nächte. Die Schreckgespenster, die drohend an den Wänden entlangschleichen. Die Sorgen. Die Kämpfe. Sehnsucht, die wie ein schwarzes Loch ist. Einsamkeit, die sich wie Nadeln ins Herz bohrt. 
Vielleicht kennen wir sie auch die Qual der Überforderung: Das Richtige zu tun. Oder etwas anderes zu lassen. Vielleicht haben wir selbst schon einmal die falsche Entscheidung getroffen. Haben unsere Welt oder die eines anderen ins Chaos gestürzt. Haben verletzt mit Worten oder Schlägen. Können nicht mehr selbst in Ordnung bringen, was doch wieder in Ordnung soll. 
 
Wer schaut mich dann noch an, wenn ich mich nicht mal selbst mehr im Spiegel sehen will? Wenn die Ringe unter meinen Augen mich anklagen, die Sorgenfalten mich zeichnen, die Hässlichkeit meiner Seele mich anspringt?
 
Die Dunkelheit der Seelenqual ist undurchdringlich. Schuld und Kummer erdrückten. Sorgen und Nöte sind wie eine Mauer. Gebaut um das Licht, das nun nicht mehr scheint. Die Träume sind keine Träume mehr. Jedenfalls keine Zukunftsträume. Nun sind es Angst und Schrecken, die durch meinen Schlaf oder mein Wachen schleichen. Oder Alpträume – gebaut aus Reue, Vorwürfen, Verletzungen, Nicht-Weiter-Wissen, Hunger oder Durst nach einem Menschen, nach Frieden, nach Gott selbst.
 
IV.
In so einer Nacht hatte einer einen Traum. Er träumt vom Tod des Gottessohnes: Steine werden auf ihn geworfen. Steine der Sorge und der Angst. Steine der Schuld. Der Folter, der Grausamkeit. Der Schmerzen, des Todeskampfes und der Unruhe. Steine des Zitterns und Verzagens, der Bosheit, des Versagens, der Traurigkeit und der Überforderung. All das wird auf den Gottessohn geworfen. So lange, bis seine Gestalt ganz verborgen ist. Der Haufen der Steine über ihm aber wird zu einem Berg. Er wächst bis in den Himmel.
Danach steigen die Menschen den Berg der Steine hinauf. Die Reuevollen und Verzagten. Die Sorgenvollen und Schuldigen. Die Gequälten. Die Leidenden. Die Wachgehaltenen. Die Kranken. Die Sterbenden. 
Petrus steigt den Berg der Steine hinauf. Und all die anderen, die sich im Laufe der Jahrhunderte Jesus anvertraut haben. Die an ihn glauben, sich zu ihm bekennen.
Sie steigen bis in den Himmel.
 
V.
Auch für uns ist der Weg in den Himmel gebaut. Denn ein für alle Mal hat sich die Nacht verändert. Da, als sie mitten am Tage kommt. In der Finsternis zur Mittagszeit. Als die Welt stehen bleibt. Die Gräber aufspringen. Als einer stirbt und die anderen lebendig werden. Als der Vorhang im Tempel zerreißt und die Ewigkeit unsere Welt durchscheint.
In dieser dunkelsten aller Stunden hat sich die Welt verändert. Die Nacht wird zum Tag. Finsternis ist nicht mehr finster. Die Nacht leuchtet wie der Tag. 
Und wir sind frei.
Amen.

Salbung in Betanien. Predigt zu Markus 14, 3-9 aus dem Gottesdienst am 17.03.24 in Hardegsen (Gertrud Brandtner)

Der Friede Gottes sei mit uns. Amen

Jesus war in Betanien. Er war zu Gast bei Simon, dem Aussätzigen. Als er sich zum Essen niedergelassen hatte, kam eine Frau herein. Sie hatte ein Fläschchen mit Salböl dabei. Es war reines kostbares Nardenöl. Sie brach das Fläschchen auf und träufelte Jesus das Salböl auf den Kopf.
Einige ärgerten sich darüber und sagten zueinander: „Wozu verschwendet sie das Salböl?
Das Salböl war über 300 Silberstücke wert. Man hätte es verkaufen und das Geld den Armen geben können.“ Sie überschütteten die Frau mit Vorwürfen
(Mk 14, 3-5).

Ich sehe die Szene vor mir: Ich meine, das Aufbrechen des Verschlusses an der Parfümflasche zu hören. Ich rieche den betäubenden Duft des Parfümöls, der sich verschwenderisch, ja schon unangenehm im Raum ausbreitetet. Normalerweise reichen einige Tropfen - hier muss es alles sein. Kostbares Nardenöl aus Indien, etwas für ganz Reiche, für Würdenträger, für Königinnen ... 

Ein Eklat! Eine Frau verschafft sich Zutritt in eine exklusive Männerrunde. Die Männer sind vertieft in ein gehobenes Tischgespräch mit Jesus über die Grundfragen des Lebens. Es war üblich, sich bei Essen und Trinken über Glauben und Irrglauben, Wahrheit und Lüge, einengende Gesetze und befreiende Bibelworte, über Leben und Tod auszutauschen. Und sich dabei ganz viel Zeit zu lassen. 
 Da taucht diese Frau auf. Sie sagt kein Wort, geht zu Jesus, öffnet die Flasche und gießt ihm das kostbare Öl über den Kopf.

Den Männern verschlägt es die Sprache. Dann legen sie los: „Was erlaubt die sich? Sie bricht das Hausrecht, verletzt Tradition und Anstand! Jetzt noch das! Kostbares Öl wird verschwendet, soviel wert wie der Jahreslohn eines Hilfsarbeiters! Überhaupt: Hat Jesus nicht selbst davon gesprochen, man solle verkaufen, was man hat und es den Armen geben (Mk 10,2)??“ 

Wieder eine anschauliche Szene, ja sie ist sogar hörbar: Die Männer holen tief Luft und schnauben die Frau an; schnauben - so heißt die wörtliche Übersetzung. Ich sehe die Männer vor mir: hochroter Kopf, ihre Worte kommen mit viel Druck, laut, grollend, wütend. Jesus weist ihre Empörung zurück: „Lasst die Frau in Ruhe. Sie traut sich etwas, das ihr nicht einordnen könnt. Sie hat mir etwas Gutes, etwas Schönes getan.“ Jesus würdigt ihren Liebesdienst. Er versteht sie. 

Die Frau hat vielleicht mitbekommen, wie viele Feinde Jesus hat, wie von Strenggläubigen über ihn gesprochen wird. Betanien liegt vor den Toren Jerusalems, die Nachrichtenwege sind also kurz. 
Die Frau wittert Gefahr. Sie spürt wohl die bevorstehende Hilflosigkeit des Mannes, der immer für andere da ist. Sie will ihm etwas Gutes tun, sie will ein Zeichen setzen. Dafür braucht es keine Worte.
So unvernünftig ihr Handeln scheint, es steht im Einklang mit dem, was die Menschen an Jesus so fasziniert. Er fragt nie danach, ob sich rechnet, was er tut. Er kalkuliert weder den Einsatz noch die Kosten. Jesus lässt sich nur von seiner grenzenlosen Liebe leiten. Darauf ist die Salbung eine Antwort: Eine Frau verschwendet, was sie hat, an den, der die Zuwendung jetzt dringend braucht.

Jesus ist trostbedürftig wie wir. Die Evangelien schildern ihn uns als einfühlsamen, mitleidenden, die Nähe suchenden Menschen. Jesus ist nicht der einsame Held. Es schmerzt ihn, wenn Menschen leiden. Es schmerzt ihn, von Judas verraten, von Petrus verleugnet zu werden. Ihn macht traurig, dass die schlafenden Jünger im Garten Getsemani ihn im Stich gelassen, als er ihr Gebet braucht zur Stärkung für das, was vor ihm liegt (Mt 26, 40-41; Mk 14, 37-38; Lk 22, 45). 
Jesus hat Angst vor dem Tod; er stirbt mit einem Schrei (Mt 27, 46; Mk 15, 34; Lk 23, 46). 

Sie hat meinen Körper im Voraus für mein Begräbnis gesalbt(Mk 14, 8). Die Frau kann nicht ahnen, dass es wegen des anbrechenden Sabbats nicht mehr möglich sein wird, den Leichnam von Jesus mit wohlriechenden Ölen zu salben. So war es jüdische Tradition. Doch Jesus sieht dies alles im Voraus. Einfühlsam wie er ist, versteht er den Liebesdienst dieser Frau.
Andere Frauen werden am ersten Tag der Woche, wir nennen den heute Ostern, ebenfalls diesen Dienst tun wollen. Doh sie finden das Grab leer – sie begegnen dem Auferstandenen, dem Christus, übersetzt der Gesalbte (Mt 28,1-6a; Mk 16, 1-6; Lk 24, 1-5).

Jesus holt diese Frau aus der Bedeutungslosigkeit. Ihre aufrichtige und tiefe Liebe stärkt und tröstet ihn. Ein Lichtblick fällt mit der Salbung auf das Dunkel der Leidensgeschichte, die unmittelbar folgt. Dieser Moment ist so wertvoll, dass er in Zukunft untrennbar mit der frohmachenden Osterbotschaft verbunden sein wird. Jesus sagt den Augenzeugen in Betanien sehr deutlich: Amen, das sage ich euch: Auf der ganzen Welt wird man die Gute Nachricht von mir verkünden. Dann wird man auch erzählen, was sie getan hat. So wird man sich immer an sie erinnern (Mk 14, 9). 

Heute, fast 2000 Jahre später, hören und lesen wir diese Geschichte im Vorfeld der Karwoche. Sie ist ein Türöffner zum Verständnis vom Leiden und Sterben Jesu und von seiner Auferstehung! 
So bleibt die Erinnerung an die namenlose Frau erhalten, Kronzeugin einer selbstlosen Liebe. 
Diese Liebe wirkt noch dort, wo scheinbar nichts mehr zu machen ist.

Wo ein Mensch sich selbst verschenkt und den alten Weg verlässt,
fällt ein Tropfen von dem Regen, der aus Wüsten Gärten macht
(EG 604, 3).

Amen.

Ansprache der Konfis aus dem Vorstellungsgottesdienst in Lutterhausen (03.03.2024)

Was ist gewesen?
Zuerst waren wir in einer größeren Gruppe. Im Laufe des Jahres haben wir uns mit der Gruppe aus Ellierode/Hettensen getrennt und mit der Gruppe Lutterhausen/Thüdinghausen zusammen Unterricht gemacht, da der Pastor aus Lutterhausen in Rente gegangen ist.
Das Highlight von den meisten war die Konfi-Fahrt, weil das mal etwas anderes war, als immer nur mit derselben Gruppe zusammen zu sein.
Es war eigentlich eine sehr lustige und spannende Zeit. Den meisten hat der Weg zur Konfirmation gefallen.
(Konfirmand, 13 Jahre und Konfirmand, 13 Jahre)
 
 
Konfirmation ist für uns ein Beginn einer neuen Zeitetappe in unserem Leben. Ich denke, dass die meisten sich auf die Konfirmation freuen, weil wichtige Dinge, wie die Feier oder das Zusammensein mit Familie und Freunden, dazugehören. Wieder anderen ist der Glaube an Gott wichtig. Mir allerdings ist wichtig, dass Gott mich wertschätzt. Wir lassen uns wegen verschiedenen Dingen konfirmieren. Aber ich denke, manche lassen sich konfirmieren, damit Gott sie in schwierigen Zeiten begleitet und wir ihn um Rat fragen können.
(Konfirmand, 14 Jahre)
 
 
Nach der Konfirmation werden wir wahrscheinlich alle entweder als Teamer weiter machen oder ab und zu einmal in den Gottesdienst gehen. Vielleicht werden wir aber später auch aus der Kirche austreten oder auch Pastor oder Pastorin werden.
Den einen ist Gott im späteren Leben sehr wichtig, den anderen eher nicht so. Aber, was klar ist, ist, dass Gott bei jedem ist, der an Gott glaubt und bei denen, denen es nicht gut geht oder die Probleme im Leben haben.
Ich würde zum Beispiel von mir sagen, dass ich zwar an Gott glaube, er allerdings nicht so mega wichtig für mich ist. Ich hoffe aber trotzdem, dass er immer für mich da ist, wenn ich ihn brauche und dass es mir immer gut geht.
(Konfirmand, 14 Jahre)

Lesung und Impuls aus der Andacht zur Gemeindeversammlung in Trögen am 25.02.2024 (Anne Dill)

Lesung aus Numeri 11
Nach ihrem Auszug aus Ägypten sind die Israeliten nun schon lange in der Wüste. Eigentlich könnten sie froh sein: Sie sind in Freiheit. Können tun und lassen, was sie wollen. Sie sind keine Gefangenen mehr. Jeden Morgen finden sie Manna auf der Erde – das Himmelsbrot. Gott selbst versorgt sie damit. Aber zufrieden sind sie nicht:
 
Das Volk beschwerte sich bei Gott, wie schlecht es ihm gehe. Als Gott das hörte, geriet er in Zorn. Sein Feuer brach unter ihnen aus. Da schrie das Volk zu Mose. Mose betete für sie zu Gott und das Feuer erlosch.
Von überall her hatten sich den Israeliten Leute angeschlossen, die gierig auf Fleisch waren. Da fingen auch die Israeliten wieder an zu jammern:
 
„Warum haben wir kein Fleisch zu essen? In Ägypten hatten wir Fisch umsonst, dazu Gurken, Melonen, Lauch, Zwiebeln und Knoblauch. Doch hier haben wir nur Manna. Das können wir nicht mehr sehen!“
 
Das Manna war weiß wie Koriandersamen und sah aus wie Harz. Das Volk ging umher, um es aufzusammeln. Es schmeckte wie Brot, das mit Öl zubereitet war. Zusammen mit dem nächtlichen Tau fiel Manna auf das Lager.
 
Mose hörte das Volk jammern. Die Familien standen vor ihren Zelten und beklagten sich. Da wurde Gott wieder zornig. Auch Mose war böse auf das Volk. Er fragte Gott: 
„Warum bist du nicht auf meiner Seite? Du hast mir das ganze Volk aufgeladen. Bin ich etwa seine Mutter? Woher soll ich Fleisch nehmen für das ganze Volk? Sie liegen mir in den Ohren. Ich kann diese Last nicht allein tragen, sie ist zu schwer für mich. Bevor du das von mir verlangst, lass mich lieber sterben! Ich kann mein Elend nicht mehr mit ansehen.“
 
Da sagte Gott zu Mose: 
„Versammle vor mir 70 Männer von den Ältesten Israels! Ich werde herabkommen und mit dir reden. Ich will ihnen etwas von dem Geist übertragen, den ich dir gegeben habe. Dann können sie mit dir zusammen die Last des Volkes tragen und du bist nicht mehr allein.“
 
Mose versammelte 70 Männer von den Ältesten des Volkes. Da kam Gott in einer Wolke herab und redete mit Mose. Auf die 70 Ältesten übertrug er etwas von dem Geist, den er Mose gegeben hatte. Sobald der Geist mit ihnen war, redeten sie eine Zeit lang wie Propheten.
 
 

Auf in die Zukunft! Impuls zu Numeri 11 (Anne Dill)
Gott schenke uns ein Herz für sein Wort und ein Wort für unser Herz. Amen.
 
Erstmal ist das ja eine sehr klare Sache in der Geschichte, die wir eben gehört haben.
Die grundlegende Erkenntnis: Einer allein schafft es nicht. Kann es auch gar nicht schaffen. Für eine Gruppe von Menschen, ein ganzes Volk verantwortlich zu sein, übersteigt die Möglichkeiten eines Einzelnen. Andere müssen helfen. 
 
Ist ja erstmal logisch. Und bei uns auch so. Zu einer Gruppe oder Gemeinschaft von Menschen gehören mehrere. Und ebenso braucht es auch mehrere, die Verantwortung übernehmen. Einer allein macht noch kein Dorf. Einer allein kann nicht immer die Verantwortung für eine ganze Familie tragen. Und die Pastorin allein ist auch noch keine Kirchengemeinde.
 
Und ebenso ist klar, dass vier Hände mehr schaffen als zwei. Und 11 Hände erst oder 70.
Zusammen geht es besser. Zusammen sind wir stark. Zusammen sind wir ein Team.
 
Sechs Kandidierende für unser „Kirchenteam KV“ stellen sich nachher persönlich vor. 
Und wenn Sie vorne auf Ihr Liedblatt schauen, sehen Sie die Gesichter von allen elf.
Elf Menschen, die sagen: Ja, wir sind bereit, Verantwortung zu übernehmen. Die die Gemeinde in allen wichtigen Angelegenheiten leiten werden. Sich um unsere Kirchen und Gemeindehäuser kümmern. Die Finanzen im Blick haben und vor allem die Menschen, die dazugehören. 
Es sind Menschen, die sich Gedanken machen: Wie wollen wir Jugendliche ansprachen? Wie wollen wir Gottesdienst feiern? Was für besondere Veranstaltungen soll es geben?
Zusammen sind wir stark.
 
In der Bibelgeschichte ist es Mose, der das erlebt. Endlich mal nicht alles alleine machen. Endlich andere an seiner Seite! Und das hat er dringend nötig.
 
Denn die Menschen aus seinem Volk sind plötzlich der  Überzeugung: Früher war alles besser! In Ägypten hatten wir Fleisch zu essen. Und Gurken und Melonen. Dass sie Sklaven waren, Tag und Nacht schuften mussten – völlig ausgeblendet. Nein, früher war alles besser. Besser als die Wüste, in der sie sich aktuell befinden.
 
Das ist wohl typisch. Wenn irgendetwas im Leben nicht läuft, wenn Wüste ist: Im Beruf, in der Familie, in meinem Herzen, dann denke ich schnell an früher. Wie einfach doch alles war. Wie viel besser. Obwohl es vielleicht gar nicht besser war. Nur eben im Rückblick so erscheint. Unbewusst oder bewusst verklärt wird.
 
Alte Strukturen geben Sicherheit. Ich weiß, woran ich bin, weil ich etwas schon einmal erlebt habe oder viele Male. Darauf zu schauen, mich damit anzufreunden in einer Wüstenzeit ist einfacher. Einfacher als nach vorne zu schauen, auf das, was noch kommt. Was die Zukunft bringen könnte. Worauf ich hoffe.
 
Ein Beispiel: Ich habe mich so manches Mal sehr durch mein Studium gequält. Hebräische Schriftzeichen, ein fieser Prüfer, ein schweres Examen.. Wie hab ich mich gefreut, endlich damit fertig zu sein. Endlich das machen zu können, was ich schon lange wollte!
Dann begann das Vikariat: Ich voller Tatendrang, enthusiastisch, vielleicht etwas übermotiviert. Bis sich die ersten Rückschläge einstellen. Eine Konfi-Stunde, die nicht lief. Ein versuchter Geburtstagsbesuch, ohne dass jemand die Tür geöffnet hätte. Ein vorgegebener Predigttext, zu dem mir auch nach stundenlanger Grübelei nichts einfiel. 
Da kams ganz von selbst, dass ich mich plötzlich in Gedanken wieder in der Studienzeit vorgefunden haben. Nur im Seminar oder am Schreibtisch sitzen, kam mir plötzlich ganz verlockend vor. Alles Negative von damals war plötzlich ausgeblendet.
 
Die Vergangenheit gibt Sicherheit. 
Neues zu wagen, der Zukunft zu vertrauen, braucht Mut. Auch Zeit und Bereitschaft in Kopf und Herz.
 
In der Bibelgeschichte legt Gott seinen Geist auf 70 Menschen. 70 Menschen, die bereit sind, Verantwortung zu tragen.
70 Menschen, die nach vorne blicken, weitermachen, als es dem einen, Mose, alles zu viel wird.
70 Menschen, durch die Gott sagt: Schaut nach vorn. Da kommt noch was. Es geht weiter. Zusammen kommt ihr weiter.
Traut euch was zu! Und traut mir was zu. Ich will euch meinen Geist geben.
 
Dieses Vertrauen, diese Hoffnung, wünsche ich mir auch für uns hier heute in Trögen: Gott hat viel mit uns vor. Mit uns als Gemeinde. Und mit jedem einzelnen von uns. Seine Geschichte geht weiter. Mit dir und mir, mit uns:
Mit den Menschen, die heute hier sind. Mit denen, die sich aktiv einbringen. Mit denen, die im Gottesdienst oder zuhause für andere beten. Mit denen, die Gottes Wort hören und bewahren. Mit denen, die für andere ein gutes Wort haben. Mit denen, die das Dorf, die Gemeinschaft, die Kirchengemeinde zusammenhalten. Mit denen, die einfach dazugehören.
 
Lasst uns darum mit dem nächsten Lied Gott um seinen Heiligen Geist bitten. Dafür, dass Gottes Geist in uns ist und brennt. Dass er segnet, was wir tun. Dass er uns segnet, seine Leute, sein Volk. Amen.
 
Lied: Atme in uns, Heiliger Geist (Freitöne 7)

Lesung als Collage zu Psalm 27 aus dem Gottesdienst zum Kirchentagssonntag am 04.02.2024 in Hardegsen

Psalm 27 ist ein Psalm von David. Er ist damals noch nicht lange König. Sein Reich Israel ist nicht klein. Die Hauptstadt ist Jerusalem.
Vorher aber musste David lange darauf warten, dass er endlich König wird.
Die Zeiten, in denen David regiert, sind hart. Viele Menschen sind sehr arm. Es gibt immer wieder Kriege. Viele Menschen neiden David auch den Thron.
 
Gott, sei an meiner Seite.
Wenn du bei mir bist, vor wem sollte ich mich fürchten?
Wenn du mich beschützt, vor wem sollte ich mich erschrecken?
Ich setze meine Hoffnung auf dich, Gott.
 
David möchte sein Land gut und gerecht regieren. Aber er ist sich oft nicht sicher, ob das gelingt. Darum betet David mit diesen Worten zu seinem Gott und erhofft sich Hilfe.
 
Ich wünsche mir so sehr, dass ich auf deine Hilfe vertrauen kann, Gott.
Darauf, dass du mich auf festen Boden stellst, wenn alles unruhig ist.
Ich setze meine Hoffnung auf dich, Gott.
 
Nicht nur fremde Menschen sind David nicht gut gesinnt. Sein eigener Sohn Abschalom stellt sich gegen ihn, will selbst König sein. David tut es ihm Herzen weh – und gleichzeitig hat er Angst vor dem, was kommt.
 
Lass mich in deiner Stadt Jerusalem bleiben.
Ich hoffe auf deine Hilfe, Gott.
Darauf, dass du mir Schutz unter deinem Dach bietest.
Ich setze meine Hoffnung auf dich, Gott.
 
Die Jahre gehen dahin. David wird alt. Da bestimmt er seinen Sohn Salomo zu seinem Nachfolger. Die Trompeten werden geblasen, das Volk jubelt: Lang lebe König Salomo!
David aber fühlt, dass sein Leben zu Ende geht.
 
Gott, ich hoffe, du hörst mein Rufen. Du bist mein einziger Beistand.
Schick mich nicht weg und lass mich nicht im Stich.
Sonst bin ich ganz auf mich gestellt.
Zeig mir deinen Weg und führe mich ins Leben.
Ich setze meine Hoffnung auf dich, Gott.

Mutig-stark-beherzt. Ansprache zum Motto des Kirchentags 2025 und zu Psalm 27 aus dem Gottesdienst zum Kirchentagssonntag am 04.02.2024 in Hardegsen (Anne Dill)

Gott schenke uns ein Herz für sein Wort und ein Wort für unser Herz.
Amen.
 
Liebe Gemeinde,
das Motto für den nächsten Kirchentag besteht aus nur drei Worten. Die sind dafür aber umso deutlicher, fast wie Paukenschläge:
mutig – stark – beherzt
 
Große Worte. Und sie klingen erstrebenswert. Wer von uns ist nicht gern stark? Wer wünscht sich nicht ab und an etwas mehr Mut? Mut, das Richtige zu tun. Oder etwas sein zu lassen.
Ich glaube, über unser eigenes privates Leben hinaus wünschen wir uns auch etwas Ähnliches für unser Zusammenleben als Menschen.
Wir wünschen uns eine mutige Gesellschaft – natürlich! Wir wünschen uns Mut zu Demokratie, zu Recht und Gerechtigkeit. 
Es ist kein Zufall, dass die vielen Demonstrationen der letzten Wochen so viele Menschen anziehen. Wo einer oder wenige beherzt handeln, sich auf die Beine machen, losgehen – da stecken sie andere an. Da schwappt etwas über aus einem Herzen zu anderen.
 
Ebenso wünsche ich mir eine mutige und beherzte Kirche. Eine Kirche, die sich überall einsetzt für die Armen und Bedürftigen, eben für die, die nicht stark sind oder es nicht sein können.
Wenn man nun aber dazu die Berichterstattung in den letzten Tagen angeschaut hat, dann kann man zurecht sagen: All das ist Kirche nicht nur. In den letzten 70 Jahren haben Menschen in ihr versagt. Sind schuldig geworden an anderen auf eine Art und Weise, die nicht zu entschuldigen ist.
 
Die Menschen, die das Kirchentagsmotto ausgesucht haben, wussten da noch nichts von den Ergebnissen der ForuM-Studie. 
„Mutig – stark – beherzt“ – wie klingt es jetzt?
Ich höre es als Weckruf. Mach dich auf den Weg, Kirche! Räum auf mit der Vergangenheit! Und dann geh voran in die Zukunft!
 
Nun sind wir hier in Hardegsen wohl kaum verantwortlich für das, was war. Und wir sind auch nicht kirchenleitenden Positionen, sodass wir große Stellschrauben drehen könnten.
Und doch, glaube ich, gilt dieser Aufruf, auch jedem von uns: Macht euch gemeinsam auf den Weg. Schaut mutig nach vorn. Gemeinsam sind wir Kirche. Jeder von uns ist ein kleiner Teil davon. 
Mutig – stark – beherzt heißt auch für uns: Macht euch stark für Liebe, Barmherzigkeit und Gerechtigkeit. Genau da, wo ihr seid. In eurem Umfeld, in eurem Leben. Da wo das Leben, wo Gott euch hingestellt hat.
Beherzt anpacken, abstauben, vielleicht auch ausmisten - das ist die Devise.
 
Sie, lieber Herr Schnelle, haben zusammen mit den anderen im Kuratorium der Stiftung so manches Mal beherzt angepackt. Da wurden Waffeln gebacken oder Pizza verkauft. Bäume gepflanzt, Briefmarken und die Leute gebracht und vieles mehr. Jeder und jede im Kuratorium hat dabei seinen oder ihren Bereich.
Einer ist mehr für das Rechtliche zuständig, einer organisiert und koordiniert. Eine anderer unterstützt dabei. Eine übernimmt das Schriftliche – Protokolle oder Gemeindebriefartikel. Und gleich zwei vertreten den Kirchenvorstand.
Sie, ihr, im Kuratorium – und das ist ja das Besondere – macht das, um die Zukunft der Kirchengemeinde zu sichern. Denn Spenden, die die Stiftung einnimmt, tragen dazu bei, dass es weitergeht mit Kirche. Eine unglaublich wertvolle Aufgabe! 
 
Ebenso gibt es genau hier unter uns noch viele andere Menschen, die sich aktiv unsere Gemeinde einbringen: 
 
Unseren Kirchenvorsteherinnen und Kirchenvorsteher, die unsere Gottesdienste mitgestalten und die Kirchengemeinde in rechtlichen, finanziellen und organisatorischen Fragen leiten. Unserer Musiker, die die musikalische Gestaltung übernehmen. Unsere Küsterin, die dafür sorgt, dass sich alle in Kirche und Gemeindehaus wohlfühlen können und den wunderschönen Kollektenständer für uns gebaut hat. Ihr Konfis, die ihr die Menschen an der Tür begrüßt und Liederzettel oder Gesangbuch austeilt.
Es gibt Sie und euch! Es gibt uns.
Zusammen sind wir Kirche.
Das ist schon was! Das gibt Mut!
 
Trotzdem – das kennen wir – ist es nicht immer so einfach. Manchmal heißt es wohl eher: Mutig gegen die Wand gelaufen. Stark zurückgeprallt. Und hoffentlich auch: Beherzt neuen Anlauf genommen. Die Mühlen mahlen manchmal langsam: In der Kirche aber auch an anderer Stelle. Manchmal kann man einfach die Geduld verlieren:
 
Zum Bespiel bei der Grundsteuer. 
Da will man wirklich alles korrekt einreichen, macht sich mutig ans Ausfüllen der Formulare - und kommt trotz aller Mühen an seine Grenzen. Zu schwer, zu kompliziert.
 
Da gibt man sich viele Mühe mit einer Geburtstagsfeier, lädt liebe Menschen ein, kauft ein, bereitet alles liebevoll und schön vor – und am Ende sagen drei Leute spontan wieder ab.
 
Da fasst man sich ein Herz und spricht endlich den verschrobenen Nachbarn an – und wird hart zurückgewiesen.
Da nimmt man alle Kraft zusammen für diesen einen Tag – und merkt doch: Eigentlich ist es mir zu viel. 
 
Es ist mir zu viel – das hat auch König David so manches Mal gedacht. Obwohl er eigentlich sehr mutig und stark und beherzt war.
Vielleicht erinnern Sie sich aus Ihrer Kinderbibel an Davids Kampf gegen Goliath, den riesigen feindlichen Soldaten. Nur mit einer Steinschleuder ist David ihm gegenübergetreten. Nur halb so groß, ohne Rüstung, ohne Kampferfahrung. Mut der Verzweiflung vielleicht. Und doch wurde sein Mut belohnt.
 
Aber so ist es eben nicht immer im Leben. Es gibt diese Zeiten, wo alles klappt, ich genug Mut und Stärke habe. Aber es gibt eben auch die anderen. Wo, alles zu viel wird. Weil das Leben hart – vielleicht sogar zu hart ist. Weil ein Schicksalsschlag mich trifft. Weil mir Stress mehr zusetzt als früher.
 
Genauso erlebt David das. Sein eigener Sohn rebelliert gegen ihn. Das ist mehr als Teenager-Aufstand bei uns. Mehr als unherfliegende Klamotten und zuknallende Türen. Davids Sohn zettelt Unruhen im ganzen Reich an, die sich kaum einfangen lassen. Und er spürt auch: Meine eigene Kraft lässt nach.
Was macht David da?
Da schreibt David seinen Psalm – sein Gebet:
„Gott ist mein Licht und mein Glück. Vor wem sollte ich mich fürchten?“
Vielleicht meint er sogar: „Vor was sollte ich mich fürchten? Vor all dem, was in meinem Kopf schmerzt? Vor all dem, was in meinem Herz sticht?
 
„Gott ist der Schutz meines Lebens. Gott ist die Kraft meines Lebens.“ 
Ja, das ist einfach gesagt. Zunächst. Aber wie ist es in der Wirklichkeit? Wenn meine eigene Kraft dann wirklich nicht reicht?
 
In einer Zeit, in der mir das einmal sehr zu schaffen gemacht hat, hat mir ein lieber Mensch einen Bibelvers gesagt (2. Korinther 12, Vers 9): „Gott sagt: Du brauchst nicht mehr als meine Gnade. Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“
 
Das bisschen Kraft, das mir bleibt, wenn ich nicht mutig sein kann oder stark oder beherzt – das kann neue Kraft entfalten. Sagt Gott. Weil seine Kraft dazukommt. Seine Kraft ist mächtig. Sie macht mich entschlossen und tatkräftig. Manchmal kommt sie aber auch ganz unscheinbar. 
Das bisschen Kraft in mir, darin ist Gott. Für mehr! Mehr Mut, mehr Stärke, mehr Herz. 
Für mich und meine kleine Welt.
Für unsere Gesellschaft.
Für seine und unsere Kirche.
Für die Welt.
 
„Gott, höre meine Stimme, wenn ich zu dir rufe. Verbirg dich nicht vor mir“ – betet David. Können auch wir beten.
Gib mir Kraft. Gib mir Liebe. Gib mir Stärke. Gib mir Mut. Allem Getöse der Welt entgegenzutreten. Dem Lärm, der Ungerechtigkeit, den Krisen. Allen, die glauben, sie haben Recht, wenn sie sagen: „Was willst du eigentlich in der Kirche?“
 
Mutig. Stark. Beherzt. - Will ich sein und bleiben?
Nein! Bin ich. Sind wir. Ist Kirche. Weil Gott da ist. Weil er die Kraft ist. Weil er der Mut bist. Weil Jesus Christus das Herz dieser Kirche ist.
 
Mutig – stark – beherzt – ist mehr als eine Wunschvorstellung. Mehr als: Schön wär’s. 
Mutig – stark – beherzt ist Jetzt. Das sind wir. Das ist Kirche. 
Auch noch morgen.
Amen.

Das ABER in meinem Leben. Predigt zu 2. Könige 5,9-15 aus den Gottesdiensten am 21.01.2024 in Üssinghausen und Hardegsen (Anne Dill)

Gott schenke uns ein Herz für sein Wort und ein Wort für unser Herz. Amen.
 
Ziemlich genau drei Wochen ist das neue Jahr nun schon alt.
Wie sind Sie wohl gestartet? Wie seid ihr gestartet? Habt ihr, haben Sie sich etwas vorgenommen für 2024? Ein Neujahrsvorsatz oder sogar gleich mehrere?
 
Glaubt man den Statistiken, dann ist der Beginn des neuen Jahres der häufigste Punkt, an dem Menschen etwas ändern möchten: Mehr Bewegung zum Beispiel. Gesünder essen. Abnehmen. Mehr Geld zur Seite legen. Mehr Zeit mit der Familie verbringen. Oder mit dem Rauchen aufhören.
War etwas dabei, dass Sie sich auch schon einmal vorgenommen haben? Oder sogar für dieses Jahr ausgesucht?
 
Wenn ich Sie nun fragen würde, warum solch guter Vorsatz, dann würde einer vielleicht sagen: „Im letzten Jahr war so viel zu tun, da habe ich meine Familie von hinten gesehen. Jetzt möchte ich es besser machen.“ Oder eine andere würde sagen: „Ich lebe gern. Auch mein Leben. Aber es gibt doch Dinge, die nicht gut sind, die ich ändern möchte.“ 
 
Wenn wir ehrlich zu uns selber sind, gibt es bei jedem von uns irgendwo etwas, das besser laufen könnte. Das uns manchmal selber aufregt. Oder wo wir wissen: So richtig gut ist das nicht. 
Ich habe Erfolg im Beruf, ABER würde meine Familie gern häufiger sehen.
Ich habe eine tolle Familie, ABER bin mit mir selbst nicht zufrieden.
Solche ABERs hindern uns zuweilen am Vorwärtskommen. Sie führen zu Ungeduld und Wut. Ich werde traurig über mich selbst oder die Umstände.
Irgendwas stört immer. Der Pickel in meinem Gesicht. Die verhauene Klassenarbeit. Ich fühle mich zu dick oder zu dünn. Der Garten wird von Unkraut überwuchert. Oder die Arbeit ist nur Arbeit, aber kein Vergnügen.
 
Von einem solchen ABER haben wir eben in der Bibelgeschichte gehört:
Da ist ein erfolgreicher, mächtiger Feldhauptmann. Naaman heißt er. Viele Schlachten hat er schon gewonnen – hat also Erfolg im Beruf. Und sein ganzes Auftreten macht auch was her: Pferd und Wagen – eben ganz pompös. ABER.
Naaman ist krank. Nicht totkrank, er kann sich ja noch bewege. Aber doch so ernsthaft, dass es nicht weggeht. Naaman hat Aussatz. Das kann relativ harmlos sein: Eine Pigmentstörung der Haut oder eine Schuppenflechte. Vielleicht aber auch ein Ausschlag, der eitern und faulen kann. Auf jeden Fall nicht schön!
Verständlich, dass Naaman das loswerden will. Dass er wieder rein und schön sein will. Wie sein Name es auch sagt. Denn Naaman bedeutet übersetzt „der Liebliche“. Deswegen macht Naaman sich auf den Weg.
 
Was machen wir, wenn wir ein ABER loswerden wollen?
Den Pickel im Gesicht, kann man überschminken. Die verhauene Arbeit im Ranzen lassen. Weite Kleider tragen, damit man nicht so ganz genau darunter erkennen kann, wie viel ich nun wiege oder nicht wiege. Ich kann die Jalousie zum Garten unten lassen und meinen Besuch lieber nur bis ins Wohnzimmer bitten.
Aber. Aber! Das Aber ist damit nicht gelöst. Es ist nicht verschwunden, nur verdeckt.
Deswegen sind Neujahrsvorsätze oft nicht schlecht. Denn da will ich ja etwas Grundlegendes ändern. Eine Gewohnheit ablegen oder eine neue beginnen. Nicht nur zukleistern oder verstecken.
 
Naaman will es auch angehen, ganz offensiv. Er fährt zu einem Propheten. Einem Gottesmann. Der muss ihm doch wohl helfen können! Aber Elischa kommt nicht einmal aus seinem Haus. Stattdessen schickt er einen Boten mit einem Ratschlag:
Geh zum Fluss, zum Jordan. Wasche dich dort siebenmal.
Da wird Naaman zornig. Das soll alles sein? Der Prophet öffnet nicht mal seine Tür und kommuniziert nur über andere. Und überhaupt. Dann hätte er ja auch zu Hause baden können. In einem der Seen vor Ort oder den Flüssen in seinem eigenen Land. Was für ein Quatsch. Der ganze weite Weg umsonst!
Naaman lässt sich erst darauf ein, als seine Diener ihm gut zureden. Wir erfahren nicht einmal, wie sie heißen. Nur, dass es ihnen irgendwie gelingt.
 
Also legt Naaman seine Rüstung ab. Zuerst die aus Eisen, die er als Soldat trägt. Dann die aus Stoff, seine Kleidung, die den Aussatz verdeckt. Und schließlich auch die Rüstung, die er um sein Herz getragen hat. Alle Einwände, alles Unverständnis, den Verstand überhaupt lässt er fallen. Er ist in diesem Moment dort im Fluss nur noch er. So, wie Gott ihn kennt.
Und Naaman wird gesund.
 
Und wir hier heute in Üssinghausen/Hardegsen? Vermutlich ist noch keiner von Ihnen in einen Fluss gestiegen, weil er oder sie krank war. Ich jedenfalls nicht.
Trotzdem, glaub ich, hat diese Geschichte uns etwas zu sagen. Sie ist wie ein Fahrplan, wie ich mit den ABERs in meinem Leben umgehen kann:
 
1) Zuerst einmal:
Sich eingestehen, dass da etwas ist, was stört. Was unschön ist, was ich vielleicht sogar selbst gar nicht wegbekomme.
 
2) Dann: Auf den Weg machen 
Naaman reist aus dem Ausland an. Den Weg, den er auf sich nimmt, ist kein kleiner Spaziergang, kein Tagesausflug, sondern eine wochen-, vielleicht sogar monatelange Reise. Es dauert, bis er am Ziel ist.
Wissenschaftler sagen: Es dauert im Schnitt 66 Tage, bis eine neue Gewohnheit entsteht. Über 2 Monate. Ein ABER loszuwerden, braucht Zeit. Ich darf sie mir nehmen. Darf Geduld mit mir haben, wenn es nicht sofort klappt. Oder wenn ich zwischendurch immer mal wieder einbreche.
 
3) Naaman bleibt mit seinem ABER nicht alleine
Er geht zu einem anderen, schildert ihm das Problem. 
Wenn ich einem anderen von meinen Sorgen, meinem Problem, meinem Ärger mit mir selbst erzähle, schwindet ein Teil der Macht dieses ABERs. Es ist kein Geheimnis mehr. Jemand trägt es mit mir.
Und gleichzeitig heißt es auch: Ich bin nicht allein. 
 
4) Die Unscheinbaren. 
Oft tendieren wir ja dazu, uns bei einer Sorge, einem Problem gleich an den Fachmann zu wenden oder an eine uns sehr vertraute Person. An den Fachmann oder die Fachfrau, weil wir ihm oder ihr die Kompetenz zutrauen, uns helfen zu können. Wenn wir uns ans die sehr vertraute Person wenden, ist es oft der Partner, eins der Kinder, ein Elternteil, die beste Freundin. Weil wir wissen, hoffen, ahnen, dass sie Verständnis haben werden. Dass sie – wenn sie auch nicht helfen können – doch irgendwie da sind für uns.
 
Naaman wendet sich an den Fachmann: Den Propheten, den Gottesmann. An einen, der einen ganz besonderen Draht nach oben hat. Und dem so einige Wunder nachgesagt werden.
Wen er jedoch nicht so richtig auf dem Schirm hat, sind seine Diener: Sie erst bringen ihn dazu, den Rat des Propheten auch umzusetzen. Sie halten seine Wut, seinen Ärger, sein Unverständnis aus. 
Für mich heißt das auch: Einmal Augen aufmachen, wer da möglicherweise noch in meinem Leben am Werk ist. An wem ich vielleicht zuweilen vorbeigucke, aber derjenige ist doch irgendwie für mich da. Vielleicht sogar ebenso namenlos wie die Diener von Naaman.
 
5) Es könnte anders kommen…
Wenn er ehrlich ist, hatte Naaman sich das alles anders vorgestellt. So wie er mit viel Pomp vorfährt, soll der Prophet doch ebenso eine große Show abziehen. Mit Glanz und Gloria. Mit langen Gebeten und einem Propheten in glänzenden Gewändern.
Nichts von dem geschieht. Ganz unspektakulär geht es zu. 
 
Wenn ich ein ABER loswerden will, funktioniert es auch nicht, wenn ich mit den Fingern schnippe – und zack: Weg ist es. 
Oft kommt es anders. Es dauert. Oder geht auch gar nicht.
 
6) Gott ist trotzdem am Werk.
Naaman erlebt: Die Heilung geschieht doch. Nur anders. Er wird sein ABER los. Und zwar in dem Moment, als er beginnt sich drauf einzulassen. Als er seine Rüstung ablegt.
Das Wunder in der Geschichte von Naaman ist nicht seine Heilung. Das Wunder beginnt in seinem Herzen. Er gibt seine ganzen Einsichten, Vorurteile, Einstellungen auf. Lässt sie für einen Moment fallen. Ist offen für das, was passiert, für Gott selbst.
Und plötzlich erkennt er: Nun weiß ich, dass es nirgendwo anders einen Gott gibt. Dein Gott, lieber Prophet, ist der einzige Gott auf der ganzen Welt.“ 
Komisch! Eigentlich war er doch losgezogen, um sein ABER loszuwerden. Plötzlich aber ist sein Herz offen für Gott. Für eine neue Wirklichkeit.
 
Gott ist trotzdem am Werk. Nicht alle unsere Wünsche werden erfüllt. Nicht alle ABERs kann ich loswerden. Aber auch für uns kann sich eine neue Wirklichkeit öffnen. Oder wieder öffnen. Gottes Wirklichkeit. 
Dann, wenn ich mir eingestehe, etwas ist nicht gut in meinem Leben. Wenn ich mich damit auf den Weg mache. Zu einem anderen Menschen oder zu Gott selbst. Wenn ich für einen Moment alle Einwände, allen gesunden Menschenverstand einmal fallen lasse. Wenn ich die Rüstung um mein Herz ablege.
Dann kann Gottes Wirklichkeit auch bei mir einziehen.
 
 
Deswegen lade ich Sie ein, mit mir zu beten:
Herr, lieber, Vater im Himmel,
du kennst mich. Du weißt, worauf ich stolz bin, was mir gelingt. Aber du kennst auch das andere, das, was mich stört. Was besser sein könnte oder sein sollte.
Ich bitte dich: Gib mir Geduld. Mit mir selbst, aber auch mit dir.
Öffne deine Wirklichkeit vor mir. Lass mich neu sehen, neu erfahren, dass du einen guten Plan für mein Leben hast.
Hilf mir, dir zu vertrauen.
Amen.

Predigt für den Gottesdienst am 14.01.2024 in Hardegsen über Hebräer 12,12-18.22-25a (P. i. R. Bernd Ranke)

Die Gnade Jesu Christi, und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen!

Lesung: Hebr. 12,12-18.22.-25a:
„Macht also die erschlafften Hände wieder stark, die zitternden Knie wieder fest! Geht auf rechten Wegen, damit die lahm gewordenen Füße nicht auch noch verrenkt, sondern wieder heil werden! Bemüht euch um Frieden mit allen in der Gemeinde und darum, dass ihr heilig seid und euer ganzes Leben Gott gehört. Wer das versäumt, wird den Herrn nicht zu sehen bekommen. Gebt aufeinander acht, dass niemand die Gnade Gottes verscherzt und keiner unter euch wie eine giftige Wurzel austreibt und viele vergiftet. Keiner von euch soll ein ausschweifendes Leben führen wie Esau. Weil er Gott nicht ehrte, verkaufte er das Vorrecht des Erstgeborenen für eine einzige Mahlzeit. Und ihr wisst: Als er später den Segen seines Vaters und damit sein Erbe haben wollte, wurde er abgewiesen. Es war zu spät zur Umkehr, auch wenn er noch so sehr und unter Tränen nach einer Möglichkeit dazu suchte. Ihr seid nicht zu dem Berg Sinai gekommen, den man berühren konnte. Ihr seid vielmehr zum Berg Zion gekommen und zur Stadt des lebendigen Gottes. Diese Stadt ist das himmlische Jerusalem mit seinen vielen Tausend Engeln. Ihr seid zu einer festlichen Versammlung gekommen, zur Gemeinde von Gottes erstgeborenen Söhnen und Töchtern, deren Namen im Himmel aufgeschrieben sind. Ihr seid zu Gott gekommen, der alle Menschen richtet, und zu den seligen Geistern: den Menschen, die den Willen Gottes getan haben und schon vollendet sind. Ihr seid zu Jesus gekommen, der als Mittler den neuen Bund in Kraft gesetzt hat, und zu dem reinigenden Blut, das – anders als Abels Blut – Vergebung zuspricht, nicht nach Vergeltung ruft. Gebt also acht und verweigert euch dem nicht, der jetzt spricht!“  
 (Aus der Guten Nachricht-Bibel in moderner Sprache)

Liebe Gemeinde, 
wie führe ich ein glückliches Leben? Wie soll ich in den Augen Gottes leben? Um auf diese Frage Antwort zu geben, erwähnt unser heutiger Predigttext die Lebensgeschichte von Esau. Und diese verlief sehr tragisch. Esau war eigentlich der Erstgeborene unter zwei Brüdern, dem das Haupterbe zustand. Nicht nur das Erbe, sondern auch der besondere Segen des Erstgeborenen. Aber als junger Mann war ihm die Kostbarkeit dieses Segens nicht bewusst. Als sein Bruder ihm ein leckeres Linsengericht anbot, war er bereit, dafür zum Tausch seinen Segen als Erstgeborener abzugeben. Später hat er diese Entscheidung bitterlich bereut. Aber dann war es zu spät. Immerhin gab es später eine Versöhnung zwischen den beiden Brüder Jakob und Esau.

Die Lebensgeschichte Esaus wird hier als Beispiel angeführt, wie ein Lebenslauf einen unglücklichen Verlauf nehmen kann. Aber Ziel ist es nicht, mit dem Finger auf Esau zu zeigen. Der Verfasser des Hebräerbriefes will uns zeigen, dass unser Leben kostbar ist und dass wir das, was Gott uns schenkt, an Gaben und Segen, nicht verachten sollen. Jesus bietet in einem neuen Bund unserem Leben eine hoffnungsvolle Perspektive. Hier wird jetzt keine weitere Lebensgeschichte erzählt, sondern die Gemeinde wird direkt angesprochen. Und was wir zwischen den Zeilen lesen können, führt doch sehr schnell in unsere Zeit. 

Auch unsere Hände sind oft müde und unsere Knie wanken. So viel um uns herum ist in Bewegung. Hatten wir noch vor Jahren gedacht, dass die Zeit des Friedens nach 1945 unendlich andauern würde, wurden wir vor zwei Jahren bitter enttäuscht als Putin nur knapp tausend Kilometer von uns entfernt, einen heftigen Angriffskrieg gegen die Ukraine begann. Zuvor hat uns die Corona-Pandemie in Unruhe versetzt, die Wirtschaft im Lande wurde sehr gefordert. Der heiße Sommer, die große Überschwemmung machen es drängend, dass wir dringend etwas gegen die Erderwärmung tun müssen. Die Aufzählung könnte jetzt noch eine Weile fortgesetzt werden. 

Was gibt unseren müden Händen Stärke und was gibt uns Halt, wenn unsere Knie wanken? Wie gesunden wir an Leib und Seele? 

Ich finde es spannend, dass hier nicht ein Einzelner angesprochen wird, sondern die Gemeinde. Das erkennen wir an dem Plural: „Stärkt die müden Hände...“ „Jagt dem Frieden nach...“ (so in Lutherbibel) und inhaltlich geht es darum, aufeinander achtzugeben. Und dies geht noch einmal in zwei Richtungen: Einmal soll jeder dem Frieden nachjagen und der Heiligung, die Voraussetzung ist, um Gott zu sehen. Wo es können, sollen wir alles tun, damit wir Menschen im Frieden miteinander leben. Konflikte meiden im Großen wie im Kleinen. 

Und „Heiligung“ bedeutet, das eigene Leben so zu gestalten, dass Gottes Geist darin Platz findet und sich wohl fühlt. Ursprünglich bedeutet „Heiligen“ so etwas wie absondern. Es soll etwas Besonderes sein. Wenn wir den Sonntag als heiligen sollen, dann soll dieser Tag anders sein als ein Werktag. Wir sollen ausruhen, uns Zeit nehmen, Stille werden und Gott Raum geben. Das kann im Gottesdienst in der Kirche sein oder einfach zu Hause. Heiligung meint eine Haltung, die nicht nur am Sonntag, sondern an jedem Tag der Woche Gottes Wirken Raum gibt. Dabei liegt das Gewicht nicht auf dem Tun und Handeln, sondern auf dem Empfangen. „achtet darauf, dass jemand die Gnade Gottes nicht versäume“. Gnade Gottes ist das Geschenk Gottes an uns, dass er uns so annimmt, wie wir sind. Dass er von uns nimmt, was uns von ihm trennt. Er vergibt uns, wo wir uns durch unser Tun und Lassen, unsere Gefühle und Gedanken von ihm abgewendet haben. Was für menschliche Beziehungen gilt, das gilt auch für unsere Beziehung zu Gott: Wir leben davon, immer wieder neu anzufangen. Unsere Fehler zu sehen und abzulegen, um Vergebung zu bitten, die Liebe zu erneuern, aufeinander zugehen, sich zu öffnen, dass der oder die Andere Raum findet in meinem Herzen. 

Wenn ein Mensch nach einem erfüllten Leben in höherem Alter stirbt, dann ist das traurig. Tragisch ist es aber, wenn er seine wahre Bestimmung verfehlt, wie es damals Esau erging. Tragisch ist es, wenn ein Mensch nicht das Leben führen konnte, was er sich eigentlich wünschte. Im Moment erleben das die jungen Soldaten in der Ukraine, die ihr Studium unterbrechen oder ihren bürgerlichen Arbeitsplatz verlassen haben, um ihr Land gegen den Angriffskrieg zu verteidigen. Es gibt auch Lebensläufe, wo nicht Schicksalsereignisse, sondern andere Umstände dem Leben eine andere Richtung gegeben haben. Esau hat sein Lebensziel verpasst, wie er in einem schwachen Moment den leckeren Duft der Linsensuppe in der Nase, den Segen Gottes als nicht so wichtig betrachtet hatte. 

Ich wünsche mir für mein Leben, dass ich meine Augen öffne für die wunderen Dinge, die mir Gott in meinem Leben anvertraut. Die Menschen an meiner Seite, meine Gaben und Fähigkeiten, die Aufgaben und Herausforderungen. Aber Gott gibt mir auch heilige Zeiten zum Feiern und Erholen. Mit dem zunehmenden Alter wird mir die Grenze bewusst. Das sollte mir aber nicht Druck bereiten, sondern Lust machen, das zu suchen oder noch besser dem hinterher zu jagen, was meinem Leben Frieden und Zufriedenheit gib. Was mich an Leib und Seele heil macht. Achten wir gemeinsam darauf, dass niemand auf der Strecke bleibt, sondern Anteil findet an der Gnade Gottes, die uns Einzelnen und der Gemeinde verheißen ist. Für mich wird in dieser Aufforderung genau das ausgesprochen, worum es im sonntäglichen Gottesdienst geht: Es geht nicht nur um den Einzelnen, sondern um Gemeinschaft. Es geht um Heiligung, um den Raum, damit Gottes Gnade uns erfüllt, und es geht um Frieden untereinander und in der Welt, für den wir uns einsetzen, nach dem wir hinterherjagen sollen. 

 
Zu Beginn des neuen Jahres, in der Stunde des Abschiedes von Angehörigen, deren Kerzen hier auf dem Altar stehen. In einer Zeit, wo es so viele Dinge in der Welt gibt, die uns Sorgen bereiten. In dieser Zeit will uns Gott Mut machen: Schaue auf das, was ich Dir an Gaben und Fähigkeiten gegeben habe, anvertraut habe. Öffne Dein Herz und Deine Hände für den Segen, den ich Dir geben möchte. Dann werden Deine Hände stark, die zitternden Knie wieder fest.  Amen.

Predigt zur Jahreslosung 2024 (1. Korinther 16,14) aus dem Gottesdienst am 07.01.2024 in Trögen (P.i.R. Hartmut Gericke-Steinkühler)

Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe!
 
Herr, segne dein Wort, denn es ist Wahrheit; und du bis die Wahrheit!

Ein neues Jahr, Ihr Lieben, hat Einzug gehalten – und es grüßt uns mit einem kurzen, prägnanten Wort: Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe! Fast ist das wie ein Jahresmotto! Viele von uns haben sich doch ein solches Motto für das neue Jahr vorgenommen: Weniger essen – ein bisschen Abspecken, was für die Gesundheit tun! Was war Ihr Silvesterversprechen, was Sie sich für das neue Jahr vorgenommen haben? – Ich hatte mir früher x-mal vorgenommen, das Rauchen aufzugeben – und bin immer wieder rückfällig geworden – bis mich endlich ein längeres Kranksein allein vom Rauchen kuriert hat – Halle-luja! Alle guten Vorsätze hatten wenig genutzt.
Dies aber ist mehr als ein guter Vorsatz – der Apostel Paulus beschließt damit seinen 1. Brief an die Gemeinde zu Korinth, mit der er ganz besonders verbunden war. Es ist so etwas wie eine Zusammen-fassung all dessen, was er einer Christengemeinde zu sagen hatte. All die vielen Worte, die der Apostel gepredigt hat, sind hier noch einmal gebündelt. Er möchte uns einen guten Vorsatz für unser eigenes Leben geben: Alles, wirklich alles, was ihr tut – in den nächsten 365, nein in diesem Jahr sind es  ja sogar 366 Tage, soll unter diesem Leitwort stehen – soll das Programm eures Handelns, Denkens und Redens sein – die Liebe!

Solche Liebe ist ja geradezu ein überirdisches Prinzip. Sie kann andere Menschen aus uns machen. Liebe tut einfach gut – tut UNS gut. Liebe tut unseren Mitmenschen gut. Und am Ende hat sogar Gott seine Freude an dieser unserer Liebe.

Dreimal Liebe: Liebe zu Gott – Liebe zu meinem Nächsten – und endlich: Liebe zu mir selbst. So hat es doch Jesus selbst einmal einem Schriftgelehrten erklärt, der ihn fragte, was denn das größte Gebot sei, ein Motto für sein Leben? Da nimmt Jesus das alte Wort aus dem 5. Buch Mose auf, das noch heute über jedem Eingang in ein jüdisches Haus am Türrahmen in einer Schachtel verborgen prangt – wenn Sie mich einmal besuchen kommen, so können Sie es auch an meinem Türrahmen bewundern, das Shema Jisrael: „Höre Israel – höre Trögen – höre Hartmut Steinkühler: der Herr, unser Gott, ist der Herr allein! – Und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von gan-zem Gemüt und von allen deinen Kräften!“ – und dann fügt Jesus hinzu: „Das andere aber ist dem gleich: Du sollst deinen Nächsten Lieben wie dich selbst!“

Solche Liebe ist mehr als DAS was das Sonntagskino mit Rosamunde Pilcher uns im ZDF vor Augen führt; ist mehr als wenn der Himmel voller Geigen hängt und die roten Rosen uns sagen sollen: Ich liebe dich! Solche Liebe ist eben kein Gefühl, sondern vielmehr eine Lebensgrundlage; eine Grundhaltung, die mich dazu bringt, mein Gegenüber fair und gerecht zu behandeln. Wie anders würde unsere Welt aus-sehen, wenn solche Liebe wirklich zum Leitfaden unseres Denkens, unseres Redens, und schließlich auch unseres Tuns würde.
Das, was Jesus, was die biblische Botschaft mit dem Wort Liebe meint, hat eben auch seine Grenzen: Du sollst deinen Nächsten lieben – wie dich selbst. - Wie erziehen wir denn unsere Kinder? Wie haben wir sie erzogen? In Liebe natürlich! Aber wenn mein Kind nur immer Spaghetti essen will und dazu Cola trinken – ist es dann Liebe, wenn ich es einfach gewähren lasse, um einer Diskussion zu entgehen. Oder ist es dann nicht Liebe, wenn ich diesem Kind gesunde Kost vorsetze – selbst wenn es darüber Tränen des Protests gibt?! Liebe kann manchmal auch wehtun! aber dann auch nötig sein.

Das, was sich zunächst einfach anhört, unser „Jahresprogramm der Liebe“, stellt sich oft als eine schwierige Mission dar. Ich muss von Mal zu Mal überlegen: Auf welche Weise will ich denn nun der Liebe in genau dieser Situation Gestalt geben? Was will ich tun? Was muss ich tun? Wie oft stehen wir da vor einer offenen Frage – wenn es um diese Liebe geht!

In meiner Lutherbibel ist dieses Pauluswort von der Liebe etwas anders aus dem Griechischen Urtext übersetzt. Dort heißt es: „Alle eure Dinge lasst in der Liebe geschehen!“ Hier kommt das Wort „tun“ gar nicht vor. Es ist also keine strikte Aufforderung an uns: Du musst lieben! – so einfach das ist, kann es doch immer wieder sehr bedrängend sein – ein solcher Befehl! Liebe kann nicht befohlen werden. Wie oft habe ich da schon völlig anders gehandelt, obwohl ich es doch besser wusste! - Mit Luther kann ich sagen, dass ich mich dem anvertrauen will, was GOTT in dieser, unserer Welt wirken möchte. Wir dürfen uns dem anvertrauen, was Gott tut und tun will. Wir dürfen auch einmal einfach loslassen – es in Gottes Hände legen. Wir dürfen darauf vertrauen, dass ER diese Welt, die er ins Leben gerufen hat, auch weiterhin umsorgt, in ihr unterwegs ist. Was Gott tut, das ist wohlgetan - weil es aus Liebe getan ist. Vertrau dich einfach ihm an!

Solches Vertrauen kann uns vielleicht frei machen von dem Wahn, dass WIR alles regeln und tun müs-sen und können. Aber die Kunst wird sein, dass wir einen Weg finden zwischen dem, wo unser Tun gefordert ist – und dem, was wir einfach geschehen lassen dürfen.

Alles, was ihr tut, soll in Liebe geschehen! – dieser kurze Satz erinnert uns immer wieder an unsere eigene Verantwortung – wie wir anderen begegnen sollen – und da könnte ich nun unendlich viele Beispiele aufzählen. Das will ich uns heute ersparen – kramen Sie selbst einmal in Ihrem Alltag nach solchen Beispielen.
Alle eure Dinge lasst in Liebe geschehen! – dieser kurze Satz wird zu einer Quelle der inneren Ruhe. Ich kann und muss nicht diese ganze Welt in Liebe umarmen. Vieles kann ich auch gar nicht tun, sondern muss allzu oft ohnmächtig zusehen. Dann darf ich das auch in Gottes liebende Hände legen und einfach geschehen lassen.
Alles, was ihr tut, soll in Liebe geschehen – unsere Jahreslosung für dieses Jahr 2024, ist eine Einladung an uns, still zu werden und mit einem Gebet zu schließen:
Gott, gib mir die Gelassenheit, die Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann - aber dann auch den Mut und die Kraft, die Dinge zu ändern, die ich selbst ändern kann und am Ende die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden!
Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft – der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unsrem Herrn. Amen.

Warten-Erwartung. Predigt zum 2. Advent 2023 (10.12.) aus dem Gottesdienst in Hardegsen (Prädikantin Gertrud Brandtner)

Jakobusbrief 5, 7-8 in Verbindung mit Hosea 10, 12 – zum Motto Wandel säen (Brot für die Welt)
(Die Gedanken zu Hosea folgen der Predigt von Pfarrerin Dr. Dagmar Pruin, Präsidentin Brot für die Welt, im Eröffnungs-Gottesdienst der 65. Aktion am 1. Advent 2023 in der Peterskirche, Leipzig)


Der Friede Gottes sei mit uns. Amen

Worauf warten wir?

Jahr um Jahr.
Tag um Tag.
Heute Jetzt
Oder warten wir auf nichts?
Kennen wir den der kommen wird oder den der wiederkommt oder den der immer da war?
Oder wartet er auf uns?
Armin Juhre

Kurze Stille

Eines der Bibelworte für den 2. Advent hat das Warten zum Thema. Das Warten auf den Christus, der wiederkommen wird. Es lässt sich auch gut beziehen auf Jesus, dessen Geburt wir Jahr für Jahr feiern, weil er als Mensch mitten unter den Menschen gelebt hat.

Ich lese aus dem Jakobusbrief (5, 7-8):

Wartet geduldig. Brüdern und Schwerstern, bis der HERR wiederkommt. Seht, wie der Bauer auf die kostbare Frucht der Erde wartet. Er wartet geduldig, bis der Frühregen und der Spätregen gefallen sind. So seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen, denn das Kommen des Herren steht bevor.

Jakobus gibt seiner Gemeinde den Rat: „Wartet geduldig.“ Auch er hatte damals also mit der Ungeduld seiner Mitmenschen zu tun. Dabei handelte es sich um eine spezielle Ungeduld: Die Christinnen und Christen in den ersten Gemeinden gingen davon aus, dass Jesus noch zu ihren Lebzeiten wiederkommen würde. Aber das passierte nicht. Die ersten, die sich zum christlichen Glauben bekannt hatten, waren bereits gestorben. Als der Jakobusbrief entstand, war schon die nächste Generation herangewachsen. Die Lebenden fragten sich, ob sich denn ihnen der HERR zeigen würde.

Die Menschen damals warteten also auf das Wiederkommen Jesu. Deshalb schreibt der Verfasser des Jakobusbriefes das ganz eindringlich: Wartet geduldig, … denn das Kommen des Herrn steht bevor! Versucht nichts zu beschleunigen. Denn niemand kann etwas dafür tun, dass Jesus wiederkommt. Es bleibt Gott überlassen zu handeln.

Er hat dafür ein einleuchtendes Bild. Ich übertrage es in unsere Zeit: Ein Landwirt bestellt sein Feld. Er tut eine ganze Menge für seine Ernte. Er sät aus. Er nimmt qualifiziertes Saatgut. Er wird so düngen gezielt, wie es die Saat braucht. Er wartet auf Regen, der Samen vor dem Vertrocknen schützt. Wobei er bei ausbleibendem Regen auch unterstützend eingreift, indem er Wassersprenger einsetzt. Er tut etwas gegen Unkraut und Schädlingsbefall. Er wartet auf Wärme, die den Keim aus dem Boden lockt. Er wartet wieder auf Regen, der die Pflanze tränkt und wachsen lässt (Frühregen und Spätregen nennt das Jakobus). Er wartet bis unter Frost und Hitze, Sonnenschein und Regen die Ernte heranreift. Alles hat er nicht alles in der Hand; er muss den Zeitpunkt der Ernte geduldig abwarten. Er kann nicht bestimmen, ob Ähren, Äpfel, Kartoffeln, Mais oder was immer er angebaut hat, vierzehn Tage früher oder später reif sind, ob sie reichlich oder wenig Frucht tragen. Ungeduldig sein oder die Hoffnung aufgeben, nutzt da nichts. Wenn ein Unwetter kurz vor der Ernte alles zerstört, kann er nichts dagegen tun.

An diesem Bild des Landwirtes, der handelt, aber auch Geduld haben muss, sollte den Menschen damals, und natürlich auch uns heute, deutlich werden, wie „richtiges“ Warten aussehen kann, 
 wie Geduld haben aussehen kann. Geduld ist eine Fähigkeit, ja eine Kraft, die man bekommt, wenn man ein Ziel hat. Wenn man weiß, worauf man wartet. In die Geduld eingeschlossen sind auch Hoffnung und Gelassenheit. Und es gehört die Gewissheit dazu, dass es sich lohnt zu warten. 

„Aktives“ Wartens brauchen auch heute Menschen überall auf der Welt, wenn sie ihr Überleben sichern wollen. Jahr für Jahr höre, lese und sehe ich davon bei „Brot für die Welt“; in diesem Jahr unter dem Motto: Wandel säen. Das Bibelwort dazu haben wir eben gehört:

Beginnt mit der Saat! Gerechtigkeit soll wachsen. Sammelt die Früchte! Liebe soll sie hervorbringen. Pflügt neues Land! Denn es ist Zeit, nach dem Herrn zu fragen. Dann wird er kommen und Gerechtigkeit bringen - wie Regen über euer Land.

Die Worte des Propheten Hosea haben Aufforderungscharakter. Bedenkenswerte Worte! 
 Wenn ich nachlese, in welcher Zeit er sie sprach, damit seinem Volk Israel Mut machte, dann gewinnen die Sätze noch mehr. Hosea hat vor 2700 Jahren in Israel als Prophet gewirkt. Es herrschte Untergangsstimmung. Das Land war bedroht von einem Aggressor, der einen vernichtenden Krieg vorbereitete. Die Soldaten des Assyrischen Reiches, die wenige Jahre später Israel erobern sollten, praktizierten die denkbare grausamste Kriegsführung, wenn sie die israelischen Dörfer und Städte überfielen.

Während ich das sage, denke ich an Berichte von dem schrecklichen Überfall der Hamas Anfang Oktober. Hosea wird „Sohn des Be’eri“ genannt. Be’eri bedeutet „Mein Brunnen“. Be’eri - 
 so heißt einer der Kibbuzim, in denen der Mob der Hamas wütete. 
 Ich denke auch an die vielen anderen Kriege heute, an das Leid der Menschen, an Zerstörung, an die Spirale der Gewalt, die Kriege in eine Endlosschleife führt.

Die Menschen um Hosea herum fühlten sich verängstigt und hilflos angesichts dieser Übermacht und der scheinbar aussichtslosen Lage. Säen und auf die Ernte warten – jetzt? 
 In dieser Lage? Ist nicht ohnehin schon alles zu spät? 
 Es lohnt sich nicht mehr, die Saat auszubringen, so höre ich sie sagen. Es wird keine gute Ernte mehr geben. Und keine Gerechtigkeit. Für uns jedenfalls nicht.

Hosea sieht mehr, er schaut über die trostlose Gegenwart hinaus. Er weitet für sich und die Zuhörenden den Blick, weil er auf etwas wartet, weil er etwas erwartet: Er erwartet etwas von seinem Gott. Hosea weiß nicht, ob es eine Zukunft gibt, in der die Saat aufgeht. Aber er weiß, dass es keine Zukunft gibt, wenn nicht gesät wird. Hosea sieht die Schwerter der assyrischen Soldaten – Er spricht trotzdem vom Weitermachen: Pflügt neues Land!

Und wir heute? Wird es eine friedliche Zukunft geben? Und gerechte Verhältnisse, die den Boden für ein friedliches Miteinander bereiten? Kaum vorstellbar. Jedenfalls dann nicht, wenn ich nur meinen eigenen Gedanken nachhänge. Wenn mir die Nachrichten jede Hoffnung nehmen, dass sich etwas bessert bzw. ein Konflikt gelöst wird. Ich will nicht immer nur von all dem Grauen hören und sehen! Wo bleibt das Positive? In den Nachrichten kommt so gut wie gar nichts mehr davon vor. 

Doch Berichte über Projekte von Brot für die Welt – wie am letzten Sonntag (1. Advent) im Eröffnungs-GD über landwirtschaftliche Projekte in Kenia – machen Hoffnung. Es scheint sich etwas zu tun, im kleinen wenigstens. Ähnlich ist es mit Initiativen bei uns, wenn Ackerrandstreifen zum Blühen gebracht und Wälder nachhaltig kultiviert werden, wenn Initiativen an vielen Orten in unserem Land sich um die Integration von Geflüchteten kümmern, wenn Lesepaten in den Grundschulen mit Kindern lesen üben, wenn sich Nachbarschaftshilfe entwickelt z.B. auf dem Land bei fehlender Infrastruktur …

… dann macht das Mut, sich zu beteiligen am Säen, Wachsen lassen und Ernten im weitesten Sinne. Geduldig sein, trotzdem aktiv werden, mit wachem Blick über den eigenen Tellerrand schauen, das weitet mir den Blick, es lässt mich Zukunft sehen und hoffen!

Hoseas Prophetenworte vom Säen und Ernten in bedrohter Zeit wirken bis heute, weil es Kraftworte sind, die zum Handeln aufrufen trotz allem, was dagegensprechen zu sprechen scheint. Ich höre diese Worte heute am zweiten Advent. Ich höre sie und spreche darüber zu Ihnen, zu Euch. Ich stelle sie neben die biblischen Worte: Geduldiges Warten und innere Stärke gehören zusammen, sagt Jakobus: Werdet aktiv in der Überzeugung, dass Gott euch unterstützt, sagt Hosea. Und beide sind sich sicher: Denn es ist Zeit, nach dem Herrn zu fragen, dann wird er kommen.

Advent heißt Ankunft. Wir bereiten uns vor auf das Wunder, das im Stall geschieht. Gott wird Mensch, Himmel und Erde berühren sich. Das ist die ultimative Botschaft: Alles, aber auch alles kann sich ändern. Der Hoffnung sind keine Grenzen gesetzt. Das ist die Zukunft, die uns geschenkt wird.

Wandel säen – weil Gott kommt - hier in Hardegsen und überall auf der Welt, wo sich Menschen von Hoseas Aufruf anstecken lassen und tatkräftig aussäen. Und abwarten, geduldig, wie es Jakobus empfiehlt, damit sich Neues entwickeln kann.

Kurze Stille

Worauf warte ich?

Jahr um Jahr
Tag um Tag
Heute Jetzt
Erwartend spüre ich
Ich erkenne den, der kommen wird
Ich erkenne den, der wiederkommt
Ich erkenne den, der immer da war und da ist
Jesus, der Christus
Er kommt mir entgegen 
Er wartet auf mich!

Amen.

Predigt zu Psalm 24 am 1. Advent 2023 aus den Gottesdiensten in Trögen und Hardegsen (P. i. R. Hartmut Gericke-Steinkühler)

Macht hoch die Tür, die Tor macht weit – so haben wir es gerade gesungen, und in unserem Psalm gehört, Ihr Lieben. Es ist wohl das bekannteste Adventslied, was ja unserem Psalm entsprungen ist. Ich freue mich, dass Sie alle heute durch unsere offene Kirchtür gekommen sind. Das ist nicht immer so. Wenn ich irgendwo in einer Stadt auf Reisen unterwegs bin und etwas Zeit finde, dann gehe ich gern in die nächste Kirche, einmal, um zu schauen – wie großartig haben da unsere Vorfahren ihr Gotteslob in Stein gegossen! Zum anderen aber auch, mich einfach in eine Bank zu setzen und innezuhalten – ein Gebet sprechen; und so gestärkt dann wieder ins laute Treiben der Stadt zu ziehen. Aber wie oft habe ich da vor verschlossenen Türen gestanden – eine protestantische Kirche! klar! die katholischen sind meist geöffnet – Gott sei Dank! So sind Türen immer doppeldeutig: sie können sich uns auftun, einen Zugang verschaffen, eine Welt öffnen. Oder einfach verschlossen bleiben – ohne eine Chance, einen Blick dahinter zu werfen.

Wie schmerzlich das ist, haben wir vor gar nicht langer Zeit im Lockdown der Corona-Monate erlebt: nicht einmal die alten Eltern im Seniorenheim durften wir besuchen, die Kranken im Krankenhaus, ja sogar von der sterbenden Mutter im Klinikum  Abschied nehmen. Verschlossene Türen! Das war einfach schrecklich!                     Und sicherlich haben es viele unter uns schon erlebt, wenn jemand uns die Tür vor der Nase zuknallte mit den Worten: Mit dir will ich nichts mehr zu tun haben. Oder habe ich nicht das selbst schon einmal getan – und nachher darüber sinniert, wie das wehtun kann?!

Vielleicht singen wir deswegen so hingebungsvoll: Macht hoch die Tür... Wir sammeln uns wieder um die 1.Kerze auf dem Adventskranz, die Kleinen haben die ersten Türchen im Adventskalender geöffnet – und wir sehen das alles mit Kinderaugen, die sehnsuchtsvoll dem großen Tor am 24. Dez. entgegenleben. 

Solche Sehnsucht spricht aus dem 24. Psalm zu uns. Es ist ein uraltes Wallfahrtslied. Da steht ein Beter vor den verschlossenen Türen des Tempels in Jerusalem und bittet um Einlass: Machet die Tore weit! Darf ich eintreten?   So ähnlich beginnen ja auch viele unserer Gottesdienste mit den Worten: „Unsere Hilfe steht im Namen des Herrn, der Himmel und Erde geschaffen hat.“ Hier in unserem Psalm lesen wir zu Anfang: „Die Erde ist des Herrn und was darinnen ist, der Erdkreis und die darauf wohnen. Denn ER hat ihn über den Meeren gegründet und über den Wassern bereitet.“

Es geht hier ja nicht um eine gewöhnliche Tür, die wir Tag um Tag durchschreiten: die Haustüren, Stubentüren, Werkstattstore. Es geht in unserem Psalm um die wunderbare Pforte des Lebens, das Himmelstor, vor dem wir stehen – so haben es die Wallfahrer in Jerusalem damals empfunden. - Kennen wir eine solche Sehnsucht nach der Tür unseres Lebens vielleicht auch? Ahnen wir noch, wie schmerzvoll das ist, vor einer Tür zu stehen und mal kurz hineinzuschauen – aber dann nicht eingelassen zu werden? Wie es denn all den unzähligen Flüchtlingen ergeht, die ihr Leben auf abenteuerlichen Wegen nach Europa riskiert haben, um in ein bisschen Frieden und Freiheit leben zu können – und hier dann einfach abgewiesen werden?! die Tür zum Leben ihnen zugeschlagen wird?! – Oder wenn bei uns eine gute alte Freundschaft plötzlich zu Bruch geht?! Manchmal denken wir schon, dass uns die Himmelstür wie zugeschlagen ist, wenn Freundschaften wegbrechen, wenn Krankheit uns plagt, wenn wir Abschied nehmen müssen von geliebten Menschen – viel zu früh, von dem geliebten Lebensgefährten oder was es sonst an Kriegen und Leid sein mag.  

Vielleicht fragt ja deswegen der Beter in unserem Wallfahrtslied sehr betroffen:               
 „Wer darf auf des Herrn Berg gehen, und wer darf stehen an seiner heiligen Stätte?“ Wir Theologen vermuten, dass dies wohl ein Wechselgesang mit den Priestern im Tempel zu Jerusalem ist, die dort im Innern hinter der Tür, dem großen Tor stehen. Und sie antworten: „Wer unschuldige Hände hat und reinen Herzens ist, wer nicht bedacht ist auf Lüge und nicht schwört zum Trug: DER wird den Segen vom Herrn empfangen und Gerechtigkeit von dem Gott seines Heils.“ 
 Sind das nicht unheimliche Forderungen, die da an mich und mein Leben gestellt werden?! – an unsere Welt – an jede und jeden einzelnen von uns?! Immer wieder haben Menschen das so interpretiert und einen langen Katalog von Geboten aufgestellt, die wir unbedingt zu beachten haben – nur so wird dir die Tür zum Leben aufgetan – heißt es dann. Mit Angst und Bibbern hat selbst Martin Luther in seinem frühen Leben immer wieder nach dem gnädigen Gott gefragt – was kann ICH tun, damit Gott mir die Tür zum Leben auftut? 

Aber unser Psalm sagt etwas ganz Anderes; das Bild wandelt sich: Nicht ICH werde durch das Tor schreiten – es geht hier nicht um mich und meinen Lebenswandel – Nein! Die Aufforderung und Bitte geht an den Herrn der Herrlichkeit selbst: „dass ER, der König der Ehren einziehe!...der Herr Zebaoth!“ Da wird Gott darum gebeten, zu uns zu kommen – in unsere unruhige, ach so trübe und oft düstere Welt. Gott selbst soll hier bei uns Wohnung nehmen. Er möge aus Seinem Heiligtum in unsere unheilige Welt herabsteigen! Das ist die Botschaft des Advents – unseres Singens und Betens. Deswegen wollen wir gleich das trostreiche alte Kinderlied singen – auswendig, denn es steht leider nicht in unserem Gesangbuch:

(1)  „Alle Jahre wieder kommt das Christuskind auf die Erde nieder, wo wir Menschen sind.    
 (2) Kehrt mit seinem Segen ein in jedes Haus. Geht auf allen Wegen mit uns ein und aus.        
 (3)  Ist auch mir zur Seite still und unerkannt, dass es treu mich leite an der lieben Hand.“

Dieser Jesus ist zu uns gekommen, ist wieder einmal unterwegs – Advent und er spricht: „Ich bin die Tür!“ (Joh. 10,7). Diese Tür öffnet sich von innen – von Gott her. Jesus ist für mich, für jede von uns die Himmeltür, die seit seinem 1. Advent offen steht. Hier wird der Glanz des Himmels spürbar, in aller Dunkelheit, in allem Leid und Kriegen, in aller Unruhe unserer Welt, die wir täglich sehen und ertragen müssen. In unserem Singen und Beten, in der Botschaft des Advents wird ein Stück Himmel sichtbar. „Du stellst meine Füße auf weiten Raum“, so hat es ein anderer Psalmbeter (Ps 31,9) in seinem Leben erfahren. Und so können wir es erleben, wenn wir Jesus begegnen – dann erleben wir eine neue Freiheit, neuen Frieden. Dann spüren wir, wie die Türen unserer engen vier Wände auffliegen für die Menschen, die an unsere Türen klopfen – die Türen unseres Herzens. Dann erfahren wir, dass unsere alte dunkle Welt zu eng wird, IHN zu fassen. In all den Geschichten, die uns in der Bibel von ihm erzählt werden, in den faszinierenden Gleichnissen - wird uns ein Spalt des Himmels sichtbar. Jesus ist unsere Himmeltür! Und ER knüpft das nicht an eine Vielzahl von Geboten, an das, wie wir gelebt haben – ER selbst macht diese Tür von innen auf und lädt uns ein.

Im Advent kehren viele von uns ein Stück weit in ihre Kindheit zurück – wir erinnern wie wohl das tut, wenn die Kerzen brennen, die Geborgenheit, die die Lichter ausstrahlen. Ich möchte Euch heute ermuntern, Rückschau zu halten, Eure eigene Geschichte zu erinnern – und dabei zu entdecken, wo bei euch die Himmeltür sich plötzlich aufgetan hat: Wann ist mir Gott eigentlich so richtig nahegekommen? Ist das schon lange her? Vielleicht habe ich das ja damals gar nicht richtig wahrgenommen?

Eins höre ich aber aus unserem Psalm heraus: Die Gewissheit, dass Gott zu uns kommt und spricht: Fürchte dich nicht – ICH bin die Tür. Darum lasst uns bitten:

„Komm, o mein Heiland Jesu Christ, meins Herzens Tür dir offen ist. Ach zieh mit deiner Gnade ein; dein Freundlichkeit auch uns erschein! Dein Heilger Geist uns führ und leit den Weg zur ewgen Seligkeit. Dem Namen dein, o Herr, sei ewig Preis und Ehr.“

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen

 
Und nun lassen Sie uns das alte Kinderlied singen:

Alle Jahre wieder kommt das Christuskind 
auf die Erde nieder, wo wir Menschen sind.

Kehrt mit seinem Segen ein in jedes Haus.
Geht auf alle Wegen mit uns ein und aus.

Ist auch mir zur Seite, still und unerkannt, 
dass es treu mich leite an der lieben Hand.

Durch den Dornwald. Ansprache zum Ewigkeitssonntag am 26.11.2023 in Trögen, Hardegsen und Ertinghausen (Anne Dill)

Gott schenke uns ein Herz für sein Wort und ein Wort für unser Herz.
Amen.
 
I. Kyrie eleison
In Lottes Familie gibt es eine Tradition. Fast schon ein ungeschriebenes Gesetz. Vor dem ersten Advent werden keine Weihnachts-Plätzchen gegessen. Kein Lichterbogen wird aufgestellt. Und - vor dem ersten Advent gibt es auch keine Weihnachtslieder.
Sollte doch mal eins im Radio kommen, wird schnell umgeschaltet.
Schließlich ist ja noch nicht Weihnachten, nicht mal Adventszeit. Noch sind die schweren Tage dran. Volkstrauertag. Und – Ewigkeitssonntag. Noch gehört die Welt den Leidenden, den Traurigen, den Verstorbenen.
 
In all den Jahren hat Lotte sich immer dran gehalten. Selbst die Mandarinen mussten warten. Sie mag diese Spannung zwischen Dunkelheit und Licht. Zwischen ungeduldiger Erwartung und Vorfreude. Zwischen Jetzt und Noch-Nicht.
In all den Jahren hat Lotte sich immer dran gehalten. Nur in diesem einen Jahr nicht. Als der Opa plötzlich im Sterben liegt. Eigentlich ist es gar nicht so plötzlich. Opa ist schließlich sehr alt. Schon länger geht es ihm nicht mehr gut. Und doch – auf den Tod kann man sich nicht einstellen. Wenn er kommt, dann doch immer irgendwie plötzlich. Denen, die danebenstehen, die aushalten und mitleiden, kommt er doch unerwartet. Nun ist es wirklich so weit. 
 
In diesem Jahr hält Lotte die Spannung nicht aus. Am Anfang ist es noch Zufall, als ihr Handy plötzlich „Es kommt ein Schiff geladen“ spielt. Aus Reflex will sie auf „Weiter“ drücken – und kann es irgendwie nicht. Da ist so viel Sehnsucht in der Musik, eine Feierlichkeit, eine Erwartung, die sie tief im Herzen trifft. „Es kommt ein Schiff geladen“ – ja, denkt Lotte, es kommt wirklich ein Schiff geladen. Zu dir, Gott, ist es unterwegs. Beladen bis an sein höchsten Bord. Mit kostbarer, so wertvoller Fracht. Nimm es auf, Gott. Steh da am Ufer, am Hafen oder wo auch immer es ankommt. 
 
Und dann kann Lotte gar nicht mehr aufhören mit den Weihnachtsliedern. Es ist, als ob ein Damm bricht. „Oh Heiland reiß die Himmel auf“ – Gott, reiß den Himmel auf. Mach ihn ganz weit auf, dass das Schiff anlanden kann. Reiß ihn auf für mich. Für meine große Trauer. Mein Erschrecken. Mein Kaum-Aushalten-Können.
 
Und schließlich spielt Lottes Handy „Maria durch ein‘ Dornwald ging“. Wie passend, denkt Lotte. So fühle ich mich auch. Allein in einem dunklen Wald voller Dornen, an denen man hängen bleibt. Es tut so weh. Alles. Das letzte Wort. Der allerletzte Abschied. - Der erste Satz, der das Geschehen ausspricht. Opa ist gestorben. Die Worte bleiben in der Luft hängen. Vielleicht, wenn sie nicht hinhört, gehen sie wieder weg. Irgendwie. Werden nicht wahr. Und doch – es ist sehr wahr.
Alles. Das Zimmer, das nun ausgeräumt werden muss. Opas Name auf der Traueranzeige. Die Kerze, die nun im Wohnzimmer brennt. Und die Tränen. 
 
Kyrie eleison – Herr, erbarme dich! Über uns, über mich. Über meine Tränen, den Schock. Erbarme dich. Denn meine Kraft ist weg. Alles ist zu viel. Erbarme dich, Gott. Über den endlosen Dornenwald in meinem Herzen. 
 
Maria durch ein‘ Dornwald ging,
Kyrie eleison.
Maria durch ein‘ Dornwald ging,
der hat in sieben Jahr kein Laub getragen.
Jesus und Maria.
 
II. Unter ihrem Herzen
Am Anfang weiß Lotte gar nicht, wohin mit sich. Alles ist irgendwie falsch. Essen und Schlafen. Reden oder Schweigen. Weinen oder Erzählen. Dann merkt sie, dass das Erzählen ihr gut tut. Vom Opa. Der seinen 90. Geburtstag noch in Saus und Braus gefeiert hat. Der manchmal peinlich sein konnte, wenn er dachte, die anderen sind genauso schwerhörig, wie er selbst. Der winzige Kärtchen zum Geburtstag und zu Weihnachten für die ganze Familie geschrieben hat - Aber den Namen der Jüngsten sich nicht mehr merken konnte. 
Langsam, ganz langsam ändert sich etwas in Lottes Herzen. Ein winziges Licht zieht ein. Am Anfang ist es sehr klein. Zart wie eine Kerzenflamme. Manchmal geht sie wieder aus. Dann, wenn die Tränen doch wieder kommen. Wenn es kaum auszuhalten ist. Wenn die Sehnsucht zu groß wird. 
Doch mit der Zeit wird das Licht etwas größer. Es strahlt aus von innen nach außen. 
 
Da, als die ganze Familie um den Tisch sitzt und von Opa erzählt. Und Lotte merkt. Er ist nicht vergessen. Und er wird es auch nie sein. Opa bleibt in unseren Herzen. Das kann uns niemand nehmen.
Und da, als Lotte in den Himmel Abendhimmel schaut. Die untergehende Sonne lässt ihn fast wie Gold erscheinen. In diesem Moment beginnt sie etwas zu ahnen von dem Glanz, der wohl im Himmel sein muss. Von der Geborgenheit der Ewigkeit, in der Opa nun ist.
In Lottes Herzen beginnt Trost zu wachsen.
 
Was trug Maria unter ihrem Herzen?
Kyrie eleison.
Ein kleines Kindlein ohne Schmerzen,
das trug Maria unter ihrem Herzen.
Jesus und Maria.
 
III. Da haben die Dornen Rosen getragen
„Ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde“, heißt es in unserem Predigttext (Offenbarung 21,1-6). „Denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen.“ 
Ein neuer Himmel kommt. Eine neue Stadt zum Leben.
An diesem neuen Lebensort gibt es keinen Schmerz mehr. Keinen Tod, kein Leid. Der Boden unter den Füßen trägt.
Es ist Luft da zum Atmen. Und zum Sein.
„Siehe, das Alte ist vergangen.“ Im Himmel wird alles neu.
 
„Und: Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen.“
Viele von uns haben geweint in den vergangenen Wochen und Monaten. Am Krankenbett. Am Grab. Im Verborgenen oder sichtbar für andere. 
Tränen fließen auch immer noch. 
Ich will abwischen alle Tränen, sagt Gott. Näher kann er uns nicht kommen. Denn wer Tränen abwischt, der streicht einem anderen doch behutsam durchs Gesicht. Wer Tränen abwischt, macht sich selbst die Hände nass.
Keine Träne geht bei Gott verloren. Auch die nicht, die ich keinem zeige. Auch die, die noch nicht geweint sind.
Bei Gott geht nichts verloren.
So wie auch unsere Lieben bei ihm nicht verloren gehen.
 
In der Ewigkeit gibt es keinen Dornenwald mehr. Dort ist das Land hell und weit. 
Und wir hier auf der Erde können manchmal etwas davon erahnen. 
Wenn wir den geliebten Menschen in Gedanken in unsere Mitte holen.
Wenn wir erzählen von all den schönen Momenten.
Von dem, was wir gemeinsam durchgestanden haben.
Von dem, was uns immer noch miteinander verbindet.
 
Denn die Liebe bleibt. Nicht umsonst legen wir auf die Gräber unserer Lieben Rosen. Rosen – die Blumen der Liebe.
Die Liebe vergeht nicht.
So wie auch Gottes Liebe nicht vergeht.
 
Sie umfängt uns hier auf der Erde und unsere Verstorbenen in der Ewigkeit.
Denn dort wohnen unsere Lieben nun: In der neuen Stadt im Himmel.
Jesus Christus hat sie durch den Dornenwald des Todes hindurchgetragen.
Ihre Dornen sind keine Dornen mehr. Sie haben angefangen zu blühen. 
Amen.
 
Da haben die Dornen Rosen getragen.
Kyrie eleison.
Als das Kindlein durch den Wald getragen,
da haben die Dornen Rosen getragen.
Jesus und Maria.

Dann hat Gott unter uns schon sein Haus gebaut. Predigt zu Matthäus 25,31-45 aus den Gottesdiensten am Volkstrauertag in Üssinghausen und Hardegsen (Anne Dill)

Gott schenke uns ein Herz für sein Wort und ein Wort für unser Herz. Amen.
 
„Wir glauben Gott im höchsten Thron“ - das haben wir gerade gesungen. Wir glauben, dass er da ist, herrscht und regiert. 
 
Wenn wir nun in unsere Welt schauen, ist sie weit davon entfernt, Gottes Reich zu sein. Und vielleicht fragt man sich zuweilen auch: Ja, wo ist Gott denn nun?
Wo ist Gott, wenn Bomben fallen? Wenn Landstriche ausradiert werden und in Schutt und Tränen versinken?
Ist er dort in seinem höchsten Thron – weit entfernt von uns?
 
Das Evangelium, das wir eben gehört haben, gibt darauf eine ungewöhnliche Antwort. Es sagt: Gott ist mitten unter euch. Nicht als Heiliger. Nicht als unbestimmte Macht, nicht in einem alten Haus mit Turm und aus Stein wohnend.
 
Sondern: Gott ist mitten unter uns. Jesus sagt: Was ihr einem meiner unbedeutendsten Brüder oder Schwestern getan habt, habt ihr mir getan.
Und er gibt dazu auch Beispiele. Er nennt Hungernde, Durstende. Unbekleidete, Geflüchtete, Kranke und Gefangene.
In all diesen bin ich zu finden, sagt Jesus. 
Was ihr ihnen tut, das tut ihr mir.
 
Und eben auch umgekehrt: Was ihr ihnen nicht tut, habt ihr auch mir nicht getan. 
Geht weg von mir!
 
Wenn wir ganz ehrlich sind – wer von uns kann unter diesen Kriterien denn dann noch bestehen?
Wer von uns lebt in einem Umfeld, in dem Jesu Aufforderung konsequent umgesetzt wird?
 
Eine Welt, in der so gelebt würde, hätte keinen Krieg. Keine Tränen, keine Verletzungen. Eine solche Welt bräuchte keinen Volkstrauertag. Und wir würden heute auch keine Kränze niederlegen.
 
Angesichts der Nachrichten mag man manchmal verzweifeln. Oder resignieren. Oder einfach wegschauen, weil man das Elend nicht mehr ertragen kann.
Denn was können wir, kann ich dagegensetzen gegen einen Krieg in Europa? Was kann ich dagegensetzen, wenn Menschen entführt und brutal ermordet werden? Was kann ich dagegensetzen, wenn Soldaten Krankenhäuser stürmen?
 
Jesus setzt seine Worte gegen das Elend unserer Welt.
Er ruft auf zu Mitgefühl, zu Liebe und gegenseitiger Hilfe, zu Barmherzigkeit.
In seinen Worten finden sich die sechs wichtigsten Werke der Barmherzigkeit. Wir haben sie eben gehört:
Hungernden zu essen geben.
Dürstenden zu trinken geben. 
Nackte bekleiden.
Fremde aufnehmen.
Kranke und Gefangene besuchen. 
In der alten Kirche hat man ein siebtes Werk dazu ergänzt:
Tote begraben.
 
Die absoluten Grundbedürfnisse eines jeden Menschenlebens, unseres Lebens, werden hier angesprochen:
1+2) Essen und Trinken. Klar – ohne das kann niemand lange überleben.
3) Kleidung. Denn Kleidung hält uns warm und bietet Schutz. Vor Sonne und Regen, vor Hitze und Kälte. Vor Blicken anderer.
4) Fremde aufnehmen, denn das heißt Geborgenheit geben. Schutz. Ein Zuhause.
5+6) Gesundheit und Freiheit.
Wem eins oder beides davon abhanden kommt, der merkt in dem Moment, wie grundlegend diese Werte doch sind. Wie selbstverständlich wir sie oft hinnehmen. Und wie schwer es ist, ohne sie zu leben.
Deswegen sagt Jesus: Geht Kranke und Gefangene besuchen. 
 
Da, wo eins dieser Grundbedürfnisse nicht erfüllt wird, ist Not. Da verarmt eine Seele. Da erhebt einer eine Waffe. Da streckt man sich nach mehr. Mehr Land, mehr Sicherheit, mehr Macht. Da wird man in sich selbst verdreht. Da steckt man in einem dunklen Tunnel. Und ob Licht am Ende ist, kann man nicht sehen.
Wer selbst schon einmal erlebt hat, dass eins dieser Grundbedürfnisse nicht gegeben ist, der weiß, wovon Jesus hier spricht.
 
Wir sind zur Liebe geschaffen. Zum Miteinander-Sein. Zum Gemeinsam-das Leben-bestehen. 
Wir Christen sind dazu da, in anderen Menschen Jesus Christus zu sehen. Und umgekehrt können andere vielleicht auch in mir etwas von Jesus erkennen. Jedenfalls wünsche ich mir, dass ich so behandelt werde. Angesehen mit Liebe und Barmherzigkeit.
 
In diesen Tagen hat mir jemand gesagt:
„Ich glaube, dass ein göttlicher Funke in jedem von uns wohnt.“
Genau deswegen können und sollen wir anderen barmherzig begegnen. Genau deswegen können und sollen andere mir barmherzig begegnen.
 
In einem alten Gebet heißt es:
Jesus hat keine Hände, nur unsere Hände,
um seine Arbeit heute zu tun.
Jesus hat keine Füße, nur unsere Füße,
um Menschen auf seinen Weg zu führen.
Jesus hat keine Lippen, nur unsere Lippen,
um Menschen von ihm zu erzählen.
 
Warum aber fällt es uns trotzdem so schwer, Jesu Worten nachzukommen?
Ich glaube, es ist zweierlei: Die grundsätzliche Aufforderung ist gar nicht so schwer. Ich kann einen zusätzlichen Stuhl an meinen Tisch stellen. Oder ein Brötchen für einen hungernden Menschen kaufen gehen.
Was schwer ist, sind die Folgen, die wir fürchten.
Ein zusätzlicher Stuhl am Tisch bringt die Gewohnheit des Alltags durcheinander.
Ein Umweg zum Bäcker kostet Zeit und ist eben ein Umweg. 
Mein ganzer Schrank ist voll Klamotten – eigentlich könnte ich etwas abgeben. Aber ich tue es eben doch nicht. Könnte ja sein, dass ich die alten Sachen noch mal für den Garten brauche oder fürs Streichen.
Eigentlich steht mein Gästezimmer mehr leer, als dass es benutzt wird. Aber: Ein Fremder in meinem Zuhause?
 
Eigentlich ist es ganz einfach, die kranke Tante zu besuchen. Oder den Nachbarn. Aber dann ist es auch schwer. Krankenhäuser sind beklemmend. Schlechte Erinnerungen kommen hoch. Was ist, wenn ich mich mit etwas anstecke?
 
Ich wage zu behaupten, dass wir mit der sechsen Aufforderung – Gefangene zu besuchen – am wenigsten zu tun haben. Und zwar einfach deswegen, weil wir wenig Gefangene kennen. Jedenfalls solche, die in Häusern hinter Gittern sitzen. 
 
Ich wage auch zu behaupten, dass wir die ersten fünf Werke nicht immer tun, weil wir in uns selbst gefangen sind. In unseren Vorstellungen, unserem Alltag, unseren Befürchtungen, in Berührungsängsten.
Weil wir manchmal gefangener sind, als wir zugeben wollen. In Trauer, in Sorgen, in Alpträumen.
 
Wie gut wäre, wenn uns dann jemand besuchen käme. Wenn jemand käme und die Ketten aufschlösse, die uns gefangen halten, und alle Mauern niederrisse.
 
Jesus Christus tut das. Er hat auch all die Werke der Barmherzigkeit getan. Und er wird sie immer wieder tun. Durch andere und durch uns.
 
Darum lasst uns Jesus Christus unseren Unfrieden bringen.
Unsere zerrissene Welt.
Unsere Sehnsucht nach Frieden und Geborgenheit.
 
Lasst uns Jesus bitten,
dass Er uns den Mut gibt, barmherzig zu sein.
Dass wir unsere Kleidung, unser Geld, unser Gästezimmer teilen.
Unsere Liebe und unsere Zeit.
 
Denn dann hat Gott unter uns schon sein Haus gebaut. 
Dann wohnt er schon in unserer Welt.
Ja, dann schauen wir heut schon sein Angesicht,
in der Liebe, die alles umfängt.
Amen.

Impuls zu Psalm 46 und dem Lied „Ein feste Burg“ aus dem Gottesdienst am Reformationstag (31.10.2023) in Hardegsen (Anne Dill)

Da, wo ich aufgewachsen bin, gibt es eine Burg. Schloss Marienburg. Dem ein oder anderen mag sie bekannt sein. Sie gehört den Welfen aus Hannover. 
Schon als kleines Kind hat mich dieses Schloss fasziniert. Denn fährt oder geht man auf den Marienberg zu, dann erhebt sich über den Baumkronen ganz oben die mächtige Burg. Dicke Mauern mit mächtigen Türmen, darüber eine flatternde Fahne. Bei Wind und Wetter steht sie dort. Im schönsten Sonnenschein und in den Stürmen des Herbstes.
 
Martin Luther kennt eine andere Burg: Die Wartburg. Fast ein Jahr lebt er mehr oder weniger unfreiwillig dort. In einer bescheidenen Zelle unter einfachen Verhältnissen. Ein Bett, ein Schreibtisch, ein Stuhl. Viel mehr gibt es wohl nicht. 
1517 hat er seine berühmten Thesen an die Schlosskirche in Wittenberg geschlagen. Seitdem ist sein Leben unruhig und er seines Lebens auch nicht mehr sicher. Mit der Reichsacht belegt, ist er vogelfrei. Denn bei weitem nicht allen gefallen seine Thesen:
 
1) Christen sollen ihr ganzes Leben als Buße ansehen. Das ist nicht als Sakrament gemeint, über das ein Priester bestimmt, sondern als Lebenshaltung. Meine innere Einstellung ist gemeint.
2) Priester sind nicht berechtig, Sterbenden oder Menschen in großer Not Bußen im Sinne der kirchlichen Bestimmungen aufzuerlegen. Denn wenn jemand im Sterben liegt und seine Liebe zu Gott und sein Glaube nicht stark genug sind, dann fürchtet dieser Mensch ja den Tod. Das ist grauenvoll genug, sagt Luther. Mehr Glauben und mehr Liebe, das brauchen diese Seelen. Keine Fegefeuer-Strafdrohungen.
 
Und schließlich die wohl bekannteste Aussage:
3) Ablassbriefe wirken nicht. Wer meint, sich mit Geld von einer Schuld loskaufen zu können, der hat etwas grundlegend nicht verstanden. Jesus Christus schenkt allein aus Gnade Vergebung und Liebe. Nicht, weil jemand Geld hat und für sich oder einen anderen Menschen bezahlt.
 
Nein, diese Thesen gefallen vielen Menschen damals nicht. Hebeln sie doch die Basis der damaligen Papstkirche aus und damit auch die regierenden Herrscher, die nach Gottes Gnaden in ihre jeweiligen Reiche und Herzogtümer eingesetzt sind.
 
Luther ist also vogelfrei und lebt zu seiner eigenen Sicherheit in den Jahren 1521/22 auf der Wartburg unter falschem Namen. 
Die Wartburg steht ebenfalls oben auf einem Berg. Auch sie hat dicke Mauern. Diese Burg beschützt Martin Luther. Und er kommt zur Ruhe in ihr – vielleicht zum ersten Mal seit vielen Jahren. Plötzlich hat er Zeit und Kapazität und übersetzt das gesamte Neue Testament ins Deutsche. Nur 10 Wochen braucht er dafür. Eine Meisterleistung, die ihresgleichen sucht.
 
7 Jahre später, 1529, schreibt Martin Luther ein Lied. Es steht bis heute in unserem Gesangbuch. „Ein feste Burg ist unser Gott“. Psalm 46 als Lied vertont. 
 
Die Kantorei hat uns eben eine Bearbeitung von Hans Kugelmann vorgetragen. 
Das Besondere daran ist: Die Melodie ist eigentlich durchgehend in der zweiten Stimme zu finden, nicht in der ersten. Die verschiedenen Stimmen ergänzen sich, konkurrieren, streiten zuweilen fast, aber kommen am Ende doch wieder zusammen. Die Burg hält stand, steht sicher und fest.
 
Wie sehr wünsche ich mir das, wenn es in meinem Leben tobt. Wenn Sicherheiten einstürzen oder Selbstverständliches wegbricht. Wie sehr wünsche ich mir das, wenn ich die Nachrichten schauen und ganze Landstriche in Schutt und Asche sinken. 
 
Ich wünsche mir Sicherheit, Harmonie, Getragen-Sein. Nicht nur für mich und meine kleine Welt. Sondern auch und gerade für unsere große gemeinsame Welt. 
 
„Ein feste Burg ist unser Gott“, sagt Martin Luther. Er, der erlebt hat, dass sein ganzes Leben und auch die Strukturen und Systeme der großen Welt eingebrochen sind, kann es immer noch so sagen. 
Ein feste Burg ist unser Gott. 
Da steckt viel Hoffnung drin und auch viel Trotz. Egal, was passiert: Diese feste Burg zerstört ihr mir nicht, könnt ihr gar nicht. 
Ja, es mag sein, dass etwas fällt, was ich für sicher gehalten habe. Aber diese Gottes-Burg fällt nicht ein.
 
Die Marienburg steht nun schon 165 Jahre. Die Wartburg fast 1000 Jahre. Die Gottes-Burg aber schon ewig. Und wird auch ewig weiter sein.
 
Denn Gott ist und bleibt unsere Zuversicht und Stärke,
eine Hilfe in den großen Nöten,
die uns getroffen haben.
Ja, Völker toben und Königreiche wanken!
Aber der Herr Zebaoth ist mit uns,
der Gott Jakobs ist unser Schutz.
Darum: Hört auf zu kämpfen und erkennt: Ich bin Gott!
Ich stehe über den Völkern, ich stehe über der Welt.
 
Der Herr Zebaoth ist mit uns,
der Gott Jakobs ist unser Schutz. 
 
Lasst es uns weitersagen zu denen,
die kämpfen,
um mehr Geld, mehr Anerkennung, mehr Macht.
Legt die Waffen nieder.
 
Lasst es uns weitersagen zu denen,
die kämpfen,
um Angesehen-Sein und um Recht:
Menschen schauen vorbei oder über dich hinweg.
Aber Gott hat dich schon längst gesehen.
 
Lasst es uns auch uns selbst sagen,
wenn wir kämpfen
mit dem alltäglichen Wahnsinn,
mit der Mathearbeit oder dem Sportunterricht,
mit pubertierenden Jugendlichen
oder alt gewordenen Eltern.
Gott, sei du unsere Zuversicht und Stärke!
 
Lasst uns uns selbst daran erinnern,
wenn wir die Nachrichten nicht mehr ertragen,
wenn uns Zukunftssorgen quälen,
wenn Hoffnung und Freude zu verglimmen drohen.
Gott steht über den Völkern, über unserer Welt. 
 
Darum, Gott, steh uns bei.
Hilf deiner Welt und uns aus aller Not.
Jesus Christus, kämpfe du für deine Welt und für uns.
Hilf deiner Welt und uns am frühen Morgen
und des Abends, wenn wir schlafen gehen.
Halte deine Welt und uns in deiner Hand.
Schenke Frieden, Gott, und Sicherheit.
Ruhe und Kraft.
Sei feste Burg für alle Welt und für uns.
Amen.

Ruft sie herbei. Predigt zu Jakobus 5,13-16 aus dem Gottesdienst in Üssinghausen am 15.10.2023 (Anne Dill)

Liebe Gemeinde,
eben haben wir im Evangelium von einem Menschen gehört, den Jesus gesund gemacht hat. Der für heute vorgeschlagene Predigttext spricht davon, wie wir alle als Christinnen und Christen mit Krankheit umgehen können. Ich lese aus dem Brief des Jakobus, Kapitel 5, die Verse 13-16: 
 
(13) Leidet jemand unter euch, der bete. 
Ist jemand guten Mutes, der singe Psalmen.
(14) Ist jemand unter euch krank,
der rufe zu sich die Ältesten der Gemeinde,
dass sie über ihm beten
und ihn salben mit Öl in dem Namen des Herrn.
(15) Und das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen,
und der Herr wird ihn aufrichten,
und wenn er Sünden getan hat,
wird ihm vergeben werden.
(16) Bekennt also einander eure Sünden
und betet füreinander, dass ihr gesund werdet.
Das Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist.
 
Wann waren Sie das letzte Mal krank? Oder: Wann ging es Ihnen nicht gut?
Vielleicht ist es bei den ein oder anderen schon so lange her, dass Sie sich gar nicht mehr so richtig dran erinnern können. Vielleicht aber war es gerade erst letzte Woche soweit. Oder Sie sind heute morgen hierher gekommen, obwohl es Ihnen nicht richtig gut geht. 
 
Wenn es uns nicht gut geht, dann – glaube ich – haben wir verschiedene Wege damit umzugehen. Die einen haben einen guten Hausarzt oder eine gute Hausärztin, die sie problemlos aufsuchen. Die anderen legen sich – wenn überhaupt – ins Bett, aber eine Praxis sucht man eher selten auf: „Wird doch irgendwie auch wieder von allein.“ Manche gehen nie zum Arzt und manche werden auch einfach nie krank. Und dann gibt es auch die, die gute Hausmittel kennen, und Leichteres erstmal zuhause versuchen zu beheben.
Manchmal hilft der eine Weg sofort und der andere nicht. Manchmal hilft alles ein bisschen. Und manchmal tritt augenscheinlich auch keine Besserung ein.
 
Jakobus, der den Brief geschrieben hat, rät uns Christinnen und Christen:
Ist jemand unter euch krank, der rufe zu sich die Ältesten der Gemeinde, dass sie über ihm beten und ihn salben mit Öl im Namen des Herrn.
 
Die Ältesten der Gemeinde sind in der Sprache der Bibel nicht alle Menschen über 70 oder 80 oder eines anderen bestimmten Alters, sondern es sind die Gemeindevorsteher, also unsere Kirchenvorsteher. 
 
Wenn ich krank bin, dann hilft es mir tatsächlich, Menschen zu rufen oder anzurufen. Nicht nur Kirchenvorsteher, sondern allgemein Menschen, die ich mag und denen ich vertraue.
In der vergangenen Woche war ich zum ersten Mal seit langer Zeit wirklich krank. Und obwohl ich das ungern tue, war ich gezwungen, halbe Tage im Bett zu verbringen. 
Jetzt – im Nachhinein – habe ich überlegt, wer oder was mir geholfen hat: Die Medikamente natürlich. Die Wärmflasche und das Kühlkissen. Die Ruhe und die Dunkelheit. Aber vor allem waren es doch irgendwie auch die Menschen:
Die, die zweimal nach mir gucken gekommen ist und mir die Wärmflasche gebracht hat.
Die, die ich anrufen konnte und die mir zugehört hat. Der, der mir ein „großes Indianer-Ehrenwort“ abgenommen hat, mich beim nächsten Mal doch gleich zu melden. Der Kollege, der angeboten hat, etwas zu vertreten. Der andere Kollege, der die Notfallseelsorgebereitschaft spontan übernommen hat. Und die vielen anderen, die geschrieben und gefragt haben, wie es mir geht und mir gute Besserung gewünscht haben. Ich weiß nicht, ob es an der medizinischen Lage etwas verändert hat, aber die Hilfsbereitschaft, das Mitgefühl und die Liebe all dieser Menschen haben mir gut getan. 
 
Wenn wir krank sind, dann sind viele von uns gern umsorgt und möchten sich in guten Händen wissen. Die Nähe anderer Menschen, räumlich oder emotional, tut gut. 
Ist jemand unter euch krank, der rufe zu sich die Ältesten der Gemeinde, dass sie über ihm beten und ihn salben mit Öl im Namen des Herrn.
Jakobus hat das klar erkannt. Sein erster Ratschlag: Ruft jemanden zu euch. Jemanden, dem ihr vertraut, den ihr mögt oder schätzt. Bei ihm waren das ganz offenbar seine Kirchenvorsteher. Dann rät Jakobus noch weiter: Fragt sie, ob sie für euch beten. 
 
Das ist jetzt schon ziemlich persönlich. Persönlicher als jemand anderen um ein Glas Wasser oder ein zweites Kissen zu bitten. Beten ist persönlich. Jedenfalls dann, wenn wir es ernst meinen, und wirklich das vor unseren Schöpfer bringen, was uns bewegt und was wir im Herzen tragen. Wir kehren ja dann unser Innerstes zu ihm. Vertrauen ihm an, was uns zu schaffen macht, worauf wir stolz sind, großen Kummer oder vielleicht auch eine Schuld. Da wollen wir nicht unbedingt, dass das noch jemand mithört. 
 
Als ich jetzt krank war, da wusste ich, dass mindestens eine für mich betet. Sie hat es nicht so direkt gesagt, aber ich wusste es doch. Weil sie immer alle ihre Kinder in ihre Gebete einschließt. Und allein dieses Wissen hat mich getröstet. 
 
Bei anderen Gelegenheiten da habe ich andere Menschen tatsächlich gefragt: Kannst du für mich beten? Sie haben es getan. Manchmal direkt bei mir. Manchmal auch viele Kilometer entfernt. Auch das hat mir gut getan. Das Wissen, dass jemand für mich betet, gerade dann, wenn es mir nicht gut geht, ist ein großes Geschenk für mich. 
 
Das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen und der Herr wird ihn aufrichten, schreibt Jakobus. Er schreibt nicht: Dann wird der Kranke sofort wieder gesund. Sondern: Er – oder sie – wird aufgerichtet. Hat neben der medizinischen noch eine andere Hoffnungsperspektive. Nämlich: Jemand tritt vor Gott für mich ein. 
 
Manchmal stehe ich an einem Sterbebett. Oder sitze am Bett eines kranken Menschen. Manchmal beten wir dann zusammen. Und zuweilen zeichne ich jemanden mit Salböl ein Kreuz auf die Stirn. Das sind besondere, heilige Momente. Ich kann das nicht genau beschreiben, aber oft spüre ich dann: Hier ist auch etwas Himmlisches im Raum.
 
Dazu muss aber nicht immer die Pastorin kommen. Sie, wir alle, können gegenseitig so füreinander da sein. Für jemanden beten und einander segnen. Gott wird seinen Segen dazugeben. 
 
In dieser Gemeinde soll keiner allein sein. Und in der ganzen sichtbaren und unsichtbaren Kirche ist auch keiner allein. Denn es gibt immer jemanden, den man rufen kann. Es gibt die Ältesten und die Jüngeren. Die, die in der Gemeinde mitarbeiten und die, die einfach dazugehören. Die, die ein bisschen zu viel Ingwer mitbringen und ein bisschen zu wenig Honig. Die, die für uns einkaufen oder ein gutes Buch mitbringen. Und die, die für uns beten würden, wenn wir sie denn fragten. Und die, die es auch ohne Frage tun. 
 
Und wir können uns rufen lassen.
 
Und dann sagt Jakobus auch noch etwas anderes: Bekennt einander eure Sünden und betet füreinander, dass ihr gesund werdet. 
Das Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist.
Einander das zu erzählen, was man falsch gemacht hat, was nicht gut gelaufen ist, das ist nun vermutlich noch unpopulärer als jemand anderen um ein Gebet zu bitten. Dann stehe ja ich auf einmal schlecht da. Das ist peinlich. Und überhaupt: Habe ich das nötig? 
Jakobus sagt Ja!: Denn wenn du dich wirklich quälst mit etwas, dann sollst du es auch loswerden können. So wie wir von Krankheit befreit werden wollen, soll auch unsere Seele frei werden. 
 
Das Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist.
So endet Jakobus Rat. Manchmal bin ich gar nicht gerecht. Und manchmal bin ich auch gar nicht so ernstlich. Aber einer, irgendeiner hier oder draußen vor der Kirchentür im Dorf, der wird es in diesem Moment sein. 
Wir sind eine Gemeinschaft. Verbunden durch Gott. Hier in unserer Gemeinde und mit Christinnen und Christen auf der ganzen Welt.
Wir können und dürfen und sollen füreinander einstehen.
Gott, segne uns dabei!
Amen. 

Erntedank-Predigt zu Lukas 12,15-21 aus dem Gottesdienst am 01.10.2023 in Trögen (Theologiestudentin Marie Ackurat)

Liebe Schwestern und Brüder, 
der heutige Predigttext ist komisch, oder? Wer erzählt da eigentlich was? Und wem wird das überhaupt erzählt? Wir haben das Gleichnis vom Kornbauern in der Evangeliums- Lesung gehört. Wie haben Sie diese Geschichte empfunden? Beim ersten Lesen dachte ich: Gott ist so unfair. Da ist ein Mensch, wir wissen leider nicht, ob es ein Mann oder eine Frau ist, ob er alt oder jung ist. Dieser Mensch hat einen Bauernhof und hat die beste Ernte seines Lebens eingefahren. Ich stelle mir vor, wie er seine Verwaltungsbücher prüft und feststellt, dass er gar nicht genug Lagerraum hat. Gucken Sie sich ruhig mal um, so eine Scheune fasst schon wirklich viel Platz. Dann handelt er überaus vernünftig. Er sieht ein Problem und überlegt sich eine Lösung. Warum nennt Gott ihn denn dann einen Narren oder habgierig? Und noch viel schlimmer, warum fordert er seine Seele? Das ist ja nur eine lyrische Umschreibung für das Sterben des Menschen. Und wie wird man bitte reich bei Gott? 
Lasst uns zusammen noch einmal durch den Text gehen. Vielleicht finden wir dann Antworten:
 
Jesus sagte zu allen: „Gebt acht! Hütet euch vor jeder Art von Habgier. Denn auch wenn jemand im Überfluss lebt: Sein Leben hängt nicht von dem ab, was er besitzt.“ 
Dazu erzählte Jesus ein Gleichnis: „Die Felder eines reichen Grundbesitzers brachten eine besonders große Ernte. Da überlegte er: Was soll ich tun? Ich habe nicht genug Platz, um meine Ernte zu lagern. Schließlich sagte er sich: So will ich es machen: Ich reiße meine Scheunen ab und baue größere. Dort werde ich dann das ganze Getreide und alle meine Vorräte lagern. Und dann kann ich mir sagen: Nun hast du riesige Vorräte, die für viele Jahre reichen. Gönne dir Ruhe! Iss, trink, und genieße das Leben! 
Aber Gott sagte ihm: Wie dumm du bist! Noch in dieser Nacht werde ich dein Leben von dir zurückfordern. Wem gehört dann das, was du angesammelt hast? So geht es dem, der sich selbst Sätze anhäuft, aber bei Gott nichts besitzt. 
 
Klingt beim zweiten Mal ganz anders. Wenn man ein bisschen weiter vorne guckt, merkt man, dass Jesus dieses Gleichnis seinen Jüngern erzählt. Nach unserem Predigttext, erklärt Jesus seinen Jüngern, worüber sie sich sorgen sollten, und welche Sorgen sie Gott überlassen können. 
Liebe Schwestern und Brüder, beim zweiten Mal, ist mir aufgefallen, was der Mensch in Jesus Geschichte nicht gemacht hat. Er hat niemanden an seinem Reichtum teilhaben lassen. Er hat alles für sich behalten. Er hat nicht seine Familie, falls er eine hat, eingeladen. Auch keine Freunde. Er hat seinen Arbeitern keinen Anteil gegeben. Er hat kein Fest oder sowas veranstaltet. Er hat alles genommen und gehamstert. Als er die Wahl hatte, hat er größere Scheunen, statt größere Tische gebaut. Und das traurige an dieser Geschichte ist: Er hat sich nicht einmal darüber gefreut. Er nicht ein Mal danke gesagt. Kaum war das Korn geerntet, hat er gleich ein Problem und mehr Arbeit gesehen. Dieser Mensch versucht für seine Seele Ruhe zu finden. Aber er kann sie nicht fassen. Er jagt diesem Glück hinterher, macht immer mehr, immer größere Scheunen, immer mehr Arbeit, aber erwischt das Glück nicht. Er verpasst es. Obwohl es genau vor ihm steht. Diese Ernte ist ein wahnsinnig großes Geschenk! Aber er sieht es nicht. 

Manchmal, da zieht sich mein Semester ohne Ende. Und ich denke, wenn Ferien sind, dann hab´ich´s geschafft. Dann kommt der Urlaub, dann bin ich glücklich. Aber dieser Gedanke kam schon so oft. Liebe Schwestern und Brüder, geht es Ihnen manchmal auch so? Vielleicht kennen Sie ja ein ähnliches Gefühl. Zum Beispiel, wenn Sie an Ihre Schulzeit zurückdenken. Als Kind will man immer groß und erwachsen werden. Wenn ich aus der Schule raus bin, dann arbeite ich, ja dann fängt das Leben an. Und es geht weiter. Wenn ich einen Partner habe, dann werde ich glücklich. Wenn ich ein Haus oder Kinder habe, und dann die Kinder aus dem Haus sind, wenn die Rente kommt, dann, dann, dann. Merken Sie, was da passiert? Wir projizieren das Glück immer weiter Richtung Zukunft. Aber wir leben nicht in der Zukunft. Wir sind immer so kurz davor glücklich zu sein. Aber wir erreichen es nicht. 

Aber was, wenn die eigentliche Frage von Gott ist: Möchtest du wirklich so leben, mein Kind? Verlier dich nicht selbst. Bei Gott reich sein heißt: man selbst sein zu dürfen. So sein, wie Gott einen gedacht hat. Dann könnten wir aus diesem höher, schneller, weiter befreit werden. Denn dann würde uns klar sein, dass nicht wir es sind, die es in der Hand haben. Man kann noch so viel materielle Sicherheit haben. Es kann trotzdem was passieren. Vielleicht sind ja einige unter Ihnen, die einen grünen Daumen haben. Einige haben vielleicht sogar einen Hof oder einen Garten. Ich habe leider nur einen Balkon. Dort ziehe ich meine Erbsen und Tomaten selbst. So ein Balkon bietet viel Schutz. Mein Balkon ist überdacht, deshalb muss ich mir um den Hagel keine Sorgen machen. Auch nicht um Überschwemmungen. Aber was wirklich schlimm ist, ist die Hitze. Die Pflanzen können sich nicht an dem Grundwasser bedienen. Letztes Jahr im Sommer bin ich mit dem Gießen gar nicht mehr hinterhergekommen. Ich habe sie gehegt und gepflegt und trotzdem sind mir ein paar vertrocknet. Es war einfach zu heiß. Da konnte ich nichts machen. Und vielleicht geht es Ihnen, den Menschen mit wunderschönen Gärten und Höfen ja ganz genauso. Wir haben es nicht in der Hand. Das Evangelium macht deutlich: wir sind auf Gott angewiesen. Wie schön wäre es, wenn wir nicht alles selbst tragen müssten, sondern einen Teil in Gottes Hand lägen könnten. Hätten unsere Seelen dann nicht Ruhe? 
Wir stehen viel zu selten vor den Geschenken, die Gott uns macht, und sind dann dankbar. 
Ich lade Sie ein, einen kurzen Moment zu verharren, die Augen zu schließen und zu überlegen, was Sie für ein tolles Geschenk bekommen haben. Das kann die Genesung, nach einer schweren Krankheit sein, aber auch das Lächeln eines Fremden an einem Tag, der eigentlich total mies angefangen hat. 

[Stille]

Danke. Vielleicht lächeln einige. Vielleicht hatten sie ja auch dieses warme Gefühl in der Brust. Unsere Welt ist so schnelllebig, wir haben für solche Momente kaum noch Zeit. Hören wir doch noch einmal, was Jesus dazu sagt: 
Jesus sagt: niemand lebt davon, dass er viele Güter hat.
Es stimmt. Wir leben nicht davon, dass wir viele Dinge besitzen. Es sichert unser Überleben und gibt uns Bequemlichkeit. Das, was uns im Leben wertvoll ist, sind die Erinnerungen. Manche Gegenstände werden auch erst durch die Erinnerung wertvoll. Ich habe zum Beispiel noch nie eine Muschel im Geschäft gekauft, aber schon oft welche im Urlaub gesammelt oder mit ihnen Sandburgen gebaut. Solche Erinnerungsschätze sind für jeden von uns etwas anderes. Vielleicht denken Sie daran, wann Sie einen geliebten Menschen zum Lächeln gebracht haben. Oder auch an ein Lied, dass Ihnen besonders gut gefällt. Oder einen Freund, der bei Ihnen war, als Sie eine schwere Zeit durchmachten. Das alles sind die Schätze unseres Lebens. Dafür wollen wir Gott heute DANKE sagen. 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen. 

Predigt aus dem Gottesdienst zur Silbernen Konfirmation in Trögen am 16.09.2023 (P. i. R. Bernd Ranke)

Liebe Silberne Konfirmanden, liebe Gemeinde, 

heute erinnern wir uns an die Konfirmation, die 25 Jahre zurückliegt. Damals haben Sie als Konfirmanden den Segen Gottes zugesprochen bekommen. Sie bekamen einen Konfirmationsspruch und unter Handauflegung wurde Ihnen ein guter Wunsch, ein Segen mit auf Ihren Weg mitgegeben.

Was ist das, Segen? 
Der Segen kann ein Versprechen Gottes sein, dass er das Band der Liebe nicht zerreißen wird. Er will uns ein Begleiter auf dem Lebensweg sein. Denn gerade, wenn ein neuer Lebensabschnitt beginnt, ist die Unsicherheit groß, Ängste tun sich auf, aber häufig überwiegt Vorfreude, endlich eigene Wege gehen zu können. Manche Jugendliche bleiben zur Ausbildung bewusst zu Hause. Sie schätzen die gewohnte Umgebung, die ihnen Sicherheit bietet. Oder aber sie gehen gerade möglichst weit Weg, damit sie den Einfluss der Eltern aus dem Wege gehen wollen, mehr Eigenständigkeit wünschen.

Ganz früher war die Konfirmation mit dem Ende der Schulzeit verbunden, für viele begann damals mit der Lehrzeit und Ausbildung der Ernst des Lebens. Die Kindheit und Jugend wurde zurückgelassen, das Erwachsenwerden stand als Aufgabe an. Sichtbar wurde es häufig, in dem zur Konfirmation das erste Mal eine lange Hose getragen wurde.

Wie haben Sie es damals empfunden? War es eine schöne Erfahrung? Haben Sie sich über den Segen gefreut? Wahrscheinlich gingen Sie nach der Konfirmation erst einmal weiter zur Schule gegangen, aber dann folgte auch die Ausbildung, der Abschluss und die Suche nach einer Arbeitsstelle. Später bei einigen die Familiengründung. 

Für viele bricht der Kontakt zur Kirche nach der Konfirmation erst einmal ab. Einige engagieren sich als Teamer oder arbeiten Evangelischen Jugend mit. Die meisten haben andere Interessen. Das heißt aber nicht, dass das Band zwischen Gott und den Jugendlichen zertrennt ist. Aber im Alltag ist es zunächst nicht sichtbar. 

Ähnlich erging es Jakob, von dem wir eben in der Lesung gehört haben. Er hatte den Kontakt zu Gott verloren. Dazu hatte er ein großes Problem: Er hatte Mist gebaut. Vielleicht mit einem guten Motiv, aber dennoch hatten er und seine Mutter sich gegenüber seinem Bruder Esau mies verhalten. Das war nicht in Ordnung gewesen, sich etwas zu rauben, was eigentlich dem älteren Bruder zugestanden hätte. Jakob schämt sich und suchte einen Vorwand, um sich vor dem nach Rache suchenden Bruder in Sicherheit zu bringen.

Jakob konnte es kaum glauben, dass Gott zu ihm hält. Hatte er doch ein schlechtes Gewissen und er war sich sehr bewusst, dass er seinem Vater und besonders seinen Bruder Unrecht getan hatte.

Wie belastend kann so ein Familienstreit sein. Ein Wort gibt das andere. Und dann ist das Band zertrennt. Die Verbindung ist zerstört. Man spricht nicht mehr miteinander. Jeder zieht sich zurück und erwartet, dass der andere einlenkt und sich entschuldigt. 

Gott knüpft ein Band mit uns. Und genau betrachtet, knüpft Gottes dieses Band nicht erst mit der Konfirmation. Er knüpft es viel früher, nämlich bei der Taufe. In der Taufe sagt Gott bedingungslos „Ja“ zu uns. So wie ich bin und so wie ich sein werde, bin ich von Gott geliebt und angenommen. Egal, was das Leben bringt, ob es auf geraden Wegen geht oder auf Umwegen, vielleicht sogar auf Abwegen. Immer gilt Gottes Treue und Liebe. 

Was haben Sie bislang auf Ihrem weiteren Lebensweg erfahren? An diesem Tag werden Sie wahrscheinlich mit den anderen Konfirmanden Erinnerungen austauschen. Und dann kommt in den Blick, was gewesen ist. Haben Sie gespürt, dass Gottes Band sie hält? Oder haben Sie dieses Band als einengend erlebt und waren froh, nach der Konfirmation erst einmal alles hinter sich zu lassen. Sie sind jetzt reicher an Lebenserfahrung. Ich persönlich finde den Zeitpunkt der Konfirmandenzeit nicht gut gewählt: Zwischen 12 und 14 Jahren sind viele in der Pubertät, da wirbeln die Hormone durcheinander, viel verändert sich. Es fehlt oftmals der Sinn und die innere Reife, sich eigenständig mit Fragen des Glaubens zu befassen. Vielleicht würden sich nicht mehr so viele konfirmieren lassen, aber eine Konfirmandenzeit etwa ab 16 Jahren hätte in dieser Hinsicht mehr Chancen. 

Die Silberne Konfirmation ist Gelegenheit, sich damit zu befassen, welche Bedeutung der Glaube für mein Leben hat. Gelegenheit, sich an Gottes Segensband erinnern zu lassen.

Jakob wird mitten in der Einsamkeit im Traum an dieses Band erinnert. Er sieht eine Leiter, die Himmel und Erde miteinander verbindet. Er sieht die Engel, die als Boten Gottes für eine Verbindung von Gott und Mensch sorgen. Für ihn kommt diese Begegnung so überraschend, dass er sich zunächst fürchtet. Aber dann sieht er in dem Traum eine wohltuende freundliche Hand, die sich auf seine Schultern legt. Gott hat ihn trotz seiner Gaunerei nicht fallen gelassen. Er will ihn weiter begleiten und segnen. Und das erfüllt sich im Laufe seines Lebens. Es gibt schwierige Zeiten, wo Jakob Belastungsproben aushalten muss. Er hat manche Lasten zu tragen, erlebt Krisen, aber am Ende gelingt die Versöhnung mit seinem Bruder Esau. Die Geschichte von Jakob ist eine Geschichte, die uns stärken und ermutigen möchte. Gerade in schwierigen Zeiten, aber nicht nur da, will Gott uns nahe sein. Er hält zu uns, er will mit uns in Verbindung bleiben. „Zwischen Dir und mir ist das Band“. Als Jakob aufwacht, ist er voll Staunen. „Gott, du bist freundlich – ich aber wusste es nicht.“ 

Sie, liebe Jubilare, sind in einem intensiven Lebensabschnitt. Für viele ist die Partnerschaft, ist die Familie ein wichtiger Lebensbereich, vielleicht mit eigenen Kindern. Im Beruf haben Sie erste Ziele erreicht, womöglich stehen noch Veränderungen an. Zugleich beginnt mit Anfang Vierzig auch schon eine gewisse Nachdenklichkeit. Was habe ich bislang erreicht? Welche Ziele habe ich verwirklicht? Hier nicht gedankenlos durchs Leben zu stolpern, sondern von Zeit zu Zeit innezuhalten, ist eine große Chance. Das gilt für uns alle. Ein Urlaub kann so eine Zeit sein, mit dem nötigen Abstand zum Alltag. 

Und hier zu wissen: Da ist einer im Himmel, der es gut mit mir meint. Da ist einer, der mir den Rücken stärkt, der mich annimmt, so wie ich bin. Da ist einer, der mich durch das Leben führt und mir seine Boten schickt, wenn ich auf Abwege gerate. Das müssen nicht immer Engel mit Flügeln sein. Es können auch Engel ohne Flügel sein, die Gott uns an die Seite stellt. Liebe Menschen, die uns mit Rat und Tat zur Seite stehen. Auch auf diese Weise will uns Gott segnen. Das zu wissen tut gut. So hat es Jakob erfahren und so wünsche ich es uns allen. „Denn zwischen Dir und mir ist das Band.“ 

Amen. 
Quelle: Martina Steinkühler

Komm! Ansprache zu Lukas 7,36-50 aus dem Gottesdienst am 20.08.2023 in Hardegsen von Anne Dill

Liebe Gemeinde,
stellen Sie sich einmal Folgendes vor:
Sie sind eingeladen. Bevor Sie an der Haustür Ihres Gastgebers klingeln, zupfen Sie noch einmal Jacke oder Haare zurecht. Schließlich wollen sie angemessen auftreten.
Die Tür öffnet sich, sie können gerade noch Hallo sagen, da sehen Sie nur noch den Rücken Ihres Gastgebers. Er ist schon wieder ins Haus gegangen. Ohne Hand-Geben, ohne Umarmung. Einen Haken für Ihre Jacke müssen Sie sich selbst suchen.
So wirklich nett ist das alles nicht. Eine herzliche Begrüßung geht anders.
 
So ähnlich ist es Jesus passiert. Wir haben die Geschichte eben gehört. Er ist bei Simon eingeladen, einem Pharisäer. Jesus geht hin und wird ebenfalls eher halbherzig begrüßt. Er bekommt kein Wasser für seine Füße, obwohl das damals üblich war. Die Straßen waren staubig und in Sandalen werden die Füße eben dreckig. Es gehört dazu, seinem Gast eine Schüssel Wasser dazu hinzustellen. Und noch ein zweites: Eigentlich wird ein Gast mit einem Begrüßungskuss begrüßt. Nicht auf den Mund, sondern vielleicht ein bisschen so, wie links-rechts-links bei den Franzosen. Kriegt Jesus aber auch nicht. 
Trotzdem bleibt er da. 
 
Dann kommt diese Frau rein. Sie weint. Vielleicht könnte man sogar sagen: Sie heult. Denn ihre Tränen hören gar nicht auf zu fließen. Keiner kennt sie so wirklich, aber alle wissen: Sie ist eine Sünderin! Sie hat etwas falsch gemacht oder sie hat einen schlechten Lebenswandel. Warum wird gar nicht gesagt. Aber es ist klar, sie ist jemand, mit der man lieber nichts zu tun haben will. Sie ist schlechte Gesellschaft. Vielleicht hat sie etwas geklaut. Vielleicht zieht sie sich in den Augen der Leute falsch an. 
Vielleicht hat sie ein uneheliches Kind oder ist mit einem Mann zusammen, mit dem sie nicht verheiratet ist. In unserer Gesellschaft ist das kein Grund mehr, jemanden zu meiden. Damals aber schon.
 
Jetzt kommt die Frau, mit der niemand was zu tun haben will, aber nicht nur uneingeladen in ein fremdes Haus, sondern sie benimmt sich auch noch arg seltsam. Sie tritt von hinten an Jesus heran und weint dann so sehr, dass seine Füße nass werden. Statt ein Taschentuch hervorzuziehen, nimmt sie ihre Haare zum Trockenwischen. Und dann cremt sie seine Füße mit einem Duftöl ein, das sie mitgebracht hat.
 
Wenn jetzt hier jemand reinkommen würde und sich so aufführen, würden wir alle ziemlich dumm gucken. Zu Recht. Das, was die Frau tut, ist und bleibt seltsam und irgendwie auch peinlich und unhöflich. So benimmt man sich nicht.
Der Pharisäer Simon ist auf andere Weise unhöflich. 
 
Das Entscheidende an der Geschichte ist aber nicht, dass die beiden sich so komisch aufführen, sondern es ist, was Jesus macht: Er bleibt.
Obwohl er so kühl empfangen wird. Er sucht das Gespräch. Isst und trinkt mit Menschen, die offensichtlich nicht ganz so viel von ihm halten, ihn auf die Probe stellen wollen oder einfach Zweifel haben, wie sie sich ihm gegenüber verhalten sollen.
Jesus bleibt da.
 
Er lässt auch die Frau gewähren. Jeder andere hätte wahrscheinlich schon längst die Füße weggezogen. Hätte laut und deutlich: Halt! gesagt. Oder: Ist wirklich gut jetzt. Oder wäre einfach aufgestanden. Jesus nicht.
Weil er etwas sieht: 
Jesus sieht die vielen Tränen der Frau. Geweint aus Kummer, aus Erleichterung oder Dankbarkeit. Er sieht, wie wichtig es für die Frau ist, ihm einmal ganz nah zu sein. Vielleicht hat sie sonst niemanden, dem sie mal etwas Gutes tun kann. Vielleicht nimmt sie niemand in den Arm oder reicht ihr zumindest die Hand. Vielleicht spricht man nicht einmal mit ihr.
Jesus aber lässt es zu. Sie hat es geahnt oder gehofft. Die Frau weiß: Jesus tut mir gut. Ich möchte in seiner Nähe sein.
 
Wie also begegnen wir Jesus? Können wir überhaupt etwas mit ihm anfangen? Vielleicht nicht. Möglicherweise wissen wir nicht viel über ihn. Haben Zweifel an dem, wer oder was er ist. 
Oder wir wissen: Jesus tut gut. In ihm ist etwas Gutes, auch für mich. In ihm ist Heil. Aber unser Leben ist nicht immer gut. Wir tragen Kummer, Sorgen oder Schuld mit uns herum. Geweinte oder ungeweinte Tränen. Etwas ist misslungen oder ich mache mir große Gedanken.
Für Jesus ist nicht wichtig, wie wir drauf sind. Für ihn ist nur wichtig, dass wir einen Schritt in seine Richtung machen. Mit Worten, wie Simon, der ihn zum Essen und zu Gesprächen einlädt. Oder mit Taten, wie die Frau.
 
In unserem Herzen können wir Jesus ganz genauso sagen: Ich will dich kennenlernen. Komm zu mir, in mein Leben, in mein Herz. 
Und wenn er schon längst da drin ist, wenn der Glaube schon zu unserem Leben dazugehört, dann könnte es sein, dass wir das trotzdem einmal körperlich spüren wollen. Wir können jemanden bitten, dass er oder sie uns die Hand auf den Arm oder den Kopf legt, für uns betet oder uns segnet. Das geht sogar ohne Worte.
Kummer und Tränen sollen unser Leben nicht gefangen nehmen. Zweifel und Unsicherheit nicht die Richtung vorgeben. Jesus Christus ist das Licht der Welt. Er ist auch unser Licht. Er möchte unser Leben hell machen.
Amen.

Warum meine Engel keine Flügel haben. Ansprache zu Psalm 91,11 aus dem Sommergottesdienst in Üssinghausen am 16.07.2023 (Anne Dill)

Warum meine Engel keine Flügel haben. Ansprache zu Ps 91,11 (AD) 
Gott schenke uns ein Herz für sein Wort und ein Wort für unser Herz.
Amen.
 
„Warum meine Engel keine Flügel haben“ – so habe ich diesen Gottesdienst genannt. 
Ich weiß nicht, woran Sie denken, wenn Sie das Wort „Engel“ hören. Engel gibt es ja in ganz unterschiedlichen Formaten und Gestalten. Und sie sind beliebt.
Ich erinnere mich noch, als ich zum ersten Mal im Krippenspiel mitspielen durfte. Ich wollte kein Hirte sein – langweilig! Und auch nicht Maria. Sondern: Ein Engel. Weil Engel weiße Kleidchen tragen dürfen und Flügel. Im Grunde genommen ist es - glaub ich - bis heute so. Die meisten kleinen Mädchen wollen als Engel auftreten.
 
Engel begegnen uns aber nicht nur um die Weihnachtszeit. In vielen Kirchen gibt es Malereien von ihnen oder Figuren. Wenn man im Urlaub große Kirchen besucht, kann man fast immer welche bewundern. Engel hängen als Anhänger am Schlüssel oder am Spiegel im Auto. Es gibt sie als kleine zum In-die-Tasche-stecken und In-die-Hand-nehmen. Und manchmal sitzen sie auch auf Terrassen oder auch auf Gräbern. Zum Schutz derer, die dort sind.
 
Und es gibt sie auch in Bibelversen. 
Den beliebteste Taufspruch aller Zeiten haben wir eben schon einmal gehört. Der kommt nämlich aus Psalm 91, Vers 11: „Denn er, also Gott, hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen.“ Ich würde mal so grob schätzen, mindestens jedes vierte Kind bekommt ihn mitgegeben auf den Weg ins Leben.
Wie wichtig dieser Vers ist, habe ich dieses Jahr noch einmal besonders erlebt. 11 Konfirmandinnen und Konfirmanden wurden in Hardegsen und Trögen eingesegnet. Und gleich vier von ihnen haben sich selbst diesen Vers als Konfirmationsspruch ausgesucht.
 
Engel sind offenbar sehr wichtig. Oder noch etwas anders gesagt: Ich habe Sehnsucht danach, dass mein Kind oder dass ich beschützt bin auf meinen Wegen. Ich wünsche mir wen, der auf mich aufpasst, mich geleitet, gerade denn, wenn Menschen das nicht tun können. Ich wünsche mir einen himmlischen Beistand.
 
Ich glaube, dass diese Sehnsucht in fast allen Menschen ist. Nicht immer. Nicht überall. Aber ab und an. Und besonders dann, wenn wir verletzlich sind. Weil wir ein Kind haben oder weil unsere eigene Kraft schwindet oder weil wir uns Sorgen machen um die Zukunft oder den heutigen Tag.
 
In der Bibel gibt es natürlich nicht nur diesen einen Vers, der von Engeln erzählt.
Eine der bekanntesten Engel-Geschichten in der Bibel ist wohl die von Jakob. Der ist von zuhause geflohen, weil er seinen Bruder betrogen hat und der ihm nun nach dem Leben trachtet. Jakob hat nichts mehr, nur das, was er bei sich trägt. Allein und einsam legt er sich mitten im Nirgendwo zum Schlafen nieder und träumt. Von einer Himmelsleiter. Sie steht dort, wo er liegt, und reicht bis an den Himmel. Auf der Leiter steigen Engel herunter und hoch. Zu ihm auf die Erde und dann wieder in den Himmel. Und Gott verspricht ihm: Ich bin mit dir und behüte dich, wohin du auch gehst. Am nächsten Morgen ist Jakob seltsam getröstet.
 
Vielleicht kennen Sie auch die Geschichte vom großen Propheten Elija. Er hat es den Menschen, die Götzen verehren, so richtig gezeigt. Nur Gott, der lebendige Gott, hat Macht. Alle waren schwer beeindruckt. Keiner hat mehr an falsche Götter geglaubt. Aber Elija hat nach seiner großen Tat plötzlich allen Lebensmut verloren. Er ist in die Wüste gegangen. Allein. Und hat sich unter einen Strauch gelegt. Lass, mich sterben, Gott, ich will nicht mehr. 
Depression würden wir es heute wohl nennen. Und es ist sehr menschlich. Da hat man alles geschafft, was ging, und plötzlich fällt man in ein Loch. Während Elija dort liegt, erscheint ein Engel. Der bringt ihm Brot und Wasser. Nicht einmal, sondern zweimal. Elija setzt sich auf. Sein Lebensmut kehrt zurück.
 
Auf Hebräisch heißt „Engel“ MALACH. Aber – und das ist das Interessante – MALACH hat auch noch eine zweite Bedeutung. MALACH heißt auch „Bote“. Damit können Himmelsboten gemeint sein, wie im Traum von Jakob. Es könnten aber auch „nur“ menschliche Boten sein. Vielleicht war der Bote, der zu Elija gekommen ist, kein himmlischer Engel mit Flügeln. Vielleicht sah er ebenso staubig und abgerissen aus, wie der Prophet. Vielleicht war er einfach nur ein anderer Wanderer, der Mitleid hatte und etwas von seinem Brot und Wasser dem Unbekannten hingestellt hat. Aber in diesem Moment wird er zum Engel.
 
Warum meine Engel keine Flügel haben…
Mir ist noch nie so ein himmlisches Wesen mit Flügeln und Strahlen begegnet. Ich habe noch nie so wie Jakob geträumt. Aber. Aber! 
Es gibt Momente, in denen ein ganz normaler Mensch für mich zum Engel wird:
 
Da, als ich auf dem Fußboden vor meinem Bett sitze, untröstlich, und eine sich neben mich setzt. „Ich habe gesehen, du brauchst mich. Hier bin ich.“ Vorher haben wir uns nie wirklich verstanden. Heute ist sie Familie für mich.
 
Da, als ich mich durch die Vorbereitung fürs Examen quäle, wissend, dass einer meiner Prüfer der gefürchtetste überhaupt ist. Ich kann nichts machen, er ist mir zugeteilt. Aber zwei lernen mit mir. Sie briefen mich so gut, dass seine Fangfragen mir nichts anhaben können. Ich bestehe – und mein Traumberuf steht mir offen. 
 
Oder die eine. Die nicht mehr gut gucken kann. Und auch nicht laufen oder sonst irgendwas. Jeden Morgen liest sie die Losungen. Manchmal braucht sie für die wenigen Sätze eine halbe Stunde - aber sie ist dankbar. Dankbar, dass sie immer noch lesen kann. Bis heute ist sie mir Vorbild. Vorbild in Geduld und Beharrlichkeit. Und auch in Demut.
 
Eine lädt mich zum Essen ein, weil sie weiß, dass es wohl sonst heute mit einer warmen Mahlzeit nichts mehr wird. Einer schickt mir eine Sprachnachricht, obwohl er Sprachnachrichten hasst. Aber er will wissen: Wie geht es dir? – und ist ehrlich an der Antwort interessiert. Und eine ruft an, weil sie weiß, dass ich gerade einen schweren Gang hinter mir habe.
 
Meine Engel haben keine Flügel. Sie sind zu dick oder zu dünn. Hibbelig. Spaßbefreit. Impulsiv. Kindisch. Krank. Oder überarbeitet. Sie reden schneller, als sie denken. Und sie fahren schneller Auto als erlaubt.
Es sind einfach nur Menschen. Aber in einem Moment werden sie zum Boten des Himmels, zum Engel.
So wie bei Elija.
 
Gott hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen. 
Seine Engel – ob himmlisch oder menschlich – sind mit dabei auf unserem Lebensweg. Wir gehen begleitet und geleitet. Was für ein Geschenk!
 
 
Das ist jetzt aber noch nicht das Ende der Fahnenstange. Wenn Menschen für uns in einem Moment zum Engel werden können, geht das auch umgekehrt. Wir sind auch Menschen. Wir können auch zu Himmelsbotinnen und Boten werden. Wir können mitbauen an einer guten Welt, am Reich Jesu Christi.
 
In einem alten Gebet heißt es:
Jesus Christus hat keine Hände, nur unsere Hände,
um seine Arbeit heute zu tun.
Er hat keine Füße, nur unsere Füße,
um Menschen auf seinen Weg zu führen.
Jesus Christus hat keine Lippen, nur unsere Lippen,
um Menschen von ihm zu erzählen.
Er hat keine Hilfe, nur unsere Hilfe,
um Menschen an seine Seite zu bringen.
 
Ich habe eine Schale mitgebracht. Da sind lauter kleine Engel drin. Auf ihnen steht: Du bist ein Engel! 
Für jede*n ist ein Engel da. Sie können den Engel für sich selbst behalten. Ihn an den Spiegel hängen oder auf den Schreibtisch legen und sich erinnern lassen: Ich bin berufen, an Gottes Reich mitzubauen. Ich kann ein Engel sein.
 
Oder Sie geben den Engel weiter an einen anderen Menschen, der für Sie schon einmal zum Engel geworden ist. Als Anerkennung und als Dank.
 
Ich gehe mit der Schale beim nächsten Lied herum.
 „Ich lobe meinen Gott von ganzem Herzen“. 
Denn was können wir Besseres tun als Gott danke zu sagen?
Danke, Gott, dass du es so gut mit uns meinst.
Danke für alle Himmelsspuren in unserem Leben.
Und danke, dass wir mitbauen können an deinem Reich.
Amen.

Losziehen. Ansprache zu Genesis 12,2 aus dem Reisesegen-Gottesdienst am 02. Juli 2023 (Anne Dill)

Gott schenke uns ein Herz für sein Wort und ein Wort für unser Herz. Amen.
 
Heute fange ich mal ganz anders an. Ich habe nämlich eine Frage. Bzw. mehrere:
Wer von Ihnen und euch fährt alles in den Urlaub? […]
Wer verbringt den Urlaub sogar im Ausland? […]
Und: Wer hat mindestens 1 Begleiter dabei? […]
 
Herzlich willkommen, liebe Gemeinde, im Club mit Abraham. Von dem haben wir ja eben gehört. Der zieht auch los. Er verlässt ebenfalls sein Land. Und: Er ist nicht allein.
 
Jetzt möchte ich aber noch eine zweite Abfrage starten:
Wer von Ihnen und euch, weiß noch nicht, wo es hingehen soll? […]
Und wer ist auch einfach gern zu Hause? […]
 
Herzlich willkommen ebenfalls im Club mit Abraham!
Der hat nämlich überhaupt keine Ahnung, wo es für ihn jetzt so ganz genau hingehen soll. Und eigentlich war er auch ganz zufrieden da, wo er bis jetzt zu Hause ist.
 
Wir sehen, irgendwie ist uns diese alte Geschichte gar nicht so fern.
 
Bevor es losgehen kann auf eine Reise, ist erstmal einiges zu tun. Wir müssen den Aufbruch erstmal vorbereiten: Ein Quartier finden, den Zug oder Flieger buchen, das Auto tanken, Sonnencreme shoppen, Wanderschuhe besorgen oder einen neuen Bikini, den Koffer packen, den Koffer der Kinder packen oder kontrollieren, Proviant einpacken, das Auto packen…
Also kurzum: Erstmal ist es stressig.
Denn: Man muss ja auch noch die Zeit der Abwesenheit zu Hause regeln: Wer versorgt die Blumen, das Haus und die Katze, die Hühner oder die Meerschweinchen? Und der Briefkasten muss auch geleert werden. 
 
Wirklich wegzukommen, ist gar nicht so leicht. Und hat man es dann endlich geschafft aufzubrechen, hat man plötzlich doch was vergessen und muss nochmal zurück. Das Lieblingskuscheltier des Kindes holen. Oder das Fenster zumachen, das natürlich schon zu war.
 
Wenn man es dann wirklich endlich geschafft hat, sich auf die Reise zu begeben, ist das oft ein richtig gutes Gefühl: Die Freiheit winkt. Der Urlaub liegt vor uns. Endlose Wochen mit Nichtstun, schwimmen, wandern, lesen, spielen.
Und auch die Reise selbst ist ja manchmal schon ein bisschen wie Urlaub. Fremde Landschaften ziehen am Auto vorbei. Und wenn man auf dem Flughafen die Anzeigetafel mit den Flügen liest, steht einem gefühlt irgendwie die ganze weite Welt offen.
 
Ob Abraham sich wohl auch gefreut hat, endlich loszukommen? Ich weiß es nicht. Aber ich glaube: Nicht unbedingt. Denn bei ihm gibt es einen großen Unterschied. Er fährt nicht einfach mal 2 Wochen zum Wandern in die Alpen oder fliegt ans Mittelmeer, sondern er zieht für immer los. Er zieht aus aus seinem bisherigen Leben, seiner Heimat, von dem, was ihm lieb und vertraut ist. Und da stellt sich doch schnell ein mulmiges Gefühlt ein.
Vielleicht so, wie wenn man zum ersten Mal ohne die Eltern verreist. Einen Schüleraustausch macht oder im Studium für ein Jahr ins Ausland geht. Das ist gar nicht so einfach. So cool man auch ist, irgendwann wird einem doch etwas bange. Und für die Eltern ist es auch gar nicht so einfach. Sie bleiben zurück und müssen ihr Kind ziehen lassen.
Losziehen und Losziehen lassen kann ganz schön schwer sein.
 
Deswegen bereitet Abraham sich genau vor. Klärt wer mitkommt: Seine Frau und sein Neffe. Und er packt das ganze Zeug zusammen, das mitsoll. Dann rennt er aber immer noch nicht gleich los. Sondern er bricht erst auf, nachdem Gott ihm seinen Segen versprochen hat:
„Ich will dich segnen und du sollst ein Segen sein.“
 
Der Segen. Der ist ganz wichtig. Immer schon. Ganz am Anfang der Welt, als Himmel und Erde, die ganzen schönen Landschaften, die Tiere und die Menschen entstanden sind, hält Gott keine Predigt. Er spricht auch kein Gebet. Sondern: Er segnet. Erst die Tiere und dann die Menschen.
 
Wenn wir uns segnen lassen, dann heißt das: Wir öffnen uns für dich, Gott. Leg etwas Gutes auf unser Leben. Auf mich. 
 
Gott allein schenkt den Segen. Aber jeder Mensch kann einem anderen Segen zusprechen. Quasi Gottes Sprachrohr sein. Und das geht nicht nur im Gottesdienst. Sondern im alltäglichen Leben, z.B. in der Familie. Meine Eltern haben ihre Kinder morgens gesegnet, bevor sie in Schule oder Kindergarten loszogen. Einfach ein kleines Kreuz auf die Stirn gezeichnet und gesagt: „Gott segne dich“. Irgendwann ist mein Bruder, der schon an der Haustür war, zurückgerannt zu seinem Vater und hat ihm mit seinen Kinderhänden ein Kreuz auf die Stirn gezeichnet. Es ist viele Jahre her, aber mein Vater erzählt es bis heute. 
Der Segen ist wie eine gute Macht,
die den, der losgeht, begleitet.
 
Wenn wir verreisen, hat das unterschiedliche Gründe:
Manche müssen auf Geschäftsreise. Aber vor allem verreisen wir eben in den Urlaub. Um Sightseeing zu betreiben, uns in schönen Orten vom Alltag zu erholen oder um Familie oder Freunde zu sehen.
 
In der Bibel ist das ein bisschen anders. Man reist mit dem Esel, dem Kamel oder geht einfach zu Fuß. Nur sehr Reiche konnten sich einen Wagen leisten. Deswegen ist Reisen vor allem eins: Strapaziös und anstrengend und man überlegt sich sehr genau, ob man das auf sich nimmt.
Gut, unsere Reisen sind zuweilen auch strapaziös. Man denke nur an die Deutsche Bahn, die endlosen Schlangen an der Sicherheitskontrollen im Flughafen oder die Baustellen auf der Autobahn.
Und trotzdem verreisen wir aus Spaß an der Freude.
 
Trotz der Strapazen damals gibt es ziemlich viele Leute in der Bibel, die losziehen. Nicht nur Abraham. Jesus zum Beispiel wandert ungefähr 3(!) Jahre durch das ganze Land. Und die ersten Missionare fahren auf ihren Missionsreisen durch das heutige Griechenland, die Türkei und Israel, übers Meer, bis nach Spanien, Rom und Ägypten. 
Diese Reisen zeigen uns etwas. Glauben vollzieht sich nicht so im „stillen Kämmerlein“ ganz nebenbei und abgeschieden von der Welt. Sondern es ist genau umgekehrt. Glauben bringt Menschen, bringt uns in Bewegung, „macht Beine“: 
 
Vielleicht haben Sie das selbst schon mal gespürt. Wenn ich losziehe, dann wechsle ich nicht nur äußerlich den Ort, sondern in mir drin passiert etwas.
Wenn ich wandern gehe, bringt die Bewegung meine Gedanken in Schwung. Es geht langsam voran und plötzlich ist Zeit zum Nachdenken oder für Gespräche, für die sonst keine Zeit ist.
Wenn ich Rad fahre, nehme ich die Welt und zuweilen mein Leben aus einer ganz anderen Perspektive wahr. Ich bin plötzlich rausgehoben.
Wenn ich am Strand liege und mich von Wind, Sonne und Meer verwöhnen lasse, kommt auch meine Seele zur Ruhe. Ich bekomme neue Kraft.
 
Deswegen gibt es in der Bibel auch immer wieder Geschichten davon, dass eine Reise auch zur Gottesbegegnung werden kann. 
Vielleicht kennen Sie/ihr die Geschichte von Jakob. Der ist auch unterwegs. Und als er nachts einschläft, da träumt er so intensiv von Gott und von seinen Engeln, dass es ihm am nächsten Morgen so ist, als ob er Gott selbst begegnet ist.
 
Auch Abraham ist bereit aufzubrechen. Das ist etwas Entscheidendes. Denn das Gute und Heilsame, was dadurch geschieht, kommt nicht nur ihm und seinem Leben zu Gute. 
Ich will dich segnen und du sollst ein Segen sein, sagt Gott. Du wirst zum Segen! Für die Menschen um dich herum, für die Welt. Du bist gesegnet. Das hat Auswirkungen. Der Segen bleibt nicht nur bei dir. Er gilt durch dich auch anderen.
 
Ich wünsche Ihnen, wünsche uns,
dass wir immer wieder den Mut haben, neu aufzubrechen im Kleinen und im Großen.
Dass auch unsere Reisen heilsam und gut sind.
Dass unsere Seele zur Ruhe kommen kann,
dass der Himmel uns berührt,
unser Herz und unseren Glauben belebt.
Und dass wir etwas mitnehmen können von dem Segen des Urlaubs, von der Kraft, die wir dort bekommen haben, hinein in unseren Alltag.
 
Wenn wir zuhause bleiben, weil wir nicht verreisen können oder wollen, dann können wir auch eine Gedankenreise unternehmen. Uns Fotos von einem vergangenen Urlaub angucken oder uns gegenseitig von den schönen Erlebnissen erzählen. 
Denn wenn wir aufbrechen, äußerlich oder innerlich, gilt Gottes Zusagen auch uns:
Ich will dich segnen und du sollst ein Segen sein.
Amen.

Predigt zu Hiob 2,1-10 vom 26.02.2023 (Invokavit) von Pn. i. R. Käthe von Gierke

Liebe Gemeinde,
der Predigttext für den heutigen Sonntag steht im Buch Hiob im 2. Kapitel, die Verse 1-10:

(1) Es begab sich aber eines Tages, da die Gottessöhne kamen und vor den HERRN traten, dass auch der Satan unter ihnen kam und vor den HERRN trat.
(2) Da sprach der HERR zu dem Satan: Wo kommst du her? Der Satan antwortete dem HERRN und sprach: Ich habe die Erde hin und her durchzogen.
(3) Der HERR sprach zu dem Satan: Hast du Acht auf meinen Knecht Hiob gehabt? Denn es ist seinesgleichen auf Erden nicht, fromm und rechtschaffend, gottesfürchtig und meidet das Böse und hält noch fest an seiner Frömmigkeit; du aber hast mich bewogen, ihn ohne Grund zu verderben.
  (4) Der Satan antwortete dem HERRN und sprach: Haut für Haut! Und alles, was ein Mann hat, lässt er für sein Leben.
(5) Aber strecke deine Hand aus und taste sein Gebein und Fleisch an: Was gilt’s, er wird dir ins Angesicht absagen!
(6) Der HERR sprach zu dem Satan: Siehe da, er sei in deiner Hand, doch schone sein Leben!
 
(7) Da ging der Satan hinaus vom Angesicht des HERRN und schlug Hiob mit bösen Geschwüren von der Fußsohle an bis auf seinen Scheitel.
(8) Und er nahm eine Scherbe und schabte sich und saß in der Asche.
(9) Und seine Frau sprach zu ihm: Hältst du noch fest an deiner Frömmigkeit? Sage Gott ab und stirb! 
(10) Er aber sprach zu ihr: Du redest, wie die törichten Frauen reden.
Haben wir Gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nicht auch annehmen?
In diesem allen versündigte sich Hiob nicht mit seinen Lippen.
 
Liebe Gemeinde,
zu unserem Predigttext heute gibt es eine Vorgeschichte, die man kennen sollte. Hiob war nämlich zuvor ein reicher Mann. Gesegnet mit allem, was ein Mensch in der damaligen Zeit sich wünschen konnte: Er besaß 7000 Schafe, 3000 Kamele, 500 Rinderpaare, 500 Eselinnen und jede Menge Angestellte.
Außerdem hatte er sieben Söhne und drei Töchter, die gerne Feste feierten. Auch da war Hiob schon gottesfürchtig. Vorsorglich stand er früh am Morgen auf und brachte Gott Opfer dar, falls seine Söhne beim Feiern über die Stränge schlügen. 
 
Im Himmel hatte sich schon mal eine ähnliche Szene abgespielt, wie wir sie eben im Predigttext gehört haben. Der Satan, Ankläger zu Deutsch, tritt vor Gott und sagt: „Ist doch klar, dass Hiob fromm ist. Du hast ihm ja auch alles gegeben, was ein Mensch haben kann! Nimm es ihm! Dann wirst du sehen, wie weit es mit seiner Frömmigkeit her ist!“  - Gott macht, was der Satan verlangt. Feinde fallen ins Land ein, sie rauben die Herden, erschlagen die Knechte. Das Haus, in dem die jungen Leute feiern, wird von einem Wirbelsturm erfasst, stürzt ein und begräbt Hiobs Kinder unter sich. – Hiob trauert zutiefst. Er zerreißt seine Kleider, schert sich die Haare und wirft sich auf die Erde, wie es damals üblich war. Aber er sagt: „Ich bin nackt aus meiner Mutter Leib gekommen, nackt werde ich wieder dahinfahren. Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen, der Name des Herrn sei gelobt!“
 
Hiob hält an Gott fest! Aber das lässt Satan, der Ankläger, nicht auf sich beruhen. Und da sind wir jetzt bei unserem Predigttext heute, liebe Gemeinde. Hiobs extreme Leidensgeschichte geht in die zweite Runde. Er wird schwer krank, eine Art Aussatz mit ekligen Geschwüren. Er muss vor dem Ort auf einem wallförmigen Kehrichthaufen sitzen, der mit der Zeit zur Asche zerfällt. Geblieben ist ihm nur seine Frau, aber die wird praktisch zur Verbündeten des Satans. Sie spricht fast wie die Schlange im Paradies: „Hältst du immer noch an deiner Frömmigkeit fest?! Sage doch Gott ab – und stirb!“ 
Aber Hiob wehrt sich. Er sagt: „Du redest dummes Zeug! Haben wir Gutes von Gott empfangen, sollten wir da das Böse nicht auch annehmen?!“
 
Liebe Gemeinde, ich frage mich, ist das nicht schon eine fast übermenschliche Haltung? Besitz verloren, Kinder tot und nun diese schreckliche Krankheit. Der „normale“ Mensch reagiert doch wohl eher wie Hiobs Frau. Er erwartet von Gott, dass er es ihm gut gehen lässt, wenn er schon an ihn glaubt. Der liebe Gott hat doch lieb zu sein! 
Liebe Gemeinde, die Bezeichnung „lieber Gott“ kommt in der Bibel kein einziges Mal vor. Haben wir uns da einen eigenen Gott gezimmert? Eben den lieben? Ich denke, der Philosoph Feuerbach hat recht, wenn er meint: Der liebe Gott – da schuf der Mensch sich Gott zu seinem Bilde. Er ist nicht der liebe, sondern der heilige Gott!
Hiob, liebe Gemeinde, bringt das Gute und das Böse mit Gott in Verbindung. Und damit hat er wohl recht. Denn der Satan tritt in dieser Geschichte zwar als eigenständige Person auf, aber er ist abhängig! Wenn Gott ihn nicht machen ließe, könnte er Hiob nicht verderben. Aber da fragt man sich doch: Wie kann jemand an einem Gott festhalten, der Gutes und Böses willkürlich verteilt?! Von dem unheimlichen Pakt, den der Satan Gott abringt, weiß Hiob ja nichts. Wenn er es wüsste, wäre es eher noch schlimmer. Diese ganze Geschichte zerstört das Bild eines gütigen und gerechten Gottes von Grund auf.
 
Liebe Gemeinde, es gibt Hiobsfiguren in der Literatur, die anders auf solche Anfechtungen, solche Versuchung reagieren. Die berühmteste ist wohl der Mendel Singer des österreichischen Schriftstellers Joseph Roth in seinem Buch „Hiob“. Er bricht mit Gott, als er ins Elend stürzt! Er verbrennt seinen Gebetsriemen, den Gebetsmantel und die Gebetsbücher. Er will alles vernichten, was ihn mit seiner gottesfürchtigen Vergangenheit verbindet. Und er sagt: „Ich will mehr verbrennen als nur ein Haus und mehr als einen Menschen… Gott will ich verbrennen!“
Liebe Gemeinde, ist das nicht die verständliche normale Reaktion von uns Menschen auf unverdientes, extremes Unglück? Wie kann ich an einen Gott glauben, der all das Böse in der Welt zulässt: Krieg, Folter, Krankheit, Hunger, Elend, Erdbeben? So fragen auch wir heute, Christen wie Nicht-Christen.
 
Etwas später im Hiob-Buch klagt auch der biblische Hiob Gott an. Er sagt: „Gott hat meinen Weg vermauert und Finsternis auf meinen Steg gelegt. Er hat mich zerbrochen um und um und meine Hoffnung ausgerissen wie einen Baum. Meine Nächsten haben sich zurückgezogen und meine Freunde mich vergessen, sie ekeln sich vor mir. Nur Haut und Knochen bin ich noch!“
 
Ich denke, diese Anklage ist nur allzu berechtigt. Der Zuschauer des Dramas weiß, dass Gott Hiob ungerecht behandelt. Genau wie Jesus und manche andere. Liebe Gemeinde, wer Gott als Wirklichkeit in seinem Leben kennt, muss auch das Böse, das ihm widerfährt, mit ihm in Verbindung bringen. Vielleicht erinnern Sie sich noch an unseren Vortragsabend über „Samuel Koch – Das Leben geht weiter“. Samuel sagt: Früher bin ich oft wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass Gott auf mich aufpasst. Inzwischen ist mir klar geworden, dass die Sache so nicht läuft. Jeden Tag geschehen Leuten schlimme Sachen. Jeden Tag gibt es allein in Deutschland fünf neue Querschnittsgelähmte. In einer Woche also 35! 35 neue Querschnittsgelähmte mit allem Leid, was dazu gehört. Und Gott verhindert das nicht!
Vielleicht, sagt Samuel, verfolgt er damit sogar ein bestimmtes Ziel. Vielleicht stimmt es, was in der Bibel steht: „Denen, die Gott lieben, müssen alle Dinge zum Besten dienen.“ Das verstehe ich so, dass Gott auch aus schlimmen Ereignissen letztlich etwas Gutes machen kann. – Allerdings wird der Glaube so auf seine größte Bewährungsprobe gestellt. 
Hiob ist ein guter Mensch. Gott bestätigt das, zuerst dem Satan und später auch Hiob und seinen Freunden. Jesus ist mehr als ein guter Mensch. Er ist so sehr mit Gott verbunden, dass er sein Sohn genannt wird. Auch er wurde versucht, wie wir vorhin in der Evangeliumslesung (Matthäus 4,1-11) gehört haben. Er blieb ohne Schuld. Trotzdem erlitt er größtes Leid.
 
Bis heute, liebe Gemeinde, ist es die große Glaubensfrage, wie kann man angesichts des großen Leids, der vielen Krankheiten, der Kriege, Ausschwitz, Erdbeben usw. usw. an einen gütigen Gott glauben? – Im Hiobbuch wird die Frage nicht wirklich beantwortet. Am Ende redet Gott mit Hiob. Aber er erklärt nichts. Schon gar nicht verteidigt er sich. Doch dass er mit ihm redet, hilft Hiob. Gott weist ihn auf seine Allmacht, auf seine Wunder in der Schöpfung hin. „Wo warst du, als ich die Erde gründete? Sage mir, ob du so klug bist?! Kennst du den Weg zum Ursprung des Lichts und – von woher kommt die Dunkelheit? Wer ist der Vater des Regens und wer hat die Tropfen des Taus gezeugt? Haben sich dir die Tore des Todes aufgetan?!“ Liebe Gemeinde, ein Wunder der Schöpfung nach dem anderen zeigt Gott dem Hiob auf. Vielleicht lesen Sie mal zu Hause das ganze Kapitel 38: Ein Wunder der Schöpfung nach dem anderen!!
 
Hiob ist überwältigt: „Ich erkenne, dass du alles vermagst und nichts ist dir zu schwer“, ist seine Antwort. „Ich habe ohne Einsicht geredet. Es ist mit zu hoch und ich verstehe es nicht.“ 
Liebe Gemeinde, Hiobs und Jesu Reaktion auf das ungerechte Leiden gleichen sich. „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“, schreit Jesus am Kreuz. Dieser Schrei ist einerseits Ausdruck höchster Verzweiflung, andererseits stammt er aus einem Gebet. Jesus betet den 22. Psalm. Darin heißt es auch: „Als ich zu ihm schrie, hörte er es.“ Hiob und Jesus – beide verstehen Gott nicht – und halten trotzdem an ihm fest.
 
Der Dichter Willy Kramp erzählt eine Begebenheit aus seiner Kindheit. Er war wohl sieben oder acht Jahre alt und fürchtete sich, durch ein bestimmtes Zimmer der elterlichen Wohnung zu gehen, wenn es dunkel wurde. Eines Abends schickte ihn die Mutter durch dieses Zimmer, um irgendetwas zu holen. Hin ging es ganz gut, aber auf dem Rückweg befiehl ihn große Angst und er rief nach der Mutter. Als sie kam, bat er sie, das Licht im Zimmer anzuschalten. Aber die Mutter tat es nicht. Sie nahm ihn stattdessen an die Hand, ging mit ihm bis in die Mitte des Zimmers, blieb dort stehen und sagte: „Mein Kind, Gott ist auch im Dunkeln!“ – Willy Kramp bekennt, dieser Satz habe sich tief in seine Leben eingeprägt. Immer wenn Furcht und Angst, ja Verzweiflung, ihn beherrschen und lähmen wollen, hört er das Wort der Mutter: Gott ist auch im Dunkeln!
 
Übrigens, liebe Gemeinde, nachdem Gott mit Hiob geredet hat, findet er Frieden. Es is nicht entscheidend, dass seine Unschuld bewiesen ist. Sein Leiden bekommt auch nachträglich keinen Sinn. Entscheidend ist allein, dass er mit Gott in Beziehung ist. Auch mit dem fremden Gott, den er nicht versteht. Auch mit dem Gott, der guten Menschen Böses widerfahren lässt. Er lernt mit den Fragen zu leben, auf die ich auf dieser Erde keine Antwort finde. – 
Liebe Gemeinde, im Neuen Testament, im Jakobusbrief, heißt es: „Selig ist der Mensch, der die Anfechtung, die Versuchung erduldet. Denn nachdem er bewährt ist, wird er die Krone des Lebens empfangen, die Gott denen verheißen hat, die ihn lieben.“
Die Krone des Lebens ist es wohl, dass Hiob sagen kann: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt!“ 
 
Liebe Gemeinde, wir dürfen um diese Krone des Lebens wissen, weil Jesus durch alles nicht zu verstehende Leid, durch alles Dunkle hindurch, ja, sogar durch den Tod zur Herrlichkeit des Vaters gegangen ist, mit der Verheißung an uns: „Ich lebe und ihr sollt auch leben.“ Jetzt schon, in und trotz aller Anfechtung und Versuchung und einmal bei ihm zu Hause.
Bis dahin, liebe Gemeinde, lade ich Sie ein, diese Predigt von dem dunklen Gott mit einem Gebet aus dem 56. Psalm zu schließen:
„Sammle meine Tränen, Gott, in deinem Krug. Ohne Zweifel, du zählst sie. Das weiß ich, dass du mein Gott bist. Du hast meine Seele vom Tode errettet, meine Füße vom Gleiten, dass ich wandeln kann vor Gott im Licht der Lebendigen!“
Amen.

Konfiansprache aus dem Vorstellungsgottesdienst in Ellierode am 19.02.2023 (von Rieke Damme, Constantin Domröse und Philine Hugill)

Im September 2021 startete unser Weg zur Konfirmation. Wir kannten uns teilweise schon untereinander, lernten uns aber über die Zeit besser kennen. Wir haben viele Dinge zusammen erlebt, die uns noch mehr zusammengebracht haben.
Bei unserem zweiten Treffen pilgerten wir von Hardegsen nach Trögen. Diese Erfahrung hat uns beigebracht, was Christentum wirklich bedeutet.
Letztes Jahr im Herbst fuhren wir auf eine Konfi-Freizeit. Dort haben wir sehr viel als Team zusammen gearbeitet. Dies hat uns gezeigt, dass wir nur als Team wirklich weit kommen konnten.
Die Zeit zusammen hat uns sehr gut gefallen und wir gucken gern darauf zurück.
 
Unsere Konfirmation steht schon so gut wie vor der Tür. Deshalb haben wir uns in letzter Zeit Gedanken darüber gemacht, warum man eigentlich konfirmiert wird.
Wir sind zu dem Entschluss gekommen, dass das Christentum eine große und liebevolle Gemeinde ist, die Alt und Jung verbindet und wo jeder willkommen ist.
 
Wir sind dankbar für die schöne Zeit, die wir in den letzten zwei Jahren miteinander verbringen konnten. Wir danken den Teamern und Pastor/innen, die uns auf dem Weg begleitet und unterstützt haben.
Wir hatten sehr viel Spaß und Freude im Konfirmations-Unterricht. Wir schauen sehr gern auf die Zeit miteinander zurück. Doch leider wird sie bald zu Ende sein und wir müssen Abschied nehmen von den guten Keksen.
 
Der Weg war lang und war nicht immer einfach. Doch wir sind dankbar für die wertvollen Erinnerungen, sie uns noch unser ganzes Leben lang begleiten werden.

Was wir nötig haben. Predigt zu Johannes 2,1-11 aus dem Gottesdienst am 15. Januar in Hardegsen (Anne Dill)

Gott schenke uns ein Herz für sein Wort und ein Wort für unser Herz.
Amen.
 
Das wäre doch aber nicht nötig gewesen, sagt die alte Dame, als ihre Nachbarin ihr ein Blümchen hinhält und sich bedankt. Wirklich, das ist kein Problem, Ihre Pakete anzunehmen. Ich bin doch den ganzen Tag zuhause.
Dann schaut sie die Blume an und lächelt.
 
Das wäre doch nicht nötig gewesen, sagt auch der Mann am Telefon. Du musst nicht extra anrufen. Ich weiß, wie viel du zu tun hast. Und ich weiß auch so, dass du an mich denkst. Am Wochenende sehen wir uns.
Ich wollte aber anrufen, erwidert sein Sohn. Kurz hören, wie es dir geht.
Einen Moment ist es still in der Leitung. Nicht, weil sie sich nichts zu sagen hätten. Sondern weil da eine stille Freude ist. Dafür braucht es keine Worte.
 
„Das wäre doch nicht nötig gewesen! – oft sind diese Worte schnell gesagt. Dann, wenn einer einem anderen unverhofft eine Freude macht.
Die alte Dame hätte bestimmt auch ohne die Blume die Pakete für ihre Nachbarin weiter angenommen.
Und der Vater am Telefon hätte sich auch ohne Anruf auf das Treffen mit seinem Sohn gefreut.
 
Aber so ist es schöner. Ein Stück Freude. Eine Aufmerksamkeit. Ein Ich-will-dir-was-Gutes-tun. 
Weil ich mal was zurückgeben will.
Weil ich dich mag.
Weil du mir wichtig bist.
Deswegen sind solche Freudenschenker-Momente eben doch nötig.
 
Szenenwechsel. Jesus ist auf einer Hochzeit. Natürlich nicht allein. Seine Freunde sind auch da. Und Maria, seine Mutter. Dazu noch viele andere Gäste. Es ist ein rauschendes Fest. Mit Musik und Tanz, guten Speisen und jeder Menge Reden und Geschenke.
 
Von so einem Fest konnten wir in den letzten Jahren nur träumen. Nun endlich können wir wieder feiern. Wie gut ist das!
Wie gut tun andere Menschen! Überschäumende Lebensfreude. Ausgelassener Tanz. Feiern bis zum Abwinken.
 
Das Abwinken auf der Hochzeit damals geschieht schneller als erwartet. Mitten in dieses große Freudenfest hinein. Der Speisemeister stellt plötzlich fest: Es gibt keinen Wein mehr!
 
Jetzt könnte man aus gutem Grund sagen: Wein ist für eine Hochzeitsfeier nicht unbedingt nötig. Man kann auch so feiern.
Aber Wein gehört eben doch dazu. Weil eine Hochzeit ein hoher, besonderer Tag im Leben zweier Menschen ist. Ein Tag, an dem ein bisschen Glanz selbst auf das bescheidenste Menschendasein fällt. Etwas von der Freude, die wir alle vom Leben haben möchten.
Der Wein, Frucht des Weinstocks und der menschlichen Arbeit, zeigt das. Er schmeckt nach Sonne, nach der Erde und ihren Früchten, nach Leben.
 
Und jetzt ist kein Wein mehr da. Ein Makel auf diesem tollen Fest.
Das ist keine Kleinigkeit. Das Fehlen des Weins erinnert an Dinge, die uns fehlen, damit unser Tag perfekt ist.
Es steht für alle kleinen und großen Ärgernisse. Damals und heute. Für den ersten großen Streit nach der Hochzeit. Für die Misserfolge bei der Arbeit oder eine schlechte Arbeit in der Schule. Wenn ich mich mit einem Menschen überworfen haben. Wenn ein Traum zerplatzt. Wenn mein Glaube ins Leere läuft.
 
Maria auf dem Fest macht in dieser Situation das einzig Richtige. Sie geht zu Jesus und sagt:
„Sie haben keinen Wein mehr.“
 
Maria lässt die enttäuschende Situation nicht einfach so laufen.
Sie legt die Not, die Ernüchterung Jesus vor.
So können wir es auch machen. Denn unsere Not gehört vor Gottes Ohren. Egal, wie groß oder klein sie ist. Nichts ist zu belanglos oder zu kompliziert.
 
(4) Jesus sagt zu seiner Mutter: Was willst du von mir, Frau? Meine Stunde ist noch nicht gekommen.
(5) Doch seine Mutter sagt zu den Dienern: Tut alles, was er euch sagt!
 
Jesu Antwort ist schroff. Geradezu unhöflich. Maria könnte sich zu Recht von ihrem unwirschen Sohn vor den Kopf gestoßen fühlen. Das wäre jetzt auch nicht nötig gewesen.
Jesus geht unüberhörbar auf Distanz.
Dass Maria seine Mutter ist, spielt in diesem Moment keine Rolle.
Stattdessen sagt Jesus: „Meine Stunde ist noch nicht gekommen.“ 
Gemeint ist die Zeit, in der jeder erkennt, wer er ist:
Der Sohn Gottes. Der Retter, der gekommen ist, um uns von aller Not zu befreien.
 
Maria weiß das schon. Der Engel hat es ihr gesagt, als er verkündet hat, dass sie einen Sohn bekommen wird.
Sie ist nah dran an Gott.
Und so lässt sie sich nicht abwimmeln von der harten Reaktion ihres Sohnes. Sie vertraut darauf, dass er es schon irgendwie regeln wird. Dass er weiß, was zu tun ist. Auch, wenn sei ihn nicht versteht.
Maria ist beharrlich. Sie fordert regelrecht etwas ein. 
Auch irgendwie dreist, könnte man sagen.
Aber Jesus will, dass wir genauso dreist sind. Zu einer anderen Gelegenheit sagt er:
„Bittet, so wird euch gegeben. Sucht, so werdet ihr finden. Klopft an, so wird euch aufgetan. Denn wer bittet, der empfängt. Wer sucht, wird finden. Und wer anklopft, dem wird aufgetan.“ (Lk 11,9-10)
 
Bei dieser Hochzeit funktioniert das so:
(6) Es gab dort sechs große Wasserkrüge aus Stein. Jeder Krug fasste etwa 100 Liter.
(7) Jesus sagte zu den Dienern: „Füllt die Krüge mit Wasser.“ Die füllten sie bis zum Rand.
(8) Dann sagte er zu ihnen: „Schöpft jetzt etwas heraus und bringt es dem Speisemeister.“
Sie brachten es ihm.
(9) Als der Speisemeister davon einen Schluck trank, war das Wasser zu Wein geworden. Er wusste natürlich nicht, woher der Wein kam. Aber die Diener, die das Wasser geschöpft hatten, wussten Bescheid.
Da rief er den Bräutigam zu sich
(10) und sagte zu ihm: „Jeder andere schenkt zuerst den guten Wein aus. Und wenn die Gäste dann betrunken sind, folgt der weniger Gute.
Du hast den guten Wein bis jetzt zurückgehalten.“
 
Das Wunder selbst wird gar nicht beschrieben. Gottes Wirken bleibt im Verborgenen. Man kann nicht in Details davon erzählen.
So etwas kann man nur erfahren. Und sich damit beschenken lassen. So wie Mose, der im Rückblick etwas von Gott erkannt hat (Lesung: Exodus 33). Gottes Gesicht kann er nicht sehen. Aber im Rückblick erkennt er etwas von Gottes Liebe. Von seinem Glanz und seiner Güte.
 
Wir haben solche Wunder nötig.
Sie geschehen tatsächlich oft im Rückblick. Manchmal erkenne ich im Nachhinein, dass da wohl noch wer anders seine Finger im Spiel hatte. Wenn mir in einer brenzlichen Situation nichts geschehen ist. Wenn ich mich nach einem Licht im Alltag sehne. Wenn ich etwas bekommen, mit dem ich gar nicht gerechnet haben.
Solche Wunder geschehen an der Tür der Nachbarin oder am Telefon. Auf einer Hochzeit oder in der Stille. 
Ein solches Wunder erinnert, dass wir den, der dahinter steht, nötig haben.
 
Durch das Wunder auf der Hochzeit geht aber nicht nur das Fest weiter. Sondern es passiert noch etwas anderes. Jesus zeigt: Ich bin kein Spielverderber.
Jesus liebt das Leben. Er will uns Freude am Leben schenken.
Jesus schenkt nicht nur den Wein, er zeigt auch, wer er ist.
Er selbst ist der wahre Weinstock. Der, zu dem wir gehören. An dem wir hängen, der uns Kraft gibt.
Ihm kann ich meine Bedürftigkeit hinhalten.
 
Gerade dann, wenn es kein Wunder gibt. Wenn das Wasser einfach nur Wasser bleibt. Wenn ich mich sehne nach der Stimme eines lieben Menschen.
Wenn ich für einen Menschen bete, der doch nicht gesund wird.
Wenn Gott selbst verborgen scheint.
 
Jesus Christus ist größer als alle menschliche Vernunft.
Als das, was wir planen oder nicht planen können.
Er ist größer als jede Not und Sorge.
Das ist das eigentlich Wunder.
Bei ihm ist das Heil.
Amen.

Vom Häuserbauen. Ansprache zum 50-jährigen Jubiläum der Friedhofskapelle Ertinghausen am 1. Advent 2022 (Anne Dill)

Liebe Festgemeinde,
 
genau 50 Jahre und einen Tag ist es her, dass diese Kapelle feierlich eingeweiht worden ist. Sie, lieber Herr Bonkowski, haben mir Fotos von damals geschickt und einige Unterlagen. Die Kapelle war voll. So voll, dass viele Menschen draußen dem Geschehen folgen mussten. Und in der Kapelle selbst konnte man sich wohl kaum umdrehen. Vielleicht erinnern sich einige von Ihnen noch an diesen Tag.
Der Posaunenchor hat gespielt. Bürgermeister Mühlhausen hat alle begrüßt. Der Schlüssel wurde feierlich übergeben und erst dann sind alle in die Kapelle eingezogen. Superintendent Grote hat die Kapelle geweiht. Pastor Kunze die Glocke.
Und nach dem Gottesdienst wurde gefeiert. Mit Kaffee und Kuchen in der Gastwirtschaft bei Paulmann.
 
Zum Feiern war wahrlich Grund: Denn nun hatte Ertinghausen mit seinen damals etwa 120 Einwohnern ein eigenes Gotteshaus. Das ist keineswegs selbstverständlich gewesen. Sie, liebe Ertinghäuserinnen und Ertinghäuser, und Ihre Vorfahren haben viel Tatkraft bewiesen und Mut. Eigentlich waren nicht alle Behörden so sehr vom Bau überzeugt. Und auch die Finanzierung war nicht abschließend geklärt. Aber: Sie haben losgelegt und es hat geklappt. Denn viele Menschen aus dem Dorf haben mit angepackt.
 
Und heute feiern wir das 50-jährige Bestehen dieses Gotteshauses. 
 
In der Lesung (Matthäus 7,24-27) haben wir vom Häuserbauen gehört.
Ein Haus – sei es nun Gotteshaus, Wohnhaus oder Bürogebäude – braucht zuallererst einmal eine Tür. Oder am besten gleich mehrere. 
Hier in der Kapelle ist es unsere Küsterin, Monika Just, die die große Eingangstür zum Gottesdienst öffnet. Alle sollen hereinkommen können. Wenn wir hier Abschied nehmen von einem Menschen, dann wird am Ende der Trauerfeier auch diese zweite Tür geöffnet. Wir geleiten den oder die Verstorbene hinaus zu seiner oder ihrer letzten Ruhe. Wir gehen quasi durch durch diese Kapelle, durchziehen sie. Sie ist ein vorläufiges Gotteshaus. Bis wir einst ankommen in Gottes ewigem Haus im Himmel. So wie es in dem bekannten Kanon heißt: „Ausgang und Eingang, Anfang und Ende, liegen bei dir, Herr, füll du uns die Hände.“ (EG 175)
 
Nun feiern wir heute nicht nur Kapellenjubiläum, sondern auch den 1. Advent. In den kommenden Wochen bereiten wir uns auf Weihnachten vor. Backen Plätzchen, suchen einen Tannenbaum aus, schmücken das Haus und zünden jeden Sonntag eine Kerze mehr an. 
Advent ist aber auch die Zeit der inneren Vorbereitung:
Am Anfang haben wir Psalm 24 zusammen gesprochen: „Macht die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, dass der König der Ehre einziehe!“ 
Damit Weihnachten werden kann, nicht nur draußen in der Welt, sondern auch drinnen in mir, muss ich meine Herzenstür ein Stück aufmachen. Innerlich sagen: „Ja, Gott, lass es Weihnachten werden. Lass es Frieden werden auf der Welt, in meinem Herzen.“ Oder es singen, so wie wir es eben getan haben: „Komm, o mein Heiland, Jesu Christ, mein’s Herzens Tür dir offen ist. Ach, zieh mit deiner Gnade ein!“ 
Advent – die Zeit der offenen Türen.
 
Ein Haus braucht aber nicht nur eine Tür. Ein Haus braucht, damit es sicher steht, ein starkes Fundament. 
Unsere Kapelle ist fest gegründet auf Ertinghäuser Land. Der Friedhof war schon vorher da. Aber seit dem 26. November 1972 gibt es nun ein Haus, in dem behütet Gottesdienst gefeiert werden kann und geborgen Abschied genommen von den Verstorbenen. Sogar zwei Kinder wurden hier getauft.
 
Mehrere Einzelteile der Kapelle haben eine eigene Geschichte: 
Die Glocke hing vorher in der ev. Kirchengemeinde Neuhütten in Bayern. Mit dem Pritschenwagen wurde sie abgeholt und nach Ertinghausen gebraucht. So hat sie schon seit vielen Jahren zu Gottesdienst und Gebet gerufen, bevor sie hier eintraf. 
Und auch die Kanzel hatte schon „Gotteshaus-Erfahrung“: Sie stammt aus der ehemaligen Gemeinde von Pastor Freytag, der damals in seinem Ruhestand in Ertinghausen wohnte. 
Glocke und Kanzel zeigen: In diesem Gotteshaus treffen Wege, sogar Glaubenswege, aufeinander. Verbinden sich zu etwas Neuem. Ein Fundament ist gelegt.
 
Vom Fundament für unser Leben hat Jesus Christus gesprochen. Wir haben es in der Lesung gehört. Jesus sagt: „Wer meine Worte hört und sie befolgt, der ist wie ein Mensch, der sein Haus auf Fels baut.“ 
Welche seiner Worte meint Jesus denn hier?
Direkt vor diesen Worten hält Jesus seine berühmte Bergpredigt. Viele Menschen hören ihm zu. In dieser Predigt spricht Jesus zum ersten Mal das Vaterunser. So können auch wir beten. Wenn uns nichts anderes einfällt. Oder wenn uns alle Last der Welt auf der Seele liegt. Das Vaterunser als Gebet ist genug. 
Jesus beginnt seine Predigt zum Glaubens-Fundament mit den Seligpreisungen: „Selig sind die Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden“, sagt er. Und: „Selig sind, die Frieden stiften, denn sie werden Gottes Kinder heißen.“ 
Wie aktuell sind diese Worte. Wenn diese Welt etwas ganz dringend braucht, dann ist es Frieden. Im Advent warten wir auf die Ankunft von Jesus Christus. Wir machen unsere Herzenstüren auf, damit der Retter der Welt einziehen möge. Dass er Frieden bringe. Zwischen Völkern und Nationen. Zwischen Nachbarn und in Familien. In unseren Herzen. 
 
Und dann braucht jedes Haus, ob Gotteshaus oder Wohnhaus, noch ein Drittes: Nämlich einen Baumeister! 
Hier in Ertinghausen war es Johannes Schonlau. Aber – und das ist ja das Besondere an dieser Kapelle – er war es nicht alleine. Denn viele Ertinghäuser und Ertinghäuserinnen haben mitgeholfen. Haben Steine geschleppt, gebaggert und geschaufelt. Haben Kuchen gebacken für die Einweihung oder Schnaps und Bier gebracht für die fleißigen Bauleute. Genau 52 Kästen und 32 Flaschen waren es. Alles wurde genau festgehalten. 😊
Wenn man die Helferliste von damals durchgeht, dann sieht man, dass fast alle Familien heute noch zum Dorf gehören. Einige von Ihnen haben vielleicht selbst noch mitgebaut. Bei anderen waren es die Eltern oder Großeltern, Geschwister oder Nachbarn. 
Dieses Gotteshaus ist das Resultat einer starken Gemeinschaft und Gottes Hilfe.
 
Für unser Lebenshaus sind wir die Baumeister. Im Großen und Ganzen haben wir es selbst in der Hand, wie wir leben wollen. So wie Sie, die Ertinghäuserinnen und Ertinghäuser, damals diese große Herausforderung gemeinsam angegangen sind, müssen aber auch wir an unserem Lebenshaus nicht alleine bauen. In Psalm 121 (V. 1+2) heißt es: „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher kommt mir Hilfe? – Meine Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.“ 
Fast bei jeder Trauerfeier spreche ich diese Worte. Und so sehr sie im Tod gelten, gelten sie umso mehr für das Leben. 
Gott, der König der Ehre, will einziehen in unser Lebenshaus. Er steht uns zur Seite, wenn wir einen Stein auf den andern setzen. Oder wenn wir gerade nicht weiterkommen. 
Vielleicht spüren wir manchmal ganz deutlich ein himmlisches Fundament, was uns trägt. Aber es gibt auch die anderen Tage, wo wir warten auf einen Fingerzeig von oben. Ein Zeichen, ich bin nicht allein.
 
Und dafür hat Gott uns. Seine Menschen. Sie, liebe Ertinghäuserinnen und Ertinghäuser, und Ihre Vorfahren haben diese Kapelle gemeinsam erbaut. In der Gemeinschaft. Diese Gemeinschaft kann auch heute tragen. Schauen Sie sich einmal um, wen Sie alles sehen. Und wenn Sie zurück nach Hause kommen, dann warten dort vielleicht die Ehepartnerin, die Kinder oder die Eltern, ein Vierbeiner. Die Nachbarn nebenan. Oder jemand, den ich noch gar nicht so gut kenne.
 
So segne Gott diese Gemeinschaft hier.
Er segne dieses Gotteshaus und alles, was hier geschieht. 
Er ziehe ein in unseren Häusern und Herzen
und lasse es Frieden werden auf der Erde.
Amen.

Predigt zum Volkstrauertag 2022 in Üssinghausen und Hardegsen (P. i. R. Hartmut Gericke-Steinkühler)

Gnade sei mit uns und Friede von Gott dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist.
 
Der Prophet Micha spricht im Alten Testament von einem kommenden Friedensreich – das soll heute unser Predigttext sein (Micha 4,3+4). Er schreibt:
 
„Gott wird unter vielen Völkern richten und mächtige Nationen zurechtweisen in fernen Landen. Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen machen und ihre Spieße zu Sicheln. Es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben; und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.
Ein jeder wird unter seinem Weinstock und Feigenbaum wohnen, und niemand wird sie erschrecken. Denn der Mund des Herrn Zebaoth hat’s geredet.“
 
Gott, segne dein Wort, denn es ist Wahrheit – und du bist die Wahrheit!
 
Schwerter zu Pflugscharen – das – liebe Gemeinde, hat ein russischer Künstler noch in der Stalin-Ära in einer gewaltigen Skulptur vor dem Sitz der Vereinten Nationen in New York verewigt. Nach zwei Weltkriegen mit ihren Abermillionen von Toten war die Sehnsucht nach Frieden groß – auch in der Sowjetunion! 
Ich habe Ihnen ein Bild dieser Skulptur mitgebracht:
 
Bild 1
 
Vier Meter ragt sie am East River in den Himmel.
 
Der Weltrat der Kirchen hatte es für uns schon direkt nach dem 2. Weltkrieg so formuliert:
„Krieg bringt unendliches Leid über die Menschen. Krieg zerstört Leben, zerstört Beziehungen, zerstört Kultur. Krieg ist eine monströse Macht der Vernichtung. Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein.“
 
Erschrocken blicken wir an jedem Volkstrauertag auf ein Geschehen zurück, das sehr fern von uns gerückt war. Wir haben den Frieden gefeiert, den Aufschwung in unserem Land. Uns geht es so gut wie nie zuvor. – Und plötzlich ist dieser Schrecken wieder da – ein neuer Krieg, mitten im Herzen von Europa. Täglich sehen wir die Bilder vom Grauen des Krieges ganz neu, ganz dicht – praktisch direkt vor unserer Haustür. Selbst hier in unserem kleinen Hardegsen leben viele Flüchtlinge aus der Ukraine, die bei uns Zuflucht gesucht haben.
 
Unser Traum von Frieden ist plötzlich wie weggeblasen. Es war ein alter Traum. Ein Traum, den Gott mit uns geträumt hat – mit seinem Versprechen vom Frieden. Mit diesem Versprechen endet jeder unserer Gottesdienste im Segen Gottes:
„Gott segne dich und behüte dich. Gott lasse leuchten sein Angesicht über dir – und gebe dir Frieden!“
 
Frieden auf Erden haben die Engel in der Weihnachtsbotschaft uns Menschen zugesagt! – Shalom, grüßen sich die Menschen in Israel noch heute: Friede sei mit dir! Salam – antworten die Araber. Und wo ist da Friede zwischen diesen beiden Gruppen?
 
Der Prophet Micha verkündet diesen Traum nach Frieden – als Gottes Versprechen an uns Menschen. Alle, wirklich alle, von nah und fern, werden erkennen, dass Frieden der einzige Weg ist. Alle sollen erkennen, dass Krieg der falsche Weg ist, damit wir gemeinsam auf dieser Erde leben können. Und doch bleibt es wohl nur der Traum Gottes für uns Menschen und diese seine Welt. 
 
Ich denke an Masud, der vor acht Jahren hier zu uns nach Hardegsen mit seinem Onkel ins Kirchen-Asyl gekommen war, einem der ersten Flüchtlinge. Er hatte seine Heimat, das kurdische Syrien verlassen, weil er nicht in den Krieg ziehen wollte. Schon als Kind hatte er in Damaskus die Toten gesehen – Protestierende, die einfach ermordet wurden von einem grausamen Regime. 
Nicht einmal in seiner Heimat fand die Familie Ruhe – und als Masud zum Militärdienst gerufen wurde, floh er nach Westen – über die Türkei nach Rumänien. Als er dort Asyl beantragte, landete er im Gefängnis. Polizisten nahmen ihm sein Bargeld und sein Handy ab, seine Lebensversicherung. Seine Proteste wurden mit Prügel beantwortet. Durch seinen Onkel gelang ihm die Flucht nach Deutschland. Und hier sollte er zurückgeschickt werden nach Rumänien – so sagt es die europäische Ordnung. Nur mit unserer Hilfe konnte er am Ende hierbleiben, unsere Sprache lernen, Arbeit finden. Aber mit Masud wohnte der Krieg plötzlich wieder mitten unter uns – wir wollten es nur nicht wahrhaben – wir haben weggesehen! Masud hat in Deutschland geheiratet und einen Beruf erlernt – und konnte mit uns vom Frieden träumen.
 
Aber das Träumen allein reicht nicht. Ich bin mit verantwortlich, eine jede, ein jeder von uns ist mit verantwortlich, dass es Frieden wird in unserer Welt. Das fängt da an, dass wir uns gut informieren – nicht irgendwelchen populistischen Parolen nacheifern. Ich habe die jungen Menschen in der DDR bewundert, die die russische Skulptur vor der UNO zu dem Symbol ihrer Friedensbewegung machten und damit auf die Straße gingen, obwohl sie wussten, dass sie dadurch in Gefahr gerieten, verhaftet zu werden und sogar im Gefängnis landen konnten.
Ich denke, alle kennen dieser Sticker:

 Bild 2

Die Menschen haben ihn sich an die Jacken geheftet. Und als sie dann deswegen durch die Stasi verfolgt wurden, haben sie ein rundes Loch in die Kragenaufschläge geschnitten. Weil sie den Anstecker nicht mehr tragen durften. Und jeder wusste, was das Loch zu bedeuten hat.
 
Welche Sprengkraft solche Zeichen, die Seligpreisungen, unser Evangelium heute haben können, durften wir 1989 in der friedlichen Revolution hier bei uns in Deutschland mit der DDR erleben – als tausende von Menschen in Leipzig und anderen Städten nach den Gottesdiensten demonstrierend durch die Straßen zogen. Ein hoher Stasi-Offizier bekannte damals am 9. Oktober: „Wir waren auf alles vorbereitet – nur nicht auf Kerzen und Gebete!“
 
Die Vision von Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit kann Realität werden. Das lehren uns die Seligpreisungen. Mögen auch die Menschen in Russland und der Ukraine heute den Mut haben, diesen Glauben zu leben. – Und wir die Freiheit, den schutzsuchenden Menschen unter uns an unserem Frieden teilhaben zu lassen. 
Ich ahne, dass wir das alleine nicht schaffen werden, dass dieser Traum vom Frieden für uns und alle Menschen wahr wird. Darum vertraue ich immer wieder das letzte Stück auf diesem Weg zum Frieden Gott an – mit dem Wunsch und Gebet: Verleih uns Frieden gnädiglich!
Amen.
 
Der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unser Denken und Handeln in Jesu Christi Namen. Amen.

Predigt über Römer 8,18-25 aus dem Gottesdienst am Drittletzten Sonntag des Kirchenjahres in Hardegsen (06.11.2022) von Pn. i. R. Käthe von Gierke

Liebe Gemeinde,
der Predigttext für den heutigen Sonntag steht im Römerbrief im 8. Kapitel, die Verse 18-25. 
Paulus schreibt:
(18) Denn ich bin überzeugt, dass dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll. (19) Denn das ängstliche Harren der Kreatur wartet darauf, dass die Kinder Gottes offenbar werden. (20) Die Schöpfung ist ja unterworfen der Vergänglichkeit – ohne ihren Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat - , doch auf Hoffnung; (21) denn auch die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. (22) Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick seufzt und in Wehen liegt.
 
Liebe Gemeinde,
ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich war irritiert von der Aussage des Paulus in unserem Predigttext: „Die Schöpfung ist unterworfen der Vergänglichkeit.“ Ist das eigentlich die gleiche Aussage wie von Mephisto in Goethes Faust: „Denn alles, was entsteht, ist wert, dass es zu Grunde geht!“ Oder deckt es sich gar mit der Namensgebung einer Klimaschutzgruppe, die sich „Letzte Generation“ nennt und damit signalisiert, sie seien die letzte, die unter gewohnten Umweltbedingungen zu leben hat. Sie haben sicher auch davon gehört oder gelesen. Diese Aktivisten greifen zu ungewöhnlichen Mitteln, um die Welt zu retten, wie sie meinen. Sie streichen sich z.B. Sekundenkleber an die Hände und kleben sich damit an neu geplanten Autobahnen fest, auch an neuen Bundesstraßen. Ende August haben sich zwei von ihnen sogar an das Gemälde der Sixtinischen Madonna von Raffael in der Dresdener Gemäldegalerie geklebt, um gegen die deutsche Klimapolitik zu protestieren. Zusammen mit Jesus und Maria auf dem Gemälde, weil auch sie beide nur mit Furcht in die Zukunft geblickt hätten, wie die beiden Klimaaktivisten sagten und weiter wörtlich: „Maria und Jesus sehen dem Kreuzestod Jesu mit Schrecken entgegen. Ein genau so vorhersehbarer Tod wird auch das Resultat des Klimakollaps sein. Und zwar auf der ganzen Welt!“ – 
Nun, liebe Gemeinde, in Bezug auf Jesus und Maria irren die beiden doch wohl ein bisschen. Maria sagt: „Meine Seele erhebet den Herrn und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes.“ Und Jesus holt uns zwar ab in unserer Angst, wenn er sagt: In der Welt habt ihr Angst, ja, aber er sagt weiter: Seid getrost, ich habe die Welt überwunden! Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht (Joh 14,27)  
 
Unterworfen der Vergänglichkeit, ja, sagt Paulus, aber auf Hoffnung!! Und das trotz ihres Seufzens. Soll ich das Seufzen schildern, liebe Gemeinde? Wir können es alle: Das Fischsterben an der Oder, Überschwemmung im Ahrtal oder Pakistan, die Dürre im Senegal, Gletscherschmelze, Plastik-Meere, Luftverschmutzung usw. usw. Für mich gehört zu diesem Seufzen der Kreatur auch die Tatsache, dass allein hier bei uns in Deutschland an die 100.000 Kinder im Jahr abgetrieben werden, das ist fast die Einwohnerzahl von Göttingen!
 
Unsere Schöpfung ist der Vergänglichkeit preisgegeben, sagt Paulus, ja, aber „auf Hoffnung!“ Liebe Gemeinde, kann ich diese Hoffnung nicht auf zweierlei Weise deuten? Einmal die Hoffnung, die Schöpfung zu erhalten, wozu ich ja als Mensch bestimmt bin, sie zu bebauen und zu bewahren, wie es in der Schöpfungsgeschichte heißt. Und dass in ihr so viel Seufzen ist, hängt ja auch damit zusammen, dass wir diesem Auftrag Gottes oft nicht gerecht werden und an ihr schuldig werden. Dass da eine Umkehr lebensnotwendig ist, wissen wir wohl alle, und es wird ja auch von vielen versucht, sie umzusetzen.
Der zweite Aspekt der Hoffnung ist bei Paulus, das alles einmal bei Gott endet. Er sagt sogar, dass die künftige Herrlichkeit, die Gott für uns bereit hält, so groß ist, dass alles, war wir jetzt leiden, in keinem Verhältnis dazu steht. Die Offenbarung, das letzte Buch der Bibel, spricht von einem neuen Himmel und einer neuen Erde. Aber, liebe Gemeinde, das sind natürlich alles Dimensionen, die unser Zeitverständnis sprengen. Gottes Zeit ist ewig und damit völlig anders!
 
„Der Vergänglichkeit preisgegeben – aber auf Hoffnung“, das heißt für mich auch, immer wieder und ganz bewusst die Schönheit der Schöpfung sehen und in der Schöpfung den Schöpfer selbst! So wie es Paulus schon zu Beginn des Römerbriefes sagt: Zwar kann niemand Gott sehen, aber er zeigt sich den Menschen in seiner Schöpfung. Weil er die Welt geschaffen hat, kann der Mensch Gottes ewige Macht und sein göttliches Wesen erkennen, wenn er sich nicht dafür verschließt! (Röm 1,20)
 
Ich denke, liebe Gemeinde, für die Herrlichkeit des Sternenhimmels z.B. sind die meisten von uns offen. Haben Sie im August auch die vielen Sternschnuppen gesehen oder wenigstens einige von ihnen und sich etwas Schönes gewünscht nach altem Brauch? Sternschnuppen sind ja Meteorteilchen, die in der Erdatmosphäre verglühen. Aber was für eine Herrlichkeit verbirgt sich dahinter! Liebe Gemeinde, wer gute Augen hat und scharf sehen kann, kommt auf 3000 Sterne, die über unserem Himmelsgewölbe zu erkennen sind. Aber wir wissen heute: Alleine unsere Galaxie, das ist ja die Milchstraße, hat etwa 200 Milliarden einzelner Sterne. Nur diese Galaxie, zu der wir gehören. Drei weitere Galaxien kann man mit bloßem Auge erkennen, z.B. den Andromedanebel. Aber die heutige Erforschung des Sternenhimmels hat ergeben, dass es einige hundert Milliarden einzelner Galaxien gibt. Da kann man natürlich die Sterne nicht mehr zählen.
Wie heißt es in dem schönen alten Lied: „Weißt du wieviel Sternlein stehen? Gott der Herr hat sie gezählet, dass ihm auch nicht eines fehlet an der ganzen großen Zahl.“ 
Immerhin, der nächste Stern, das ist der Proxima Zentauri, ist 4,28 Lichtjahre von der Erde entfernt. Das heißt, würden wir mit einer Geschwindigkeit von 17 km in der Sekunde verreisen wie die schnellste Raumsonde, wären wir noch 75.000 Jahre zu ihm unterwegs.
 
Preisgegeben der Vergänglichkeit – gilt das auch für diese unfassbare Sternenwelt? Ich weiß es nicht, liebe Gemeinde, aber „auf Hoffnung“ sagt Paulus ja.
Ein ganz anderes Hoffnungszeichen in Gottes Schöpfung ist für mich die Butterblume. Als Löwenzahn oft verächtlich Unkraut genannt, das sogar durch Asphaltritzen noch wächst. Im Mittelalter sah man das anders. Die damalige Tafelmalerei zeigt den Löwenzahn vor allem bei Geburts- und Auferstehungsszenen. Die „Lichtblume“ wie man sagte. In ihrem strahlenden Gelb symbolisiert sie Christus und die Auferstehung, weil die Butterblume stirbt, um als Pusteblume wiedergeboren zu werden. Es gibt einen wunderschönen Psalm der Pusteblume, liebe Gemeinde, er steht zwar nicht in der Bibel, aber ich möchte Ihnen davon erzählen:
„Den Duft der Rosen verbreite ich nicht, sagt sie,
köstliche Früchte reifen nicht an mir.
Die Größe der Königskerze ist nicht mein Maß,
die Farbenpracht der Lilie nicht meine Zier.
Nie werde ich zum Brautstrauß geflochten,
nie in einem Blumenladen begehrt.
Dennoch schäme und verkrieche ich mich nicht.
Vielmehr wachse und blühe ich überall,
zahlreich und unübersehbar nach meiner Art,
nein, Herr, nach deiner Art, 
denn du, mein Gott, hast mich so und nicht anders gewollt!“
 
Und dann sagt sie: 
„Ich bin auch bereit, mich zu ändern. 
Wer blüht, verblüht und muss welken.
Ich nehme das Welken an und lass mich zu neuem Leben verwandeln. 
Meine goldgelbe Blüte verliert ihren Schein. 
Ich verschließe mich und warte still auf den Weckruf der Sonne, um mich als Pusteblume neu zu entfalten!
Jeder Fallschirm soll eine neue Pusteblume werden, an ihrem Platz, nach ihrer Art. – 
Ich danke dir, Herr, für das Alt- und das Neuwerden!“
 
Was für ein Symbol der Hoffnung, liebe Gemeinde! Paulus spricht in seinem Text auch von der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes! Welche Freiheit ist es, sagen zu können: Ich danke dir, Herr, für das Alt- und das Neuwerden.
Das heißt auch Freiheit von der Knechtschaft der Hoffnungslosigkeit! Als Christen wissen wir um den Einen, der die größte Hoffnungslosigkeit, den Tod, überwunden hat. Er ist nicht im Tod geblieben, sondern zum Leben auferstanden und sagt es uns zu: Ich lebe und ihr sollt auch leben! Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende!
Darum gibt es in Ostdeutschland eine Initiative, die sich „Zeit zum Aufstehen“ nennt. In ihrem Aufruf heißt es: „Wir stehen auf für ein Leben in Hoffnung und gegen jede Form der Resignation, denn unser Glaube erschöpft sich nicht im Diesseits!“
Er erschöpft sich nicht im Diesseits, nein, gilt aber auch für das Diesseits. Darum, liebe Gemeinde, möchte ich diese Predigt schließen mit einem Graffito an der Berliner Mauer. Geschrieben als alles hoffnungslos schien, aber heute ein Zeichen der Hoffnung, denn die Mauer ist längst eingebrochen. Da heißt es:
„Ich liebe dich, Erde, mit allem, was auf die lebt! Gott hat dich geschaffen! Ich liebe dich, Erde, denn Gott hat dich sehr schön gemacht mit deinen Bäumen, Blumen und Tieren, mit deinen Menschen. Ich liebe dich, Erde, Gott erhält dich noch immer in seiner Treue. Trotz aller Zerstörung, die wir angerichtet haben auf dir, trotz Krieg, Gewalt und rücksichtsloser Ausraubung wird es noch immer Frühling und Sommer, Herbst und Winter, kommt immer ein neuer Tag nach dem Dunkel der Nacht. Ich liebe dich, Erde, darum will ich liebevoll leben lernen und Verantwortung übernehmen für Gottes Schöpfung!“
Amen.

Predigt zu Deuteronomium 6,4-9 aus dem Gottesdienst am Reformationstag in Hardegsen (Prädikantin i. Ausbildung Madleene Knoke)

Herr von Ribbeck zu Ribbeck im Havelland, ein Birnbaum in seinem Garten stand. Und kam die goldene Herbsteszeit, die Äpfel leuchteten weit und breit… Und so weiter. So, oder zumindest so ähnlich habe ich das in der Schule im Deutschunterricht auswendig lernen müssen. Bei der Generation meiner Großeltern war es „Die Glocke“ von Schiller – alle 19 Strophen! – Viele können es auch heute noch auswendig aufsagen. 
a2+b2=c2, “he, she it, das ‘s’ muss mit”, die Mitochondrien sind das Kraftwerk der Zelle.
Sätze, an die sich viele Schüler und Schülerinnen wohl ihr Leben lang erinnern werden.
„Wenn ich dich heute mitten in der Nacht wecke, dann muss das wie aus der Pistole geschossen kommen“, ein Satz, den vermutlich jede Lehrkraft schon einmal gesagt hat. 
Das führt dazu, dass viele Schüler und Schülerinnen Merksätze über Merksätze auswendig lernen, damit die dann sitzen, sollte der Lehrer dann tatsächlich mal mitten in der Nacht vorm Bett stehen. 
Wäre die nächste Frage des Lehrers dann aber „Erklär mir das mal“, wären viele aufgeschmissen. Aus Worten werden leere Hüllen, der Inhalt wird vergessen. Menschen lernen in ihrem Leben so viel auswendig, sagen solche Merksätze immer wieder auf, beten sie, ganz umgangssprachlich gesagt, einfach runter, ohne wirklich zu verstehen, was sie dort sagen. Mit den Gedanken ganz wo anders werden wichtige Sätze zu leeren Worthüllen. 
 
4Höre, Israel, der HERR ist unser Gott, der HERR ist einer.
5Und du sollst den HERRN, deinen Gott, lieb haben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft.
6Und diese Worte, die ich dir heute gebiete, sollst du zu Herzen nehmen. 
 
Schma Jisrael – Höre Israel. Diese Verse sind Teil eines der wichtigsten Gebete des jüdischen Glaubens. Manche nennen es auch das jüdische Glaubensbekenntnis – Höre Israel. Trage es im Herzen, behalte es im Kopf. 
 
In einigen jüdischen Gemeinden gibt es Unterricht zur Bar bzw. Bat Mitzwa, also dem Äquivalent zur Konfirmation bei uns.  In unserem Konfi-Unterricht ist das so: Wichtige Geschichten und Glaubensinhalte werden betrachtet und besprochen, gemeinsam gesungen und gebetet und über die wichtigen Gebete reflektiert. 
Es ist eigentlich in fast allen Gemeinden gleich; zur Konfirmation sollen die Konfirmanden eine bestimmte Anzahl an Gottesdiensten besucht haben. Sie sollen das Vater Unser auswendig können, oft auch Psalm 23. Und dann kommt, was ihr Jugendlichen aktuell wohl als den „Endboss“ bezeichnen würden.  Das Glaubensbekenntnis. Oft kommen kurz vor der Konfirmation Fragen wie: „Müssen wir das an der Konfirmation alleine aufsagen?“ oder auch „Welches ist das nochmal?“. Dabei haben sie sich in mindestens einer, wahrscheinlich eher mehreren Unterrichtsstunden mit dem Glaubensbekenntnis auseinandergesetzt, es förmlich auseinandergenommen, um zu verstehen, was dieser Text bedeutet, der so wichtig ist, dass er in jedem Gottesdienst vorkommt. Später sprechen die Konfirmanden das Glaubensbekenntnis dann mit, im Schutze der Stimmen der anderen Gemeindemitglieder. Und ich kann sagen, dass es wohl schnell zu einem „runterbeten“ wird. Ohne eigentlich konkret nachzudenken, was wir da genau sagen. 
 
7und sollst sie deinen Kindern einschärfen und davon reden, wenn du in deinem Hause sitzt oder unterwegs bist, wenn du dich niederlegst oder aufstehst. 8Und du sollst sie binden zum Zeichen auf deine Hand, und sie sollen dir ein Merkzeichen zwischen deinen Augen sein, 9und du sollst sie schreiben auf die Pfosten deines Hauses und an die Tore.
 
Es scheint wichtig zu sein, was dort steht. Schärfe es dir ein, trage es im Herzen, schreibe es dir hinter die Ohren, mache einen Knoten ins Taschentuch, um dran zu denken – denn du sollst es dir merken! 
 
Der Urlaub hat die Familie in eine neue Stadt geführt. Eine idyllische Stadt, in der es viel zu sehen gibt. In der historischen Innenstadt fühlt man sich zurückversetzt in alte Zeiten: Die Straßen aus Kopfsteinpflaster, ein kleiner Bach fließt daran entlang und schlängelt sich um die Bäume, die am Straßenrand stehen. Die Häuser sind dicht an dicht gedrängt und werfen tiefe Schatten. Ins Fachwerk sind künstlerische Verzierungen geschnitzt. Über den Türen sind die Namen der Bauherren und das Jahr der Errichtung eingraviert. Und über einem ganz unscheinbaren Hofeingang steht es – „Erschaffen von Gott“. 
 
Die letzten Dinge sind in die Koffer gepackt und endlich geht es los.  Eine Woche Sonne, Strand und Meer. Denn Katha hat endlich Urlaub und hat sich schon lange auf die gemeinsame Zeit mit ihrem Freund gefreut. In der letzten Zeit haben sie sich nicht oft sehen können. Beide haben nach ihrem Studium gerade ihren ersten richtigen Job angefangen und vermissen jetzt schon das Studentenleben. Endlich geht es los, der Sonne entgegen. Doch nach kaum einer Stunde beginnt der Verkehr auf der Autobahn immer zähflüssiger zu werden, bis sie schließlich ganz stehen. Kathas Laune sinkt in den Keller. Den ersten gemeinsamen Abend können sie sich abschmieren, vor Sonnenuntergang werden sie wohl nicht ankommen. Die Stimmung im Auto kippt auch. Die beiden Fahrbahnen werden auf eine umgelenkt und Katha ordnet sich genervt hinter einem anderen Auto ein. Sie sieht nach vorne und erkennt über der Stoßstange einen kleinen Sticker. Einen Fisch. Sie lächelt, denn plötzlich erinnert sie sich, dass sie trotzdem noch auf den Weg in den Urlaub sind. Eigentlich ist doch alles halb so wild. 
 
„Du musst deinen Ring noch abmachen“, sagt der Sohn zu seiner Mutter, bevor sie ins Schwimmbad gehen. Seine Mutter antwortet ihm darauf, dass sie ihn niemals abmacht. Der Ring ist ihr ganz besonders wichtig – es ist nämlich ihr Ehering. Sie erklärt ihrem Sohn, dass sie seinen Papa dadurch immer bei sich hat, auch wenn er einmal nicht da ist. Und er erinnert sie immer an ihre wunderschöne Hochzeit in der schönen Kirche und daran, dass ihre Ehe unter Gottes Segen steht. 
 
Eine Inschrift über einem Eingang, eine Kreuzkette, ein Fisch-Sticker, ein besonderes Tattoo, ein Ehering, ein Schutzengel am Schlüsselanhänger. Kleine Dinge, die doch eine große Wirkung haben. Wenn wir sie sehen, sind das die Momente, die uns erinnern, was der Glaube mit unserem Alltag zu tun hat. Es ist schwer, sich aktiv und immer wieder daran zu erinnern, christlich zu leben. Denn der Glaube ist nicht mehr unbedingt in unserem täglichen Leben verankert. Und trotzdem kommt er genau durch solche kleinen Zeichen vor und es scheint fast so, als würde Gott dann einmal kurz reinschauen und Hallo sagen.  Ich glaube, fast jeder von uns hat solch ein Symbol, welches er immer mit sich trägt und damit aktiv sagt: „Ja, ich gehöre zu dir Gott“. 
 
4Höre, Israel, der HERR ist unser Gott, der HERR ist einer.
5Und du sollst den HERRN, deinen Gott, lieb haben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft.
 
Das Glaubensbekenntnis gibt Worte, um ein Gefühl von Zugehörigkeit auszudrücken. Worte, die wir in schwierigen Zeiten nutzen können, wenn wir selbst nicht mehr wissen, was wir sagen sollen. Heute ist Reformationstag und genau das war auch Martin Luthers Anliegen. Den Menschen Worte zu geben, die sie verstehen können. Er hat die Bibel übersetzt, damit die Worte und Gebete eben nicht nur heruntergebetete leere Worthülsen bleiben, die die Menschen im Gottesdienst nicht verstehen können. 
 
Denn das Wichtigste ist der Inhalt. Und Inhalt kann man nicht nur mit Worten transportieren, sondern eben auch mit Zeichen. Einem Fisch-Sticker, einer Kreuz-Kette oder einer Inschrift – all das sind auch moderne, ganz individuelle Glaubensbekenntnisse, die uns immer wieder erinnern. 
Sie erinnern dich daran, dass Gott, unser Herr der eine ist. Der eine, der dich nach seinem Ebenbild geschaffen hat. Der eine, der selbst ganz Mensch geworden ist für dich. Der eine, der dich immer begleitet und der dich für immer lieben wird. 
Denke daran, trage es in dir. Von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft. 
Amen.

Ansprache zum 55-jährigem Jubiläum des Frauenkreises Hardegsen (Pn. Anne Dill)

Liebe Festgemeinde,
liebe Damen des Frauenkreises,
als ich hier angefangen haben, da hat man mir gleich gesagt: Der Frauenkreis – der gehört ganz fest zu unserer Gemeinde. Der Frauenkreis ist immer dabei. 
Heute nun feiern wir Ihr 55-jähriges Jubiläum. 
Seit über einem halben Jahrhundert hat Ihr Kreis Bestand. 
Sie haben mir Ihr Buch mit den Namenslisten von jedem Treffen gezeigt. Da kann man ganz genau sehen, wer wann das erste Mal da war und welch andere irgendwann auch nicht mehr gekommen ist.
Sie, liebe Damen des Frauenkreises, haben in den vergangenen Jahrzehnten auch viel miteinander erlebt.
Manches ist bis heute unvergessen: Beim Ausflug an die Weser vergisst Herr Ropeter seine Tochter am Schiffsanleger. Da ist die Aufregung groß. 
Mit Pastor Fischer und seiner Frau fahren Sie gemeinsam nach Südtirol. Es ist eine wunderschöne Reise mit tollem Hotel. Überhaupt machen Sie viele Ausfahrten und Ausflüge. Sie feiern Karneval, machen Gymnastik miteinander und immer vor der Sommerpause geht es zum Eisessen. 
 
Eben in der ersten Lesung haben wir von Noomi und Rut gehört. Diese beiden Frauen halten zueinander. 
Die Schwiegermutter Noomi ist für ihre Schwiegertöchter Orpa und Rut da. Die müssen beide Abschied nehmen von ihrem Ehemann, Noomi von ihren Söhnen. Das schweißt die Frauen zusammen.
 
Gemeinsam stehen Sie, liebe Damen, auch manch Schweres durch. Einige sehr geschätzte Pastorinnen und Pastoren müssen Sie wieder ziehen lassen. Und Sie müssen Abschied nehmen von vertrauten Menschen aus Ihrer Mitte.
Sie halten zusammen, sind eine eingeschworene Gemeinschaft. Und vielleicht erleben Sie auch, was Rut zu Ihrer Schwiegermutter sagt:
„Wo Du hingehst, da will ich auch hingehen.
Wo Du bleibst, da bleibe ich auch.
Dein Volk ist mein Volk.
Und Dein Gott ist mein Gott.“
 
Ihr Zusammenhalt ist groß. Und dass obwohl es deutliche Altersunterschiede gibt. Eben so wie bei Noomi und Rut. Mehr als ein Jahrzehnt liegt zwischen der Ältesten und der Jüngsten. Aber auf das Alter kommt es nicht an. Sondern auf das Vertrauen und die Verbundenheit und die gegenseitige Freundschaft und Achtung.
 
Rut und Noomi geben aufeinander Acht. Sie wollen für die andere jeweils das Beste. Noomi will die geliebten Schwiegertöchter lieber zurück in die Elternhäuser schicken, als sie mitzunehmen und damit zu entwurzeln. Rut dagegen lässt sich lieber ein auf den langen Weg ins Ungewisse, als Noomi alleine unterwegs zu wissen.
Sie im Frauenkreis geben ebenfalls aufeinander Acht. Wenn es einer nicht gut geht, dann kommt eine andere zu Besuch. Oder schickt jemanden vorbei. Sie wissen umeinander, was die anderen freut und woran sie zu tragen haben. Und umgekehrt wissen die anderen von Ihnen. 
 
Ich wünsche Ihnen, dass Sie Ihre offenen Augen füreinander behalten. Dass Sie offen sind und bleiben für die Begegnungen miteinander und mit anderen!
 
Maria und Marta erleben eine ganz besondere Begegnung. Jesus kommt in ihr Haus!
Marta hat schon viel von ihm gehört. Wenn er predigt, kommen die Menschen in Scharen. Viele hat er gesund gemacht. Er kann Sünden vergeben. Vielen hat er die Last von der Schulter genommen. Und nun kommt er ausgerechnet in ihr Dorf! Marta wollte ihn unbedingt kennenlernen. Auch einmal in seiner Nähe sein. Und so lädt sie ihn ein. Er sollte es schön haben und sich ausruhen können.
 
Und tatsächlich: Jesus kommt. In das Haus von zwei Frauen. Unglaublich. Er lässt mit seinen Jüngern nieder. Isst, trinkt und lacht. Und er erzählt. 
 
Marta deckt den Tisch, probiert den Wein. 
Ist das Brot schon fertig?
Hier fehlt noch ein Teller, dort ein Becher. Und das Wasser, das braucht sie auch noch.
Den Tisch decken für Gäste. Einkaufen, backen, kochen. Das haben Sie viele Jahre lang getan. Sie haben es für andere schön gemacht. Sie haben dazu beigetragen, dass viele Gemeindefeste gelungen sind. Dass gefeiert werden konnte und natürlich auch geschmaust. Wenn man in alten Gemeindebriefen blättert, dann findet man immer wieder Fotos mit Torten und Blechen von Kuchen, mit Häppchen und Schnittchen. Und dahinter oft zwei oder drei Damen von Ihnen, dem Frauenkreis.
 
Marta läuft immer wieder zwischen Küche und Wohnraum hin- und her. Aber sie wundert sich, wo Maria ist.
Und dann entdeckt Marta sie: Mitten zwischen den Männern und Frauen. 
Maria hörte zu, lachte.
Marta ist sprachlos! Die soll ihr doch helfen! 
Schließlich rennt Marta hier durch die Gegend, versucht an alles zu denken und ihre Schwester sitzt gemütlich auf dem Fußboden und macht gar nichts!

Vielleicht haben Sie auch einmal erlebt,
dass Ihr Beitrag nicht so gewertschätzt wurde, wie Sie es sich gewünscht hätten. Ja, ich möchte, dass die Gäste es schön haben. Aber ich möchte auch, dass sie meine Arbeit sehen. Die ganze Mühe, die ich mir gegeben habe. Meine ganze Liebe ist darin. Und meine Sehnsucht nach Anerkennung. 
Marta platzt der Kragen und sie stürmt zu Jesus: 
Ist es Dir egal, dass ich alles alleine machen muss? 
Weißt Du nicht, dass die da zu Deinen Füßen meine Schwester ist? 
Sag ihr doch, dass sie mir helfen soll!“

Marta denkt, Jesus würde diese Ungerechtigkeit einsehen und Maria zu ihr in die Küche schicken. 
Aber seine Antwort fällt anders aus:
Marta“, sagt er, „Marta! Du bist so besorgt und machst Dir Gedanken um so vieles.
Eines aber ist not: Maria hat das gute Teil erwählt, das soll nicht von ihr genommen werden.“
 
„Marta, Marta“. Im ersten Moment klingt es tadelnd. Aber in einem zweiten auch liebevoll. Ach Marta, wie viel Arbeit hast du. Es mag nicht jeder sehen, aber ich sehe es. Und ich danke Dir dafür. 
Jesus sieht unsere Mühe, unseren Einsatz. 
Trotzdem sagt er: „Maria hat das gute Teil erwählt“. 
Marta macht sich Gedanken:
Welches gute Teil? Meint Jesus, Maria war klug genug, sich vor der Arbeit zu drücken? 
Nein, das würde Jesus doch nicht unterstützen, oder? 

Das kann nicht von ihr genommen werden“. 
Plötzlich versteht Marta: Maria sitzt die ganze Zeit bei Jesus und hört ihm zu. 
So hat sie das gute Teil erwählt!

Einige von uns haben alle Hände voll zu tun. Die Vereine, die Freundschaften, die Menschen, die zu Hause warten. Andere sind hier, die haben ihr Leben lang gearbeitet und können jetzt die Hände in den Schoß legen. Das fällt nicht immer leicht. Einfach nur dasitzen. Sich bedienen lassen. Jesus zuhören. Darf ich das denn? Was bin ich wert, wenn ich mich nicht mehr nützlich machen kann? „Eins aber ist Not“, sagt Jesus. Dringend, richtig dringend findet Jesus, dass wir uns Zeit nehmen, ihm zuzuhören. Jeden Tag können wir das tun. Wenn es auch nur eine Minute ist. Es ist notwendig.
Maria weiß das längst. Deshalb hat sie das beste Teil erwählt. Genau wie wir alle. Denn wir sind hier, um zuzuhören. Um mitzusingen. Wir sind in seinem Namen zusammen. 
Marta hat verstanden: Jesus sieht sie. Und er dankt ihr für all ihre Mühe. 
Genauso dankt Gott uns. Für alle Mühe, die wir uns gegeben haben, um es anderen Menschen schön zu machen. Nicht immer ist alles gelungen. Um manche Lieben sorgen wir uns noch immer. 
Aber jetzt ist Zeit, das Sorgen und Machen und Tun gut sein zu lassen. 
 
Jetzt ist die Zeit, um beieinander zu sein und gemeinsam zu feiern.
 
Was wir angefangen haben,
wandelt Gott in Segen. 
Amen.

Die kanaanäische Frau. Predigt zu Matthäus 15,21-28 aus dem Gottesdienst am 9. Oktober 2022 in Hardegsen (Prädikantin i. Ausbildung Madleene Knoke)

„Die beiden Studentinnen Caroline Kuhn, 28 und Franziska Schmitt, 26, aus Olching bei München werden von der Polizei erwischt, als sie aus den Tonnen eines Supermarktes genießbare Lebensmittel holen. Ihre Strafe: 225€ auf Bewährung und acht Sozialstunden bei der Tafel“. Das las ich 2019 in einem Artikel in der Süddeutschen. Das, was die beiden Studentinnen dort gemacht haben, nennt man Containern. Viele Kilo noch genießbarer Lebensmittel werden jeden Tag von Supermärkten wegen ihrer Vorschriften weggeworfen, viele Menschen, oft gerade Studierende, sehen darin Verschwendung und holen die Lebensmittel wieder aus den Mülltonnen. 

Wie kann es sein, dass jemand, der eigentlich etwas Gutes tun wollte, dafür verurteilt wird?, frage ich mich bei solchen Zeitungsartikeln. Das greift mein Verständnis von Gerechtigkeit an. Es herrscht so viel Hunger auf der Welt und das Verwerten weggeworfener Lebensmittel wird rechtlich verboten? 
Man könnte meinen, das ist ein Problem der modernen Gesellschaft, derer, die geizig sind und vor den Problemen anderer die Augen schließen. „Ist ganz weit weg, seh‘ ich nicht, gibts nicht“. 
Luxusprobleme.
Weiter unten im Artikel steht dann aber folgender Satz: „Die meisten sehen in Containern keine schlechte Tat, für die man bestraft werden müsste“. Es wird berichtet, dass über 15000 Menschen eine Petition zur Entkriminalisierung unterschrieben haben.
Lebensmittelverschwendung. 
Wenn ich im Überfluss lebe, dann schadet es doch mir selbst nicht, auch mal abzugeben, oder? 
Doch wie vieles muss auch das gelernt sein. Und nein, das ist kein Luxusproblem. Vielmehr ist es eins, dass die Menschen schon seit Anbeginn der Zeit begleitet. 
 
Ich lese aus Matthäus 15, die Verse 21 bis 28:
21Und Jesus ging weg von dort und entwich in die Gegend von Tyrus und Sidon. 22Und siehe, eine kanaanäische Frau kam aus diesem Gebiet und schrie: Ach, Herr, du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Meine Tochter wird von einem bösen Geist übel geplagt. 23Er aber antwortete ihr kein Wort. Da traten seine Jünger zu ihm, baten ihn und sprachen: Lass sie doch gehen, denn sie schreit uns nach. 24Er antwortete aber und sprach: Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel.
25Sie aber kam und fiel vor ihm nieder und sprach: Herr, hilf mir! 26Aber er antwortete und sprach: Es ist nicht recht, dass man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde. 27Sie sprach: Ja, Herr; aber doch essen die Hunde von den Brosamen, die vom Tisch ihrer Herren fallen. 28 Da antwortete Jesus und sprach zu ihr: Frau, dein Glaube ist groß. Dir geschehe, wie du willst! Und ihre Tochter wurde gesund zu derselben Stunde. 

Jesus antwortet nicht – er weist die Frau ab. Das greift mein Verständnis von Gerechtigkeit an. Das greift mein Verständnis von Jesus an. Das ist überhaupt nicht die Reaktion, mit der ich gerechnet hätte. Jesus hilft nicht, nein, er antwortet der Frau nicht einmal. Er ignoriert sie. Aber wieso macht er das? In der typischen Wundererzählung, die ich erwartet hätte, wäre Jesus der Bitte der Frau nachgekommen.
Hätte mit der Tochter gesprochen, ihr wahlweise die Hand aufgelegt oder dem Dämon gedroht, der die Tochter kontrolliert. 
Danach wäre sie aufgestanden und alle hätten sich von dem Wunder überzeugen können.  Doch er tut es nicht. 
Bei näherem Hinsehen wundert mich das aber doch gar nicht so sehr. Im ersten Vers heißt es, Jesus ging weg, er entwich. Wenn ich vor etwas entweiche, dann gehe ich etwas aus dem Weg, möchte meine Ruhe haben. Und dann kommt da diese Frau, und sie stört die Ruhe. Ich denke, dass die beiden sich nicht einfach auf der Straße begegnet sind. Vielmehr scheint es, als hätte die Frau Jesus bewusst aufgesucht. Es ist nicht die Rede von weiteren Menschen, die die Situation mitbekommen – die Jünger, die Jesus begleiten einmal ausgenommen. In meinen Augen wirkt Jesus fast ein bisschen genervt. 
Stellt euch vor, es ist Freitagmittag. Das lange Wochenende winkt, und das soll richtig genossen werden nach einer langen und anstrengenden Arbeitswoche. Der Kaffee steht schon draußen im Garten auf dem kleinen Tisch im Strandkorb bereit. Du setzt dich hin, willst gerade die Füße hochlegen und den ersten Schluck nehmen, aber da klingelt das Telefon. Du gehst ran und es ist dein Chef, der doch noch etwas vergessen hat, was er dringend noch vor dem langen Wochenende mit dir besprechen muss. Tja, wer wäre da nicht genervt?  
 
Aber zurück zum Bibeltext. Jesus befindet sich in der Gegend von Tyrus und Sidon, in einem anderen Land. Dort haben die Menschen einen anderen Glauben. Sie glauben an viele Götter, beten Götzen von ihnen an und bringen ihnen Opfer dar. Dort wird ihn doch niemand kennen, dort wird wohl niemand um seine Hilfe bitten. Vielleicht waren das genau seine Gedanken, als er sich entschied, dort hinzu gehen. 
 
Und ich erwische mich dabei, wie ich mich mit Jesus identifizieren kann. Ja, ich kann vielleicht verstehen, wieso Jesus so reagiert - und das, obwohl ich am Anfang so empört war. In der Ablehnung und Abweisung macht sich Jesus nahbar. Nicht für die Frau, aber für mich. Denn Jesus selbst ist dort auch ganz Mensch – Gott, Mensch geworden. Er zeigt menschliches Verhalten, menschliche Gefühle. Genervt sein, jemanden ignorieren. Das sind nicht gerade die Eigenschaften, die ich Gott zuordnen würde, eigentlich. Aber hier ist Jesus eben doch ganz Mensch. 
 
Es ist menschlich, einfach mal nicht zu antworten. Ich denke, diese Situation kommt jedem und jeder von uns bekannt vor. Ich spreche jemanden an, frage etwas. Und es folgt einfach keine Antwort. Aus Ablehnung, genervt sein, Stress – vielleicht wurde ich schlichtweg einfach nicht gehört oder übersehen. Das passiert. 
Und das passiert auch mit Jesus. Wie oft habe ich um etwas gebeten und auf ein Zeichen gehofft – völlig ohne Reaktion. Zumindest keine, die ich mitbekommen hätte. So geht es vielen Gläubigen und das kann wirklich frustrierend sein. Das mag auch für viele Menschen der Grund sein, sich von Gott und dem christlichen Glauben zu distanzieren. 
Gerade in turbulenten, schweren Zeiten kann ich das gut verstehen.
 „Wenn Gott wirklich da wäre, würde er doch mal was machen“, das hat mal ein Freund zu mir gesagt. Viele wenden sich ab.
Und was macht die Frau? Sie bleibt beharrlich. Schmeißt sich auf die Knie, fleht Jesus an – und wird wieder abgewiesen. Das ist frustrierend. Manchmal können wir es einfach nicht ändern. Trotzdem glauben wir. Wenn es auch auf den ersten Blick nicht so erscheint, so glaubt auch die Frau an Jesus. 
 
Ich stelle mir vor: Seit Tagen kämpft das Mädchen mit Fieberkrämpfen, redet wirr und wirft sich in ihrem Bett unkontrolliert hin und her. In den Krankenhäusern der Umgebung waren sie schon, keines konnte ihnen helfen. Sie hatte auch die Götter immer wieder um Hilfe gebeten, vergebens. Sogar ihre letzte Ziege hatte sie geopfert. Doch sie hatte von einem Wanderprediger gehört, er sollte bald hier vorbeikommen. Die anderen machten sich lustig über sie, sagten ihr, er wäre ein Betrüger, der den Menschen vorgaukle, etwas zu können, was er gar nicht konnte. Doch irgendetwas musste da doch dran sein?!
 
In der Geschichte wird erzählt, die Frau sei aus Kanaan. Dem Land der vielen Götter. Die Frau war andersgläubig, davon ging Jesus aus. Deswegen verwehrte er ihr seine Hilfe. „Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel“, sagte er ihr. Doch sie glaubte auch an Jesus. Schließlich bat sie ihn um Hilfe. 
Vielleicht weiß sie gar nicht so genau, wer dieser Wunderheiler ist. Trotzdem sucht sie ihn auf, geht gezielt zu ihm hin, drängt sich ihm förmlich auf. Sie traut ihm was zu! Sie glaubt, er kann ihr helfen und ihre Tochter heilen. 
Nein, die Frau entspricht erstmal nicht den „typischen Anforderungen an eine Gläubige“, nicht in Jesu Augen. Die Frau ist kein verlorenes Schaf Israel, ganz im Gegenteil. Doch mit ihrem Vergleich mit dem Hund und den Brosamen zeigt sie genau dies. Sie hat Geschichten über Jesus gehört – hat von den heruntergefallenen Brosamen gekostet. In ihrer Bildsprache bedeutet das, dass sie Göttes Botschaft gehört hat. Sie hat Jesus erkannt, als Sohn Davids, wie sie ihn zu Beginn anspricht. 
Jesus merkt, dass die Frau ihn argumentativ ausgeknockt hat. Er lässt sich von ihr überzeugen und heilt ihre Tochter. Das eigentliche Wunder an dieser Geschichte ist also nicht unbedingt die Heilung der Tochter, sondern die Frau, die zu einem vielleicht nicht ganz typischen Glauben gefunden hat. 
Bei mir hat diese Erkenntnis ganz viel ausgelöst. Ich konnte mich sehr in der Frau wiedererkennen. 
Die Erkenntnis bekräftigt, dass ich nicht die „typische Gläubige“ sein muss. 
Ich muss nicht vor jedem Essen beten. 
Es ist nicht schlimm, wenn ich meinen Taufspruch nicht auswendig weiß.
Ich muss nicht jeden Sonntag in die Kirche gehen. 
Mir reißt niemand den Kopf ab, wenn ich lieber neuere christliche Lieder singe, anstatt den alten, hohen, schwierig zu singenden Orgelliedern.
Ich glaube trotzdem, und das ist, was zählt. 
 
Die Geschichte zeigt uns, dass Gottes Herz nicht enger ist, als das der Menschen.
 
Und was hat das nun mit den beiden Studentinnen Caronline Kuhn und Franziska Schmitt aus Olching bei München zu tun, die Lebensmittel aus den Müllcontainern eines örtlichen Supermarkts geholt haben? Es ist vielleicht von der Justiz verboten, zu containern, da es streng genommen Diebstahl von Lebensmitteln ist, die auch in den Mülltonnen noch den Supermärkten gehören. 
Menschlich ist es jedoch nicht verwerflich, das abzugeben und zu verteilen, was im Überfluss ist. 
Das gilt für Obst und Gemüse aus Supermarktmülltonnen genauso wie für Gottes Liebe. Denn Gottes Liebe ist bedingungslos.
Sie ist nicht an bestimmte Verhaltensregeln wie man ein Christ oder eine gute Christin ist, gebunden. 
Gottes Liebe macht uns frei.
Amen.

Alles nur Gnade. Predigt zu Deuteronomium 8,7-18 aus den Erntedankgottesdiensten in Hardegsen und Ertinghausen am 2. Oktober 2022 (Pn. Anne Dill)

Gott schenke uns ein Herz für sein Wort und ein Wort für unser Herz.
Amen.
 
Liebe Gemeinde,
2022 war – oder ist – ein Mastjahr.
Also ein Jahr, in dem die Bäume besonders viele Blüten haben und damit später auch besonders viele Früchte.
Schon im Frühling konnte ich es sehen. Der Apfelbaum in meinem Garten war über und über mit weißen Blüten geschmückt.
Und nun – im Herbst – hängen so viele Früchte an den Zweigen, dass diese sich bis zum Boden biegen, fast abknicken. Als ich im Juni unter dem Kirschbaum meiner Eltern stand, da konnte ich eimerweise die süßen Früchte pflücken, ohne dass der Baum auch nur ansatzweise leer aussah.
 
Das klingt jetzt erstmal so, als lebt man als Mensch in einem Mastjahr im Paradies. Obst und Gemüse in Hülle und Fülle. Und das in einer Zeit, wo gerade alles teurer wird. 
Was will man mehr?
 
Ich lese den Anfang unseres Predigttextes. Er steht im Buch Deuteronomium im 8. Kapitel:
(7) „Der Prophet Mose sprach zum Volk:
Der HERR, Dein Gott, führt Dich in ein gutes Land,
ein Land mit Bächen und Quellen und Wasser in der Tiefe, das aus den Bergen und in die Auen fließt.
(8) Ein Land, in dem Weizen, Gerste, Weinstöcken, Feigenbäumen und Granatäpfel wachsen,
(9) ein Land, wo Du Brot genug zu essen hast,
wo Dir nichts mangelt.“
Eine schöne Aussicht, oder? Klingt auch nach Paradies: Genug zu essen haben. Nicht nur Brot, sondern auch edle Früchte: Feigen und Granatäpfel.
Dort wird es Dir an nichts mangeln.
Kommen Ihnen diese Worte auch bekannt vor?
Genauso fängt der bekannteste Psalm an, Psalm 23:
„Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.“
Vielen gibt dieser Psalm ein Leben lang Kraft.
 
Wie mögen nun Moses Worte damals für sein Volk geklungen haben? 
Die Menschen, zu denen er spricht, sind ganz normale Leute: Männern und Frauen, Junge und Alte, solche, die schnell mit dem Kopf sind und solche, die Tag ein Tag aus leben von ihrer Hände Werk.
Diese Menschen sind aber nicht etwa schon an diesem schönen Ort, wo es ihnen an nichts mangelt. Sondern sie sind – mitten in der Wüste. Und das nicht nur seit Tagen. Sondern schon seit vielen Jahren.
Sie ziehen umher, durch Hitze und Staub, immer an einen neuen Platz, keine blühenden Gärten oder erntereife Felder.
Das passt jetzt irgendwie nicht so. Kein frisches Wasser, kein köstlicher Wein.
Ein Riss in der Paradiesvorstellung.
 
Und bei uns? Ja, wir ernten dieses Jahr Äpfel und Kirschen in Mengen. Ihnen ist der wochenlange Sonnenschein bekommen. Aber – so ist es nicht mit allen Früchten. Die Zuckerrüben beispielsweise sind zu klein. Ihnen hat es gemangelt an Wasser. Und nun, wo es regnet, senkt das zu viele Wasser den Zuckeranteil.
Noch ein Riss im Mastjahr-Paradies.
 
Ich lese Moses Worte weiter. Er sagt:
(10) „Wenn Du nun gegessen hast und satt bist, sollst Du den Herrn, Deinen Gott, loben für das gute Land, das er Dir gegeben hat.
(11) So hüte Dich nun davor, den Herrn, Deinen Gott, zu vergessen, sodass Du seine Gebote und seine Gesetze und seine Rechte nicht hältst.
(12) Wenn Du nun gegessen hast und satt bist und schöne Häuser erbaust und darin wohnst, (13) und alles, was Du hast, sich mehrt,
(14) dann hüte Dich, dass Dein Herz sich nicht überhebt und Du den Herrn, Deinen Gott, vergisst.
Er hat Dich aus der Knechtschaft geführt.
(15) Er hat Dich durch diese große und furchtbare Wüste geführt,
wo feurige Schlange und Skorpione waren
und lauter Dürre
und kein Wasser.
Er aber ließ Wasser für Dich hervorquellen aus dem härtesten Felsen.
(16) Er gab Dir in der Wüste Manna, das Brot vom Himmel. So zeigte er Dir, wie sehr Du ihn brauchst.“
 
Da haben wir sie. Die Wüste. Die Dürre. Den Riss im Paradies. Die Menschen, zu denen Mose spricht, sind mittendrin.
Sie mussten sich zur Wehr setzen gegen feurige Schlangen und giftige Skorpione. Haben gelitten unter quälendem Durst und sengender Hitze.
Die Hobbygärtnerinnen unter uns und die Landwirte haben diesen Sommer auch gelitten unter Wassermangel: Pflanzen sind eine nach der anderen verdorrt.
Manche Felder wurden aufgegeben, weil es sich nicht mehr rentiert hat, sie zu bewässern. Wüstenzeit in Südniedersachsen.
 
Nicht alle von uns haben Felder zu bestellen. Auch nicht jeder hat einen Garten. Und manch einer hat vielleicht noch nicht einmal einen grünen Daumen.
Trotzdem kann Wüstenzeit sein:
Wenn ich mich mit einer Krankheit plage, sodass ich ganz ausgelaugt bin. Wenn es mir mangelt an Freude oder Zuversicht. Wenn sich die Angst wie eine feurige Schlange in meinem Bauch windet. Oder der Kummer brennt wie der Stich eines Skorpions.
 
Wüstenzeiten sind nicht schön. 
Und nun ist mir ganz wichtig, was Mose macht. Er sagt nicht: Freu Dich, wenn Du durch bist durch Deine Wüstenzeit. Grab Deine verdorrten Felder unter. Schneide die Dahlien, die nicht gekommen sind, ab. Vergiss möglichst schnell die schweren Zeiten. 
 
Sondern Mose sagt:
Pass auf, dass Du nicht vergisst!
Erinnere Dich an die Wüstenzeit:
„Hüte Dich davor, dass Du den Herrn, Deinen Gott, vergisst. Er hat Dich durch große und fruchtbare Wüste geführt.
Er ließ Wasser für Dich hervorquellen aus dem härtesten Felsen.
(16) Er gab Dir in der Wüste Manna, das Brot vom Himmel. 
 
Warum sagt er das? Nicht, um das, was war, schönzureden. Nicht um zu überpinseln, was nicht gut ist.
Sondern Mose sagt:
Überleg mal, wie Du durchgekommen bist durch die Wüste. Wie es weitergegangen ist. 
Bei den Israeliten, zu denen Mose spricht, hat Gott dafür gesorgt, dass aus einem steinharten Felsen frisches Wasser gesprudelt ist. Und er hat ihnen Brot vom Himmel geschickt. Manna. Hunger und Durst waren vorbei.
 
Was hat Dir geholfen, durch eine schwere Zeit zu kommen? 
Wer war da für Dich?
Wer hat Dir ein Stück Kuchen gebracht oder ein Blümchen? 
Wer hat Dich angerufen? Oder bei WhatsApp geschrieben? 
Wer hat Dein Schweigen ausgehalten? 
Wer hat mit Dir geweint? 
Wer hat Dich am Ärmel gepackt und ist losgegangen? Raus ins Leben oder einfach nur vor die Tür. 
 
Mose sagt: Erinnere Dich mal da dran. Vielleicht kannst Du dann sogar etwas sehen von Gottes Handschrift in Deiner Wüste.
 
Im Nachhinein vergesse ich manchmal, wie schwer eine Zeit wirklich war. Ich denke da an meine Examenszeit. Damals musste ich mich wirklich durchkämpfen. Heute aber steht für mich der Erfolg im Vordergrund.
Die endlosen Wochen und Monate der Lernerei blende ich aus. Und damit aber auch die Freundinnen und Freunde, die mit mir gelernt und meine schlechte Laune ertragen haben. Die sich immer und immer wieder meine ewig gleichen Sorgen und Nöte angehört haben.
Daran denke ich oft nicht mehr.
 
Ich lese Moses Worte zu Ende:
(17) „Wenn Du vergisst, dann könntest Du sagen in Deinem Herzen: Meine Kräfte und meiner Hände Stärke haben mir gewonnen, was ich habe.
(18) Denke an den HERRN, Deinen Gott. Er ist es, der Dir Kraft gibt, der gibt, was Du hast. So hat er es von alters her versprochen.“
 
Ich kann und darf und soll mein Bestes geben, dass etwas wächst in meinem Garten, auf dem Feld, in meinem Leben. 
Ich kann meine Pflanzen wässern und düngen und die Bäume zur richtigen Zeit beschneiden.
Ich kann mir Zeit nehmen für meine Familie, die Freundinnen und Freunde, für die Kollegen.
Ich kann viele kluge Bücher lesen zur Vorbereitung auf eine Prüfung.
Ich kann mich ausgewogen ernähren und genug trinken.
 
Trotzdem liegt am Ende nicht alles in meiner Hand.
Ist es zu kalt oder zu warm, wachsen die gut gepflegten Pflanzen nicht.
Trotz aller Verbundenheit bricht ein Streit mit dem besten Freund vom Zaun. Oder zuhause hängt der Haussegen schief.
Trotz aller Lernerei ereilt mich am Tag der Prüfung ein Blackout. Oder ein schlecht gelaunter Prüfer.
Obwohl ich viele gängige Gesundheitsratschläge befolge, finde ich mich plötzlich mit einem Magen-Darm-Infekt im Bett vor.
 
Das Wohlergehen, die Ernte liegt letztlich nicht in unserer Hand.
Weder die auf dem Feld noch die im Garten.
Und auch nicht unsere Lebens-Ernten:
Die Beziehungen zu kostbaren Menschen,
der Erfolg im Beruf,
die eigene Gesundheit.
 
Ein Stück weit können wir all das beeinflussen. Aber dabei bleibt dann auch.
Oder umgekehrt gesagt: 
Alles, was ich habe, 
alles, was ich ernte,
was ich viel zu oft als selbstverständlich ansehe,
ist mir geschenkt.
 
Vor ein paar Tagen hat jemand mir ein Gedicht vorgelesen. Es war gar nicht lang. Aber ein Satz kam immer wieder vor:
Am Ende des Tages ist alles, was wir haben, einfach nur Gnade. 
 
Gnade ist kostbarer als ein Mastjahr.
Gnade heißt: Gott hält fest an mir, an unserer Welt fest,
komme, was wolle.
An seiner Gnade mangelt es nicht.
Gott, Dir sei Dank!
Amen.

Himmel in der Nacht. Predigt zu Genesis 28,10-19 aus dem Gottesdienst am 18.09.2022 (14. So. n. Trinitatis) in Üssinghausen (Anne Dill)

Gott schenke uns ein Herz für sein Wort und ein Wort für unser Herz. Amen.
 
Unser heutiger Predigttext erzählt von einem jungen Mann. Jakob heißt er. Bestimmt kennen ihn einige. Aufgewachsen ist er in den Nomadenzelten seines Stammes. Jeder kennt dort jeden. Das Zeltdorf ist noch kleiner als Üssinghausen. Er hat gute Freunde, die er von Kindesbeinen an kennt. Anderen geht er hin- und wieder aus dem Weg. So wie das in einem Dorf eben sein kann.
 
Aber nun liegt er auf der nackten Erde. Kleine Steine bohren sich in seinen Rücken. Kälte kriecht durch seine Glieder. Viel zu schnell ist die Sonne untergegangen. Kaum Zeit hat er gehabt, sich einen geeigneten Schlafplatz zu suchen. Dabei war der schnelle Einbruch der Dunkelheit keine Überraschung. Das ist in Israel schließlich immer so. Aber Jakob ist schon lange nicht mehr fort gewesen von zuhause.
Und nie, wirklich nie, ist es so gewesen wie diesmal:
 
Sicher, früher hat er ab und zu den Bruder oder den Vater begleitet auf ihren Streifzügen durch die Wildnis. Aber schnell hat er gemerkt, dass ich das nicht liegt. Viel lieber ist er zu Hause. In vertrauter Umgebung. In der Nähe seiner Mutter Rebekka.
Schon immer ist Jakob ein Mama-Kind gewesen.
 
Sein Bruder Esau hat dagegen von klein auf den Vater auf Schritt und Tritt begleitet. Wenn die beiden abends von ihren Tageserlebnissen erzählt haben, war Jakob kein bisschen neidisch: Hatte er doch mit den Tieren gespielt, was Leckeres aus der Küche stibitzt, den Geschichten der Frauen gelauscht und träumend in den Himmel geschaut.
 
In den Himmel schaut Jakob auch jetzt. Ganz klar ist er. Die Sterne leuchten über ihm. Viele, oben, in der Ferne und doch nah.
 
Eigentlich sollte er glücklich sein: Sein Plan ist aufgegangen: Er hat sich verkleidet. Er sah aus wie Esau, der Bruder. Sogar seine Haut hat sich angefühlt wie die von Esau. Schließlich hatte er Felle um seine Arme gebunden. So hat er sich zum Vater geschlichen. Der ist blind. Und reingefallen auf die List. Er, Jakob, hatte den Segen bekommen, der eigentlich dem älteren Bruder zugestanden hätte. Ihn, Jakob, das Schlitzohr, den Zweitgeborenen, hatte der Vater gesegnet:
 
„Gott gebe Dir viel Regen und mache Dein Land fruchtbar. Getreide und Wein sollst Du im Überfluss haben. Viele sollen Dir dienen. Und Du sollst das sagen haben über Deinen Bruder.
Verflucht sei, wer Dir Böses tut.
Wer Dir aber wohlgesonnen ist, der soll gesegnet werden.“
 
Ja, so hatte der Vater gesprochen. Und er, Jakob, hatte sich gefreut. Der Vater hatte den Betrug nicht bemerkt.
Bis der Bruder nach Hause gekommen war. Und er den Vater auch um den Segen für den erstgeborenen Sohn bat. War ja eigentlich auch klar, dass das irgendwie auffliegen würde.
Aber was machte das schon? Er ist wieder einmal schneller gewesen, hat seinen älteren Bruder überlistet. Sich geholt, was eigentlich nur dem Älteren zugestanden hätte.
 
Eigentlich sollte er glücklich sein, wie er hier so liegt und in die Sterne schaut. Aber wenn Jakob ganz ehrlich zu sich selbst ist, dann ist er vieles in diesem Moment. Unsicher. Ängstlich. Ratlos. Furchtsam. Nein, glücklich ist er nicht.
 
Denn sein Bruder hat ihm furchtbare Rache geschworen. Umbringen will er ihn. Auslöschen, vernichten. So hat er ihm ins Gesicht gebrüllt.
 
Da hat Jakob es zum ersten Mal mit der Angst zu tun bekommen. Der Hass in den Augen seines Bruders war unübersehbar. Da wusste Jakob, dass er zuhause nicht mehr bleiben konnte.
Schnell hat er ein paar Sachen zusammengesucht. Sich in aller Kürze von der Mutter verabschiedet und ist davongelaufen. Nach Norden. In die Richtung seines Onkels. Da solle er Zuflucht suchen, hatte die Mutter ihm noch nachgerufen.
Doch es würde noch sehr lange dauern, bis er dort ist.
 
Nein, Jakob ist nicht glücklich unter dem Sternenhimmel.
Ihm ist kalt. Und er ist so schrecklich allein.
Jakob zittert. Wenn er doch einschlafen könnte! Im Schlaf könnte er für eine Weile alles vergessen. 
Das bohrende Gefühl in seinem Magen lässt nicht nach. Würde er jemals wieder nach Hause kommen? Würde er Vater und Mutter eines Tages wiedersehen? Die Freunde? Sein Zuhause?
 
Eine alte Weisheit schießt Jakob durch den Kopf:
Denen, die Gott liebt, gibt er alles Nötige im Schlaf.“ (Ps 127) 
Darauf konnte er wohl lange warten. Kein Wunder, dass er nicht einschlafen konnte. Gott liebte ihn ganz sicher nicht mehr. Denn ihn hat er auch betrogen. Schließlich kommt der Segen von ihm.
Würde dieser Segen für ihn zum Fluch werden?
Wie wird Gott ihn bestrafen für das, was er getan hat?
Seinen Schutz ist er jedenfalls los. Da ist Jakob sich sicher.
Ist Gott doch der Gott seines Vaters und Großvaters. Und von dieser Familie hat Jakob sich heute getrennt.
All diese Gedanken kreisen in der Zwischenwelt von Wachen und Träumen in seinem Kopf.
Langsam, ganz langsam, taucht Jakob immer weiter in die Traumwelt ein:
 
Da ist eine Treppe. Ganz hell und leuchtend ist sie. Unten endet sie genau an der Stelle, wo Jakob liegt. Aber oben reicht sie bis an den Himmel, Und da sind Engel, ganz viele Engel auf der Treppe.
Es ist, als ob sie ein Stück von Jakobs Dunkelheit nach oben in den Himmel tragen.
Und wenn sie wieder herunterkommen, bringen sie ein Stück vom Himmel in Jakobs Nacht hinein.
 
Himmel in der Nacht auch durch das, was er hört:
„Ich bin der Gott Deines Vaters und Großvaters.
Ich bin mit Dir.
Ich behüte Dich, wohin Du auch gehst.
Ich werde Dich wieder in dieses Land zurückbringen.
Ich werde Dich nicht verlassen.“
 
Da wacht Jakob auf. Es ist Morgen. Ein neuer Tag beginnt.
Ein Betrüger ist Jakob immer noch.
Den Konsequenzen seines Handelns kann er nicht entfliehen: Auch wenn er ein Ziel vor Augen hat, wird er noch sehr lange unterwegs sein. Hunger und Durst erdulden, Kälte und Einsamkeit. Jeder Schritt wird in weiter fortbringen von seinem Zuhause, den Menschen, allem, was ihm lieb und teuer ist.
Ja, ein Betrüger ist Jakob immer noch…
Aber jetzt steht sein Weg unter einem neuen Vorzeichen:
Er wird bewahrt werden. Eines Tages wird er zurückkommen.
Gottes Versprechen ist größer als seine eigenen Fehler.
 
 
So weit die Geschichte von Jakob.
Später wird er den Beinamen „Israel“ kriegen. Das heißt „Gotteskämpfer“. Jakob ist einer, der mit Gott ringt. Er kämpft regelrecht mit ihm. Hält an ihm fest, bis er bekommt, wonach er sich sehnt.
Jakob ist auch einer der Ur-Ur-Ur-Ahnen von Jesus Christus. Im Stammbaum Jesu taucht sein Name auf. Jakobs Geschichte geht weiter. Bis heute. Bis zu uns.
Er ist auch Vorfahr im Glauben. Was Gott ihm sagt, gilt auch uns. 
 
Gott sagt:
Ich bin mit Dir auf Deinem Weg.
Wenn die Dunkelheit Dich überfällt, 
wenn Du nicht einschlafen kannst vor lauter Sorgen,
wenn Du merkst, alles ist total daneben gegangen,
dann will ich Dir einen Engel schicken.
 
Wenn Deine Schuld Dich erdrückt, dann bring sie mir. Ich nehme sie fort.
Wenn Du Dich selbst verdammst, dann halte ich an Dir fest.
Wenn Du Dich verrannt hast,
wenn Du den Weg verloren hast oder ihn nicht kennst, wenn Du Dir wünscht, die Zeit zurückdrehen zu können, 
dann gehe ich mit Dir einen Schritt Richtung Zukunft.
 
Unsere Dunkelheiten haben vor Gott keinen Bestand. 
Er hat das letzte Wort:
„Ich bin Dein Gott.
Ich behüte Dich, wohin Du auch gehst.
Ich werde Dich nicht verlassen.“
Amen.

"Tage wie diese - Die Toten Hosen" - Predigt vom Sommergottesdienst am 14.8.22 in Lutterhausen von Prädn. in Ausbildung Madleene Knoke

Im Kleiderschrank, hinter den langen, mit Blumen bedruckten Röcken wo man so schlecht durchschauen kann. Unter dem Bett in einem Bettkasten, wo es immer so super dunkel war und wo man sich ab und zu auch mit Auge in Auge mit einer dort wohnenden Spinne wiedergefunden hat. Im Wohnzimmer im Regal hinter den Büchern, für die ich noch zu jung war, um sie lesen zu dürfen. Kein Versteck war früher vor mir sicher. Ich war so schrecklich neugierig, dass ich das ganze Haus auf den Kopf gestellt habe auf der Suche nach Geburtstags- oder Weihnachtsgeschenken – und das bereits mehrere Tage wenn nicht sogar Wochen vor dem eigentlichen Fest. Jeden Tag habe ich meine Mutter gelöchert mit Fragen nach Tipps zu Größe, Farbe, Gewicht der Geschenke, die mich hübsch verpackt, in buntes Papier gehüllt und geschickt zugeklebt, sodass das Auspacken deutlich erschwert wurde, erwarteten. Natürlich waren die Tipps meistens so vage, dass ich nicht erraten konnte, was in den Paketen später drin war. Ich dachte immer, ich wäre wie eine Meisterdetektivin und dass niemand mir und meinen geheimen Suchaktionen auf die Schliche kommen würde. Da lag ich natürlich falsch, wie meine Mutter immer wieder auf jeglichen Familientreffen und zu sonstigen Gelegenheiten erzählte und noch immer das ein oder andere Mal mit einem Lachen erzählt. Sie hatte natürlich alles mitbekommen. Aber solange ich nur nach den Geschenken suchte und sie nicht schon anguckte, oder sogar ausgepackt habe, hat sie mir das schmunzelnd durchgehen lassen. Gefunden habe ich jedes Mal mindestens eins der Geschenke. Aber irgendwas hat mich dann doch immer gehindert, das Klebeband an einer Ecke vorsichtig zu lösen um einen Blick auf das Innere erhaschen zu können. So sehr ich auch wissen wollte, was denn da nun drin war – aufgemacht oder mal in eine Tüte reingelunst habe ich nur einmal und danach nie wieder. Dieses eine Mal habe ich dann gemerkt, dass ich mir ja selber die ganze Überraschung verdorben habe, denn am eigentlichen Tag der Bescherung hatte ich ja nichts mehr, worauf ich mich so richtig freuen konnte. Das Gefühl des vollkommenen Glücks, wenn ich an Heiligabend schon den ganzen Tag ungeduldig wartend, in der Kirche und beim anschließenden Essen unruhig und aufgeregt auf meinem Platz hin und her rückend endlich binnen Sekunden meine Geschenke aufgerissen hatte und tatsächlich drin war, was ich mir gewünscht hatte. Das gesamte darauf-hin-fiebern, das ist doch das Gefühl, was wohl viele aus ihrer Kindheit kennen und in Erinnerung behalten.  

Je älter ich geworden bin, desto seltener kam diese Vorfreude. Neben Schule, Studium, Arbeit blieb dafür nicht mehr so viel Zeit und ich war abgelenkt. Man könnte meinen, das liegt auch am Erwachsen sein, dass man mit der Zeit seine kindliche Neugierde und Begeisterungsfähigkeit verliert. Aber ich glaube, dass das nicht stimmt. Ich glaube, dass in jeden von uns noch immer das Kind schlummert, welches vor Freude hüpft, mit einem absoluten Gefühl des Glücks, das im Bauch prickelt wie Brausepulver. Das sind Momente, egal ob als Kind oder auch Erwachsener, an die man sich ein Leben lang erinnert. Schon öfter habe ich auch Erwachsene vor Freude springen und tanzen sehen, wie ein kleines Kind. 

Das Lied „Tage wie diese“ erzählt ebenfalls davon. Wenn man wochenlang wartet auf ein ganz bestimmtes Ereignis und vor Freude schon kaum noch still sitzen kann und am liebsten glücklich umher tanzen würde. 

Nunja. Ein Gottesdienst zu einem Sommerhit, easy peasy hab ich mir gedacht. Dann musste ich feststellen, dass  Sommerhits oft  doch genau die Lieder sind, zu denen man mit einem kalten Getränk in der Hand und nackten Füßen ausgelassen tanzt ohne ganz genau hinzuhören, was da eigentlich gerade gesungen wird. 

Mitsingen kann jeder, zuhören tun aber nur wenige und zugegeben, meistens ist der Inhalt auch nicht besonders originell. 

Aber bei dem Lied „Tage wie diese“ ist das irgendwie anders. Da kommt eben nicht das Gefühl von Sommer, Sonne und Strand und doch ist es ein Lied, welches auf keiner Sommerparty fehlt.

Campino, der Sänger der Toten Hosen nimmt uns mit auf einen Spaziergang an einem Sommerabend entlang des Rheins, im Hintergrund Musik und ausgelassene Menschen. Dabei ruft er ganz besondere Erinnerungen wach. Die knüpfen sich jedoch nicht an ein bestimmtes Ereignis, sondern vielmehr an dieses Gefühl des Glücks, in dem die Zeit für einen kleinen Moment langsamer vergeht. Ich habe den Sommer 2014 im Kopf, die Fußball-WM im Brasilien, flimmernde Hitze. Menschen, die vor Freude weinen und sich in den Armen liegen, egal ob sie sich kennen oder nicht. Und für kurze Zeit einmal alle Distanzen überwinden. Liebe. Mit „Tage wie diese“ haben die Toten Hosen ein Lied geschrieben, welches nicht nur musikalisch ins Ohr geht, sondern auch inhaltlich ganz viel Wahres sagt. Sie sprechen ein Gefühl an, was wir alle nur sehr gut kennen. Und deswegen ist es nicht verwunderlich, dass dieses Lied sich so lange gehalten hat und auch heute noch ein echter Sommerhit ist, der viele Menschen auf die Tanzfläche treibt. Er ruft bei jedem ganz persönliche Erinnerungen wach, an Momente, die für die Ewigkeit gemacht sind. 

Ein erster Kuss. Ein Tanz im Sommerregen. So doll lachen, dass die Cola wieder aus der Nase kommt. 

Doch bei all der Sonne gab es in diesem Jahr, 2014, auch reichlich Schatten, bildlich gesprochen. In Westafrika breitete sich das Ebola Fieber aus, viele Menschen wurden sehr krank, litten unter der schlechten medizinischen Versorgung. Starben. Die WHO erhob diese Situation schnell zu einem Gesundheitsnotfall mit internationaler Tragweite. 

Die ukrainische Halbinsel Krim wurde von russischem Militär annektiert, der Beginn der Ukraine Krise, der Beginn des Krieges der die Menschen in Europa und weltweit ganz aktuell erschüttert und an der Menschlichkeit zweifeln lässt. Damals wie heute werden die Schlagzeilen dominiert von negativen Nachrichten aus der ganzen Welt. 

Und genau das ist es, was dieses Gefühl des Glücks als Erinnerung so stark macht.  Es setzt an bei einer ganz tiefen Sehnsucht in den Menschen nach Frieden und Liebe, nach einem Moment, in dem man sich Unendlichkeit wünscht. Einfach mal kurz anhalten, atmen und nicht daran denken müssen, was gerade so Schlimmes passiert. Das Schlimme vergessen können. In der Lesung haben wir es eben gehört: Alles hat seine Zeit, das Lachen und das Weinen, das Klagen und auch das Tanzen. Gott hat allem seine Zeit gegeben. Wir dürfen uns nicht also erdrücken lassen von schlechten Botschaften, es muss auch Zeit sein für die Guten! Wir müssen uns nicht dafür schämen, auch in schwierigen Zeiten Glück zu empfinden. Eher sollten wir uns wohl darüber freuen. Solche Momente und Erinnerungen daran sind wie eine Tankstelle, an der wir neue Energie aufladen können, um unser Leben zu bestreiten. Ob nun ganz aktuell, oder eben in unseren Erinnerungen. 

Das hier ist ewig- ewig für heute singt Campino. Widersprüchlich? Nein! Diese Momente mögen zwar kurz sein aber eben doch für eine Ewigkeit währen. Zumindest in unserem Herzen. Denn genau dort hat Gott die Ewigkeit hingelegt, wie wir in der Lesung gehört haben: 

[11] Er hat alles schön gemacht zu seiner Zeit, auch hat er die Ewigkeit in ihr Herz gelegt; nur dass der Mensch nicht ergründen kann das Werk, das Gott tut, weder Anfang noch Ende.  [12] Da merkte ich, dass es nichts Besseres dabei gibt als fröhlich sein und sich gütlich tun in seinem Leben.  

Und diese Erinnerungen sind der Schlüssel zu dem Raum in unserem Herzen, in dem die Ewigkeit wohnt. Wir können einen kleinen Vorgeschmack bekommen, auf eben die Ewigkeit, die uns erwartet im Himmelreich und die uns für einen kurzen Moment frei macht, von den doch oft sehr erdrückenden Geschehnissen auf dieser Erde. Auch wenn viel Schlimmes passiert, Dinge, die in unserem Weltgeschehen viel Raum einnehmen, so hat Gott und durch Erinnerungen als Momente des Glücks einen Schlüssel zu dem Raum im Herzen gegeben, in dem es nichts Schlimmes gibt, sondern nur Gutes. Dieser Schlüssel soll uns daran erinnern, dass wir am Ende alle bei ihm sein werden und in Frieden und Liebe miteinander leben können. 

Amen

Wir hören nun noch einmal das Lied „Tage wie diese“. Währenddessen haben Sie die Möglichkeit, einmal über einen ganz eigenen Glücksmoment, einen ganz eigenen Schlüssel für den Raum im Herzen, wo die Ewigkeit wohnt, nachzudenken. 

Am Eingang haben sie gemeinsam mit dem Liederblatt einen kleinen Anhänger aus Pappe bekommen. Darauf können sie Gedanken an diese Erinnerung schreiben. Kugelschreiber liegen hier vorne auf dem Tisch aus. Dort steht auch ein kleiner Korb mit unterschiedlichen Schlüsseln, ganz symbolisch. Suchen Sie sich einen aus und hängen Sie Ihren Anhänger mit ihrem Ewigkeitsmoment daran. Dann haben sie ihren ganz persönlichen Schlüssel zum Raum im Herzen, in dem die Ewigkeit wohnt. Und wenn es einmal schwierig ist können Sie ihn anschauen und einen kleinen Moment Frieden kosten. 

"Laudato si, mi signore - sei gepriesen mein Herr" - Predigt aus dem Sommergottesdienst am 7.8.22 in Üssinghausen von Prädn. Gertrud Brandtner

Von Gott, dem Schöpfer, handelt das bekannte Kirchenlied „Laudato si“. Das Lied stammt – wie auch der Sonnengesang von Franz von Assisi, auf den es sich bezieht – aus Italien. Seit 1975 trat es seinen Siegeszug zuerst in den kirchlichen Jugendbewegungen wie die Pfadfinder und später über Kirchentage bis in die Gemeinden vor Ort an. Es wurde von dem kath. Pfarrer Winfried Pilz 1974 in freier Anlehnung an den „Sonnengesang“ des Franz von Assisi ins Deutsche übertragen. Es ist seit langem ein innerkirchlicher Hit und fand darum den Weg in unser Gesangbuch.
  Es ist, war so populär, dass es auch eine Anzahl von Parodien über den kirchlichen Raum hinaus gibt – bis hin zu einem Ballermann-Schlager von Mickie Krause. Der Schlagerstar kommt übrigens aus der katholischen Pfadfinderbewegung und hatte das Lied dort kennen gelernt.

Der Refrain des Liedes, mit dem es auch beginnt, ist der Anfang des Sonnengesangs von Franz von Assisi: Laudato si, o mi signore, laudato si – Sei gepriesen, o Herr!
  Die Liedstrophen beginnen immer mit „Sei gepriesen“ und enden mit „… denn du bist wunderbar, Herr“. Die Strophen 1-6 beziehen sich direkt auf den Sonnengesang, thematisieren die Schöpfung. 7 und 8 besingen über den Sonnengesang hinaus Leben, Tod und Auferstehung von Jesus Christus, die letzte Strophe weist auf die Ewigkeit. 

Das Ohrwurmartige in dem Lied, das auch dafür sorgt, dass man es leicht mitsingen kann, kommt daher, dass es in jeder Liedzeile den gleichen starken Rhythmus gibt, der dann in den Refrain übergeht.

Singen wir die ersten drei Strophen von dem Lied und hören wir dann nach der dritten Strophe mit einem langen Ton auf, bevor der Refrain beginnt.

Ev. Gesangbuch (EG) 515, 1-3 Laudato si, o mi signore

Refrain
Laudato si, o mi signore, laudato si,
  o mi signore, laudato si, o mi signore, laudato si,
  o mi signor.

1. Sei gepriesen, du hast die Welt geschaffen,
  sei gepriesen für Sonne, Mond und Sterne,
  sei gepriesen für Meer und Kontinente,
  sei gepriesen, denn du bist wunderbar, Herr!

Refrain

2. Sei gepriesen für Licht und Dunkelheiten!
  Sei gepriesen für Nächte und für Tage!
  Sei gepriesen für Jahre und Gezeiten!
  Sei gepriesen, denn du bist wunderbar, Herr!

Refrain

3. Sei gepriesen für Wolken, Wind und Regen!
  Sei gepriesen, du lässt die Quellen springen!
  Sei gepriesen, du lässt die Felder reifen!
  Sei gepriesen, denn du bist wunderbar, Herr!

Laudato si, mi signore - Sei gepriesen, mein Herr

Der Sonnengesang von Franz von Assisi stammt aus dem 13. Jahrhundert. In den Monaten vor seinem Tod schrieb er dieses Gedicht, richtiger: dieses Gebet. Er preist die Schönheit der Schöpfung und dankt Gott dafür – und fordert die Singenden bzw. Betenden dazu auf, ihrerseits den Schöpfer zu loben. 

Höchster, mächtiger, gütiger Herr,
  dein ist der Preis, die Herrlichkeit, die Ehre und jeglicher Segen:
  Dir allein gebühren sie und der Menschen keiner ist würdig, dich zu nennen.

 
Franz von Assisi lobt Gott und tut dies gemeinsam mit allen Geschöpfen, besonders mit Bruder bzw. Schwester Sonne, die für ihn ein Sinnbild des Schöpfers ist. Übrigens wird in manchen Übertragungen des Sonnengesangs ins Deutsche von „Bruder Sonne“ gesprochen. Das ist einfach die wörtliche Übersetzung, weil Sonne im Italienischen männlich ist (il sole) – und es heißt dann „Schwester Mond“, denn „la luna“ ist weiblich …

Sei gepriesen, mein Herr, mit allen deinen Geschöpfen,
  vornehmlich mit unserer Schwester, der Sonne:
  Sie wirket den Tag und schenkt uns durch ihn das Licht.
  Schön ist sie und strahlend in großem Glanze 
  und deines Wesens, Allerhöchster, ein Gleichnis.

 
Damit folgte Franz von Assisi einer jahrtausendealten religiösen Tradition, die in der Sonne das lebenserhaltende Gestirn am Himmel sah: Die Sonne bringt Helligkeit, Wärme, ja Glanz, aber auch Gefahr. Wer sie anschauen will, muss sich schnell abwenden, die Sonne lässt sich nicht „erschließen“. Sich ihr zu nähern, sie anzusehen, kann tödlich sein.

So entwickelte sich in vielen Religionen ein Sonnenkult, die Sonne wurde als Sonnengott oder Sonnengöttin angebetet. Das war im alten Ägypten der Fall, aber auch in der Antike rund ums Mittelmeer, ebenso im Inkareich in Südamerika. Auch in Mittel- und Nordeuropa spielte der Sonnenkult eine große Rolle. Stand sie doch dafür, dass sich das Leben nach der langen, dunklen Winterzeit wieder im Hellen und im Warmen abspielte. Heute ist davon noch etwas bei den Mitsommerfesten zu spüren, wenn die Sonne ihren höchsten Stand erreicht.
  Ohne Sonne wäre kein Leben auf unserem Planeten möglich genauso wie es nicht ohne Wasser, ohne Luft zum Atmen ginge.

Im Schöpfungsbericht der Bibel ist die Sonne eines der Werkzeuge Gottes, mit denen er Ordnung in Zeit und Raum bringt. Im 1. Kapitel der Bibel heißt es (Gen 1, 14.16 – BasisBibel 2021):

Gott sprach:
  Lichter sollen am Himmelsdach entstehen und Tag und Nacht voneinander trennen!
  Sie sollen als Zeichen dienen, um die Feste, die Tage und Jahre zu bestimmen. …

Gott machte zwei große Lichter.
  Das größere Licht sollte den Tag beherrschen und das kleines die Nacht.
  Dazu kamen noch die Sterne. Und Gott sah, dass es gut war.

Christinnen und Christen sind sich wie die Menschen jüdischen und muslimischen Glaubens sicher: Aus der schöpferischen Kraft Gottes, ist alles entstanden, auch die Sonne. 
  Von dieser Schöpfung singt, betet Franz von Assisi.

Franziskus wuchs unter der Sonne Italiens auf, war der Sohn reicher Eltern, hatte eine sorglose Kindheit. Doch dann schlug das Leben zu: Er geriet als junger Offizier in Gefangenschaft, wurde schwer krank. Als er wieder nach Assisi kam, verließ er demonstrativ seine Wohlfühl-Umgebung. Er zog auf dem Marktplatz vor vielen Leuten seine kostbaren Kleider aus und streifte ein einfaches, braunes Gewand über. Er lebte als Einsiedler im Wald, schlief in einer Höhle. Ausgesetzt den Elementen, nur auf sich gestellt, bekam er ein besonderes Gespür für das Angewiesensein auf Gottes Schutz. Er lebte mit und in der Natur. Er war ein guter Beobachter, ging achtsam mit Pflanzen und Tieren um. Im Sonnengesang besingt er die vier Elemente Feuer, Wasser, Luft und Erde. Und er lobt Gott, der alles schuf.

 

EG 515, 4-6   Sei gepriesen für deine hohen Berge

4. Sei gepriesen für deine hohen Berge!
  Sei gepriesen für Feld und Wald und Täler!
  Sei gepriesen für deiner Bäume Schatten!
  Sei gepriesen, denn du bist wunderbar, Herr!

Refrain

5. Sei gepriesen, du lässt die Vögel singen!
  Sei gepriesen, du lässt die Fische spielen!
  Sei gepriesen für alle deine Tiere!
  Sei gepriesen, denn du bist wunderbar, Herr!

Refrain

6. Sei gepriesen, denn du, Herr, schufst den Menschen!
  Sei gepriesen, er ist dein Bild der Liebe!
  Sei gepriesen für jedes Volk der Erde!
  Sei gepriesen, denn du bist wunderbar, Herr!

Es sprach sich herum, dass ein „Heiliger“ in der Einöde jenseits des bebauten Landes lebte. Menschen besuchten ihn, waren fasziniert von seinem Reden, seinem Tun, seiner Ausstrahlung. 
  Er sammelte Mitstreiter um sich. Es entstand ein Orden, die „Minderbrüder“, später wurden sie „Franziskaner“ genannt. Auch ein Frauenorden wurde gegründet, die Franziskanerinnen. Beide pflegten Kranke, halfen den Armen, hörten einfach zu, predigten von Gott, erzählten von Jesus. Franziskus und seine Freunde lebten ganz schlicht, hatten nur das absolut Notwendige. Sie lebten weitgehend im Einklang mit der Natur, freuten sich an den Erscheinungen des Himmels. 

Sei gepriesen, mein Herr, durch Bruder Mond und die Sterne:
  Du hast sie am Himmel gebildet, leuchtend, kostbar und schön.

Sei gepriesen, mein Herr, durch unsern Bruder, den Wind,
  durch die Luft und die Wolken, durch die heitern und düsteren Tage, 
  durch welchen du deinen Geschöpfen Dauer verleihst.

 
Sei gepriesen, mein Herr, durch unsere Schwester, das Wasser:
  Nützlich ist es sehr, voll Demut, köstlich und keusch.

 
Sei gepriesen, mein Herr, durch unsern Bruder, das Feuer, 
  durch welchen du die Nacht erleuchtest, Schön ist es, heiter, stark und gewaltig.

 
Legenden erzählen, Franz von Assisi habe sogar den Vögeln gepredigt und einen Wolf gezähmt. Wenn die Klosterbrüder einen Baum fällten, dann verlangte er, ein Stück des Stammes stehen zu lassen, damit der Baum die Chance habe, wieder auszuschlagen.

Für Franziskus war jedes Geschöpf, jede Kreatur Schwester und Bruder. Selbst der flüchtige Wind kommt von Gott. Er pries auch das Wasser und das Feuer, die das Überleben sichern.
  Franz von Assisi – sein Lied zeigt: Gott schenkt uns das Leben und alles, was uns umgibt.
  Er lässt Gutes wachsen. Auf Feldern und in Gärten.

Ja, Franz von Assisi sah sich und die Menschen als Teil der ganzen Schöpfung und die Mitgeschöpfe als Geschwister.

Klingt das heute naiv: 
  Schwester Sonne, Bruder Wind, Schwester Wasser, Bruder Feuer, Mutter Erde?
  Ist die Menschheit 800 Jahre nicht vom Geschöpf und Teil der Schöpfung zu ihrem Gegner geworden, weil sie sich mehr nimmt als unser Planet verkraften kann?

Ist es fünf vor zwölf oder schon fünf nach zwölf?
  In diesem Sommer erleben wir hautnah, wie es ist, wenn die Sonne brennt statt zu wärmen, 
  wenn die Erde heiß ist und trocken, wenn Flüsse nur noch ein Rinnsal sind, überall Wassermangel herrscht.

Vor 40 Jahren gab es die weltweite Kirchenbewegung: „Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“. Viele schlossen sich ihr an, Klima- und Umweltschutz wurden zum Thema weltweit.
  Jetzt ist das brandaktuell, doch andere Krisen und Probleme drängen in den Vordergrund.

Was ist davon geblieben?
  Wofür können wir uns heute stark machen?
  Worauf können wir verzichten

Kurze Stille

Trotz allem: 
  Ein Gang durch die Natur lässt Freude in mir aufsteigen, lässt mich staunen, lässt mich hoffen,
  wenn Bienen und Hummeln die Lavendelblüten besuchen, Schmetterlinge um die Katzenminze flattern, wenn Amseln an den Früchten unterm Apfelbaum picken, und eine Grünspecht-Familie 
  begeistert die kleinen Ameisenhügel in der Wiese nach Larven durchsucht, wenn Wassertropfen über grüne Blätter rollen, eine dunkelrote Brombeere zum Naschen einlädt … 

Trotz allem: Es gibt auch heute viel zu danken und zu loben. 

Sei gepriesen, mein Herr, durch unsere Schwester,
  die Mutter Erde, welche uns nährt und erhält
  und viele Früchte gebiert und bunte Blumen und Kräuter.
  Preiset und lobet meinen Herrn und saget ihm Dank:
  und dienet ihm mit großer Demut.

 
EG 515, 7-8   Sei gepriesen, du selbst bist Mensch geworden - endet mit Amen

7. Sei gepriesen, du selbst bist Mensch geworden!
  Sei gepriesen für Jesus, unsern Bruder!
  Sei gepriesen, wir tragen seinen Namen!
  Sei gepriesen, denn du bist wunderbar, Herr!

Refrain

8. Sei gepriesen, er hat zu uns gesprochen!
  Sei gepriesen, er ist für uns gestorben!
  Sei gepriesen, er ist vom Tod erstanden!
  Sei gepriesen, denn du bist wunderbar, Herr!

Amen

Franziskus wurde und wird als Heiliger verehrt. Er gilt als Patron der Armen, Lahmen, Blinden, Strafgefangenen, Schiffbrüchigen und Umweltschützer; der Weber, Tuchhändler, Schneider, Kaufleute, Flachshändler, Tapetenhändler, gegen Kopfweh und Pest. 
  Aktueller: Sozialarbeiter; der Katholischen Aktion, der Sozialarbeit, des Umweltschutzes und der Wölflinge - der Kinderstufe der christlichen Pfadfinder; 

Das Lied verweist uns zum Schluss auf das Ende, auf ein Leben bei Gott ohne die Beschwerden des menschlichen Daseins. Das hat auch Franz von Assisi so geglaubt.:

9. Sei gepriesen, o Herr für Tod und Leben! Sei gepriesen, du öffnest uns die Zukunft!
  Sei gepriesen, in Ewigkeit gepriesen! Sei gepriesen, denn du bist wunderbar, Herr!

Amen

Komm in unsre stolze Welt, Gott! Predigt aus dem Sommergottesdienst in Hettensen am 24. Juli 2022 (P. i. R. Hartmut Gericke-Steinkühler)

Gnade sei mit euch und Friede, von dem der da ist und der da war und der da kommt!
 Mit einem der neueren Lieder aus unserem Gesangbuch möchte ich mit Euch heute einmal über den Sommer nachdenken:
 Komm in unsere stolze Welt, Gott!
 Der Posaunenchor wird uns die Melodie am Anfang einmal vorspielen vielen mag sie nicht sehr bekannt sein
 aber am Ende werden wir alle fröhlich mitsingen können!
 
 Die Posaunen – eine Strophe bitte


Wann wird’s mal wieder richtig Sommer? – so, liebe Gemeinde, hat es Rudi Carrell nach einem verregneten kühlen Sommer gesungen – und uns damals allen aus dem Herzen gesprochen. Heute können wir das so gar nicht mehr mitsingen – unsere Landwirte stöhnen unter der Trockenheit. Die ganze Welt fürchtet sich vor der rapiden Erderwärmung, von uns Menschen selbst erzeugt – sie wird zur drohenden Gefahr für Millionen von Menschen, ja vielleicht für die Zukunft der Menschheit insge-samt.
Und doch hat eben das Wort Sommer für uns einen ganz besonderen Klang – allein nach 2 Corona-bedingten Jahren, in denen wir uns nur gehemmt, eingesperrt, betrogen fühlten. Endlich wieder Sommer! – so atmen wir in diesem Jahr ein wenig wieder auf – auch wenn uns die Furcht vor Corona immer noch im Griff hat – mit all den steigenden hohen Inzidenzzahlen.
Sommer – das bedeutet doch immer auch: Ferien – Freiheit – Urlaub – Gottes herrliche Natur, Seine Schöpfung genießen: die Sonne, das Meer, die Berge, einen Garten wie diesen. Was sind denn Eure Träume bei diesem Wort – SOMMER????

Schauen wir auf unsere stolze Welt heute, dann vergeht uns in diesem Sommer das Träumen. Ja – all die Kriege waren uns so fern bisher – und nun ist das Morden in unsere unmittelbare Nähe gerückt. Die Flüchtlingsströme dieser Erde nehmen kein Ende – nahezu eine Milliarde Menschen sind auf der Flucht – auf der Suche nach Frieden, Freiheit, Geborgenheit – ja Suche nach schierem Überleben! Hass und Feindschaft scheinen unsere Welt zu regieren. – Da wird diese Sehnsucht nach Sommer, nach Frieden und Freiheit, nach Geborgenheit wieder schreiend laut wach.
Deswegen lasst uns singend beten, dass Gott auch heute in unsere Welt komme und es Sommer wer-den lasse mit Frieden, Freiheit und Geborgenheit!
…die 1. Strophe aus dem Lied 428:

1. Komm in unsre stolze Welt, /
Herr, mit deiner Liebe Werben./
Überwinde Macht und Geld,
lass die Völker nicht verderben.
Wende Hass und Feindessinn
auf den Weg des Friedens hin.

Komm in unser reiches Land! so beginnt die 2.Strophe, die wir gleich singen wollen. Deutschland unser reiches Land; und doch sind wir plötzlich am Zittern und Klagen: die Angst vor einer Rezession, vor explodierenden Preisen, vor einer kalten Bude im nächsten Winter, und immer noch vor der schleichenden Corona-Gefahr. Nein – solange unsere Auslagen bei Rewe und Edeka und Aldi und wie sie alle heißen so voll und vielfältig sind und wir immer noch so reich – da wird bei uns keiner Hungers sterben. Aber möge Gott unsere Herzen bewegen, wenn wir singen: „Schaff aus unsrem Überfluss Rettung dem, der hungern muss“. Damit auch dort Sommer werde!
Die 2. Strophe aus unserem Lied!

2. Komm in unser reiches Land,
der du Arme liebst und Schwache,
dass von Geiz und Unverstand
unser Menschenherz erwache.
Schaff aus unserm Überfluss
Rettung dem, der hungern muss.

Komm in unsre laute Stadt! – tausende von Stimmen strömen täglich auf uns ein – in der Presse, im Fernsehen – selbst im Supermarkt werden wir noch bedudelt. Hektik bestimmt unser ganzes Leben – und keiner hat so wenig Zeit wie wir Rentner und Pensionäre. Hallo – ich kann ein Lied davon singen! Wo bleibt da noch eine Zeit für Ruhe und Besinnung, für das Nachdenken über mein Leben, über mich selbst?! das Innehalten: woher komme ich? wozu und wohin bin ich eigentlich auf dem Weg? und wohin werde ich einmal gehen? Ja, dann möchte ich singen: Wann wird’s mal wieder richtig Sommer? – Zeit zu diesem Innehalten – das Nachdenken über meinen Weg durch Lärm und Streit – hin zu Gottes Ewigkeit.
 Wir singen die 3. Strophe!
 
 3. Komm in unsre laute Stadt,
 Herr, mit deines Schweigens Mitte,
 dass, wer keinen Mut mehr hat,
 sich von dir die Kraft erbitte
 für den Weg durch Lärm und Streit
 hin zu deiner Ewigkeit.
 
 Komm in unser festes Haus! - my home is my castle! so sagen wir mit den Worten des englischen Richters Sir Edward Coke aus dem 16. Jahrhundert. Ich kann machen, was ich will – zumindest in mei-nen 4 Wänden daheim. Dieses freiheitliche Denken hat uns bisweilen zu selbstsüchtigen Individualis-ten werden lassen – Hauptsache ICH! Es war schon bewegend, wie offenherzig wir Europäer plötzlich auf die vielen, vielen Flüchtlinge aus der Ukraine reagiert haben. Sie waren und sind uns willkommen – sie sollen sich geborgen bei uns fühlen. Ganz viele haben ihre Häuser geöffnet, ihre Hilfe angeboten – das ist wunderbar! -
 
 Nachdenklich macht mich jedoch, wie zögerlich, ja bisweilen abweisend wir waren und sind über all die vielen anderen Flüchtlinge, die ebenfalls vor Krieg und Leid, Hunger und Not sich auf den Weg gemacht haben auf der Suche nach Frieden, Sicherheit, Geborgenheit – ein klitzekleines Stück Sommer! Ist es nur, weil sie ein bisschen anders aussehen als wir? oder weil sie von etwas weiter herkommen als unserem kleinem Gesichtskreis? Viele von uns sind sehr zögerlich, unsere Sicherheit mit ihnen zu teilen, ein Stück weit auch unser Leben. Ist es vielleicht, weil wir vergessen haben, dass auch wir nur Wanderer auf Zeit auf dieser Erde sind? – so wie es in der 4. Strophe heißt, die wir jetzt singen wollen: Denn wer sicher wohnt, vergisst, dass er auf dem Weg noch ist. –
 die 4. Strophe!
 
 4. Komm in unser festes Haus,
 der du nackt und ungeborgen.
 Mach ein leichtes Zelt daraus,
 das uns deckt kaum bis zum Morgen;
 denn wer sicher wohnt, vergisst,
 dass er auf dem Weg noch ist.
 
 Komm in unser dunkles Herz! so beginnt unsere letzte Strophe – dass auch da Sommer werde – in unserem Herzen! Als ich kürzlich mit einigen über unseren Gottesdienst und meine geplante Predigt sprach, erwiderte einer: He, ich hab aber kein dunkles Herz! Schön für ihn dachte ich, wenn einer eine solche Gewissheit vor Gott und der Welt, eine solche Gewissheit des Glaubens hat. Schon im ersten Buch der Bibel aber, nach der großen Sintflut-Geschichte, als Noah Gott ein Opfer brachte –heißt es in der Zusage Gottes, nachdem dieser den lieblichen Geruch dieses Opfers in seiner Nase hatte:
Gott sprach: „Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen; denn das Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf.“ Und wenn ich unsere Welt heute betrachte – vom Klimawandel angefangen, von all den Kriegen und all dem Leid, von den Vertriebenen und Flüchtlingen hin bis zu unserem großen Reichtum – dann denke ich, wie wahr diese Feststellung der Bibel über unser dunkles Herz doch ist.
 
 Und wie wunderbar darüber die Verheißung Gottes steht, dass ER unsere Herzen, mein Herz, unser aller Herzen mit Seinem Licht füllen möchte. Dass es immer wieder Sommer wird in unserer dunklen Welt mit all ihrem Leid und all den Sorgen. Dass alle Angst und Neid, alle Not und Schmerz nicht diese Wahrheit verdrängen kann, dass Gott mit uns auf dem Weg ist – auf einem Weg hin zu seiner Ewigkeit.
 Aber darum sind wir nun – Ihr Lieben - gefordert, jede einzelne von uns, jeder – ein Stück weit die Sonne Gottes scheinen zu lassen auf unserem Weg und dem Weg all der anderen, die mit uns unterwegs sind – dann wird es richtig Sommer auf der ganzen Erde!
 Amen.
 
 Und nun noch die letzte Strophe!
 
 5. Komm in unser dunkles Herz,
 Herr, mit deines Lichtes Fülle;
 dass nicht Neid, Angst, Not und Schmerz
 deine Wahrheit uns verhülle,
 die auch noch in tiefer Nacht
 Menschenleben herrlich macht.

Predigt zu Hesekiel 18,1-4.21-23 aus den Gottesdiensten am 03.07.2022 (3. So nach Trinitatis) in Trögen und Hardegsen von P. i. R. Hartmut Gericke-Steinkühler

Mensch, war das bitter! – da hatten wir uns über ein halbes Jahr auf unseren Urlaub im Süden gefreut – und dann wurde er plötzlich vom Veranstalter abgesagt! – Wie viele solcher bitterer Erfahrungen, Ihr Lieben, haben wir alle in den letzten Wochen und Monaten gemacht. Wenn plötzlich einer krank wurde; wenn wir ungerecht behandelt wurden; wenn wir einen lieben Menschen verloren haben. Solche bitteren Erfahrungen gehören einfach zu unserem Leben dazu; keiner von uns bleibt davon verschont. Und wenn wir gar zu viele solcher bitteren Pillen schlucken müssen, dann droht uns wirkliche VERBITTERUNG – besonders, wenn wir uns keiner Schuld bewusst zu sein scheinen, VERBITTERUNG - unser ganzer Geist, unser Herz wird stumpf. Irgendwann sieht dann das ganze Leben nur noch bitter aus.

So muss es den Menschen in Juda gegangen sein, zu denen unser Prophet hier sprach – „die Väter haben saure Trauben gegessen; aber den Kindern sind die Zähne davon stumpf geworden!“ Die Alten haben’s verbockt, und wir dürfen es nun ausbaden -  würden wir wohl sagen. Und in der Tat stand es bitter um das Los der Menschen damals – ein verlorener Krieg, die Menschen in die Verbannung geführt; der Tempel, in denen ihnen doch Gott nahe war, geplündert und zerstört – und Gott hatte nicht geholfen, nichts dagegen getan! Was für eine bittere Demütigung! Ich kann mir gut vorstellen, wie die junge Generation gegen all das rebelliert hat – gegen die Alten: „Ihr habt uns das eingebrockt; ihr seid an allem schuld! Und wir müssen’s nun ausbaden!“ –                

Die Menschen in Israel drohten darüber zu verbittern. Diese Bitterkeit fraß an ihrem Selbstwert, an ihrer Identität – sie drohten darüber zu zerbrechen. „Wo war denn Gott mit seiner Hilfe? Lohnt es sich denn überhaupt noch – unser Beten, unsere Gottesdienste? Vergiss es!“ – so sagten sie. In aller Verbitterung sahen sie nicht mehr die GUTEN Taten Gottes, wie ER sie bewahrt hatte in wieviel Nöten; wie ER ihnen täglich selbst jetzt noch nahe ist – Er gibet Speise, täglich und überall! Nein – das konnten sie nicht mehr sehen, wollten wohl auch nicht. Für sie war das Leben zu einem dunklen Tunnel geworden – kein Licht, keine Hoffnung, keine Zukunft!

Da hinein bricht unser Prophetenwort. Es nimmt die Verbitterung der Menschen sehr wohl wahr. Aber es ist kein billiger Trost, den Hesekiel nun anbietet: „He, Kopf hoch, das wird schon!“ oder „Wart nur ein bisschen – lass nur das Gras erst mal drüber wachsen!“ Nein! Der Prophet kündet eine Zeitenwende an – diese ach so moderne Wort heute; ja eine Zeitenwende!

„So wahr ich lebe, spricht Gott der Herr: Dies Sprichwort von den sauren Trauben der Väter, die heute eure Zähne stumpf machen – das gilt nicht mehr!“ und Gott fährt dann fort: Wie es heute zwischen uns steht – das hängt ganz von euch ab! Das hat nichts mit euren Eltern, nichts mit den alten Geschichten zu tun. Das hat nicht einmal etwas mit eurer eigenen Vergangenheit zu tun. Nein! Wie es jetzt zwischen uns steht – das hängt einzig und allein von euch jetzt ab – von jedem einzelnen, jeder einzelnen – ihr seid selbst verantwortlich! Schafft euch ein neues Herz und einen neuen Geist! Kehrt um und lebt! – so die Botschaft des Propheten, die ihm Gott in den Mund legte.

Mit diesem Prophetenwort revidiert Gott sich selbst. - ICH hatte doch noch in der Erklärung zu den 10 Geboten im Katechismus gelernt – vielleicht erinnern SIE es auch noch - wie Gott spricht:                          

„Ich bin ein eifernder Gott, der die Missetat der Väter heimsucht bis ins 3. und 4. Glied an den Kindern derer, die ihn hassen.“ Ja – ich weiß auch, dass es dann weiter geht: „Aber denen, die mich lieben und meine Gebote halten, tue ich wohl bis in tausend Glied!“ –  Das soll so nicht mehr gelten! Keine Altlasten mehr! Aber DAS ist und bleibt für mich das Entscheidende: Gott sucht uns, gerade auch in all unserer Bitterkeit. ER gibt uns nicht auf – ER hält SEINE Tür offen! 

Wie schön wird das in unserem heutigen Evangelium zum Ausdruck gebracht – die offenen Arme, mit denen der Vater seinen verlorenen Sohn empfängt und wieder an sein Herz drückt! Da muss ein Fest gefeiert werden, wo so etwas passiert. Wo einer umkehrt! - Und wie sich derselbe Vater dem 2. Sohn zuwendet, der über all dem Trubel nur verbittert ist und nicht mitfeiern kann und will. Wie dieser Vater auch ihn aus dieser Verbitterung herauszurufen versucht: He, auch dir steht die Tür offen; komm, lass uns gemeinsam feiern.                        

Das ist es, wozu uns Jesus ermuntert hat – zu beten: „Vergib uns unsere Schuld – wie auch wir vergeben unseren Schuldigern!“ Das allein macht ein fröhliches Miteinander – macht unser Zusammenleben möglich. Das lässt uns nicht verbittern. Solange wir miteinander reden, aufeinander zugehen, auch UNSERE Türen offen halten – die Türen unseres Herzens – dann geschieht etwas. Bitterkeit ist ein gefährliches Gift – hier wird uns gezeigt, was wir dagegen tun können!

„Lobe den Herrn, meine Seele!“ – so haben wir es ganz zu Anfang mit den Worten des 103. Psalms gebetet. Schon da wird uns gezeigt: Es gibt ein Zurück! Wenn ich mich total festgefahren und verrannt habe, wenn ich mich nur noch um mich selbst drehe, wenn ich Schuld nur noch bei den anderen sehe – ja wenn ich so zu vergiften drohe, dann brauche ich EINEN, der auf mich zukommt, der den ersten Schritt macht – dann brauche ich Gott, der mich in den Arm nimmt und mir versichert, dass ER mich lieb hat, meine Schuld vergibt, mir eine Zukunft schenkt.

„Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was ER dir Gutes getan hat!“ – das fängt schon mit den allerersten Geschichten unserer Bibel an – als Noah nach der Sintflut aus der Arche steigt und Gott ein Opfer bringt. Da erkennt Gott, dass die Strafe, die Zerstörung, eine Sintflut - nie wieder eine Option sein kann. Gott erkennt, dass ER den Neuanfang nutzen muss, um selbst etwas zu ändern, wenn ER mit uns Menschen, mit mir und auch euch, je wieder auf einen grünen Zweig kommen will.  ER sagt: „Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen; denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf.“ Ganz neu wendet Gott sich uns zu – Er hat sich ganz für uns entschieden – und das in aller Klarheit noch einmal in Jesus gesagt: Was auch kommen mag: Du bleibst mein Kind; ich hab dich lieb! Gott tut das, was wir selbst als gute Eltern tun, wenn wir unsere Kinder nicht fallen lassen, selbst wenn sie eigene, uns schmerzhafte Wege gehen. Die Arme liebender Eltern, einer liebenden Mutter, eines liebenden Vaters bleiben ein Leben lang offen. Und das gilt umso mehr auch für Gott!

„Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was ER dir Gutes getan hat:           
der dir alle deine Sünde vergibt, und heilet alle deine Gebrechen,                                             
der dein Leben vom Verderben erlöst…..                                                                           
der deinen Mund fröhlich macht und du wieder jung wirst wie ein Adler“

Das traut Gott uns allen zu, jeder und jedem einzelnen von uns:                                             
dass wir wieder jung werden, unsere Herzen, unseren Geist, unser Leben erneuern können – alle Verbitterung abstreifen                Endlich wieder Licht am Ende eines dunklen Tunnels sehr können, die dunkle Vergangenheit abstreifen!

Gott will uns mit Seiner Zukunft beschenken – deswegen: Lobe den Herrn, meine Seele!

Amen.

Predigt zu Römer 11, 33-36 (Prädn. in Ausbildung Madleene Knoke) aus dem Gottesdienst am 12.06.2022 (Trinitatis) in Hardegsen

[33] Wie unerschöpflich ist doch der Reichtum Gottes,
wie tief seine Weisheit und Erkenntnis! 
Wie unergründlich sind seine Entscheidungen
und wie unerforschlich seine Wege!

 [34]  Wer kennt die Gedanken des Herrn?
Wer ist sein Berater gewesen?

 [35] Wer hat ihm je etwas gegeben,
sodass er es von ihm zurückfordern könnte?

 [36] Denn alles hat in ihm seinen Ursprung.
Durch ihn besteht alles und in ihm hat alles sein Ziel.
Denn er regiert in Herrlichkeit für immer.
 Amen.
 

Unerschöpflich – Unergründlich – Unerforschlich – Unbegreifbar!

Diese Begriffe stehen dem, was das Mensch-Sein für viele ausmacht wohl entgegen. Der Mensch ist das schlauste Geschöpf auf unserer Erde, sagt man. Er hat es geschafft, sich eine Zivilisation aufzubauen, eine Gesellschaft, die immer mehr technischen Fortschritt erlangt und sich deswegen immer und immer weiter entwickeln kann. Mit seinem Wissen hat der Mensch es geschafft, seine eigenen Grenzen zu überwinden, hat gelernt, in höchste Höhen zu fliegen und in tiefste Tiefen zu tauchen. Doch eine Grenze gibt es, die wir Menschen wohl nie überwinden können. Wie schon der griechische Philosoph Platon erkannte und was in der Schulzeit schnell zu einem meiner liebsten Aussprüche geworden ist: Wir Menschen können uns nur das vorstellen und das verstehen, was wir auch mit unseren Sinnen erfassen können. Natürlich funktioniert das menschliche Verstehen schon lange nicht mehr nur durch bloßes ansehen, anhöre, fühlen – wir Menschen waren so klug, Messgeräte zu erfinden, die dort ansetzen, wo unsere bloßen Sinne nicht mehr ausreichen.

Was jedoch nie erfunden wurde – und ich bin mir sehr sicher, viele haben es versucht – ist ein Messgerät, mit dem man Gott messen kann. Denn das Wesen Gottes übersteigt unseren menschlichen Verstand und ist und bleibt ein Geheimnis, welches wir wohl niemals lösen können. Sind wir doch nach Gottes Ebenbild geschaffen so liegt sein Geheimnis wohl in dem, was ihn doch von uns unterscheidet – in dem fast schon mystischen Teil, der ihn zu Gott macht und uns zu Menschen. 

Es ist schwer, sich damit zufrieden zu geben. Wir wollen doch immer alles wissen. Aber fragt man beispielsweise Kinder danach, wie sie sich Gott vorstellen, sind die Antworten sich oft sehr ähnlich:

Ein alter Mann, mit weißen Haaren, langem Bart. Er sitzt in seinem weißen Gewand auf einer Wolke, die über unserer Welt schwebt, lächelt freundlich und passt von dort oben auf uns auf. Für Kinder scheint es gar nicht wichtig zu sein, zu verstehen, wie Gott das alles wohl macht. Wie er aus dem Nichts die Welt geschaffen hat und wie er weiter in ihr wirkt und sie lenkt. Und das trotz der kindlichen Neugierde, mit der Kinder die Welt mit offenen, erwartungsvollen Augen entdecken. Zwar fragen sie auch, wie Gott das macht, viel wichtiger ist für sie aber, dass er es tut. 

Gott als mächtiger Schöpfer und Vater - das ist ein Bild, welches wohl fast alle im Kopf haben werden. Doch Gott ist mehr, größer, eben ein Geheimnis. 

Das wohl größte Geheimnis Gottes ist wohl dass er, von dem wir immer als dem einen Gott sprechen, eigentlich drei ist. Man fragt sich doch, wie das eigentlich gehen soll. Und andere Religionen unterstellen dem Christentum sogar, dass sie eben doch nicht nur an einen einzigen Gott glauben. 

Und gleichzeitig ist dieses größte Geheimnis auch einer unserer größten Glaubengrundsätze – die Trinität. Gott ist Vater, der liebevoll über uns wacht. Gott ist Sohn, Jesus Christus. Und Gott ist Heiliger Geist.

Diese beiden anderen Aspekte Gottes sind wohl deutlich schwerer zu verstehen. Müsste ich jemandem, der noch nie mit dem Glauben in Berührung gekommen ist, erklären, was ich glaube, so würde ich mit Sicherheit nicht mit der Trinität beginnen. Vielleicht würde sie in meiner Erklärung auch gar nicht vorkommen – denn wie soll ich etwas erklären, was ich selbst nicht vollständig verstehe? 

Aber was würde ich denn nun antworten, würde mich jemand fragen? Es geht wohl darum, wie Gott uns Menschen gegenübertritt, wie er unsere Beziehung gestaltet. Und genau das ist es, was uns Gott als Sohn zumindest etwas verständlicher machen kann. Gottes Wille, uns nahe zu sein, trotz seiner großen Macht. In Jesus Christus zeigt Gott sich in seiner Menschlichkeit. Vorne auf dem Liederblatt ist ein Bild abgedruckt, welches Jesus auf einer Wiese zwischen vielen Menschen zeigt. Er erzählt und alle lauschen ganz gebannt. Spannend finde ich dabei, wie Jesus dargestellt ist. Vielen mag vielleicht nichts Ungewöhnliches an ihm auffallen. Doch teile ich gleich meine Entdeckung, so wird sie euch auch komisch vorkommen. Jesus sieht aus, wie jeder andere Mensch auf diesem Bild. Nichts Besonderes? Doch!

Er trägt keine Krone, keinen Heiligenschein, keine besondere Kleidung. Er, als mächtiger König, Gott, der zu uns gekommen ist, hebt sich nicht ab von den Menschen und gibt sich nicht als Herrscher zu erkennen. Er ist ganz wie sie! Und das nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich. Wir wissen alle, das Jesus an seinem Lebensende am Kreuz gelitten und große Schmerzen erfahren hat. Dabei ist doch die Frage, wieso? Er hätte diesem Schicksal doch mit Leichtigkeit entgehen können – schließlich ist er derjenige, nach dessen Plan alles verläuft. Und er selbst hat sich in diesen Plan hinein geschrieben als Mensch, der mit und für die anderen Menschen leidet. Als Zeichen seiner unendlichen Liebe. 
 
Jesus hatte es wirklich schwer in seiner Zeit: Er war ein König, ohne auf einem Thron zu sitzen. Er brach mit allen gesellschaftlichen Normen: Er aß mit dem ausgestoßenen Zöllner Zachäus. Er heilte den blinden Bettler Bartimäus, der in der Gesellschaft keinen Wert hatte. Er machte es sich selbst nicht leicht und musste viele Widrigkeiten hinnehmen – allein aus Gottes großer Liebe und seinem Willen, uns Menschen nahe zu sein. 
 
Dieses Zugeständnis Gottes ist für uns wohl schwer zu verstehen. Diese völlig bedingungslose Liebe und die Gnade, die sich in Jesu Tod für unsere Erlösung zeigt, scheint vollkommen selbstlos. Es ist unverständlich, weshalb Gott uns dieses Geschenk gemacht hat, obwohl wir Menschen immer wieder vom richtigen Weg abkommen. Im Kleinen, wenn wir uns streiten, neidisch sind und einander den Rücken zukehren, sowie auch im Großen, in Krieg oder in der Zerstörung der Umwelt. Ich kann auf jeden Fall für mich sprechen, wenn ich sage, dass es mir schwer fällt, immer nach dem Willen Gottes zu leben. Meistens kann ich ihn nicht mit meinen Sinnen wahrnehmen. Aber ich sage bewusst die meiste Zeit, denn ich bin mir sicher, dass Gott immer gegenwärtig ist. Und zwar im Heiligen Geist, dem Teil der Dreieinigkeit, die man sich wahrscheinlich am schwersten vorstellen kann. 
Das Fest des Heiligen Geistes, Pfingsten, haben wir erst letzte Woche gefeiert. Viele Pilger kamen zusammen, um gemeinsam das jüdische Wochenfest zu feiern. Der Heilige Geist fuhr in Flammenzungen auf die Jünger herab und erfüllte sie mit dem lebendigen Glauben daran, dass Gott Jesus vom Tod auferweckt hat, dass er heute lebt und regiert. Sofort beginnen die Apostel, allen voran Petrus, anderen zu verkünden, was sie selbst erlebt haben. Dabei sprechen sie plötzlich in vielen verschiedenen Sprachen, sodass alle Pilger sie verstehen können. 
Komme ich jedoch zurück zu meiner ursprünglichen Idee, wie ich unseren Glauben erklären würde, wäre das wohl nicht die Geschichte, die ich über den Heiligen Geist erzählen würde. Von einer Jugendpastorin habe ich einmal einen Artikel dazu gelesen, in dem sie den Heiligen Geist als Gottes „Superkraft“ bezeichnete, um ihn Kindern und Jugendlichen zu erklären. Das find ich ganz charmant gelöst. Der Heilige Geist kann ein Windhauch sein, der mich erfasst. Ein Sonnenstrahl, der mich wärmt. Ein wohliges Gefühl, was mich überkommt, wenn mich jemand anlächelt. Eine Kraft, die mich ergreift und etwas mit mir macht, was mich positiv beeinflusst. Und dieser positive Einfluss kann auch manchmal nur ein gutes Gefühl sein. 
 
Ein Beispiel, was mir dazu einfällt, ist die Geschichte „A Christmas Carol“ von Charles Dickens. Der alte, verbitterte Ebeneezer Scrooge sieht auch zu Weihnachten nur seinen eigenen Vorteil und sein eigenes Wohl. Seine Mitmenschen sind ihm egal. In der Nacht besuchen ihn nach und nach drei Geister, die ihm zeigen, wie sich sein Leben zum Negativen wenden wird, wenn er so selbstsüchtig weiterlebt. Daraufhin ändert sich Ebeneezer und so wendet sich auch sein Leben zum Positiven und er wird glücklich. 
Natürlich erscheint niemandem ein Geist, der mit einem spricht und fordert, sein Leben zu ändern. Vielmehr sind es die kleinen Momente, in denen man Entscheidungen nochmal hinterfragt, doch anders handelt als ursprünglich geplant. Und ich bin mir sicher, dass jeder von uns solch eine Situation schon einmal erlebt hat. Der Heilige Geist wirkt also in uns und erinnert uns immer wieder daran, was wirklich zählt. 
 
Lasst uns doch heute in diesen Sonntag gehen und jemand anderes mit Hilfe des Heiligen Geistes ein Lächeln ins Gesicht zaubern.
Amen.

Predigt zu 2. Mose 32,7-14 (Pn. i. R. Käthe von Gierke) aus dem Gottesdienst am 22.05.2022 (Rogate) in Hardegsen

Liebe Gemeinde,
von einem amerikanischen Theologieprofessor stammt der Satz: „Ich habe noch nie begreifen können, dass man durch das Hören eines Vortrags oder durch das Lesen eines Artikels Zugang zum Glauben bekommen soll. Experimente mit Gott sollten wir machen! Eines der wichtigsten ist das Beten!“
Beten als Experiment mit Gott – vielleicht ist uns das ein ungewohnter Gedanke, liebe Gemeinde. Ich kann das ja auch nur tun, wenn ich um einen Gott weiß, der erreicht, bewegt wird durch mein Gebet. Aber setzen wir nicht gerade da unser Fragezeichen? Kennen wir das nicht, dass Gott für uns zu schweigen scheint? Dass wir zweifeln, unsicher sind und nicht mehr wissen, ob Gott da ist?!
 
So schnell jedenfalls können wir die Israeliten mit ihrem sog. Goldenen Kalb wohl nicht verurteilen, von dem in unserem Predigttext die Rede ist. Sie waren ja nicht etwa Ungläubige. Sie hatten schon eine Geschichte mit Gott hinter sich: Auszug aus Ägypten, Wüstenwanderung, Gott hatte sogar einen Bund mit ihnen geschlossen. Bundeszeichen waren die Gebote, und sie hatten versprochen: „Ja, alles, was der Herr geboten hat, wollen wir tun.“
Aber das Ganze war nun schon eine Weile her; sie fühlten sich allein gelassen. Mose, der immer so eine Art Garant für Gott gewesen war, ist nicht da und – wo ist jetzt Gott?
Auf das Drängen des Volkes hin entsteht unter Aarons Händen eine aus Gold gegossene Statue, ein Kalb, eigentlich ein junger Stier, ein altes Sinnbild der semitischen Gottheit, ihrer Macht, Kraft und Fruchtbarkeit. Ein Gott zum Anfassen, der zu sehen und zu begreifen ist. Ein stabiler Gott, der fest steht, der aber auch keine Forderungen an sie stellt. Ein Gott aus ihrer Vorstellung, ihrer Hand! – 
Merken die Israeliten denn nicht, dass dies nur ein Zerrbild, eine Karikatur des Gottes sein kann, der zu Mose gesagt hat: „Ich bin, der ich bin oder ich werde sein, der ich sein werde“, frei und unverfügbar also!
 
Eine alte Geschichte, liebe Gemeinde, aber ich meine, weit weg von uns ist sie nicht. Treffen wir nicht auf Zerrbilder Gottes Tag für Tag oder leben sogar mit ihnen? Da wird – auch heute noch manchmal! – dem kleinen Kind schon Gott als der große Aufpasser vor Augen gestellt: „Gott sieht immer, wenn Du etwas Böses tust“, und so entwickelt sich dann eine Gottesvorstellung, von der der Kabarettist Franz Josef Degenhardt sagt, ihm erschien in seiner Kindheit Gott als eine Mischung aus Christkind, Goethe und dem Herrn Gerichtspräsidenten. – Aber ist nicht auch der Gott, der angeblich alle Fäden in der Hand hat, eine Karikatur Gottes? Werden wir Menschen dann nicht zu unfreien Puppen, die der große Marionettenspieler Gott an seinen Fäden dirigiert, wie er es will? Wird Gott dann nicht alle Verantwortung zugeschoben, die eigentlich der Mensch zu übernehmen hat?
Wir kann Gott das alles zulassen?, heißt es dann immer wieder, auch jetzt in allem Leid des Ukraine-Krieges!
Aber auch das entgegengesetzte Zerrbild von Gott spielt eine Rolle. Ich denke an ein Bild des Malers Stefula aus Bayern. Er stellt Gott dar als beschäftigungslosen alten Mann auf einem Stein. Die Welt bewegt sich ohne ihn. Gott als Rentner!
 
Von dort ist es wohl nur ein kleiner Schritt, Gott für tot zu erklären, bis hin zu Wolfdietrich Schnurres Todesanzeige: „Von keinem geliebt, von keinem gehasst, starb heute nach langem, mit himmlischer Geduld ertragenem Leiden: Gott!“
Welche Karikatur Gottes! Die wir aber doch leben, liebe Gemeinde, wenn wir so tun, als gäbe es Gott nicht. 
 
Nun, das ist doch wohl meine Privatangelegenheit, wie ich über Gott denke, meinen viele, das geht keinen etwas an. Aber unser Predigttext sagt, Gott geht es etwas an, er wird zornig über unsere Karikatur seiner selbst oder auch über unsere Ersatzgötter. „Nun lass mich, dass mein Zorn über sie ergrimme und sie vertilge“, lässt er Mose wissen.
 
Vom Zorn Gottes reden wir im Allgemeinen wenig, liebe Gemeinde, vielleicht zu wenig, denn die Bibel verschweigt ihn nicht. Sie spricht vom leidenschaftlichen Zorn Gottes über die Sünde. Vielleicht ist der „liebe Gott“, von dem so viel geredet wird, auch eine Art Zerrbild. Er hat lieb zu sein nach unseren Vorstellungen und das heißt zu behüten, Glück und Gesundheit zu schenken, zu vergeben. Gott aber ist nicht lieb, sondern er liebt, das ist ein Unterschied, und Liebe schließt den Zorn mit ein. Wir haben in Gottes Augen die Vernichtung verdient, liebe Gemeinde, wenn wir statt mit ihm mit seinen Zerrbildern leben!
Der Schriftsteller Reinhold Schneider mahnte schon zur Zeit des Nationalsozialismus: „Allein den Betern kann es noch gelingen, das Schwert ob unseren Häuptern aufzuhalten; und diese Welt den richtenden Gewalten durch ein geheiligtes Leben abzuringen!“
 
„Allein den Betern kann es noch gelingen…“ – Mose betet in diesen Zorn Gottes hinein! Für ihn ist Gott weder der Gerichtspräsident noch der Marionettenspieler, nicht der Rentner und erst recht nicht tot. Auch nicht der „liebe Gott“, der ein Auge zudrücken wird, sondern der lebendige Herr, der sagt: „Ich bin der Herr und doch Dein Gott, Du sollst nicht andere Götter neben mir haben!“ Mose nimmt die Verheißung des 145. Psalms in Anspruch: „Der Herr ist nahe allen, die ihn anrufen, die ihn mit Ernst anrufen!“ Dort ist Gott, liebe Gemeinde, wo wir ihn anrufen, wo wir beten, da ist Gott! Darum hat Jesus so viel gebetet, darum hat er uns zum Beten aufgerufen: „Bittet, so werdet ihr nehmen, dass Eure Freude vollkommen sei.“ Darum hat er uns gelehrt zu beten: „Vater unser im Himmel…“
 
Einspielung: Bist zu uns wie ein Vater (Freitöne 165)
1. Bist zu uns wie ein Vater, der sein Kind nie vergisst,
der trotz all seiner Größe immer ansprechbar ist.
 
Refrain:
Vater, unser Vater, alle Ehre Deinem Namen! 
Vater, unser Vater, bis ans Ende der Zeiten. Amen!
 
2. Deine Herrschaft soll kommen, das was Du willst geschehn.
Auf der Erde, im Himmel sollen alle es sehn.
 
3. Gib uns das, was wir brauchen, gib uns heut unser Brot.
Und vergib uns den Aufstand gegen Dich und Dein Gebot.
 
4. Lehre uns zu vergeben, so wie Du uns vergibst.
Lass uns treu zu Dir stehen, so wie Du immer liebst.
 
5. Nimm Gedanken des Zweifels und der Anfechtung fort.
Mach uns frei von dem Bösen durch Dein mächtiges Wort.
 
6. Deine Macht hat kein Ende, wir vertrauen darauf.
Bist ein herrlicher Herrscher und Dein Reich hört nie auf.
 
 
Paulus sagt darum: „Betet ohne Unterlass“, also immer. Natürlich ist damit nicht ein Gebete-Sprechen rund um die Uhr gemeint, sondern dass ich mein ganzes Leben in der Zwiesprache mit Gott lebe, so wie es meine Bestimmung ist: „Gott schuf den Menschen sich zum Bilde, zum Gegenüber, zum Bilde Gottes schuf er ihn!“ Mein ganzes Leben ein Gebet!
Dann benutze ich Gott wohl auch nicht als Wunscherfüller. Ich höre oft den Einwand, beten nützt ja doch nichts. Ich habe so viel gebetet, aber die Krankheit breitet sich aus. Wir haben schon so viel für die Beendigung des Krieges in der Ukraine gebetet, aber es geht immer weiter. Ich habe so gebetet, aber die Prüfung nun doch nicht bestanden. Vielleicht merken Sie, liebe Gemeinde, wie da immer ein ganz bestimmtes Verständnis von Gebet dahintersteht. Ich sage meine Bitte, meinen Wunsch, und nun erwarte ich, dass Gott diesen meinen Wunsch erfüllt. Mit Jugendlichen haben wir’s uns so klargemacht, dass hier das Gebet wie ein Euro benutzt wird, den wir in einem Automaten stecken und wehe, wenn ich den Kasten ziehe und es ist nicht das Gewünschte darin. Dann taugt der Automat gleich Gott ja nichts; ich bin enttäuscht und lasse es mit der Zeit sein.
Verständlich, denn meine Vorstellung vom Wünscheerfüller-Gott ist doch auch nur ein Zerrbild des lebendigen Gottes, der seine Gedanken mit uns hat, die höher sind als meine Gedanken und seine Wege, die höher sind als unsre Wege. 
 
Mose betet gegen den Zorn Gottes an und für sein Volk. Er erinnert Gott sozusagen an seine Verheißungen für dieses Volk, schon von Abraham an und bittet: „Lass ab von Deinem Zorn und vernichte Dein Volk nicht!“
Fürbitte nennen wir das. Sie steht im Allgemeinen nicht gerade hoch im Kurs. Das Tun für den anderen ist Trumpf, nicht das Beten. Das geht bis hin zu dem fatalen Satz: „Da ist nichts mehr zu tun, da kann man „nur“ noch beten.“ Als wenn tun und beten sich ausschließen würden.
Jesus hat sein größtes Engagement für uns Menschen mit seiner Fürbitte verbunden, immer wieder, bis hin zu seinem Fürbittengebet am Kreuz: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“
 
Fürbitte im Sinne Jesu schließt das Handeln mit ein. Was ich als wichtig Gott im Gebet vortrage, kann mir ja nicht gleichgültig sein. Wenn ich Gottes Engagement erbitte, muss ich mich auch selbst engagieren. Besonders deutlich kann uns das an unserem Fürbittengebet hier im Gottesdienst werden, liebe Gemeinde. Ich kann nicht für die Hungernden beten, ohne einen Cent für sie zu geben, nicht für den Frieden in der Welt, wenn ich um mich herum Unfrieden verbreite; nicht für die Kranken unserer Gemeinde, wenn ich um sie einen Bogen mache.
Beim Beten für den anderen entdecke ich zugleich, was ich für ihn tun kann, und umgekehrt, dass ich bei allem Einsatz für andere nicht ohne das Bitten für sie auskomme.
 
Mose betet, fleht für seine Volk und erlebt, dass dem Herrn „gereute das Unheil, das er seinem Volk angedroht hatte.“ Liebe Gemeinde, das ist für mich das Größte! Gott lässt sich bewegen, seinen Zorn fahren, weil ein Mensch betet! Mose erlebt, dass Gott keine unwandelbare Gottheit ist, kein unbewegtes Schicksal über unserem Leben, sondern Gott, der Vater. Wir haben einen Gott, der sich durch das Gebet beeinflussen lässt in seinem Zorn und auch in seiner Liebe! Wie kann ich anders als darauf zu antworten: „Ich danke Dir, dass es Dich gibt, Gott, dass ich mein Leben mit Dir leben darf.“
 
Vielleicht ist es das größte Geschenk, das mir mit dem Beten gegeben werden kann, dass ich immer mehr in Gottes Nähe komme; seinem Frieden inmitten aller Unruhe, Halt gewinne gegenüber allem, was mich zu Boden werfen will.
 
Der bekannte russische Schriftsteller Solschenizyn sagt in einem Gebet, das aus der Zeit größter Bedrohung für ihn stammt: „Wie leicht ist es für mich mit Dir zu leben, Herr. An Dich zu glauben, wie leicht ist das für mich. Wenn ich zweifelnd nicht mehr weiter weiß und meine Vernunft aufgibt, dann sendest Du mir eine unumstößliche Gewissheit, dass Du da bist und dafür sorgen wirst, dass nicht alle Wege zum Gutem gesperrt werden.“ Die unumstößliche Gewissheit, dass Du da bist! Das ist viel! Sehr viel!
Ja, Experimente mit Gott sollten wir machen. Eines der Wichtigsten ist das Beten!
Amen.

Predigt zu Genesis 1-2 aus dem Gottesdienst in Hardegsen am Sonntag Jubilate (08.05.2022) von P. i. R. Hartmut Gericke-Steinkühler

Predigttext Genesis 1-2 am Sonntag Jubilate
 

 1 Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.
 2 Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe;
 und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser.
 3 Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht!
 4a Und sah, dass das Licht gut war.
 26 Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei, die da herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel im Himmel und über das Vieh und über alle Tiere des Feldes und über alles Gewürm, das auf Erden kriecht.
 27 Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Weib.
 28 Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel im Himmel und über das Vieh und über alles Getier, das auf Erden kriecht.
 31a Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe es war sehr gut.
 2,1 so wurden vollendet Himmel und Erde mit ihrem ganzen Heer.
 2,2 Und so vollendete Gott am 7. Tage seine Werke, die er machte, und ruhte am 7. Tage von allen seinen Werken, die er gemacht hatte.
 2,3 Und Gott segnete den 7. Tag und heiligte ihn, weil er an ihm ruhte von allen seinen Werken, die Gott geschaffen und gemacht hatte.
 2,4a So sind Himmel und Erde geworden, als sie geschaffen wurden.
 
 
 Predigt zum Sonntag Jubilate zu Gen 1f in Hardegsen (8. Mai 2022)- P.i.R. Hartmut Gericke-Steinkühler

Herr segne dein Wort, denn es ist Wahrheit, und du bist die Wahrheit! Amen.

Haben Sie heute Morgen schon den lieben Gott gesehen? Sind Sie ihm begegnet? Komische Frage? Nein! Ich meine es ernst! ICH bin ihm begegnet – auf meinem Weg hierher zur Kirche: in den herrli-chen Blumen in den Vorgärten, den blühenden Bäumen, im Wasser der Espolde, das Leben bedeutet – in den Strahlen der Sonne, in den Menschen, denen ich begegnet bin – besonders jene, die freundlich gegrüßt haben! Dieser Sonntag Jubilate ruft uns zum Lob Gottes, des Schöpfers auf. Zum Jubel über Gottes Größe und über die Größe seiner Taten und Werke. Wir haben das in unserem Psalm gebetet. Die Verse der Schöpfungsgeschichte, die wir gerade hörten, erzählen uns vom Schöpfer und seiner Schöpfung – kein Zufall, sondern ein Werk Gottes! ER hat das alles „erschaffen“ – unsere Erde, auf der wir leben; den Himmel, zu dem wir aufschauen. Unsere Welt, wie wir sie kennen. Unseren Lebensraum.

Unseren Lebensraum – mit all seinem Licht und seinem Schatten!

Ja, diese Erde, die uns gegeben ist, ist schon von allem Anfang an ständig in Veränderung. Zunächst – so heißt es – war sie „wüst und leer und finster“. Manchmal denke ich heute, dass sich daran gar nicht viel geändert hat: Wüste und Leere bei so vielen Menschen um uns herum. Überall wo das Leben aus den Fugen und durcheinander geraten ist. Wie soll es nur weitergehen? – wie oft haben wir uns das sogar selbst gefragt. Wenn einer krank wurde, einen Unfall hatte, Streit in der Familie, am Arbeitsplatz; wenn wir den Boden unter den Füßen zu verlieren scheinen, enttäuschte Hoffnungen, unerfüllte Wünsche, zerstörte Pläne – was bleibt mir im Alter denn noch?! Da bin ich erst einmal in ein ganz tiefes, schwarzes Loch gefallen, so sagen wir doch oft.
Ich wollte kürzlich in Griechenland ein Auto mieten, mir die Gegend anschauen. „Nein, Sie sind zu alt! um einen Mietwagen zu bekommen. Tut uns leid!“ – das war’s! Das hat mich doch ganz schön getroffen. Bin ich schon abgeschrieben? Darf ich keine Pläne, keine Hoffnung mehr haben?

Unser Bibelwort sagt, dass Himmel und Erde nicht im Finstern bleiben. Gott lässt es licht werden, vertreibt die Finsternis! ER erschafft dieses Licht durch sein Wort; ein Wort, das die Welt verändert von Anfang an! Mit dem Wort Gottes wird unsere Welt mit allem was darinnen ist – erschaffen, geordnet: das Meer und das Land, die Pflanzen und die Früchte, die Sonne, der Mond und die Sterne, Vögel und Fische – die Tiere des Feldes und schließlich – ja schließlich auch WIR – der Mensch! so in unserer bib-lischen Geschichte.

Wir sind schon etwas ganz Besonderes: Wir können sehen und hören und handeln – wie wir es in unserem Wochenlied besungen haben! Wir können staunen und jubeln, singen und beten, nachdenken und beschließen, was wir tun wollen oder lassen. Wir haben Geist und Verstand, sagt Gellert in dem Lied, das wir nachher singen werden: „Der Mensch, der Schöpfung Ruhm und Preis, ist sich ein täglicher Beweis von Gottes Güt und Größe!“ – ein Abbild von Gott selbst, heißt es im Schöpfungsbericht. Jubilate!

Ja, aber da hört mein Jubel schon auf – wenn ich mich in meiner kleinen und erst recht in der großen Welt heute umschaue – dann kommen nur noch Zweifel auf; dann frage ich mich: Der Mensch – wirklich ein täglicher Beweis der Güte und Größe des Schöpfers? Sind wir das? Bin ich das?

Die Kriege und Bürgerkriege, die uns täglich vor Augen geführt werden: in Syrien, Afghanistan, in Ma-li, dem Jemen – und nun auch das unendliche Leid in der Ukraine! Nein, nein, nein! Der Mensch ein Beweis für die Güte und Größe des Schöpfers? – das kommt einfach nicht hin in unserer Welt! das Flüchtlingselend heute – auf ihren wackligen Booten, den Stacheldrahtzäunen an der Grenze, die Fluchtkorridore die beschossen werden – all das schreiende Unrecht! der Raubbau an der guten Schöpfung Gottes, wie die Erde ausgeplündert wird, die Meere leergefischt, Tiere in engsten Ställen eingesperrt. Ich habe das im Stillen Ozean erlebt, wie Menschen illegal mit riesigen, bis zu 5 km langen Schleppnetzen versuchen, reich zu werden – alles, alles leerfischen. Und wenn sie bei ihrer dunklen Räuberei entdeckt werden, schnell die Netze kappen – die dann herrenlos weiter im Ozean treiben und zur Falle für alles Getier werden, die Fische, die Schildköten, die Delphine bis hin zu den Walen. Unsere Gewässer sind zu Kloaken geworden – Plastik überall. – Wälder werden zu Mondlandschaften. Unsere Vorgärten zu Steinwüsten.
Was wir Menschen uns gegenseitig antun; was wir der guten Schöpfung Gottes, unserem reichen Planeten angetan haben – all das will nicht zu dem Jubelruf unseres Sonntags passen. Im Schöpfungsbericht heißt es zwar, dass wir uns die Erde untertan machen mögen. Das kann aber nicht heißen: „Macht damit, was ihr wollt!“ Auch wenn alles um euch herum in Schutt und Asche versinkt. NEIN, so nicht – es geht immer darum, dass wir diese gute Erde, die gute Schöpfung Gottes auch erhalten und bewahren sollen. Dass wir eine Verantwortung für unser Handeln tragen – eine Verantwortung vor Gott und den Menschen – unsere kommenden Generationen. Und das fängt immer im ganz Kleinen an, wo ich achtsam mit den Dingen umgehe, die mir anvertraut sind.

Es gibt so viele gute Beispiele dafür in unserer Welt heute – die offenen Arme, mit denen Flüchtlinge empfangen werden; dass Menschen plötzlich ihre Türen öffnen und andere aufnehmen – über 3 Millionen Menschen aus der Ukraine haben das allein in Polen erfahren. Wir sehen es auch hier bei uns im kleinen Hardegsen. – Ich denke an den selbstlosen Einsatz all der unzähligen Helfenden in der Corona-Epidemie. Den netten Lehrer, die fröhliche Krankenschwester, das Personal in der Paschenburg oder in der Tagespflege in Lutterhausen. Es haben so viele plötzlich mit Hand angelegt! – Ich freue mich über ein wachsendes Bewusstsein, dass wir nicht mehr jedes und alles in Plastik einwickeln müssen, das nachher unser Leben bedroht. Dass wir bewusster mit unseren Nahrungsmitteln und unserer Kleidung umgehen. Dass so viele Einzelne unter uns, das Ihre dazu beitragen. Darüber will ich jubeln – eben: Jubilate!

Ja, wir sind ein Abbild Gottes – „zu seinem Bild geschaffen“, heißt es in der Bibel. Aber dann doch nie ein vollständiges, vollkommenes Abbild Gottes. Keiner von uns ist ohne Fehler; keine von uns hat die Wahrheit gepachtet. Wir sind fehlbar und werden es wohl immer bleiben. Das heißt aber nicht, dass ich alles falsch mache. Aber es könnte immer sein, dass ich daneben liege – mit meinen Plänen, mei-nen Vorstellungen, meinen Befürchtungen, meinen Überzeugungen – immer besteht die Möglichkeit, dass ich da auf dem Holzweg bin. Selbst was ich euch hier heute zu unserem Predigtabschnitt sage, meine Vorstellung von Gott; was ICH glaube – das mag fehlerhaft sein. Aber Deine, Eure Vorstellungen eben auch!
Darum sollen wir uns gegenseitig respektieren, achten – Toleranz üben im Umgang miteinander! Das bedeutet aber nicht, dass ich schweigen sollte, wenn ich meine, dass andere auf einem falschen Weg gehen. Toleranz bedeutet, dass wir mit den anderen immer im Gespräch bleiben – miteinander reden, gerade da, wo ich den anderen nicht verstehe. Das wir nicht übereinander herfallen, sondern immer wieder das Gemeinsame suchen. Nicht über, sondern miteinander reden. Die Gräben, die uns trennen, nicht nur beklagen, sondern Brücken bauen. Wenn ich weiß, dass ich selbst fehlbar bin, dann kann ich auch viel besser mit den Fehlern meiner Mitmenschen umgehen.
Das führt uns am Ende zu unserem Wochenspruch aus dem Korintherbrief, wo der Apostel Paulus schreibt: „Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden!“ – deswegen dann doch: Jubilate!
Erheb ihn ewig, o mein Geist, erhebe seinen Namen
Gott unser Vater sei gepreist, und alle Welt sag Amen!

Liebst Du mich? Dialog-Predigt zu Joh 21,15-19 aus dem Gottesdienst am 01.05.2022 in Hardegsen (Misericordias Domini) von Anne Dill und Charlotte Scheller

Anne Dill: Gott schenke uns ein Herz für sein Wort und ein Wort für unser Herz. Amen.
 
Wir befinden uns in einer Zwischenzeit: Wir haben Ostern gefeiert, das nächste große Fest ist Himmelfahrt. Jesus ist auferstanden, aber er ist noch nicht zurückgekehrt zu seinem Vater im Himmel. 
In dieser Zwischenzeit ist Jesus seinen Jüngern mehrmals begegnet. Von einer dieser Begegnungen berichtet unser Predigttext.
Ich lese aus dem Johannesevangelium im 21. Kapitel:
15 Da die Jünger und Jesus nun das Mahl gehalten hatten, spricht Jesus zu Simon Petrus: Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich mehr, als mich diese lieb haben? Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Lämmer! 16Spricht er zum zweiten Mal zu ihm: Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich? Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe. Spricht Jesus zu ihm:  Weide meine Schafe! 17Spricht er zum dritten Mal zu ihm: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb? Petrus wurde traurig, weil er zum dritten Mal zu ihm sagte: Hast du mich lieb?, und sprach zu ihm: Herr, du weißt alle Dinge, du weißt, dass ich dich lieb habe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Schafe!
 
Charlotte Scheller: Die Szene berührt mich. Zwei Menschen, die einander nahe stehen, führen ein Gespräch. Offenbar ist es nicht für meine Ohren bestimmt. Und doch werde ich zur Zuhörerin. Wie in einem Café, wenn eine Stille entsteht, zufällig oder auch nicht, und du hörst die Stimmen des Paars am Nebentisch. Liebst du mich, mehr als alle anderen? - Du weißt, dass ich dich liebhabe! Aber. Das ist kein Liebespaar, dem wir hier zuhören. Es sind Jesus und Petrus. Sie sprechen nicht auf Augenhöhe. Jesus ist in der stärkeren Position. Er ist der Meister. Er war der Verratene. Er ist der Auferstandene. Er kann etwas fordern. Petrus, oder soll ich ihn Simon nennen wie vor der Zeit, als er Jünger war, also Simon hat viel wieder gut zu machen. Falls das überhaupt geht. Ich bin peinlich berührt. Warum macht Jesus das?
 
AD: Vielleicht ist es ein Test. Jesus will seine Macht nicht missbrauchen, sondern er testet Petrus.
 
CS: Testen – das macht man doch nicht unter Liebenden!
 
AD: Doch, das macht man. Jesus will wissen, dass es Petrus ernst ist. Sie haben ja eben beim Essen schon geredet. Vielleicht hat Petrus sich schon wieder groß getan oder wichtig gemacht. Vielleicht ist er auch hin- und hergerissen: Er hat Jesus verleugnet, aber er ist auch wieder der Anführer der Jünger. Er hat sie eingesammelt. So wie früher. „Ich geh fischen. Kommt ihr mit?“ Und die anderen sind mitgekommen und ihm gefolgt. Aber die Beziehung zwischen ihm und Jesus ist noch nicht geklärt. Er ist unsicher.
 
CS: Dabei ist doch alles wie früher. Die Freunde mit Jesus am See, es duftet nach Brot und gebratenem Fisch, alle unterhalten sich. Ist das jetzt ein Zweier-Gespräch oder hören alle zu?
 
AD: Nein, es ist etwas Privates zwischen Jesus und Petrus; es geht um Deine Haltung.
 
CS: Wen meinst du mit „Deine“? 
 
AD: Petrus ist gemeint. Aber auch wir. Sonst würden die uns gar nicht mithören lassen. 
 
CS: Hör mal. Jesus sagt: Simon, Sohn des Johannes. Er sagt „Simon“, nicht „Petrus“. Für mich klingt das wie „Simon, du Erdling“.
 
AD: Jesus sieht ihn, wie er ist. Trotzdem reden sie einander vorbei.
 
CS: Das ist typisch Johannes, das so zu berichten. 
 
AD: Hör doch mal zu! Jesus fragt: Liebst du mich? Und Petrus sagt: Ja, ich hab dich lieb. Im Griechischen ist das noch deutlicher. Jesus fragt: Agapeis, das heißt liebst du mich, mehr als dein Leben? Und Petrus antwortet: Phileo – ich hab dich lieb wie einen Freund. 
 
CS: Das ist eigentlich angemessen, sie sind doch Freunde. Aber Gott fragt nach einer anderen Liebe. Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft und deinem ganzen Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst. Das höchste Gebot, Lukas 10,27.
 
AD: Das kann Petrus aber gerade nicht sagen. Er ist ehrlich. Jesus geht auf Petrus zu. Beim dritten Mal fragt er: Phileis me? Hast du mich lieb wie einen Freund? Er verlangt nicht mehr, als Petrus leisten kann. Aber Petrus merkt es nicht mal. Er wird bloß traurig, weil Jesus zum dritten Mal fragt.
 
CS: Petrus wird traurig, weil Jesus Abstriche machen muss. Die große Liebe mutet er ihm nicht zu, bloß Liebhaben. Aber er ist auch traurig, weil er Jesus dreimal verraten hat.
 
AD: Trotzdem kriegt er den Auftrag: „Weide meine Lämmer!“
 
CS: Das macht ein Hirte. Ein Leiter. Als Johannes das aufschreibt, gibt es schon seit Jahrzehnten Gemeinden mit Schafen und Hirten. Leider sind es nicht immer gute Hirten. Genauso wenig wie im Staat. Da missbrauchen die Hirten ihre Macht und liefern die Schafe ans Messer. In der Kirche soll es anders sein. Aber auch die Kirchen-Hirten haben ihre Grenzen. Da ist Petrus nicht der Einzige. 
 
AD: Selbst bei einer Pastorin ist das so. Niemand kann all seinen Lämmern gerecht werden. Trotzdem denke ich jetzt an die ganz normalen Alltags-Christinnen. Konfis, Tauf-Eltern, Jubelpaare, Nachbarinnen. Wie sollen sie die Lämmer weiden? 
 
CS: Wir sind zusammen Gehilfinnen des Hirten. Johannes will mir Mut machen, Jesus zu lieben, ganz menschlich. Jesus kommt damit klar, dass ich ihn dauernd verrate. Ich kriege trotzdem den Auftrag, meinem Mitmenschen wie einem Freund zu begegnen. Das genügt. Es muss nicht die ganz große Liebe sein. Wir müssen nur miteinander klarkommen in der Gemeinde. Die große Liebe kommt von Jesus. Er tankt aus der Liebe zwischen ihm und dem Vater. 
 
AD: Aber bevor Jesus Petrus beauftragt, fragt er ihn: Wie stehst du zu mir?
 
CS: Also muss ich erst klären, wie ich zu ihm stehe, und erst dann kann ich Schafe weiden?
 
AD: Ich glaube nicht, dass das nur in dieser Reihenfolge geht. Man kann auch hin- und herspringen.
 
CS: Das erlebt Petrus ja auch: Treue, Verrat, neuer Auftrag.
 
AD: Lies mal weiter, die Geschichte ist noch nicht zu Ende!
 
CS: 18Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Als du jünger warst, gürtetest du dich selbst und gingst, wo du hinwolltest; wenn du aber alt bist, wirst du deine Hände ausstrecken und ein anderer wird dich gürten und führen, wo du nicht hinwillst. 19Das sagte er aber, um anzuzeigen, mit welchem Tod er Gott preisen würde. Und als er das gesagt hatte, spricht er zu ihm: Folge mir nach!
 
AD: Diese Geschichte mit dem Gürten. Warum sagt Jesus das jetzt? Wie passt das zusammen?
 
CS: Früher dachte Petrus, er kann sich selbst gürten und rüsten. Damit ist er gescheitert.  Er wollte mit dem Schwert für Jesus kämpfen, aber Jesus wollte nur, dass er ihm treu bleibt. Petrus hat ihn verraten. Jetzt gürtet Jesus ihn und rüstet ihn auf seine Weise aus.
 
AD: Am Ende stirbt Petrus den Märtyrer-Tod. Aber das ist noch in der Zukunft. Noch ist Petrus in einem Zwischenstadium. Jetzt kann er nur Menschliches geben. Aber er ist auf dem Weg, die Schafe zu weiden und Jesus mit aller Kraft zu lieben. Gott wird ihn ausrüsten. Später wird er älter sein, dann wird er gegürtet werden. 
 
CS: Ich finde das entlastend, ich muss mich nicht selbst gürten und rüsten.
 
AD: Dazu braucht man aber großes Vertrauen. Er wird geführt, wo er nicht hinwill.
 
CS: Er wird, das ist ihm fest zugesagt, nicht etwas, das er irgendwie selbst schaffen muss.
 
AD: Aber bin ich Petrus?
 
CS: Nicht direkt Petrus. Aber du könntest dich fragen: Für was braucht Jesus mich? Wem kann ich beim Wachsen helfen? Wer braucht meinen Schutz? Für wen kann ich kämpfen oder beten, für wen soll ich vor Gott eintreten?
 AD: Zum Beispiel für Kleine, die noch keine Ahnung haben, wie es läuft. 
 
CS: Du meinst Anfänger im Glauben?
 
AD: Ja. Aber auch tatsächlich kleine Menschen, Kinder, Hilflose. Ich möchte ihnen helfen, an Jesus festzuhalten. 
 
CS: Jesus und Petrus halten aneinander fest, obwohl Petrus Jesus verraten hat. Die Fehler müssen nicht glattgebügelt werden. Die Beziehung ist tief und stark. 
 
AD: Ich komme nochmal auf das Händeausstrecken und Gegürtetwerden zurück. Wenn mir jemand einen Gürtel umlegen soll, muss ich die Hände hochmachen. 
 
CS: Wenn ich so die Hände hochnehme, bin ich wehrlos. Das ist auch eine Gebetshaltung: Hier bin ich, Gott. Ausgeliefert, hilflos. Mach was!
 AD: Jesus hat das am Kreuz auch gesagt: Vater, in Deine Hände befehle ich meinen Geist. 
 
CS: Spätestens, wenn ich sterbe, werde ich mich auch gürten und führen lassen müssen, wo ich nicht hinwill. Aber ich gerate auch mitten im Leben in Situationen, wo ich nicht hinwollte. Ans Bett einer sterbenden Freundin zum Beispiel. Da kann ich nur die Arme hochnehmen und die Hände ausstrecken: Ich hab keine Ahnung, Gott. Führ du mich.
 
AD: Und wenn ich es nicht hinkriege meine Hände auszustrecken, weil ich Angst habe oder kein Vertrauen – was ist dann?
 
CS: Für Jesus ist das keine Frage. Er sagt es fest zu: Du wirst deine Hände ausstrecken und ein anderer wird dich gürten und führen. Es kann sein, dass es hart kommt. Aber dafür wirst du gerüstet und da hindurch wirst du geführt. 
 
AD: Die Hände ausstrecken, das machen auch schon Kinder. Wir Erwachsenen haben es uns abgewöhnt. Große (Gebets-)Gesten sind uns peinlich. 
Dass ich zugebe, ich brauche Hilfe, ist ein großer, wichtiger Schritt. Ich kann die Hilfe auch in Gedanken erbitten, ohne große Geste. Und schauen, wo ich selbst Helferin sein kann. 
Ich möchte mir diese Woche Zeit nehmen und überlegen: Wozu braucht Jesus mich? 
 
CS: Das möchte ich auch tun. Dann werde ich eine Kerze anzünden. Für mich eine Geste finden, eine Gebetshaltung. Die Hände auszustrecken, ist schon mal ein guter Anfang. 
 
AD: Amen.

Wer sitzt wo? Predigt zu Markus 10,35-45 aus den Gottesdiensten am 03. April 2022 (Judika) in Trögen und Hardegsen (Anne Dill)

Wer sitzt wo? 
Bei Familienfeiern ist das manchmal kniffelig. Tante Lisa versteht sich nicht mit Tante Anna. Onkel Heinrich ist getrennt von Tante Sabine. Kerstin will schnell in die Küche laufen können. Matthias ist schon wieder erkältet und verträgt keinen Zug. Und Oma kann überhaupt nicht mehr lange sitzen. Die Tischordnung wird zum Knobelakt. 
Wer sitzt wo?
Eine drängende Frage. Denn der richtige Platz entscheidet darüber, ob Du alles mitkriegst oder alles verpasst. Ob Du gute Chancen hast oder gar keine. Ob Du gewinnst oder verlierst.
 
Wer sitzt wo?
Auch Jakobus und Johannes, zwei von Jesu engsten Freunden, beschäftigen sich mit dieser Frage.
Dabei sind die Jünger und Jesus gerade unterwegs. Auf dem Weg nach Jerusalem. Jesus hat ihnen schon dreimal gesagt: Ich werde sterben! Wir gehen nicht nach Jerusalem, um dort zu feiern. Sondern: Ich werde leiden. 
 
Die Jünger aber hängen ihren eigenen Gedanken nach. Sind beschäftigt mit ihrem Leben, ihrer zukünftigen Karriere:
Jesus, wir möchten, dass Du uns eine Bitte erfüllst. 
Eine gefährliche Frage! Man sollte lieber wissen, um was es geht, bevor man Ja oder Nein sagt. Wer weiß, worauf man sonst festgenagelt wird.
Was möchtet ihr, fragt Jesus die beiden Bittenden. Und Jakobus und Johannes antworten: Lass uns neben Dir sitzen, wenn Du in Deiner Herrlichkeit regieren wirst – einen rechts von Dir, den anderen links. 
 
Wow – das ist mal ne Bitte! Dreist könnte man sagen. Sich heimlich hinter dem Rücken der anderen bei Jesus anzuschleichen. Versuchen, den anderen etwas vorauszuhaben.
 
Aber ich kann die beiden auch verstehen. Denn wenn wir ehrlich sind, versuchen wir schon, das Beste für uns herauszuschlagen:
Einen guten Platz abzukriegen, um alles zu sehen; und vielleicht auch, um gesehen zu werden. Einen bequemen Stuhl zu haben. Neben dem Menschen zu sitzen, der mir am allerwichtigsten ist. 
 
Wir wollen neben Dir sitzen, Jesus, wenn Du in Herrlichkeit regieren wirst! 
Ja, dreist könnte man sagen. Da wollen ja vielleicht auch andere sitzen. 
Vielleicht stellen Jakobus und Johannes diese Frage aber auch voller Sehnsucht. Du bist uns wichtig, Jesus. Uns ist wichtig, in Deiner Nähe zu sein.
 
Und Jesus? Ihr wisst nicht, worum ihr bittet, sagt er. Könnt ihr den Becher austrinken, den ich trinke? Könnt ihr das Gericht Gottes auf Euch nehmen? Das Leid, von dem ich die ganze Zeit spreche? Es wird mich taumeln lassen, wie einen Betrunkenen, dann, wenn ich das Kreuz trage. Könnt ihr das?
 
Nein, würde ich denken. Nein, das kann ich nicht. Und ich will es auch gar nicht. Ich will ein langes friedliches Leben leben. Hör mir auf damit.
Aber Jakobus und Johannes sagen: Das können wir!
Und – sie haben Recht damit. Das weiß auch Jesus. Er antwortet: Ihr werdet tatsächlich den Becher des Leids austrinken, den auch ich trinke. Aber! Aber selbst ich habe nicht zu entscheiden, wer rechts und links von mir sitzt. Dort werden die sitzen, die Gott dafür bestimmt hat. 
 
Wie Jakobus und Johannes auf diese Antwort reagieren, wissen wir nicht. Dafür berichtet das Markusevangelium von der Reaktion der anderen Jünger. Und die sind – wenn wunderts? – not amused. Schließlich sind sie genauso Jesu Freunde. Und auch die von Jakobus und Johannes.
Das ist ja quasi wie Verrat. Dass ist, wie wenn mein bester Freund hinter meinem Rücken um eine Beförderung bittet, auf die ich genauso Anrecht hätte. Oder wenn ich auf einmal hintenrum mitkriege, dass meine beste Freundin eine neue beste Freundin hat. 
 
So etwas geht nicht einfach so über die Bühne. So etwas macht sauer. Ärger staut sich an, vielleicht sogar Zorn.
Auch bei den Jüngern bricht Tumult aus.
Da ruft Jesus sie alle herbei. Ihr wisst, sagt er, diejenigen, die als Herrscher über die Völker gelten, unterdrücken die Menschen, über die sie herrschen. Aber bei Euch ist das nicht so: Sondern wer von Euch groß sein will, soll den anderen dienen. Und wer von Euch der Erste sein will, soll der Diener von allen sein.
 
Ja, Jesus, das hört sich irgendwie schön und gut an. Wenn alle zuerst an die anderen denken würden, hätten wir eine friedliche Welt. Ja, das wünschen wir uns, danach sehnen wir uns. Aber der Realität halten diese Wunschträume dann doch nicht stand. Weil es zwar schön ist, wenn die anderen sich hinten anstellen, aber ich – ich muss doch gucken, wo ich bleibe, wie ich mein Leben hinkriege, für meine Familie sorge, einen guten Job mache.
 
Jesus lässt seinen Worten Taten folgen. An seinem letzten Abend sitzt er mit seinen Freunden am Tisch. Doch bevor sie essen, nimmt er eine Schüssel mit Wasser und ein Tuch. Kniet sich vor den ersten hin und wäscht ihm die Füße. Dann dem zweiten, dem dritten, bis er zu Simon Petrus kommt. Nein, protestiert der. Du sollst mir nicht die Füße waschen. Wenn, dann müsste es doch umgekehrt sein! Aber Jesus besteht darauf. Und schließlich lässt Petrus es zu. 
Das habe ich gemacht, um Euch ein Beispiel zu geben, sagt Jesus. Um Euch zu zeigen, wie ihr einander dienen sollt. Wie ihr füreinander da sein könnt. 
 
Ihr Vorkonfis habt letztes Wochenende darüber nachgedacht. Und ihr wart Euch schnell einig: Die Füße eines anderen waschen – sowas machen wir nicht. Wenn, dann nur bei der kleinen Babyschwester. Aber sonst nicht. 
Dann habt ihr weiterüberlegt und habt uns etwas gezeigt:
Zwei Jungs spielen zusammen Fußball. Ein dritter kommt dazu. Darf ich mitspielen? Nein, geh weg! Du gehörst nicht dazu, sagt der erste Junge.
Der zweite sagt nichts. Aber plötzlich kickt er den Ball zu dem, der mitspielen möchte. Warum machst Du das?, zischt der erste. Doch der zweite Junge sagt: Mir egal. Ich möchte, dass er mitspielt. 
Er holt ihn ins Spiel, in die Gemeinschaft. Riskiert sich selbst unbeliebt zu machen, weil er zu dem Außenseiter hält.
 
Wer groß von Euch sein will, soll den anderen dienen. Und wer von Euch der Erste sein will, soll der Diener von allen sein. 
Es klingt so nach „sollen“ und „müssen“. Nach Regeln und Verboten.
Dabei hat Jesus das gar nicht gemeint.
 
Ich kann die Plätze in der Herrlichkeit nicht vergeben, sagt er, der Menschensohn, der Gottessohn. Das kann nur Gott. 
 
Jesu Worte befreien von dem inneren Zwang, immer besser und erfolgreicher werden zu müssen. Ich muss nicht auf Biegen und Brechen darauf bestehen, dass ich ganz vorne sitze. Den besten Platz abkriege. Ich muss mich nicht immer und immer wieder selbst groß machen. Die Schnellste und die Klügste sein. Sondern es ist Gott, der mich groß macht. 
 
Aber Loslassen von aller Optimierung fällt mir dann doch schwer. Weil ich doch eigentlich kämpfen will, auf einen guten Platz für mich bestehen. Und doch ahne ich, dass eine Verheißung in Jesu Worten liegt. Dass, wenn einer dem anderen dient, Frieden einkehren kann, in meinem Haus, in meinem Herzen, in der Welt.
Und so will ich es Jesus Christus antragen: 
 
Ich will groß sein, Jesus, 
Ich will immer erfolgreich sein,
mich bekannt machen,
einen großen Namen haben.
 
Doch Du willst,
dass ich auf Dich vertraue,
dass ich den Neid verlerne
und den ewig vergleichenden Blick.
 
Ich will reich sein,
will mich bedienen lassen,
will, dass Menschen sich für mich ein Bein ausreißen.
 
Doch Du willst,
dass ich zur Dienerin werde,
dass ich meine Gaben einsetze,
um einem anderen zu dienen.
 
Erlöse mich Jesus.
Befreie mich davon,
immer größer werden zu müssen
und besser und erfolgreicher.
Du willst Dein Leben zur Erlösung von vielen geben.
Erlöse auch mich.
Amen.

Steh auf! Predigt zu 1. Könige 19,1-8 aus dem Gottesdienst am 20.03.2022 (Okuli) in Trögen (Pn. Anne Dill)

Liebe Gemeinde,
unser heutiger Predigttext führt uns in die Welt des Alten Testamentes. Und da nicht irgendwohin, sondern zu einer der ganz wichtigen Gestalten, nämlich zum Propheten Elija.
Elija ist ein Gottesmann durch und durch. Er verkündet laut und deutlich, was Gott zu sagen hat. Ist ja schließlich auch seine Aufgabe als Prophet, könnte man sagen. Ja, das stimmt. Und es ist auch so: Elija ist getragen von der Zuversicht: Gott hat mich geschickt. Ich soll mit meinen Worten und meinem Leben etwas von Gott zeigen.
 
Aber Elija geht nicht nur zu seinen Nachbarn oder den Menschen in seinem Dorf. Sondern er nimmt es auch mit Königen auf. 
Einmal gerät er mit König Ahab in Streit. 
Streitpunkt: Welcher Gott ist der Richtige?
Denn das Königspaar betet Götzen an.
Schließlich macht Elija einen Vorschlag:
 
Alle 950 Priester der falschen Götter, das ganze Volk und Elija selbst sollen auf einem Berg zusammenkommen. Und dann wollen wir sehen, welcher Gott wirklich Macht hat.
Der König lässt sich darauf ein.
 
Und so begeben sie sich alle auf den Berg. Auf der einen Seite die vielen Götzenpriester, auf der anderen Seite Elija. Beide Parteien haben vor sich einen Holzstapel für ein Opfer. Aber kein Feuer. Die Priester beten den ganzen Tag bis zum Abend. Aber – nichts passiert.
Dann betet Elija. Und Gott erhört sein Gebet. Sein Holzstapel fängt an zu brennen. 
Nun ist jedem klar, welcher Gott wirklich lebendig ist.
 
Elija lässt daraufhin alle 950 falschen Priester töten.
 
Und hier setzt unser Predigttext ein:
König Ahab erzählt seiner Frau von dem Geschehen. Und bei der Königin brennen alle Sicherungen durch. Sie will Rache. Sie hat schließlich an diese anderen Götter geglaubt. Sie schickt Elija einen Boten, der ihm ausrichtet: „Die Götter sollen mir dies oder das tun, wenn ich nicht morgen um diese Zeit Dir tue, was Du diesen Männern getan hast!“
Wer kennt das nicht? Da tut mir einer weh. Nimmt mir etwas weg, was mir gehört oder was mir viel bedeutet:
Einen Gegenstand, eine Erinnerung, mein Vertrauen oder meinen Glauben. 
Und ich? Ich ziehe mich entweder zurück in mich selbst. Oder ich will Rache. Dem anderen wehtun, so wie er mir wehgetan hat. Ihm heimzahlen, was er oder sie mir angetan hat.
Königin Isebel scheint es ernst zu sein. Denn die Worte, die sie ausrichten lässt, sind sehr bewusst gewählt: „Die Götter sollen mir dies oder das tun“ – das ist ein Schwur. Wenn ich mein Wort nicht halte, dann soll mich Gottes Strafe treffen. 
 
Nur an wenigen Stellen in der Bibel werden diese Worte ausgesprochen. Und immer sind es wichtige Wendepunkte im Leben eines Menschen: Ruth sagt sie ihrer Schwiegermutter Naomi, als sie alles aufgibt, um die alte Frau in die ferne Heimat zu bringen.
Samuel hört sie, als er zum Priester berufen wird.
Und Königin Isebel sagt sie.
Aber – sie schickt auch einen Boten mit der Drohung. Keine sofortige Festnahme.
Keine Meuchelmörder hinter der nächsten Ecke. 
Es gibt einen letzten Fluchtweg für Elija.
 
Und der nutzt ihn. Er schmeißt ein paar Sachen zusammen und dann eilt er los, zusammen mit einem Diener. Denn Elija hat auf einmal richtig Angst. Angst um sein Leben. 
 
Warum fürchtet sich Elija auf einmal so sehr?
Es ist ja nicht das erste Mal, dass er mit dem Königshaus in Konflikt kommt. Früher war er doch immer so sicher. Getragen von großer Zuversicht, von seinem Auftrag, von Gott selbst.
 
Das, was Elija in diesem Moment erlebt, ist zutiefst menschlich.
Da hat einer einen ganz großen Sieg errungen und dann geht es abwärts, ins Tal, in die Dunkelheit:
Ich feiere einen großen Erfolg im Beruf, alle gratulieren mir – und dann kommt der graue Alltag. 
 
Ich habe über Monate trainiert für ein großes Rennen, einen Wettkampf. Ich gehe hinaus über meine Grenzen, getragen vom Adrenalin und gewinne. Am nächsten Tag kann ich mich kaum noch rühren.
 
Ich gebe lange Zeit alles: Fahre die Kinder zur Schule, zum Sport, zu Freunden, schmeiße den Haushalt, bin gut im Beruf und gehe einmal in der Woche zum Chor. Aber dann, wenn ich Urlaub habe und endlich Zeit ist für Entspannung und Bücher lesen und freie Zeit genießen – dann werde ich krank.
 
 
Elija verlässt alle Zuversicht. Sein ganzes Gottvertrauen. Weg, nur noch weg! Alles hinter sich lassen. Fast 190 Kilometer geht er mit seinem Diener. Wenn man das in einem durchgehen würde, bräuchte man 40 Stunden oder zwei Tage und zwei Nächste. 
Schließlich erreichen die Männer die Stadt Beer Sheba, ganz im Süden von Israel. Und dort lässt Elija seinen Diener zurück.
 
Er geht allein weiter.
Will er den anderen schützen vor dem, was vor ihm liegt?
Kann er nicht mehr klar denken?
Braucht Elija das Alleinsein jetzt? Weil er neben sich keinen ertragen kann. Weil jeder Mensch, jedes Geräusch, jedes Wort zu viel ist. 
 
Wir wissen es nicht. Und vielleicht weiß es Elija in dem Moment auch nicht.
Weil es Momente gibt, in denen man nicht mehr klar denken kann. Bei denen ich erst hinterher merke, was ich getan oder nicht getan habe.
 
 
Elija geht mitten in die Wüste. Hätte ein einsames Haus nicht gereicht? Oder ein Zelt am Ortsrand?
Nein, anscheinend nicht. Elija geht so lange weiter, bis er einen Ginsterstrauch findet. Eine der wenigen Pflanzen, die in der Wüste überhaupt wachsen. Sie können groß werden, bis zu drei Meter. Und so kauert sich der große Prophet, der nun ganz klein ist, unter einen Strauch und wünscht sich zu sterben: „Es ist genug“, sagt er zu Gott. „So nimm, Herr, meine Seele, ich bin nicht besser als meine Väter.“
 
Ich bin nicht besser als die anderen. Als meine Eltern oder Geschwister oder Kollegen. Obwohl ich mir doch solche Mühe gegeben habe. Obwohl ich es doch unbedingt besser machen wollte. 
Diese Erkenntnis tut weh. Sie lässt sich nicht einfach runterschlucken. Sie piekst und brennt wie ein Stachel.
Und deswegen, Herr, ist es mir genug, 
 
Darf ein Gottesmann das überhaupt denken oder sagen? Mir reicht es. Mach Schluss, Gott. Ich kann nicht mehr. Ich will sogar sterben?!
 
Elija spricht aus, was er im Innersten denkt und fühlt. Da – in seiner einsamen Wüste – ist kein Platz, keine Kraft zum Verstellen oder Schönreden mehr. Elija macht sich und Gott nichts mehr vor. 
Und das ist der springende Punkt: Herr, Dir lege ich meine Seele in die Hände. Alles, was mich ausmacht, meine ganze Leere. 
Elija klammert sich mit letzter Verzweiflung doch irgendwie an Gott. Ruft ihn an, obwohl er doch eigentlich alles Vertrauen verloren hat in den Herrn von Himmel und Erde. Dann schläft er ein. Erschöpft, übermüdet, leergerungen und leergebetet, geschunden an Körper und Seele.
 
Mir ist es auch genug, Gott. Mit diesem sinnlosen und brutalen Krieg in Europa. Mit meiner kranken Mutter oder meinem pflegebedürftigen Vater. Mir ist es genug mit den zickigen Mitschülerinnen, den nervenden Geschwistern. Mir ist es genug mit den komplizierten Kollegen oder mit dem, was ich jeden Tag tun und managen muss.
 
Dann möchten wir auch manchmal alles hinwerfen. Uns irgendwo in eine Ecke oder einem Bett verkriechen. Dann fühlen wir uns auch wie in der Wüste. Dann können wir uns nicht immer vorstellen, dass Gott schon helfen wird. Dass alles gut wird und dass es schon nicht so schlimm ist.
 
Gott macht Elija in der Wüste keine Vorwürfe. Er fragt nicht: Warum hast Du mir nicht vertraut? Warum bist Du davongelaufen?
 
Sondern Gott schickt einen Engel. Elija ist ihm so wichtig, dass ein himmlischer Bote das Nötigste bringt: Wasser und Brot.
Gott sieht das Elend und er schaut nicht weg. 
Er beginnt keine Diskussion mit Elija, versucht nicht lang und breit zu erklären, was sein Plan ist. Sondern er gibt das, was am allernotwendigsten ist. 
 
Denn es ist schwer, Vertrauen ins Leben, in Gott zu haben, wenn das Notwendigste fehlt. Erst wenn ich genug Essen, Trinken, Wärme und Schlaf habe, kann ich bereit werden für alles andere.
Deswegen ist eine Tasse Tee mehr als eine Tasse Tee. Ein warmes Bett nicht nur ein Unterschlupf für die Nacht. Ein Stück Kuchen hilft nicht nur gegen den Hunger. Und eine Umarmung ist mehr als eine Berührung. 
 
Wie hat der Engel bei Elija wohl ausgesehen?
Im Hebräischen sind „Engel“ und „Bote“ ein und dasselbe Wort. Ein Mensch kann für einen Moment zu einem himmlischen Boten für einen anderen werden. Manche dieser Engel sind ganz bewusst unterwegs. Aber oft wissen sie, wissen wir gar nicht, dass wir zu einem Engel für einen anderen werden.
 
Vielleicht hat auch der Engel bei Elija keine Flügel. Es könnte auch ein Wanderer sein, der zufällig vorbeikommt an dem einsamen Strauch mit dem schlafenden Propheten und etwas gibt, von dem, was er geben kann.
Der Engel rüttelt Elija wach: „Steht auf und iss!“, sagt er.
Und Elija isst und trinkt – und schläft sofort wieder ein.
Kein Wort des Dankes oder dergleichen. Nichts. Elija dreht sich einfach auf die andere Seite und schläft weiter. 
Das ist schon eine ziemliche Unverschämtheit. Das muss man sich mal vorstellen: Da kommt extra einer und rettet ihn und ihm ist es egal. 
 
Aber Gott ist es mit Elija sehr ernst. Er hat ihn berufen. Das zieht er nicht zurück. 
Der Engel kommt zum zweiten Mal. Wieder rüttelt er Elija wach. Wieder hat er etwas zu essen und zu trinken für ihn. Und diesmal schläft Elija nicht wieder ein.
 
Weil er langsam wieder zu Kräften kommt. 
Weil er merkt, dass Gott ihn trotzdem will,
obwohl er einen großen Fehler gemacht hat.
Obwohl er ihm nicht mehr vertraut hat.
Und als ihm das so langsam dämmert, steht er auf.
 
„Steh auf!“, hat der Engel gesagt. – Du bist Gott wichtig! Er hat Dich ausgesucht. Ganz egal, was war. 
 
Gott sucht nicht die Qualifizierten, die Perfekten, die, bei denen immer alles läuft. Dafür gibt es in der Bibel viele Beispiele:
Jakob betrügt seinen Bruder.
Der Apostel Petrus ist ein Hitzkopf.
König David begeht Ehebruch.
Der Prophet Jona läuft ebenfalls vor Gott davon.
Marta macht sich zu viele Sorgen.
Der Jünger Thomas zweifelt an Jesus.
Abraham ist alt.
Und Elija ist hier depressiv. 
 
All diese Menschen gehören zu Gottes Leuten. Trotzdem. Und Gerade. 
Gott gibt seine Leute nicht auf. Er lässt niemanden in der Wüste. 
Er lenkt unsern Blick nach vorn, auf das was kommt:
Steh auf, denn ich habe noch viel mit Dir vor!
Amen.

Was war und was kommt. Ausschnitte aus der Konfi-Ansprache aus dem Vorstellungsgottesdienst der HauptkonfirmandInnen am 13.03.2022 in Hardegsen

Teil I: Anfang und Abschied
Als ich damals vor ca. zwei Jahren das erste Mal zum Konfiunterricht gegangen bin, hatte ich eine Freundin an meiner Seite. Wir waren beide – und ich glaube, wir können hier generell von allen Mitkonfirmandinnen und Konfirmanden sprechen – total nervös und wussten nicht, was uns erwartet. Ich habe mich damals nur an diese eine Freundin geklammert. Mit anderen mir unbekannten Konfis Kontakte zu knüpfen, kam überhaupt nicht in Frage.
Jedoch, nachdem einige Zeit mit viel Zusammenarbeit vergangen ist, haben wir selbst gemerkt, dass es viel schöner ist, in einer großen Gemeinschaft zu arbeiten, andere Menschen mit anderen Interessen oder gar auch anderer Glaubensansichten kennenzulernen und mehr Neues auszuprobieren. So wurden neue Freundschaften geknüpft, zusammen haben wir viel Neues über Gott und unseren Glauben gelernt und hatten die Möglichkeit, uns darüber auszutauschen.
 
So wurde aus vielen kleinen Gruppen eine große Gemeinschaft, in der wir alle zusammen viel gelernt und auch viel gelacht haben.
 
Im Großen und Ganzen kann ich, glaube ich, von uns allen behaupten, dass wir uns riesig auf unsere Konfirmation freuen, jedoch auch mit einem weinenden Auge aus der Kirche an unserem großen Tag rausgehen werden. Denn diese Zeit, die wir hier zusammen hatten, war wundervoll und hat uns alle bereichert, nicht nur an lehrreichen Informationen, sondern auch an guten Freunden.
Wir sind allein gekommen und gehen zusammen wieder raus.
Konfirmandin, 14 Jahre
 

Teil II: Tag der Konfirmation
Am Tag der Konfirmation geht es um uns; darum, dass wir ein stärkeres Bündnis mit Gott eingehen. Dazu kommen die Familien zusammen, um das zu feiern. 
„Konfirmation“ kommt von „confirmare“ (lateinisch). Das heißt „bestätigen“. Wir bestätigen, ein Bündnis mit Gott einzugehen. Bei der Taufe war man noch klein und wusste nicht, was los ist. Zur Konfirmation können wir noch einmal sagen, dass wir dazugehören zu Gott und zur Gemeinde.
Konfirmand, 13 Jahre
 

Teil III: Rückblick
Ich kam das erste Mal zum Konfiunterricht und habe geglaubt, dass ich schon immer an Gott geglaubt habe. Aber im Konfiunterricht wurden mir noch mehr die Augen geöffnet. Ich habe viel gelernt und das nicht nur über Gott, den Glauben, die Kirche und all das, was dazu gehört. 
Doch darüber hinaus habe ich noch viel mehr gelernt: Enttäuschungen einstecken und mit Gottes Hilfe wieder aufstehen. Freunde haben sich auseinander gelebt, aber es wurden auch neue Freundschaften geschlossen. Manchmal dachte ich, ich stehe alleine da. Doch das stimmt nicht, denn wenigstens einer ist an meiner Seite, nämlich Gott.
Ich muss ehrlich sagen, dass er mich auch schon enttäuscht hat. Ich habe so sehr gehofft, geglaubt und gebetet, dass ein von mir sehr geliebtes Wesen an meiner Seite bleibt. Doch der Herr im Himmel hatte einen anderen Plan für das, was kommt. Und ich habe mich fallen lassen und wurde aufgefangen. Ich denke, er hat einen Plan und man muss ihm einfach nur vertrauen. Das ist zwar einfacher gesagt, als getan, aber ich habe es probiert: Es hilft! Denn es gibt immer ein Weiter, egal, was passiert. All das wurde mir hier im Konfiunterricht klar.
Mir wurde es erlaubt, meinen Horizont zu erweitern und an alledem teilzuhaben. Dafür bin ich sehr dankbar.
Ich freue mich darauf, dazuzugehören zu etwas Großem.
Konfirmandin, 13 Jahre

Predigt zu Matthäus 4,1-11 aus dem Gottesdiensten am 06.03.2022 (Invokavit) in Trögen und Hardegsen (Pn. i. R. Käthe von Gierke)

Liebe Gemeinde,
vom Teufel zu reden, das ist so eine Sache. Die Stimmen der Menschen häufen sich, die da sagen: „Macht doch endlich Schluss mit dem Gerede vom Teufel! Warum hat die Kirche, auch die ev. Kirche, den Teufel noch nicht aus ihrem Lehrgebäude und ihrer Verkündigung gestrichen?“ – Nun, der Teufel aus der Vorstellungswelt des Mittelalters mit Hörnern, Pferdefuß usw., auch der böse Teufel des Kasperletheaters oder der dummen Teufel des Märchens, hat keinerlei Raum in unseren Vorstellungen, das ist doch wohl selbstverständlich! Aber das, was Jesus mit dem Teufel meint, wenn er ihn den „Vater der Lüge“ nennt, den Feind, den Bösen, den „Fürst dieser Welt“, diese Macht lässt sich nicht einfach mit einer Handbewegung oder einem Federstrich abtun. 
 
Die Älteren unter uns werden sich vielleicht noch an den 9. August 1969 erinnern, an dem die schwangere Frau des Regisseurs Polanski, Sharon Tate und sechs weitere Menschen Opfer von Satanisten wurden. Die sogenannte Manson-Family tötete sie alle auf furchtbare Art. Manson sah in sich Jesus und Satan vereinigt, 
Jetzt, 50 Jahre danach, gibt es sog. Satanistenmorde nur noch selten. In den letzten 20 Jahren kann man sie an einer Hand abzählen, jedenfalls hier in Deutschland. In den USA dagegen gibt es viel mehr satanistische Gruppen als bei uns, auch eine „Church of Satan“, Satanskirche! In Deutschland gibt es zwar auch noch Teufelsanbeter, aber sie sind in der Regel verhältnismäßig harmlos. Sie vertreten vor allem eine Ich-Religion: „Tu, was du willst, das ist das einzige Gesetz“, heißt es, keinem verantwortlich natürlich.
 
Aber nicht umsonst, liebe Gemeinde, kommt unser Wort Teufel vom griechischen Diabolos, das heißt zu Deutsch der Durcheinanderbringer. Satan kommt aus dem Hebräischen und heißt Widersacher oder Ankläger. Der Durcheinanderbringer will das Verhältnis des Menschen zu Gott durcheinanderbringen und das von Anfang an. Wir erinnern uns an die Schlange der Urgeschichte, wir haben in der Lesung davon gehört. Mit ihrem Zweifel an Gottes Wort, den sie in Evas Herz sät: „Sollte Gott denn wirklich gesagt haben, dass ihr von diesem Baum nicht essen dürft“, begann sie das Verhältnis des Menschen zu Gott durcheinanderzubringen. Und zugleich auch das Verhältnis der Menschen untereinander, bis heute hin.
 
Natürlich hat sich die Theologie immer wieder über die Jahrhunderte hin den Kopf darüber zerbrochen, wie das Böse und die Möglichkeit zum Bösen überhaupt in Gottes gute Schöpfung hineingekommen sind. Aber, liebe Gemeinde, darauf gibt es letztlich keine befriedigende Antwort. Man spricht hier heute in der Theologie vom Geheimnis des Bösen. – Zu diesem Geheimnis des Bösen gehört wohl auch, dass wir nicht wissen, in welcher Gestalt der Teufel sich Jesus naht. Waren es seine eigenen Gedanken? Waren es Menschen? Wer will das entscheiden – wir wissen es nicht.
Wichtig ist es für uns zu wissen, dass der Versucher ein Meister der Tarnung ist, dass er sich hinter positiven Werten und Idealen verstecken kann, dass er gerade nicht jenen charakteristischen Pferdefuß besitzt, an dem man ihn erkennen kann. Schon Goethe sagt im Faust: „Der Teufel spürt das Völkchen nie – und wenn er es am Kragen hätte!“
 
Stellen wir uns die Situation in unserem Text doch noch mal vor Augen, liebe Gemeinde.
Jesus ist in der Wüste, also wohl im westjordanischen öden Bergland. Ein großes Erlebnis liegt hinter ihm. Er ist im Jordan von Johannes getauft worden und Gott hat sich zu ihm bekannt. „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“ Das ist ihm gewiss! Jetzt ist er in der Wüste und bereitet sich vor auf den Beginn seiner Wirksamkeit. Wie Mose und Elia fastet er lange Zeit und schließlich bekommt er Hunger, bohrenden Hunger. In dieser Situation erfolgt die erste Versuchung: „Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden! Das wäre nicht nur für Jesus eine Augenblickslösung in seinem Hunger, sondern welche Dimension für seine künftige Wirksamkeit könnte sich damit ergeben! Jesus sieht sich vor die ungeheure Möglichkeit gestellt, den Menschen Brot zu geben! Er könnte diesen unerhörten Akt der Nächstenliebe vollziehen! Und – noch mehr! Ist die „Magenfrage“ nicht einer der Schlüssel der Weltgeschichte? „Wes Brot ich ess, des Lied ich sing!“  Wenn ich die Menschen dadurch, dass ich ihnen Nahrung gebe, an mich binde, kann ich sie dann nicht auch an Gott zu binden versuchen!? Hat man den Geist der Menschen nicht in der Hand, wenn man ihr Brot in der Hand hat?
Und außerdem: Wenn du Gottes Sohn bist, dann beweise es doch dir selbst und anderen! Wenn es einen Vater-Gott gibt, muss er dir doch wenigstens Brot geben! Was soll dieser sinnlose Hunger?! Wenn es einen Gott der Liebe gibt, warum dann all das Leid in dieser Welt? Wenn es dich gibt, Gott, dann hilf!
 
Wie sehr kennen wir doch alle diese Argumente, liebe Gemeinde, nicht wahr? Und Jesus setzt dieser Version des Widersachers kein eigenes glänzendes Gedankengebäude entgegen. Nein, seine Antwort wirkt geradezu schlicht. Er zitiert die Bibel. Es steht geschrieben: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Munde kommt!
Ich will nicht dem Brot mehr vertrauen als Gott, meint Jesus. Ich glaube nicht an das Brot, sondern an den Vater, an den Geber aller guten Gabe. Von ihm her lebe ich, durch ihn lebe ich und zu ihm hin. Auch wenn ich den Hunger nicht verstehe, das Leid nicht verstehe, den Sinn nicht begreife, ich vertraue, ja, ich lebe von dem Wort dessen, der sagt: Ich habe Gedanken des Friedens über dich und nicht des Leides!
 
Die zweite Versuchung Jesu, von der unser Text erzählt, hat einen anderen Schauplatz. Nicht mehr die Wüste, sondern die heilige Stadt Jerusalem. Von der Zinne des Tempels aus werde der Messias den Anbruch seines Reiches ankündigen, so meinte man. 
„Wenn du Gottes Sohn bist, so lass dich hinab, so springe herab von dieser Tempelzinne.“ 
Auch diese Versuchung hat eine verlockende Größe, liebe Gemeinde. Tu doch etwas für deine Sache, mach doch ein bisschen Propaganda! Du kannst nicht allein durch deine Predigt, deine Seelsorge, deine persönlichen Begegnungen die Menschen gewinnen und sie zur Entscheidung rufen. Kennst du die Menschen so schlecht? Sie wollen nicht nur durch Gedanken, sondern durch Eindrücke bewegt werden. Kannst du ihnen da imponieren, so laufen sie dir nach und glauben dir auch das andere und hören mit, was du ihnen sagst. Außerdem hast du diesmal auch noch die Bibel auf deiner Seite, denn es steht geschrieben: „Er wird seinen Engeln über dir Befehl tun und sie werden dich auf den Händen tragen, dass du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest.“ 
Das Abgründige an dieser 2. Versuchung ist doch wohl, dass sie so „fromm“ ist, liebe Gemeinde. Die Bibel zitieren und teuflisch sein, schließt sich also nicht immer aus. Wir erschrecken darüber. Wir denken wohl eher, der Widersacher Gottes würde mit Marx oder anderen Atheisten aufwarten, aber – Bibelzitate?
Er gebraucht aber den schönen 91. Psalm, der beginnt: „Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibt, der spricht zu dem Herrn: Meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe.“ Aber da merken wir schon, liebe Gemeinde, dass der Widersacher Gottes sich ja niemals unter die Wahrheit dieses Wortes stellen kann, er stellt sich über das Wort, nicht darunter. Er sucht sich die für seinen Plan passenden Worte heraus und setzt sie zusammen, wie er will.
 
Ich muss dabei an ein Erlebnis aus dem 2. Weltkrieg denken, das ich nicht vergessen werde, obwohl ich noch ein kleines Mädchen war. In unserem Haus wohnte eine fromme, gläubige Frau, die, wie so viele andere, ihren einzigen Sohn in den Krieg ziehen lassen musste. Aber sie war davon überzeugt, dass ihrem Sohn nichts passieren würde. Immer wieder zitierte sie V. 7 aus unserem 91. Psalm, wo es heißt: „Wenn auch tausend fallen zu deiner Seite und zehntausend zu deiner Rechten, so wird es doch dich nicht treffen!“ Dieses „so wird es doch dich nicht treffen“ bezog sie auf ihren Sohn. Auch als die Verluste unserer Truppen dann stärker und stärker wurden, hielt sie daran fest: „So wird es doch dich nicht treffen!“ 
Eines Tages bekam sie die Nachricht, dass ihr Sohn gefallen war. Sie konnte das nicht verkraften. Sie wurde eine völlig andere; wollte nichts mehr vom Glauben wissen, ja, trat sogar aus der Kirche aus!
War sie nicht der Gefahr erlegen, liebe Gemeinde, sich ihr Bibelwort zurechtzuzimmern, ja, es als Orakel zu gebrauchen, und wehe, es erfüllte sich nicht so, wie sie es wollte. So wurde es ihr unter der Hand zum Diabolos, zum Durcheinanderbringer, zur Versuchung, der sie erlegen ist. Ein angebliches Vertrauen kann so zur Versuchung Gottes, zum Gott auf die Probe stellen werden. Dieser Glaube will Gott zwingen, sich jetzt und hier und an diesem Punkt als der Herr zu erweisen!
 
Jesus durchschaut das Ganze und setzt dem bibelzitierendem Versuch ein anderes Schriftwort entgegen: „Wiederum steht auch geschrieben: Du sollst Gott, deinen Herrn, nicht versuchen!“ – Der Teufel versucht es ein drittes Mal. Jesus wird von ihm auf einen sehr hohen Berg geführt, wo alle Reiche und Länder in ihrer Herrlichkeit vor ihm ausgebreitet liegen. „Das alles will ich dir geben!“ Eine berauschende Perspektive der Macht also! Und – diese Macht über die Welt könntest du doch zur Ehre Gottes gebrauchen. Eine Christianisierung der Welt könntest du betreiben. Und denke an deine Jünger später, wenn du nicht mehr unter ihnen bist. Sie wären dann nicht in der beklemmenden Verlegenheit, ihren Herrn nicht beweisen zu können. Nein, in jeder Fahne, in jeder Verordnung, in jeder Regierung wärst du sichtbar und spürbar! Warum soll Gottes Sohn immer so wehrlos sein? Ist er nicht der Herr? Alle Macht soll dein sein für einen Kniefall vor mir!
 
Jesus antwortet zum dritten Mal mit einem Bibelwort; es ist im Grunde das 1. Gebot: „Du sollst anbeten Gott, deinen Herrn und ihm allein dienen!“
Damit, liebe Gemeinde, beginnt für Jesus praktisch schon der Weg in die Passion, in das Leiden, noch bevor er überhaupt seine Wirksamkeit aufgenommen hat. Aber er weißt sich von Gottes Nähe umgeben, denn da verließ ihn der Teufel, heißt es in unserer Geschichte und „die Engel traten zu ihm und dienten ihm!“ Jesus weiß jetzt, dass seine Wehrlosigkeit zum innersten Wesen seines Auftrags gehört. Sein Auftrag ist es, die Liebe Gottes zu verkünden, ja, mehr noch, diese Liebe zu bringen, damit sie leibhaftig in ihm selber da ist. „So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn gab.“ Diese Liebe aber ist Macht von unten, Martin Luther King sagt. Denn zur Liebe, zur Freude, zum Frieden kann man nur rufen, einladen, aber niemals zwingen!
 
Liebe Gemeinde, nachdem wir uns nun so intensiv mit unserem Predigttext auseinandergesetzt haben, glaube ich, verstehen Sie, dass ich zu Anfang gesagt habe, den Teufel, den Jesus meint, kann man nicht mit einem Federstrich abtun. Jesus hat mit einer gewaltigen widergöttlichen Macht gerungen, das war keine Farce.
Und Jesus hat nicht umsonst in das Vaterunser-Gebet, das er uns gegeben hat, die Bitte eingefügt: „Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.“ So darf ich vielleicht diese Predigt mit einem Gebet schließen, das Jörg Zink formuliert hat:
Führe uns nicht in die Versuchung, Herr, an deiner Nähe zu zweifeln. Führe uns nicht in die Versuchung, keinen Sinn mehr zu finden. Führe uns nicht in die Versuchung, deine Hand loszulassen, sondern erlöse uns von dem Bösen. Befreie uns von jener dunklen Macht, die wir den Teufel nennen, den Durcheinanderbringer. Du kannst es, denn dein ist das Reich, in das wir eingeladen werden, um auf ewig deine freien Kinder zu sein. Dein ist die Macht, die allen Mächten ihr Ende setzt und dein ist die Herrlichkeit, der Lichtglanz, die Fülle des Lichts, in der wir dich schauen werden – jetzt und in Ewigkeit!
Amen.

Jede*r ist gefragt. Impuls zu Lukas 16,1-8 zu Andacht und Gemeindeversammlung am Sonntag Estomihi (27.02.2022) von Anne Dill

I. Aufgeflogen. Das musste ja auch irgendwann passieren. Damit hat er gerechnet. Aber jetzt, wo es so weit ist, ist es doch anders als gedacht. Er hat Angst. Sein Chef wird ihn feuern. Zu Recht, wenn er ehrlich ist. Schließlich hat er ihn hintergangen. Statt mit seinem Besitz sorgsam umzugehen - was seine Aufgabe als Verwalter gewesen wäre - hat er ihn um die Ecke gebracht. Jetzt ist sein Chef dahintergekommen. 

Ab jetzt also arbeitslos. Wovon soll er leben? Einen Job als Verwalter wird er nie wieder bekommen. Und auch keine andere gut bezahlte Arbeit. Denn sowas spricht sich rum. Schnell werden alle wissen: Er ist ein Betrüger. 
Auf den Bau könnte er gehen - aber: dazu hat er kein Talent. Körperliche Arbeit ist ihm ein Graus. Und wenn er ehrlich ist, ist er sich auch zu gut dafür. Statt feinem Hemd auf einmal einen verdreckten Overall - nein! Das scheidet aus. 
Und betteln, auf die Mildtätigkeit der anderen angewiesen sein, auf gar keinen Fall! Sie würden buchstäblich auf ihn herabschauen, wenn er an irgendeiner Straßenecke säße. 
Was also tun?
 
II. Plötzlich hat er eine Idee, eine ziemlich kluge sogar. Wenn er es sich schon mit seinem Chef verdorben hat, dann muss er sich eben umso besser mit den anderen stellen. Er lässt die Schuldner seinen Chefs zu sich kommen. 
„Wieviel bist Du schuldig?“ Der Mann nennt eine große Summe. Der Verwalter nimmt ihm den Zettel aus der Hand und halbiert die Summe, die darauf steht. 
Der zweite Schuldner kommt. Auch bei ihm läuft es genauso. Ebenso beim dritten und beim vierten, solange bis alle da gewesen sind. 
 
 
III. Diese Geschichte hat Jesus erzählt. Sie steht im Lukasevangelium im 16. Kapitel.
Auch wenn der untreue Verwalter für Jesus ganz klar ein Betrüger ist, stellt er ihn als Beispiel hin.
Denn der Verwalter erfasst seine Situation klar und dann handelt er klug und entschlossen mit den Mitteln, die ihm noch zur Verfügung stehen. So versucht er sich seine Zukunft zu sichern.
 
IV. Die Zukunft zu sichern, das versuchen wir auch. Das Beste für unsere Gemeinde herauszufinden und herauszuholen. Offen zu sein für alle, die kommen. Denen helfen, die Hilfe brauchen. Füreinander beten und vor Gott einstehen. Für uns hier in Hardegsen. Für Menschen weltweit. Und gerade jetzt für die Menschen in der Ukraine und in Russland.
 
Uns ist als Christinnen und Christen viel anvertraut. An Verantwortung füreinander. Und als Schatz und Aufgabe in unserer eigenen Gemeinde. 
Jesus hat die Geschichte vom untreuen Verwalter nicht erzählt, um uns zum Betrügen aufzurufen. Sondern um Mut zu machen: 
Traut Euch etwas zu! 
Habt den Mut, auch ungewöhnliche Wege zu gehen! Setzt die Gaben, die ihr bekommen habt, ein: 
Deine Klugheit und Deinen Scharfsinn, 
Dein Gerechtigkeitsempfinden, 
das Händchen für Zahlen und Verwaltung,
Deine Feinfühligkeit,
Euer Verantwortungsgefühl,
Deinen Mut, auszuprobieren,
den Blick für andere.
Bringt Euch ein, mit dem, was Gott Euch geschenkt hat.
 
Denn Gemeinde – das sind wir alle. Nicht nur der KV oder die Pastorin. Jeder und jede hat eigene Gaben und Fähigkeiten. Und jeder und jede wird gebraucht.
 
Und so bitten wir Gott um seinen Heiligen Geist für unsere Gemeinde, für unser Miteinander. Er segne unsere Beratungen, unser Denken, Handeln und Beten. 
Amen.

Schärfer als Menschenworte. Predigt vom Sonntag Sexagesimä (20.02.2022) zu Hebräer 4,12-13 (Anne Dill)

I. Wohnungsübergabe. Er ist aufgeregt, fast ist ihm übel. Er weiß, ohne Beanstandung wird es nicht über die Bühne gehen. Die Vermieterin wird jeden noch so kleinsten Makel beanstanden. Die Kaution wird er nicht wiederkriegen, davon ist er überzeugt. Aber was, wenn die Vermieterin noch viel mehr Geld will? Er hat Angst. Denn der Fußboden hat Wasserschäden. Die kleineren waren schon da, als er eingezogen ist. Aber der große, direkt in der Mitte geht auf sein Konto.
Nun wartet er mit seinem älteren Bruder in der leeren Wohnung. Den hat er mitgenommen. Zur Sicherheit. Damit es gerecht zugeht.
 
II. Es klingelt. Vor der Tür steht eine junge Frau. Sie lächelt. Ich bin die Tochter sagt sie. Meine Mutter konnte nicht kommen. Er entspannt sich etwas. Sie gehen durch die Wohnung, kommen ins Wohnzimmer. Der Blick der jungen Frau fällt auf das beschädigte Parkett. Die sagt: Ach ja, die Flecken. Die sind ja vom Vormieter. Meine Mutter hat es mir vorhin noch gesagt.
 
Die Brüder gucken sich an. Im Blick des Älteren liegt eine Frage. Und auch eine Aufforderung. Schließlich ist er mitgekommen, damit es gerecht zugeht. Aber der Jüngere schweigt. Sagt nichts. Weil er mit diesem Lauf der Dinge nicht gerechnet hat. Und weil er auf einmal die Chance hat, ganz ohne finanziellen Verlust aus der Sache herauszukommen.
 
Sie gehen ins nächste Zimmer. Plötzlich spürt er, wie der Bruder ihm unauffällig einen Zettel in die Hand schiebt. Er dreht sich zur Seite, liest: Willst Du zu Deinem Fleck nichts sagen?
Einen Moment kommt er innerlich ins Schleudern. Die Worte treffen ihn. Aber dann entscheidet er sich dagegen und steckt den Zettel in die Hosentasche. 
Ein paar Tage später in der neuen Wohnung. Ein Kumpel ist zu Besuch. Filmabend. Plötzlich tönt es aus dem Fernseher: Was bist Du bereit, für die Wahrheit zu geben?
Er zuckt zusammen, denkt an die Wohnungsübergabe. Seine Finger finden unwillkürlich den Zettel, den er immer noch in der Hosentasche hat. Er versucht sich zu beruhigen. Es ist nur ein Film. Zufall. Und überhaupt, es ist gelaufen, vorbei. Beim nächsten Mal kann ich es ja anders machen. 
 
Aber die Worte lassen ihn nicht los. Sie rotieren in seinem Kopf, entwickeln ein Eigenleben. Es ist fast, als ob Gott selbst zu ihm gesprochen, nein in sein Ohr geschrien hat.
Es war doch eine Lüge begreift er nun. Nicht nur das Verschweigen der Wahrheit. Wie ein Schwert bohrt sich die Erkenntnis in sein Herz.
 
Von der Macht der Worte erzählt der Predigttext des heutigen Sonntags. Ich lese aus dem Hebräerbrief im 4. Kapitel:
„Das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert und dringt durch, bis es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Beim, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens.
Und kein Geschöpf ist vor ihm verborgen, sondern es ist alles bloß und aufgedeckt vor den Augen dessen, dem wir Rechenschaft geben müssen.“
(V. 12-13)
 
III. Das sind scharfe Worte. Und der Text sagt genau das: Gottes Wort ist scharf. Es trifft. Es schneidet wie ein Schwert. 
Doch zuerst stellt sich die Frage: Wie spricht Gott überhaupt zu uns?
Am Anfang der Welt hat er noch von Angesicht zu Angesicht mit den Menschen gesprochen. So lesen wir es jedenfalls in der Geschichte von Adam und Eva und dem Paradiesgarten. Aber als die Menschen den Garten Eden verlassen mussten, ist es damit vorbei.
Trotzdem gibt es in der Bibel viele Berichte, dass Gott weiter in Kontakt ist mit den Menschen:
 
Abraham zeigt er den nächtlichen Sternenhimmel. Und der erkennt darin etwas von Gottes unendlicher Güte.
Zu Jakob und zu Josef spricht Gott durch Träume. Zu Elija durch die Stille.
 
Auch heute ist Gottes Wort nicht nur einfach ein Text in einem Heiligen Buch. Gott kann auch bei uns durch einen Traum sprechen. Durch einen Menschen, der uns so liebevoll begegnet, wie Gott es auch tun würde. Oder der uns wieder auf den Pfad der Wahrheit zurückholen will.
Gott kann durch Zettel sprechen. Durch eine Szene in einem Film, durch ein Lied. Gott spricht auch heute. Er möchte in Beziehung zu uns sein. So wie er am Anfang die Welt geschaffen hat, hat er uns geschaffen. Schon immer ist er uns Gegenüber.
 
IV. Wenn Gott nun spricht, dann geschieht etwas. Weil sein Wort nicht nur ein Wort ist. Es liegt auch immer etwas von ihm selbst darin. Von seiner Kraft und seiner Macht. Auch davon erzählt die Bibel schon ganz am Anfang: Gott ruft die Welt nur durch sein Wort ins Leben, ebenso die Tiere und die Menschen. Durch sein Wort trennt Gott das feste Land, auf dem wir stehen können, vom Abgrund des Meeres.
 
Gott spricht auch durch Jesus. Und auch dann geschieht etwas. Einmal ist Jesus mit seinen Freunden in einem Boot unterwegs. Ein Sturm bricht los. Das Boot droht zu sinken. Jesus bekommt es nicht mit, er schläft. Jesu Freunde verzweifeln an der Situation und dem schweigenden Jesus. Sie brauchen jemanden, der das Wort ergreift und dem sie sich überlassen können. Sie rütteln Jesus so lange, bis er wach ist. Da stellt Jesus sich hin, breitet die Arme aus und spricht zu Sturm und Wind: Seid ruhig! Und sofort ist Stille. Gott ist in seinem Wort gegenwärtig. Sein Wort bleibt nicht ohne Wirkung. Es ist lebendig und kräftig und schärfer als jedes Menschenwort.
 
Aber es kann sich eben auch anfühlen wie ein Schwert.  Es schneidet tief und scharf und trifft mitten ins Herz. So wie bei dem jungen Mann vom Anfang.
Der erkennt sein Unrecht, als er die wenigen Worte aus dem Fernseher hört. Und die Erkenntnis lässt ihn nicht mehr los. Sie tut weh. Selbstbetrügerische Beschwichtigungen helfen da nicht mehr. So wie man eine Schwertwunde auch nicht mit einem Pflaster behandeln kann.
 
V. Der Wochenspruch ruft dazu auf, sich Gottes Wort zu stellen: „Heute, wenn ihr seine Stimme hört, so verstockt Eure Herzen nicht.“ (Hebr 3,15)
Das hören wir nicht immer gern. Wir wollen allein entscheiden. Tun und lassen, was uns gerade in den Sinn kommt. Dagegen weist das Wort Gottes auf den, der tatsächlich alles in der Hand hat. Es deckt Lügen und falsche Sicherheiten auf. Und es zeigt mir meine Situation in Gottes Licht. So, wie es wirklich ist. Denn Gott weiß, was in meinem Herzen ist. Verborgen vor Menschenaugen, vielleicht sogar vor meinen eigenen. Weil ich es selbst nicht sehe oder mir nicht eingestehen will. Gottes Wort zeigt, auf welchem Grund ich sicher stehe und wo ich im Meer versinke.
 
Ja, es kann wehtun, wenn Gottes Wort mich trifft.
Aber es schenkt auch eine andere Perspektive, einen neuen Anfang. Vor Gott zählt nur seine Wahrheit. Ich werde frei von meinen eigenen Halbwahrheiten und Lügen. Manchmal kann man das sogar körperlich merken: Ein Seufzer der Erleichterung entweicht mir. Oder ich atme befreit auf.
 
Dem jungen Mann vom Anfang ist das Herz noch schwerer geworden. Weil er so lange gewartet hat, die Lüge zuzugeben. Und weil er verdrängt hat, was er gesagt bzw. gerade nicht gesagt hat. Das erkennt er jetzt. Er nimmt sein Handy und schreibt der Tochter der Vermieterin die Wahrheit.  Wieder hat er Angst. Und es ist ihm ziemlich peinlich. Sein Unrecht ist nun doppelt offenbar. Aber als er die Nachricht abgeschickt hat, ist er auch erleichtert. Es ist, als ob er von einer großen Last befreit ist.
 
VI. Gottes Wort ruft uns in die Verantwortung:
Gott gegenüber. Und uns selbst. 
Es ruft auch in die Verantwortung für andere und für unsere Welt:
Durch ein Wort kann ich einen anderen von einer Last befreien: „Du bist nicht schuld!“ 
Ich kann und soll aufzeigen, wo Unrecht geschieht. Meine Stimme erheben, wenn Menschen in Meeresfluten untergehen. 
Wenn Krieg in Europa droht.
Wenn Mitschüler gemobbt werden.
Wenn die Schöpfung ausgebeutet wird oder Tiere gequält werden.
Wir sind aufgerufen, in Gottes Namen zu sprechen und sein Wort weiterzusagen.
 
Jesus hat es vorgemacht. Er hat nicht die gebildeten Männer in den Mittelpunkt gestellt, sondern Kinder. Er hat für die und mit denen gesprochen, mit denen sonst keiner geredet hat. Und er hat von Gott erzählt. Er hat weitergegeben, was er mit ihm erlebt hat.
Dazu ist keiner zu jung oder zu alt, zu unerfahren oder zu klein.
 
VII. Und wenn mir Gottes Worte trotzdem nichts sagen? Oder ich sie gar nicht höre? Wenn ich am Schweigen Gottes verzweifle?
Dann kann ich mich an Jesus Christus halten. So wie seine Freunde im Sturm. An ihm rütteln, nicht nachlassen, ihn bitten oder sogar anschreien: Jesus, hilf!
Gerade dann, wenn ich voller Angst oder voller Zweifel bin, schuldbeladen oder ratlos.
 
Jesus Christus ist selbst Gottes lebendiges Wort. Mit Menschenlogik muss ich das nicht verstehen. Es reicht, wenn ich weiß: Dieses lebendige Wort kann auch etwas in mir bewegen. Jesus Christus als Wort Gottes ist durch nichts zu überbieten. Es ist lebendig und kräftig und schärfer als jedes Menschenwort. Und es ist mir verheißen für alle Ewigkeit.
Amen.

Predigt zu Matthäus 14,22-33 aus den Gottesdiensten am 06.02.2022 in Trögen und Hardegsen (Hartmut Gericke-Steinkühler)

Kommt her und sehet an die Werke Gottes, der so wunderbar ist in seinem Tun an den Menschenkindern. (Psalm 66, 5)
 

„Kinders, nun lasst mich doch erst einmal ankommen; ich muss mich doch erst einmal ein bisschen besinnen!“ wie oft ihr Lieben habe ich das gesagt, wenn mich meine Familie nach einem an-strengenden 12 Stunden Flug aus Fernost oder dem Pazifik am Flughafen abholte. Mit 1000 Fragen stürzten sie auf mich ein: „Na wie geht’s dir? Wie war’s denn? Erzähl mal!“ –„ Was hast du uns mitgebracht“ wollten die Kinder wissen. Ja, ich war wochenlang unterwegs gewesen: Besuche, Gespräche, Konferenzen, endlose Sitzungen und Verhandlungen; immer ein bisschen Sightseeing auch noch dabei und dann ist man endlich angekommen und braucht einfach Zeit, sich zu besinnen. Okay nicht alle haben ein solch außergewöhnlichen Job wie ich ihn hatte mit vielen Reisen und Besuchen und Verhandlungen aber vielleicht geht es Ihnen manchmal doch ähnlich, wenn Sie nach einem ar-beitsreichen Tag müde nach Hause kommen und all die Fragen der Familie auf sie einstürzen: „Na wie war’s? Erzähl mal!“ oder die Kinder: „Hast du mir was mitgebracht?“
 
Ich kann verstehen, wie frustriert die Ärztinnen und Ärzte, die Krankenschwestern und Pfleger heute auf den Intensivstationen sein müssen, wenn da einer liegt ungeimpft und immer noch Corona für eine Verschwörung oder gar einen Witz hält. Wie müssen sie darunter leiden? Es selbst für sich ver-arbeiten? Wieder zur Besinnung kommen und am nächsten Tag erneut zum Dienst gehen?!
 
Manchmal denke ich, dass unsere ganze Gesellschaft, unser Leben langsam völlig abgestumpft ist. Bei meinen Hausbesuchen als Pastor früher habe ich es so oft erlebt: NDR 1 dudelt! „Herr Pastor, das hören wir den ganzen Tag: die schöne Musik, die Nachrichten toll!“ Ich habe mich dann immer gefragt: Was nehmen die denn überhaupt noch wahr? – Noch schlimmer, wenn den ganzen Tag der Fernseher läuft und ich darum bitten muss, dass sie ihn zu unserem Gespräch doch ausschalten möchten. Ich kann das nicht – das ständige Wegsehen, Weghören – einfach nicht wahrnehmen!
 
Ich telefoniere jeden Abend nach den Tagesthemen mit meiner Frau in Wolfenbüttel – sie ist ja nur am Wochenende hier. Wir erzählen von unserem Tag und auch von den Nachrichten, die wir gerade gehört und gesehen haben: Wie in Syrien der Winter eingebrochen ist und den Familien in den Lagern, die sowieso nichts zu essen haben nun auch noch das Zelt über dem Kopf zusammengebrochen ist. Wie Kinder nach ein paar feuchten Zweigen Jagd machen, damit die Hütte vielleicht ein bisschen warm wird – und sie die Wasser--Suppe aufwärmen können. Spendenkonto ist angegeben:
 
ZDF Nothilfe Syrien – De 65 100 400 600 100 400 600!
 
„Du überweist doch was!“, sagt meine Frau. Sich die Not der Anderen zu Herzen nehmen – nicht wegsehen, sondern sich besinnen!
 
In unserem Evangelium heute haben wir es gehört, was Jesus tat nach einem aufregenden Tag – wie er sich besann:
 
„Als Jesus das Volk hatte gehen lassen, stieg er allein auf einen Berg, um zu beten. Und am Abend war er dort allein.“ (Vers 23) – Jesus bringt seinen Tag, all das Erlebte im Gebet vor Gott. Nehmen wir uns noch solche Zeit?
 
Der 2. Teil unserer Geschichte:
Die Jünger machten sich mit ihrem Boot auf den Rückweg, haben wir im Evangelium gehört. Und wie so oft auf dem See Genezareth kommt nachts ein Wind auf und macht so ihre Bootsfahrt recht un-gemütlich. „In der 4.Nachtwache“ – das ist um 3 Uhr morgens geschieht etwas Schreckliches: sie sehen ein Gespenst auf sich zukommen, erschrecken und schreien vor Furcht. – Haben Sie das schon mal erlebt? Nachts so gegen 3 Uhr, dass die Gespenster kommen? Ich werde wach – und kann nicht wieder einschlafen, denn alles wirbelt mir im Kopf herum – all die Sorgen und Nöte, meine Ängste: was soll ich nur am Sonntag predigen? Und man findet keinen Schlaf! „Ich nehm dann den Rosenkranz und lass die Perlen betend durch meine Finger gehen – und dann schlafe ich wieder ein!“, sagte mir mal ein katholischer Kollege. „Probier’s doch auch einmal!“ – Aber ich hab doch keinen Rosenkranz – aber ich habe das Vaterunser, den 23.Psalm, ein paar Liedstrophen – und darüber schlafe ich dann doch wieder friedlich ein! – Haben Sie’s schon mal probiert?
 
Der letzte Teil unseres Evangeliums:
Da ist kein Gespenst unterwegs! Es ist Jesus, der zu seinen erschrockenen Jüngern kommt und ihnen zuruft:
 
„Seid getrost, ich bin’s; fürchtet euch nicht!“ (Vers 27)

Aber der Petrus ist den anderen ja immer eine Nase voraus. Er gibt sich mit dieser Ansage nicht zu-frieden, sondern möchte einen Beweis dafür haben, dass das wirklich Jesus – ihr Herr und Meister, der Messias, der Sohn Gottes – dass er das ist. Er glaubt, ja er weiß, dass Jesus alles kann: Kranke heilen, Tote auferwecken, Menschen mit seinen Worten begeistern – im wahrsten Sinn dieses Wortes: ihnen den Geist Gottes vermitteln! Ja – sogar auf dem Wasser wandeln! und dass er seinen Jüngern an all dem Teilhabe gibt. Deswegen sagt er ganz zuversichtlich:

„Herr, bist du es, so befiehl mir, zu dir zu kommen auf dem Wasser!“ (Vers 28)

und Jesus lässt sich darauf ein mit einem kurzen: „Komm her!“ – da sind wir plötzlich wieder bei unserem Wochenspruch aus Psalm 66:

„Kommt her und sehet an die Werke Gottes, der so wunderbar ist in seinem Tun an den Menschenkindern!“
Der Petrus weiß das, glaubt das, vertraut darauf – und klettert aus dem Boot. Aber dann ist seine Sternstunde auch zuende! Plötzlich sieht er nicht mehr auf Jesus, sondern auf all die Gefahren des Wassers, das ihn umgibt. Als Fischer weiß er ganz genau, wie gefährlich das Wasser ist; wie viele von ihnen da schon den Tod gefunden haben. Plötzlich packt ihn die Angst, die Zweifel – ich schaff das nicht! wer bin ich denn? was tue ich hier? der starke Wind! – „und begann zu sinken und schrie: Herr, hilf mir!“ – rette mich!

„Jesus aber streckte sogleich die Hand aus und ergriff ihn und sprach zu ihm: Du Kleingläubiger! warum hast du gezweifelt?“ – so bei Matthäus. „Und sie traten ins Boot, und der Wind legte sich.“ (Verse 31+32) Noch mal gut gegangen! – würden wir nun am Ende eines Fernseh-Films sagen. Halt! wird da Matthäus rufen: Ich habe euch das doch nicht als eine schöne Geschichte mit gutem Ausgang erzählt. Hast du dich nicht selbst in dieser Geschichte entdeckt? – mit deinem Glauben und deinem Zweifel?! Du weißt doch auch, dass dieses beides in deinem Leben immer wieder zusammengehört: wie der Mond zur Sonne, wie die Nacht zum Tag! – Wenn ich nachts schlaflos im Bett liege! wenn ich täglich die Nachrichten aus aller Welt verdauen soll: das Leid, die Kriege, die Not, die Flüchtlinge, die Angst, das Sterben – meine Ohnmacht zu helfen, mein Schutzwall des Wegsehens, einfach nicht mehr hinhören – es nicht mehr zu Herzen nehmen – innerlich abschalten! Ja, der Zweifel an Gott selbst!
 
 Dem Petrus blieben am Ende 3 Worte: Herr hilf mir! Rette mich! – und mir?
 Amen.

Leuchtende Gesichter. Predigt zu Exodus 34,29-35 (Anne Dill/Charlotte Scheller) aus dem Gottesdienst am Letzten Sonntag nach Epiphanias (30.01.2022)

Leuchtende Gesichter. Predigt zu Exodus 34,29-35 (Anne Dill / Charlotte Scheller)
 
Mose. Der Weg runter ist mühsamer als der bergauf. Er spürt seine Knie bei jedem Schritt. Seine Hände spürt er nicht mehr. Sie halten die Tafeln mit den zehn Worte umklammert, Gottes Wegweiser zum Leben. Die ersten Tafeln hat der Allmächtige selbst beschrieben mit seiner göttlichen Hand. Und als er, Mose, vom Berg runterkam, erfüllt von der Begegnung mit dem Höchsten, hat die Tafeln wütend von sich geworfen und zerschmettert. So zerschmettert war er selbst von dem, was er sah. Seine Leute, Gottes Volk, im Tanz, im Gebet niedergeworfen vor einer Statue aus Gold. Sie hatten seine Unterredung mit dem Herrn nicht abwarten können, hatten es nicht mehr ausgehalten in der Wüste ohne Plan. Hatten ihren Schmuck eingeschmolzen und sich selbst einen Gott geschmiedet. Mose hatte sein Herz, seine Hände nicht im Griff gehabt, als er das sah, und alles hingeschmissen. Sollten sie ihren Mist allein machen. Sollten sie sehen, wo es sie hinbrachte, wenn sie dem Herrn, ihrem Gott, untreu wurden. 
 
Später hat es ihm Leid getan. Er hat für sie gebetet, für sein geliebtes, eigensinniges Volk. Was sollte es denn sonst sein, wenn nicht Gottes Volk? Aber irgendwas ist anders geworden. Der Allmächtige wohnt nicht mehr bei ihnen, er besucht sein Volk bloß, der Herr kehrt ein in dem heiligen Zelt, wenn Mose da hineingeht. Dann sieht man eine Wolkensäule über dem Zelt stehen, kein Kalb, kein Gold, nicht mal Stein, bloß ein Zelt und eine Wolke, die von sonst wo her geweht sein könnte. 
 
Moses Griff um die Tafeln wird fester. Er hat das Wiedersehen herbeigesehnt. Wieder Alltag, Essen und Trinken und Reden nach vierzig Tagen Fasten und Schweigen. Wieder Blickkontakt, seiner Frau in die Augen sehen nach knapp sieben Wochen im gleißenden Licht von Gottes Gegenwart.
 
Moses Schritte werden langsamer. Denn wieder runterkommen heißt auch, in den Alltag zurückgehen. Lösungen suchen für tausend kleine Probleme. Gefahren abwehren. Böse Gedanken. Mangel an Wasser und Brot. Er muss die Hoffnung hochhalten. Die Motivation stärken. Die Gesellschaft zusammenhalten. Den Menschen Gottes Wort vor Augen halten, die zehn Worte, den Kompass für den Weg durch die Wüste und das ganze Leben. Moses Schritte sind schwer. Sein Körper ist müde vom Weg. Seine Seele hinkt hinterher, ist noch irgendwo unterwegs zwischen dem Berg und dem, was hier unten ist. 
 
Jetzt ist er fast da. Ein paar Kinder kommen ihm entgegen gerannt. Als sie ihn sehen, machen sie kehrt. Kein Wunder, er muss wild aussehen mit dem Staub und der Bergsonne von vierzig Tagen in seinem Gesicht. Ihn beschleicht ein komisches Gefühl.
 
Sonja. Mit mulmigem Gefühl geht sie durch die große Eingangstür, fragt nach der richtigen Station, nimmt den Fahrstuhl. Nach oben, 5. Stock rechts. Es kommt ihr vor, als ob sie einen Berg besteigen muss. Sie ist nicht gern im Krankenhaus. Die Gerüche, die vielen Kranken, die weißen Kittel machen sie immer ganz beklommen. Dann kommt sie vor der richtigen Tür an. Sie zögert. Muss sich regelrecht überwinden. Dann hebt sie die Hand und klopf zaghaft. Herein, erschallt es von innen. Sie drückt die Klinke runter, betritt den Raum. Da liegt die Freundin. Sicher, sie hatte gewusst, dass es ihr nicht gut geht. Aber so... Ihr Blick fällt auf die vielen Schläuche, das blasse Gesicht. Sie weiß nicht, was sie sagen soll. Die Freundin lächelt sie an. Ein mühsames Lächeln ist es. Die Besucherin zieht sich einen Stuhl ans Bett. Hallo, sagt sie leise. Ich wollte nach dir gucken. Die im Bett nickt. Dann schweigen sie. Schließlich schläft die Freundin ein. Die Besucherin bleibt noch eine Weile auf dem Stuhl sitzen. Rührt sich kaum, aus Angst, die andere wieder aufzuwecken. Insgeheim ist sie ganz froh, dass sie nicht reden müssen. Schließlich verlässt sie auf Zehenspitzen den Raum. Im Auto überfällt sie das schlechte Gewissen. Nun warst schon da und du hast nicht mal auf die Reihe gekriegt, dich eine halbe Stunde zu unterhalten. - Was bist du nur für eine Freundin? In den nächsten Tagen denkt sie oft an den Besuch im Krankenhaus. Ihr Herz ist schwer. Sie fühlt sich wie in einem dunklen Tal.
 
Dann klingelt das Telefon. Die Freundin ist dran. Danke, sagt sie. Danke, dass du da warst! Alle anderen texten mich immer zu. Dass es schon besser werden wird. Dass die Sonne scheint. Und was es zu essen gab. Aber mit dir konnte ich einfach schweigen. Selbst durchs Telefon spürt sie, dass die andere lächelt. Und da legt sich auch auf ihr Gesicht ein Glanz.
 
Susanne. Endlich, sagt sie leise und atmet tief durch. Es muss eine Ewigkeit her sein, dass sie die Sonne zuletzt gesehen hat. Sie bleibt stehen, hält ihr Gesicht in den Himmel, spürt, wie das Licht ihre Stirn glattstreicht. Sie geht weiter, ihre Schritte leicht wie seit Tagen nicht. Trotz der Müdigkeit. „Dir scheint‘s ja gut zu gehen“, sagt ihr Kollege zur Begrüßung und sie merkt, dass sie grinst wie ein Honigkuchenpferd. „Ist was passiert?“, fragt er und ihr Grinsen vertieft sich. „Nö“, antwortet sie, setzt ihren Rucksack ab und schaltet den Computer ein. Dass man es ihr ansieht, hätte sie nicht gedacht. Es lässt sich einfach nicht verbergen, das Grinsen. Dabei ist wirklich nichts passiert. Nichts, was man erzählen könnte jedenfalls. Da war dieses Schweigen, über Wochen hat ihr Sohn nicht mit ihr geredet. Sie hat genau gemerkt, dass ihn was bedrückt. So wie er am Tisch gesessen hat, die Kapuze ins Gesicht gezogen, als ob ihm kalt wär in der geheizten Wohnung. Wie er auf seinem Teller rumgestochert hat, sogar wenn sie sein Lieblingsessen gekocht hat. Wie er ausgewichen ist, wenn sie gefragt hat, wie es ihm geht. Okay, hat er gesagt und sie hat genau gewusst, dass das nicht stimmt. Dass gar nichts okay ist seit ihrem Streit, seit sie so sauer geworden ist und ihn angeschrien und er die Tür zugeschmissen hat. 
Letzte Nacht hat er wieder dagesessen. Hat sein Glas mit der Cola hin und her gedreht in seinen Händen und geschwiegen. „Es tut mir Leid“, hat sie gesagt. „Bitte verzeih“. Er hat nichts gesagt. Sie hat geseufzt. „Ich geh schlafen“, hat sie gesagt. Und leise, als sie schon in der Tür war: „Ich hab dich lieb“. – „He, warte doch mal“, hört sie ihn plötzlich. „Ich muss dir noch was erzählen. Die Prüfung“, sagt er, „ich darf sie wiederholen“. Sie hat sich umgedreht, die Türklinke losgelassen und sich wieder an den Tisch gesetzt. Ihr Herz hat geklopft. Sie hat ihn angesehen. Er hat gegrinst. Sie hat sich auch ein Glas Cola eingeschenkt. Dann hat sie wachgelegen, ob es nun an der Cola lag oder an ihren Gedanken. Er redet wieder. Er hat mir verziehen. Danke, Gott. Danke, danke, danke! 
 
Jannik. Der Enkel schaut den Opa an. Er sieht die müden Augen, die zittrigen Hände, die geschwollenen Beine. Es tut ihm weh zu sehen, dass der Opa nicht mehr so kann und wie beschwerlich sein Leben geworden ist. Wie geht es dir, fragt er und überlegt nebenbei, was er überhaupt antworten kann auf so viele Beschwerden.
Ach, sagt der Neunzigjährige, ganz gut. Heute Morgen konnte ich endlich wieder die Losungen lesen. Ich habe nur eine halbe Stunde gebraucht. 
Eine halbe Stunde für ein paar Worte, denkt der Enkel. Er schaut den Opa an. Auf dessen Gesicht liegt ein stiller Glanz. Er strahlt Dankbarkeit aus und Ruhe, trotz aller Beschwerden. Geborgenheit in Gott. Der Jüngere bemerkt es und ist angerührt. Er bewahrt das kurze Gespräch noch lange in seinem Herzen. Und manchmal, wenn ihm alles zu viel wird, dann denkt er an den Opa, an seine Dankbarkeit, sein Aufgehobensein in Gott.
 
Mose. Nun ist er fast angekommen bei seinen Leuten. Jetzt kommen ihm Erwachsene entgegen. Sein Bruder Aaron und andere von den Ältesten. Mose sieht den Schrecken in ihren Augen. „Dein Gesicht“, murmelt Aaron, „es glänzt wie die Sonne“. – „Komm her“, sagt Mose und breitet die Arme aus. „Kommt alle her zu mir!“ Sie tun, was er sagt, obwohl ihnen die Furcht in den Augen steht. Irgendwas muss mit seinem Gesicht geschehen sein durch die Gottesbegegnung auf dem Berg. Sie setzen sich. Mose zeigt ihnen die Tafeln. Liest ihnen vor. Gottes Wort. Die Zehn Gebote. Gottes Ja zu ihnen trotz allem. Wenn ihr mit mir gehen wollt durch die Wüste ins Gelobte Land, sagt Gott, hier geht es lang. Gott den Herrn lieben. Keine anderen Götter haben. Den Feiertag heiligen. Vater und Mutter ehren. Ehrlich sein. Dem Nächsten lassen, was ihm gehört. Das ist die Anleitung. Die große Chance zum Leben mit Gott.
 
Und ich? Ich war noch nie 40 Tage ununterbrochen mit Gott im Gespräch auf einem heiligen Berg. Die meiste Zeit bin ich eher unten, in der Ebene, im Alltag. Mose hat sich gewünscht, Gott sehen zu dürfen. Hat sich nicht zufriedengegeben nur mit Gottes Worten. Wollte ihn sehen mit eigenen Augen. 
Das kann ich verstehen. Gerade im Alltag, im normalen Trott, brauche ich ihn, will wissen, dass er mit mir ist. Ich sehne mich nach Geborgenheit, nach Gottes Nähe, nach Aufgehobensein in ihm. 
 
Mose hat das erlebt. Erst auf dem Berg und später unten im heiligen Zelt. Immer wieder ist er hineingegangen, um mit Gott zu reden. Vor Gott konnte er sein, so wie er ist. Mit dem Glänzen auf seinem Gesicht, und vielleicht auch mit Sorgen im Herzen. Alles hat er mit Gott beredet. Und der Glanz auf seinem Gesicht ist geblieben.
 
Wir brauchen keinen Berg, kein heiliges Zelt. 
Eine geht vor dem Gottesdienst zum Gebetsleuchter. Zündet eine Kerze an und bringt ein Anliegen vor Gott. Ein anderer findet seinen Raum mit Gott in der Stille. Eine liest jeden Morgen die Losungen. Ein anderer guckt in die Bibel-App auf dem Handy. In so einem Moment kann ich ganz ich selbst sein. Muss mich nicht verstellen. Ich bin da und Gott ist auch da. Und etwas von seinem Glanz kann übergehen auf mich.
 
Und wenn mir Gott trotz allem fern scheint? Es gar nicht zum Leuchten ist in meinem Leben?
Dann kann ich auch das vor Gott bringen. Ihn um seine Nähe bitten. Oder sie mir zusprechen lassen mit einem Segen: Der Herr lasse leuchten sein Angesicht über dir und sei dir gnädig. 
Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und schenke dir Frieden. 
Wir gehen gesegnet aus jedem Gottesdienst.
Amen.